Читать книгу Die Kinder Paxias - Laura Feder - Страница 4

Kapitel 2

Оглавление

Der Morgen dämmerte mit einem wolkenlosen Himmel, als Saya weckend zum Aufbruch drängte.

Sie hatten den Schneesturm unbeschadet überstanden.

Mit Ausnahme von Arn.

Er erhob sich mit steifen Gliedern, bemüht seine beißenden Schmerzen vor den anderen zu verbergen. Er bewegte sich schwerfälliger, und die Haut um seine Augen war noch immer blau verfärbt, aber er gab sich den Anschein, dies stamme von einer durchwachten Nacht.

Die Kälte hatte ihn ja wirklich keine Ruhe finden lassen.

Die anderen gaben sich mit seiner Erklärung zufrieden.

Sie alle atmeten auf, denn die Temperatur erwärmte sich spürbar. Noch bevor die Sonne endgültig aufgegangen war, setzte die Schneeschmelze ein. Plätschernd befreiten sich die wenigen Pflanzen von der weißen Last und begannen sich im Schein der Morgensonne zu erholen.

Leider bedeutete diese Normalisierung des Wetters auch eine Rückkehr der angriffslustigen Kreaturen. Schlammblasen bildeten sich zwar noch nicht auf dem gefrorenen Boden unter der dichten Schneedecke, aber dafür mussten sie sich den berittenen Steinkriegern stellen, die aus verschiedenen Richtungen mit zunehmender Häufigkeit auf sie zu galoppierten.

Zunächst kämpften vor allem Saya und Kaeli, die keine Beeinträchtigungen durch die eisige Kälte, die ihrer aller Schuhwerk durchdrang, empfanden und auch keine Nachwirkungen wie schlecht durchblutete Hände und Finger erleiden mussten.

Während Iain und Cecil mit ihren Schwertern nur langsam zurück in die Kampfhandlung fanden, unterstützte Robin die beiden Mädchen. Ihre Pfeile holten die Krieger gezielt aus ihren Satteln und vereinfachten die Beseitigung der nun getrennten Kreaturen.

Arn blieb an ihrer Seite und hoffte, dass er seiner Funktion als ihr Schutzschild gerecht werden konnte. Trotz seiner beeinträchtigenden Pein war er entschlossen, alles von ihm Erwartete zu leisten.

Iain und Cecil regenerierten. So wie der Schnee unter ihren Füßen schmolz, belebten sich ihre Körper im strahlenden Schein der höher steigenden Sonne, deren zunehmende Kraft einen entschädigenden Sommertag verhieß.

Am späten Vormittag schwanden die letzten Spuren des Blizzards. Was blieb, war eine unangenehme Erinnerung.

Nur nicht für Arn.

Es brauchte mehr, als eine Sonne aus dieser Entfernung liefern konnte. Nichts schien sein Blut erhitzen zu können und die frostigen Schmerzen zu vertreiben. Er spürte die lähmende Schwäche, ohne etwas unternehmen zu können.

Auch wenn er die Zähne zusammenbiss und sich innerlich unaufhörlich anfeuerte, wusste er nicht, ob er bis zum Erreichen ihres Bestimmungsortes durchhalten würde. Ebenso unsicher war er, wie er ohne ein Flammenbad seine Energie wiedergewinnen konnte. In seinem Zustand bedeutete er mehr eine Belastung denn eine Unterstützung für die Gruppe.

Allerdings erwarteten die Gefährten seinen Einsatz, da er seiner geheimen Sorge keinen Ausdruck zu verleihen bereit war – noch nicht.

„Arn!“ Mit diesem warnenden Ruf machte Cecil ihn auf die nahende Gefahr aufmerksam.

Wolkenvögel stürzten auf sie herab. Ein Schwarm steuerte in hoher Geschwindigkeit Robin an, deren materialisierende Pfeile nicht schnell genug flogen, alle bewältigen zu können.

Eine Beschwörung war vonnöten, und sie sah ihn Hilfe fordernd an.

Arn zögerte nicht.

Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte schwang er sein Schwert. Gerade rechtzeitig, um die ersten ankommenden Gegner aufzuhalten. Tödlich glitt seine Klinge durch die substanzarmen Körper, die sich zerreißend auflösten.

Er hielt nicht inne und widmete sich den flatternden Nachrückern. Aus den Augenwinkeln sah er die anderen ebenfalls an mehreren Fronten kämpfen. Sie konnten ihm nicht helfen, während Robin den bekannten Gesang anstimmte, der das Element Wasser um Hilfe bat. Ihre Verteidigung oblag also ihm allein.

Die Erkenntnis seiner Verantwortung und das Vertrauen der Waldelfe, dieser gerecht werden zu können, gaben ihm neuen Antrieb.

Wuchtig schlug er in die Front – wieder und wieder. Er konzentrierte sich einzig auf Robins Sicherheit, bestrebt, jeden Schaden und jede Störung ihres Flehens von ihr fernzuhalten. Und doch kam ihm die Zeitspanne unendlich lang vor, bis endlich das vertraute Licht ihre Gestalt umgab und sich von ihr fokussieren ließ.

Der scharf gezackte Schnabel traf ihn hart an der Schulter. Blut quoll aus einem langen Riss an seinem Wams.

Geistesgegenwärtig packte Arn nach der Kreatur und zerfetzte sie mit bloßen Händen. Er spürte den neuen Schmerz seiner Wunde kaum. Doch der rasche Blutverlust war zu viel für seinen geschundenen Körper. Seine Beine gaben unter ihm nach. Er sackte auf die Knie.

Genau als Robin die Macht des Wassers freisetzte.

Die Vögel entluden sich in einem warmen Platzregen.

Arn hob sein Gesicht dem Nass entgegen. Er war dankbar, in seiner Fürsorgepflicht nicht versagt zu haben. Doch seine Erschöpfung und seine Unterkühlung forderten nun ihren Tribut. Kein Muskel seines Körpers schien ihm noch gehorchen zu wollen. Es war, als lösten sich Wille und Physik zu zwei unabhängigen Einheiten.

Er hatte keine Wahl. Er brauchte Hilfe.

Ein riesiger Feuerball verschluckte ihn.

Fassungslos starrten die Gefährten auf das flammende Inferno, wo Arn zuvor gekniet hatte. Entsetzen spiegelte sich in ihren Mienen, während sie von der Feuersbrunst zu Robin sahen, deren ausgestreckte Hände noch immer von einem rot glühenden Flackern umgeben waren.

„Robin, halte ein! Das Feuer wird ihm schaden!“, rief Kaeli voller Grauen, die endlich ihre Stimme wiedergefunden hatte.

Die Waldelfe lächelte nur. Sie war von dem Einwand nicht beeindruckt.

„Robin!“, mahnte nun auch Saya drohend. Sie umfasste ihr Schwert fester.

Robin blickte sie an. Es lag etwas Beruhigendes in ihren Augen, was die Gefährten sich unwillkürlich entspannen ließ.

„Nein, das wird es nicht. Ich habe es beschworen mit der Intention, ihm zu helfen. Nichts anderes wird es tun.“

Wie zur Bestätigung ihrer Worte verschwanden die Flammen und gaben den sich aufrichtenden Arn frei.

Seine Wunde blutete unverändert, Heilung lag nicht in Robins Macht, aber seine Haut hatte ihre normale Farbe wieder angenommen. Die Ader an seinem Hals pulsierte heftig, verriet, wie kraftvoll sein Herz brodelndes Blut durch seinen Körper pumpte. Die Flammen in seinen Pupillen flackerten lebhaft, zeigten seine wiederaufgeladene Energie.

Aber auch sein ungläubiges Staunen.

Während er auf die Gefährten zutrat, ließ er Robin nicht aus den Augen.

„Du bist also auch den Pakt mit dem Feuer eingegangen“, meinte Iain und schüttelte verständnislos den Kopf. „Damit habe ich nicht gerechnet.“

„Ich ebensowenig“, ergänzte Arn leise.

