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Kapitel 5

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Es war ein unbeschreiblich gutes Gefühl, wieder fliegen zu können.

Iain genoss die Leichtigkeit, mit der sein Körper durch die Luft glitt, und das atemberaubende Panorama, das sich ihm aus dieser Perspektive eröffnete.

Nach unten hin die intensiven Farben der blühenden Hügelgegend, die sie nach Verlassen des Orts der Prüfung durchquerten.

Nach oben hin die hellgraue, fast weiße, gewölbte Steindecke. Es war tatsächlich das Innere einer Kugel, in der sie sich bewegten. Ein gigantischer Raum in Paxias Innerem.

Ihr Herz?

Cecil, der schweigend neben ihm flog, zeigte keine Euphorie über die wiedererlangte und schmerzlich vermisste Fähigkeit.

Vielmehr, vermutete Iain, nutzte er sie lediglich, um Abstand zwischen Kaeli und sich zu bringen. Auch wenn das Mädchen mit der Erholung des Schlafes zu ihrem munteren Selbst zurückgefunden hatte, war sie Cecil an diesem Morgen doch mit einiger Unsicherheit begegnet, die ihm deutlich zu schaffen machte.

Noch immer sah Iain ihm den Schock über seinen ungestümen Ausbruch und den leidenschaftlichen Überfall an, leider aber auch die Ablehnung, tiefer in sich zu blicken und nach den Ursachen für sein Handeln zu suchen. Gerne würde er mit dem Freund reden und ihn ein wenig aus seiner Verdrängung zerren, doch dafür gab es in ihrer momentanen Situation weder Zeit noch Raum.

Ein ernstes Gespräch würde warten müssen.

Was das Kämpfen betraf, fiel ihnen ihr Weg unendlich leichter. Es war kein Vergleich zu ihren vergangenen Auseinandersetzungen.

Vor allem Saya und Robin fanden spürbare Entlastung.

Zwar hatte Arn seine Macht nie zuvor als Waffe verwendet, lernte er mit wenigen Ratschlägen von der Elfe doch schnell, diese in vergleichbarer Art zu nutzen wie Kyle, als dieser die Selbstentzündung der Angreifer verursacht hatte, kurz bevor sie den Pol der Stille betreten hatten. Er musste sich dieses Geschehen lediglich vor sein inneres Auge führen, und es wurde zur zerstörerischen Realität.

Ihn allerdings kostete der Einsatz des Feuers keine Kraft, es gehörte ihm.

Kaeli brauchte die Nähe des Meeres, um ihre Macht im Kampfgeschehen einsetzen zu können, da sie es beherrschte, aber nicht erzeugte. Sie blieb also ihren Wurfattacken treu und hielt sich an Robins Seite, die dank Arn nur noch ihren Bogen zum Einsatz bringen musste.

Viel Anspannung war aus der Gruppe verschwunden, nun, da ihre bisher gefürchtetste Bedrohung, die Gegnermassen aus den Schlammblasen, keine Gefahr mehr bedeuteten. Arn sorgte für ihre Vernichtung lange bevor es zu einem Riss kam.

Leider brachte die Macht des Windes Cecil keinen weiteren Gewinn neben seiner Flugfertigkeit. Noch kannte er sie zu wenig, um mit ihr einen wirksamen Umgang zu finden. Er würde noch vieles an Wissen nachholen müssen. So lange verließ er sich weiterhin auf sein Schwert.

Auch Iain blieb bei seiner Klinge. Sie war effizienter als das langwierige Erzeugen eines Unwetters, um dessen Blitze lenkend nutzen zu können. Sicher waren auch sie in der Lage, ihre Angreifer auszuschalten, aber unter den anderen unangenehmen Symptomen eines Gewitters hätten sie alle ebenfalls zu leiden.

Iain hielt es für wenig sinnvoll, ein solches heraufzubeschwören. Stattdessen sorgte er dafür, dass ihr Rückweg vernünftige Wetterverhältnisse erhielt und bewahrte sie vor weiteren Widrigkeiten.