„Ich habe zu allen Elementen die Verbindung gesucht. Es ist nicht das Feuer, was ich ablehne“, erwiderte Robin kurz. Sie zog eine Kompresse aus ihrer Tasche und reichte sie Arn, damit er die Blutung stillen konnte.

Cecil nahm Arn das Gepäck mit der medizinischen Ausrüstung ab, das wundersamerweise nicht zu Schaden gekommen war, und durchsuchte es nach Heilsalbe und Verbandsmaterial, um Arns Wunde wenigstens kurzfristig zu versorgen, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.

Noch immer fixierte Arn die Waldelfe, die ihn dank ihres Eingreifens in einen Zustand versetzt hatte, den er seit langen Monaten hatte verdrängen müssen.

Reine Energie brodelte durch das verstrickte Netz seiner Adern, verwandelte Müdigkeit und Schmerz in das belebende Gefühl ungebrochener Stärke und Ausdauer.

Es war kaum begreifbar für ihn, dies nun empfinden zu dürfen. Und das musste er aussprechen.

„Du hast mir geholfen.“

Robin zuckte gelassen die Schultern. In ihrer Miene jedoch war Verlegenheit zu erahnen.

„So wie du mir vergangene Nacht.“

Sie setzte sich in Bewegung, und den anderen blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.

Stumm vor allgemeiner Sprachlosigkeit gingen sie weiter ihren Weg Richtung Osten.

Die Feuerbeschwörung hatte Robin viel Kraft abverlangt. Mehr als alle anderen zuvor. Nichts in ihrer Haltung deutete darauf hin, aber sie setzte die Macht der Elemente in den folgenden Kampfbegegnungen nicht ein und hielt sich auch mit ihrem Bogen zurück, sobald klar war, dass ihre Hilfe nicht erforderlich war. Sie sammelte neue Energie.

Dies konnte Arns aufmerksamer Beobachtung nicht entgehen.

Er half ihr.

Seine wiedergeborene Stärke erlaubte ihm, ihren Ausfall zu kompensieren. In der Gewissheit seiner Genesung stellte er sich den Kreaturen, die die Elfe bedrohten, und unterstützte auch die Gefährten an der Front. Tiefe Dankbarkeit – noch immer ein wenig ungläubig – füllte sein Herz. Doch dieser Empfindung nachzugeben, ihr Worte zu verleihen, würde Robin nicht eben begeistern. Das fühlte er.

Also wandelte er sie in den kampfmutigen Tatendrang um, der ihnen allen Nutzen brachte.

Und er war gut – seine Klinge von kraftvoller Effizienz, als hätte auch sein Schwert von dem Feuerbad profitiert.

Keinem der anderen entging seine neue Leistungsfähigkeit. In ihren Blicken erkannte er Anerkennung. Sogar Saya nickte ihm während eines Kampfes, den er an ihrer Seite verbrachte, kurz zu, beachtete ihn dann kaum mehr.

Diese Ignoranz bedeutete ein hohes Lob an sein Können, es zeigte ihm deutlich, dass sie darauf vertraute, dass er den Auseinandersetzungen gewachsen war.

Als dann auch Robin ihre Beschwörungen wieder aufnahm, kamen sie viel besser voran, als sie zu Beginn ihres Weges gehofft hatten.

Einen kleinen Hügel hatten sie in der kargen Graswüste schnell erklommen.

Talabwärts änderte sich die trostlose Landschaft endlich.

Die Wiese gewann an sattgrüner Farbintensität, erstmals entdeckten sie Wildblumen, die in ihrer bunten Vielfalt in dieser Welt fast irreal anmuteten. Gemeinsam mit Kletterpflanzen rankten sie sich sogar um die hellen Findlinge, die in gewohnter Manier das Bild ergänzten.

Bald kam ein schmaler Fluss in Sicht und mit diesem auch wieder Bäume und Sträucher.

Aufatmend konnten sie den tristen Abschnitt mit all seinen Gefahren mangels Ausweichmöglichkeiten und Verstecken hinter sich lassen.

Hielten sie sich unter den Bäumen oder zwischen diesen und dem Fluss auf, gelang den berittenen Steinkriegern kein Sturmangriff. Vielmehr waren sie dann beschäftigt mit dem Ausweichen von Hindernissen in Form von Sträuchern und niedrigen Ästen, die mehrmals einen von ihnen von seinem Lasttier holten. Mit ihnen machten Kaelis Messer kurzen Prozess, so dass keiner der Gefährten von wirbelnden Steinen zu Schaden kam.

Auch die Wolkenvögel fanden keinen ungehinderten Zugang. Nur wenige von ihnen stießen erfolgreich durch die Baumkronen zu ihnen vor – und wurden bereits von den blitzenden Klingen der Schwertkämpfer erwartet.

Mussten sie doch offenes Gelände passieren, verhinderte Robins Windangriff gefährliche Kontakte.

Zum ersten Mal seit ihrem Eintreffen in die Dunkelwelt fühlten sie sich ihren Gegnern gewachsen, und ihre Erleichterung darüber lag wie eine Aura der Zuversicht über der Gruppe.

Ihre Wachsamkeit vernachlässigten sie deshalb allerdings nicht, dieser Gefahr setzten sie sich nicht aus. Es war ihnen bewusst, dass ihre Situation jederzeit eine ungünstige Wende erfahren konnte.

Kreaturen, die ihnen noch nicht begegnet waren – stärker als die riesigen Steinkrieger.

Reißende Schlammblasen.

Eine erneute Auseinandersetzung mit Jareena oder einem anderen Infiltrator.

Es gab zu viele unvorhersehbare Möglichkeiten, um sich in Sicherheit zu wähnen.

Leichtsinn war es also nicht, der Robin dazu brachte, ihren Bogen zu verstauen und innezuhalten – gerade, als die kleine Sonnen ihren Zenit erreichte.

„Was ist los?“ Arns besorgte Frage unterbrach nicht nur das Stunden andauernde Schweigen, sondern fokussierte augenblicklich aller Interesse auf die Waldelfe. Wie selbstverständlich sammelten sie sich um Robin.

Saya forderte sie mit einer knappen Geste zu einer Erklärung auf.

Ein leises Lächeln huschte über deren Züge, die merkbar entspannt wirkten.

„Wir haben soeben versiegeltes Refugium betreten.“

Verblüfft senkte Iain sein Schwert. Wie alle anderen blickte er sich suchend um. Er fand nichts als Wiese, Fluss, Bäume, Felsen und die gewohnte steinige Begrenzung der kleinen, inneren Welt.

Nichts in der Umgebung hatte sich verändert.

Er wusste nicht genau, was er vom Ort der Prüfung erwartet hatte – vielleicht ein ähnlich beeindruckendes Gebiet wie den Pol der Stille mit seiner beruhigende Aura.

Er musste sich vergewissern.

„Wir sind angekommen? Dies ist unser Ziel?“ Es lag so viel Ungläubigkeit in seiner Stimme und enttäuschte Erwartungen, Gefühle, die sich auch in den Mienen der anderen spiegelten, dass Robin schmunzeln musste.

„Ich fürchte ja“, war ihre eindeutig ironische Antwort.

Noch einmal erforschten sie mit ihren Augen die abwechslungsreiche, aber nicht außergewöhnliche Landschaft, die nichts von ihrer Bedeutungsschwere verriet.

Robin beobachtete sie mit amüsiert verschränkten Armen. Sie strahlte ruhige Gewissheit und Sicherheit aus, dass niemand am Wahrheitsgehalt ihrer Worte zweifelte – eher an der eigenen Wahrnehmung.

„Cam sagte, wir würden es spüren, wenn wir uns unserer Bestimmung nähern“, sagte Cecil zögernd. Es war deutlich, dass er das Erwartete noch nicht hatte ausmachen können.

Anders Arn.

Ähnlich wie Robin hatte er die Reaktionen der anderen mehr verfolgt als es ihnen gleichgetan. Doch in seiner Gutmütigkeit erbarmte er sich der verstörten Freunde.