Während der wenigen Kampfbegegnungen, in denen der Einsatz von Schwertern notwendig war, verstärkte er weiterhin Saya an der Front – am Boden. Cecil übernahm die Feinde, die aus der Luft kamen oder von dort aus gut zu erreichen waren.

Mit dieser Taktik erreichten sie gerade die triste Graswüste, als mit einem grollenden Rumoren der Boden zu beben begann.

„Ein Erdbeben?“ Saya ging in die Hocke, stützte sich mit einer Hand am Boden ab, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Staub bildete sich um sie herum.

Forschend, ob einer der Invasoren der Verursacher war, blickte sie wachsam um sich. Die anderen taten es ihr gleich.

Iain und Cecil sahen mehr. Entsetzen breitete sich auf ihren Mienen aus.

„Nein!“, rief Iain panisch und setzte mit Cecil zum Sturzflug an. „Eine Lawine!“

Doch sie konnten nichts ausrichten.

In einer gewaltigen Staubwolke polterten Felsen und Erdbrocken über das Gebirge auf die wehrlosen Gefährten herab, begruben sie in Massen aus Steinen und klumpigem Humus.

Der krachende Lärm war ohrenbetäubend, verschluckte das angstvolle Rufen Iains und Cecils und die entsetzten Hilferufe der Verschütteten.

Innerhalb der Wolke aus aufgewirbeltem Sand konnten die beiden Männer die Hand vor Augen nicht sehen, vergeblich tasteten sie nach den Gefährten, die irgendwo unter ihnen begraben lagen.

Der feine Staub heftete sich überall an sie, drang in jede Körperöffnung. Ihre Augen brannten und ihre Lungen schmerzten vor den schädigenden Fremdkörpern. Es wurde unerträglich, sie mussten aus dem Umfeld des Erdrutsches fliehen.

Sie flogen hoch, aus dem Gefahrenbereich in die klare Luft des Himmels. Iain nutzte einen warmen Regenguss, um die Luft der Unglücksstelle schneller zu reinigen.

Sobald sie Sicht einigermaßen wiederhergestellt war, hielt sie nichts mehr.

„Saya!“

„Kaeli!“

„Robin!“

„Arn!“

Rufend arbeiteten sie sich über das chaotische Trümmerfeld, in dem kein Grashalm zwischen den dunklen Erdmassen mehr zu finden war. Alles, was sie sahen, waren Steine, Sand und Felsen, deren Größe ihre Sorge steigerte.

Entschlossen machten sie sich an die Arbeit der Ausgrabung, hoffend, dass ihre Gefährten bei Bewusstsein und nicht unheilbar verletzt waren.

Knirschend bewegte sich ein Felsbrocken zu Iains Linken.

„Hier!“, kommandierte er Cecil, der sofort an seine Seite eilte. Gemeinsam schoben sie Schicht für Schicht der staubigen Erde beiseite und zerrten den ersten Gefährten aus seinem Grab.

Hustend landete Arn auf dem Rücken, sog keuchend die gereinigte Luft in seine verklebte Lunge.

„Bist du verletzt?“, fragte Cecil, untersuchte ihn aber schon grob, bevor dieser Gelegenheit zu antworten fand.

„Es scheint nichts gebrochen.“

Arn setzte sich mühsam auf, testete Arme und Beine.

„Ich hatte Glück. Die ganze Erde, die auf mir landete, bewahrte mich vor den aufschlagenden Steinen.“

„Gut, dass du keinen Sauerstoff zum Überleben brauchst.“ Iain zwinkerte ihm kurz zu. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Umgebung.

„Wir müssen die anderen finden. Suchen wir weiter.“

„Helft mir!“, hörten sie Kaelis Stimme dumpf und rau vor Anstrengung. Als sie sich hastig umblickten, entdeckten sie ihre winkende Hand inmitten einiger Steinschichten.