„Besinnt euch doch einmal einen kurzen Moment eurer Herkunft“, meinte er mit mahnendem Lächeln. „Wir sind doch gerade erst in den Schutz Paxias und ihrer Reiche eingedrungen. Das Gebiet wird sich sicher weiter ausdehnen als unser eingeschränktes Sichtfeld erlaubt.

Konzentriert euch auf die Atmosphäre. Schließt die Augen. Spürt ihr nicht, wie die Aura eurer Reiche euch umweht? Wie sie euch zu ziehen sucht?“

Arn, der bis vor kurzem niemals seine Heimat verlassen hatte, hatte das Beschriebene sofort wahrgenommen – kaum, dass Robin mit ihrer Verkündung fertig war. In den Jahren seiner Isolation – der Gefangenschaft – hatte er viel Zeit gehabt, die Schwingungen des Feuers zu ergründen und für sich zu entdecken, in sich aufzunehmen.

Es war noch mehr ein Flüstern denn ein Ruf, aber das Flehende, Lockende darin war deutlich spürbar und von unwiderstehlicher Anziehungskraft. Lange hatte er dieses Gefühl der Einigkeit mit dem Feuer missen müssen, nun war ihm auch bewusst, wie sehr es ihm gefehlt hatte, wie unvollständig er ohne diese Verbindung gewesen war.

Alles in ihm trachtete danach, sie wiederherzustellen und zu intensivieren.

Und dank seiner hilfreichen Anleitung erschien diese Erkenntnis nun endlich auch in Iains und Cecils aufblitzenden Augen. Ihre Haltung straffte sich.

„Gehen wir“, entschied Iain.

Dicht gefolgt von Cecil und Arn schritt er voran.

Kaeli verharrte unsicher bei Saya, die Robin fragend fixierte. Robin erwiderte den Blick offen. Alle Ironie war verschwunden, sie wirkte fast entspannt.

„Sie haben den Ruf ihrer Reiche vernommen. Nun müssen wir uns von ihnen führen lassen.“

Nachdenklich sah Saya auf die schwindenden Gestalten der Männer, deren zielstrebiger Gang verriet, wie sicher sie ihren Weg fanden.

„Also gut“, gab sie Robins Vorschlag nach, doch ihre Miene schärfte sich misstrauisch. „Allerdings bin ich sicher, dass auch du nur zu genau weißt, wohin es geht.“

„Ebenso wie ihr, wenn ihr euch um das Erkennen der Schwingungen eurer Reiche bemüht hättet“, entgegnete Robin ungerührt. Dann erschien ein humorvolles Funkeln in ihren Augen. Sie grinste verschwörerisch.

„Lassen wir den Männern ihren Moment der Besinnung. Es ist eine gute Vorbereitung auf ihre Prüfung. – Und gibt ihnen mehr Selbstsicherheit.“

„Davon haben sie ja noch nicht genug“, kommentierte Saya murmelnd. Robin und Kaeli lachten belustigt.

„Dann sollten wir jetzt gehen“, bemerkte Kaeli den Spaß genießend und wies auf die Baumgruppe, die die Männer soeben ihrer Sicht entzog. „Wenn wir unabhängig von ihrer Führung eintreffen, wäre Robins sorgfältig beabsichtigte Wirkung doch dahin.“

„Wenn ich mir das recht überlege, wäre das vielleicht sogar besser – nun, da ihr mich durchschaut habt.“ Robin hob in übertriebener Abwehr die Hände. „Immerhin habe ich keine Lust, für überdimensionierte, männliche Egos in Zukunft zur Rechenschaft gezogen zu werden.“

Kaeli kicherte.

Saya schüttelte angewidert den Kopf.

„Dagegen gibt es andere Mittel und Wege.“

Mit dieser kryptischen Bemerkung marschierte sie los. Sie beschleunigten ihre Schritte, so dass sie die Männer hinter einem kurzen Waldstück einholten.

Sie hielten sich in der Nähe der Grenze, deren Oberfläche wieder steiler wurde, glatter, mehr Wand denn Gebirge.