„Geduld, Kleines! Wir kommen!“ Iain und Cecil flogen los. Arn kämpfte sich über das unebene Gelände. Zu dritt entfernten sie die schweren Felsen, die Kaeli wie einen Kokon umgaben; Schutz und Gefängnis zugleich.

Schmutzig und wie Arn aus zahlreichen Schürfwunden blutend, kam sie endlich zum Vorschein. Ihr erleichtertes und strahlendes Lächeln erübrigte die Frage nach ernstem Schaden. Sie sah von Arn zu Cecil zu Iain und an sich selbst herunter.

„Es gibt Momente“, meinte sie schließlich mit mutwillig schillernden Augen, „da würde ich lieber fliegen als tauchen können.“

Die Männer lachten belustigt auf. Arn kratzte eine klumpige Erdschicht von seinem Arm.

„Ich weiß nicht“, entgegnete er im selben Tonfall. „Für mich gibt es Momente, in denen ich mir wünschte, beides zu können.“

„Recht hat er.“ Iain grinste. Doch Cecil hob lauschend den Kopf.

„Still“, mahnte er. „Hört ihr das?“

Es war eine Stimme. Sie sprach leise oder war weit entfernt. Es klang nicht nach einem Hilferuf. Eher fürsorglich und beruhigend.

„Saya?“ Iain erkannte sie als Erster. Suchend bewegte er den Kopf, versuchte die Richtung, aus der sie kam, zu ergründen. Noch einmal rief er nach ihr.

Und dann, endlich, erreichte sie eine Antwort.

„Wir sind hier! Gebirge Grenze Wüste.“

Ohne Zögern packten Iain und Cecil die beiden anderen und flogen los, eilten zu Sayas bezeichneter Stelle.

Die Gelehrte blickte sich nicht zu ihnen um, als sie eintrafen. Sie schien unverletzt, ihre Kleidung nur staubig wie Iains und Cecils. Wahrscheinlich hatte sie der Lawine gerade rechtzeitig entkommen können.

Nun kniete sie neben einem mannshohen Felsen und hielt etwas in ihren Händen …

Oder jemanden.

Eine düstere Ahnung legte sich über die kleine Gruppe.

„Nein“, wisperte Kaeli. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, noch bevor sie wirklich sah, was Saya am Boden hielt. Wie in Zeitlupe bewegten sie sich auf die Gelehrte zu, zögerlich – die Realität fürchtend.

Doch … die Ahnung betrog sie nicht.

„Robin!“ Arn sackte neben Saya in die Knie, voller Grauen auf die reglose Gestalt der Elfe blickend.

Erloschen war das Feuer in seinen Augen.

Aufschluchzend flüchtete Kaeli sich in Cecils Arme, der sie automatisch umfing. In seiner Miene lag reglose Leere.

Iain trat zu Saya, legte seine Hand auf ihre Schulter – Trost spendend und suchend. Saya sah zu ihm hoch, Wut und Schmerz schimmerte in ihren Augen – und Trauer.

„Wir rannten gemeinsam“, sagte sie erstickt. „Immer am Fuß der Berge entlang. Sie schützten uns vor dem Erdrutsch.

Dann stolperte Robin plötzlich und stürzte.

Ich wollte ihr helfen, hielt schon ihre Hand, um sie wieder aufzurichten …“ Hasserfüllt starrte sie auf den Brocken. „Dann krachte dieses … Ding auf sie herab. Es war so laut, … und doch konnte ich das Splittern ihrer Knochen hören. Ihr Unterleib muss vollkommen zerschmettert sein.“

Würgend erbrach Kaeli sich.

Fassungslos und zerrissen vor Kummer bemerkte Iain die Tränen, die über Sayas Gesicht liefen. Ihr lautloses Weinen erschütterte ihn. Behutsam löste er ihre verkrampften Hände von Robins leblosen und zog sie in seine Arme.

Arn nahm Sayas Platz ein.

Er fühlte sich innerlich tot, während er das grausige Bild in sich aufnahm.

Die Elfe lag auf dem Bauch, die untere Hälfte war unter massivem Stein begraben. Ihr Gesicht war ihm zugewandt, ihre dichten Haare bedeckten es in wirrer Unordnung. Sanft strich er es zurück, berührte die weiche Haut ihrer Wange, ihren Hals …

Arn stutze.

Narrte seine Fantasie ihn? War das ein grausamer Streich seiner Einbildung?

Er tastete ein weiteres Mal.

Spürte es erneut.

Dieses winzige Puckern.

Hektisch beugte er sich vor, brachte sein Ohr an ihr Gesicht.

Und auch da. Ganz flach, mehr ein Hauch. Aber eindeutig.

„Sie lebt!“ Er sprang auf. Mit aller Wucht stemmte er sich gegen den Felsen.

„Was?!“ Alle Augen richteten sich ungläubig auf ihn, als hätte er den Verstand verloren.

„Los, kommt! Wir müssen ihr helfen!“, forderte Arn eindringlich. Seine Bemühungen vermochten den Stein nicht zu bewegen.

Saya löste sich aus Iains Armen und blickte ihn ungeachtet ihrer Tränen an.

„Wenn sie lebt“, meinte sie leise und bedeutungsvoll, „dann müssen wir ihr wirklich helfen.“

Iain verstand. Er trat zu Arn, der ihm sofort bereitwillig Platz machte.

„Fass hier mit an.“

„Arn“, sagte er ernst, „das ist nicht die Hilfe, die Robin jetzt noch braucht.“

„Was meinst du?“ Verwirrt zog Arn die Brauen zusammen. „Welche …?“

Ein Bild von einem anderen schwer verwundeten Elfen schoss ihm durch den Kopf, und er wich mit entsetzter Miene zurück.

„Nein, du kannst nicht glauben, dass wir sie …“

„Robin würde das von uns erwarten“, erklärte Saya mit erzwungener Ruhe. Sie achtete die Gesetze und Wünsche der Elfen höher als ihren Widerwillen ob der Durchführung.

„Wer sind wir, dass wir Entscheidungen über Leben und Sterben eines paxianischen Kindes treffen? Es ist nicht an uns, das zu tun!“, rief Arn erbost. In seinen Augen loderte das Feuer intensiver denn je.

„Du hast Recht, das ist es nicht.“ Iain nickte. „Aber sieh dir Robin an. Ihre Verletzungen können nicht heilen. Sie wird sterben.

Wir haben nur die Wahl, es ihr leicht und schmerzlos zu machen. Sie sollte nicht den Qualen ausgesetzt sein, innerlich zu verbluten.“

Fluchend schlug Arn gegen den Stein, dass seine Fingerknöchel bluteten. Verzweifelt und nicht bereit sie aufzugeben, glitt sein Blick unstet über sie hinweg.

Ihre Miene war entspannt, als schlafe sie nur und wäre nicht Mittelpunkt dieses furchtbaren … Ein Gedanke formte sich.

„Seht sie euch an!“, drängte er die Gefährten. „Wirkt sie, als würde sie von Schmerzen gefoltert?“

„Sie ist bewusstlos“, wandte Iain ein. Arn nickte. „Genau. Ihre Ohnmacht ist so tief, dass sie nichts spürt. Sie leidet nicht.“

„Das mag sein“, gab Iain zu, „für den Moment. Aber wenn sie zu sich kommen sollte, werden ihre Qualen unerträglich sein.“

„Das dürfen wir nicht zulassen“, entschied Saya fest.

„Da gebe ich dir Recht. Und das werden wir auch nicht. Aber nicht durch die Art, wie ihr sie davor bewahren wollt.“

„Was schlägst du vor?“

„Ihre Verletzungen heilen nicht von allein, da stimme ich dir zu, Iain. Doch sie könnten geheilt werden.“

„Maylia!“, stieß Kaeli hervor. Sie begriff Arns Intention als Erste.

Und unterstützte sie.

Cecil mit sich zerrend, stemmte sie sich an Arns Seite gegen den Felsen.