Die Atmosphäre war hier regelrecht geladen von intensiven Schwingungen. Auch die der anderen Reiche waren spürbar. Für alle Gefährten. Sie bewegten sich auf geweihtem Gebiet.

Es war ehrfurchtgebietend.

Unwillkürlich verlangsamten sie ihre Bewegungen in plötzlichem Begreifen.

Da, wo sie den unbändigen Drang verspürten, sich voller Demut und Respekt zu verneigen – angetrieben von der gesammelten Macht ihrer Reiche – sollten sie sich gebietend erheben.

Entsetzen und Unsicherheit zeichneten sich in den Zügen der Männer, Verständnis in den Mienen der Frauen. Sie ließen ihnen Zeit und Raum, den sie zur Sammlung ihres Willens brauchten.

Ihr Weg schließlich endete vor einem überraschend veränderten Abschnitt der begrenzenden Steinwand.

Zahlreiche Eingänge auf mehreren Ebenen wiesen auf ein umfangreiches Höhlensystem, welches nicht mehr der Dunkelwelt zugehörig schien.

Es würde den Betretenden in die unbekannten Tiefen Paxias innerer Regionen führen. Wohin genau, war nicht zu erkennen. Die Gefährten sahen nichts als Schwärze in den runden Einbuchtungen, deren wirre Anordnung keinem Muster zu folgen schien.

„Damit sollte die Frage, wo genau die Prüfung stattfindet, beantwortet sein“, urteilte Iain, der wie die anderen voller Faszination auf dieses Naturwunder starrte. Paxias Erfindungsreichtum bei ihrer Kreation verdiente ihre Bewunderung.

Bei Saya siegte die Neugier. Sie war zu ungeduldig, ihren Wissensdurst im Zaum zu halten.

„Ich denke nicht, dass Willkür ein Auswahlkriterium ist. Sicher gibt es für jedes Reich nur einen bestimmten Eingang?“

Sie erhielt keine Reaktion.

Saya riss ihren Blick von der Wand los und richtete ihn forschend auf die Gefährten.

Kaeli, Cecil und Iain waren noch immer im Bann des Ortes und dem, was dahinter lag. Ihre Augen irrten suchend über die verschiedenen Wegabschnitte.

Arn wirkte nicht weniger gefangen. Er aber hatte seinen Blick fest auf einen einzigen Punkt irgendwo im Zentrum des Einganglabyrinths gerichtet.

Saya vermutete, dass keiner von ihnen ihre Worte vernommen hatte.

Robin dagegen erwiderte ihren Blick. Ihre Grübchen zuckten, und Saya konnte den Ausdruck ihrer Augen nur als wissend bezeichnen. Das Interesse der Elfe gehörte eindeutig den Probanden statt dem Schauplatz. Das konnte nur eines bedeuten.

„Du siehst mehr als wir, richtig? Mehr als eine löchrige Wand und die intensive Aura vereinter Mächte“, unterstellte Saya ihr. Sie spannte ihre Gestalt, eine drohende Warnung, da sie Ehrlichkeit erwartete. Und Informationen.

Das beeindruckte Robin nicht. Doch zumindest Ersteres lieferte sie ihr bereitwillig.

„Ja, aber es ist kein Wissen, das mir weiterzugeben erlaubt ist. Euren Weg zu finden, ist Teil der Prüfung. Dies muss aus eigener Kraft und Antrieb erfolgen, sonst akzeptieren euch eure Reiche nicht und euer Betreten wäre wertlos.

Ich muss schweigen.“

Ihr Tonfall war entschuldigend.

Doch ihrer Erklärung hatten alle gelauscht. Arn und Kaeli hatten sich dabei ihr zugewandt. Iains Augen waren währenddessen zur Ruhe gekommen und nach einem letzten Blick riss auch er sich von dem bezwingenden Ort los. Mit einem ernsten Lächeln sah er Robin an.

„Sorge dich nicht, Elfe. Der Ruf der Reiche ist stark und laut. Sie fordern unser Kommen. Ich kann spüren, wie die Aura des Himmels mich umschließt. Sie zieht an mir – und der Sog wird stärker.“

„Er hat Recht“, ergänzte Arn. Seine Augen, ebenso wie Iains, richteten sich wieder auf den lockenden Punkt an der Wand. Jeder fixierte eine andere Stelle. „Ich sehe ein glimmendes Leuchten in der Dunkelheit, es flackert im Rhythmus meines Pulses.

Ich kenne meinen Pfad.“ Ohne weiteren Abschied brach Arn auf.

Atemlos beobachteten die anderen, wie er mit sicheren Schritten der Wand zustrebte. Er kletterte über Felsvorsprünge auf die zweite Ebene der Eingänge.

Die Finsternis der Höhle verschluckte ihn mit seinem Betreten.

Iain verspürte weder Sorge noch Angst, nur das überwältigende Bedürfnis in das Zentrum des leuchtenden Blaus zu gelangen, welches ihn aus der Grotte fern zu seiner Rechten willkommen hieß. Er wollte nicht länger warten, nicht länger dem drängenden Flüstern seines Geistes widerstehen, das ihn zur Annahme seiner vorbestimmten Macht aufforderte.

„Ich komme“, murmelte er als Antwort auf die zahlreichen wispernden Stimmen in seinem Kopf. Auch er verließ die Gefährten ohne Abschied und verschwand in Dunkelheit.

Cecil hatte sich nicht gerührt.

Wie viel er von dem Geschehen um ihn herum wahrgenommen hatte, wussten sie nicht. Aber vor wenigen Momenten – bei Arns und Iains Beschreibungen der erlebten Vorgänge – hatten auch seine Augen das Irrende verloren.

Unsicher, was er fühlte, was in seinen Gedanken vorging, trat Kaeli zu ihm und legte behutsam ihre kleine Hand auf seinen angespannten Unterarm. Die unruhigen Bewegungen seiner Muskeln konnten ihr nicht entgehen – alles an ihm wirkte verkrampft. Er reagierte nicht auf ihre leichte Berührung, und Kaeli sammelte ihren Mut. Sie stellte sich vor ihn und umfasste seine Wangen, seine Aufmerksamkeit erzwingend.

„Du musst nicht gehen. Niemand verlangt das von dir. Es ist in Ordnung, wenn du noch nicht dazu bereit bist.“

Endlich sah er sie an. Ein seltsames Glitzern war in seinen silbrigen Augen, das sie einschüchterte. Doch standhaft behielt sie ihre Position, erwiderte seinen Blick unverwandt.

Seine Hände legten sich warm über ihre, ein zögerliches Lächeln ließ seine Miene weicher werden.

„Ich weiß“, sagte er schließlich leise. Er beugte sich ein wenig zu ihr herunter. „Ich kann den Ruf hören“, verriet er. „Ich sehe, was Iain und Arn sahen … Und ich weiß, was ich tun muss. Für uns, … für Paxia. – Und für mich.“ Er küsste sie sanft auf die Stirn. Sie erkannte seine Entschlossenheit.

„Wir sehen uns wieder.“

Keiner konnte vorhersagen, wie lange die Prüfungen andauern würden. Also richteten sie sich auf eine Wartezeit ein, die es ihnen angeraten erschienen ließ, für ein wenig Bequemlichkeit zu sorgen.

Saya sammelte Findlinge, mit denen Robin eine dauerhafte Feuerstelle einrichten konnte, und danach das notwendige Holz.

Kaeli machte sich auf Nahrungssuche, wurde aber von Robin begleitet, da nur diese das Wissen um die Ausdehnung des versiegelten Gebietes besaß.

Ähnlich wie am Pol der Stille wählten sie für ihr Lager einen Platz nahe am Wasser unter einer kleinen Baumgruppe, die im Fall eines Unwetters Schutz bieten konnte. Die Höhlen blieben in Sichtweite.

Saya hatte ihrem Gepäck ein leichtes Kochgeschirr, welches die Dunkelelfen ihnen überlassen hatten, hinzugefügt, so dass sie auch in der Lage waren, aus dem wilden Gemüse Eintopf zu kochen. Kaeli fand sich bereit, die Zutaten dafür zu zerkleinern.

Bereitwillig folgte sie den Anweisungen der Elfe zur Zubereitung und war ebenso eifrig, die Herstellung eines Brotteiges zu lernen. Genau genommen tat sie alles, um sich erfolgreich von den besorgt kreisenden Gedanken über die abwesenden Freunde abzulenken. Ihre Fantasie schwieg ob der Widrigkeiten, der sich die Männer zu stellen hatten, doch ihre Sorge um das Wohlergehen der drei war umso lauter. Ohne Arbeit konnte die rastlose Kaeli den Tag kaum ertragen.

Die Nacht war noch furchtbarer.

In ihrer Unruhe gelang es Kaeli nicht, liegenzubleiben – nicht einmal sitzen. Immer wieder wanderte sie die breite Steinwand entlang – ihre Augen suchend auf die Höhlen gerichtet, aus der sie die Rückkehr der Gefährten erwartete. Oftmals hörte sie flüsternde Stimmen, die nach ihr zu rufen schienen, ihre Hilfe erbaten. Doch niemand trat in ihr Sichtfeld.

Saya ließ sie gewähren, ignorierte sie meistens.

Von Robin fühlte Kaeli sich gelegentlich beobachtet, aber auch sie sprach sie nicht an.

Dafür war Kaeli ihnen dankbar, fand sie doch keine andere Erklärung für ihren quälenden Zustand, als die Angst um die Freunde. Bedarf, darüber zu reden, hatte sie keinen – oder überhaupt zu reden.

Saya focht einen anderen Kampf.

Den gegen ihre Ungeduld. Ungeduld war an diesem Ort und dem Grund ihrer Anwesenheit fehl am Platz, das war ihr bewusst. Mit aller Willenskraft bezähmte sie sich.

Auch sie benutzte die Arbeit, um sich abzulenken.

Statt zu essen, bevorzugte sie ein Bad im erfrischend kalten Fluss. Saya traf die Entscheidung, die Zeit ihres erzwungenen Verbleibs der Erholung zu widmen, der Regenerierung ihrer Energie. Damit erhielt ihr Ausharren immerhin ein gewisses Maß an Nutzen.

Ihr fiel es nicht schwer, die Nachtruhe für einen tiefen Schlaf zu nutzen, der ihren Muskeln endlich wieder verdiente Entspannung schenkte.

Natürlich empfand sie auch großes Interesse an dem Geheimnis der verschiedenen Höhlen und dem Teil der Prüfung, der die Männer ihren Weg hatte finden lassen.

Obwohl Saya wusste, welche Höhle sie zur Prüfung des Windes führte, und, dank Arns und Iains Beschreibungen, auch Kenntnisse über das Wie des Erkennens besaß, gelang es ihr nicht, eine Verbindung herzustellen.

In ihr blieb alles stumm. Die Auren ihrer angestammten Reiche erreichten sie nicht. Die Dunkelelfen hatten es prophezeit, und nun musste sie es endgültig akzeptieren: Sie war noch nicht bereit für die Prüfung. Ihre Waffe würde einzig das Schwert bleiben.

Ihr zweiter Abend näherte sich ohne Lebenszeichen von Arn, Iain oder Cecil.

Kaelis Unrast wuchs weiter, obwohl sie ab und an der Müdigkeit ihrer Beine nachgab und sich setzte. Ihre Augen schillerten in allen Variationen, wenn sie auf der Höhlenwand verweilten.

Robins ruhige Gelassenheit bewies, dass sie das Ausbleiben der Gefährten für nicht ungewöhnlich hielt. Die Elfe rechnete noch nicht mit einer Rückkehr. Saya orientierte sich an ihrer Stimmung und blieb ebenfalls unbesorgt. Wie Robin zweifelte sie keinen Moment an den Fähigkeiten der Männer zu bestehen. Sie war sicher, dass sie sich der Macht würdig erweisen konnten.

Die Kinder Paxias

Подняться наверх