Bittend blickte Arn Saya und Iain an, die endlich nachdenklich wirkten und seinem Gedanken Gelegenheit gaben, erwogen zu werden.

„Es sind nur wenige Stunden Marsch von hier zum Pol der Stille. Robins Leben ist dieser Versuch doch wert. Helfen wir ihr zu leben.“

Seinem inständigen Flehen hielt ihre Abwehr nicht stand. Im Grunde wünschten sie sich nichts anderes als Arn. Mit vereinten Kräften hoben sie den Felsen von Robins geschundenem Körper.

Als Kaeli das tatsächliche Ausmaß Robins Verletzungen sah, würgte sie erneut. Cecil drehte sie weg, während Arn die Elfe entschlossen in eine Decke wickelte und auf seine Arme hob.

Bevor Iains und Sayas Zweifel an seinem Vorhaben erneut aufkamen, lief er los.

„Halte durch, Waldelfe“, murmelte er immer wieder.

Mit seinem Laufschritt diktierte er das Tempo der Gruppe, erhöhte es zunehmend. Seine Hast war größer als jede Eile, zu der Saya sie jemals angetrieben hatte.

Wenn einer zu ihm aufschloss, beschleunigte er weiter, nur um allein die Führung zu halten. Niemand sollte Gelegenheit haben, seine Rettungsmission in Frage zu stellen.

„Dieses Tempo kann er nicht durchhalten“, keuchte Iain nach einem weiteren Versuch Arn anzubieten, die Elfe zeitweise zu übernehmen.

Saya schwieg. Sie hatte das Lodern in seinen Augen gesehen. Ihre Sorge galt mehr den feindlichen Begegnungen, die unweigerlich erfolgen mussten.

Konnten sie diese in ihrer schwierigen Konstellation bewältigen?

Immerhin flog auch Cecil über ihnen nicht unbelastet. Kaeli war durch die Folgen des Erdrutsches und ihrer wiederholten Magenentleerung geschwächt. Sie hätte der Erholung bedurft, statt dieses Wettrennens mit der Zeit. Auch wenn sie tapfer versucht hätte mitzuhalten, hatte Cecil dies nicht zugelassen. Er trug sie nun durch die Luft. Weniger als halb so viel wie Robin wiegend, bedeutete sie nur eine kleine Last.

Sayas Sorge war unbegründet.

Feindliche Angriff waren kein Thema auf ihrem Weg.

Arn demonstrierte wirkungsvoll warum.

Es kam zu keinen Selbstentzündungen, als die ersten Kreaturen in Sicht kamen.

Das dauerte ihm zu lang.

Er erzeugte eine gewaltige Feuerwalze, die er vernichtend vor ihnen hertrieb. Niemand durfte sie aufhalten.

Kein Blatt, Strauch, Grashalm, Baum oder ein beliebiges Element von Flora und Fauna Paxias kam durch seine Macht zu Schaden.

Das Feuer konzentrierte sich einzig auf die Fremdkörper.

Die Gefährten waren sprachlos ob der Gewalt seiner Macht und der schonenden Sanftheit, mit der er sie einsetzte.

Es gab auch eine weitere gemeinsame Fähigkeit, die sie nach Bestehen der Prüfung erhalten hatten.

Sie erkannten Paxias Siegel.

Die Feuerwalze erlosch, sobald sie den Pol der Stille betraten.

Gleichzeitig begann Arns Rufen.

„Maylia!“

Sie rannten den Pass entlang, in der inständigen Hoffnung, die Dunkelelfen wären nicht zu weit entfernt und würden sie hören.

Sie hatten Glück.

Kaum war der See mit dem Lagerplatz in Sicht, sahen sie auch schon Jassie und Maylia auf sich zulaufen. Offenbar hatten sie den ängstlichen Unterton in Arns Stimme vernommen, denn ihre Mienen waren voller Sorge, die sich noch vertiefte, als sie der leblosen Gestalt in seinen Armen gewahr wurden.

„Was ist geschehen?“ Schwer atmend kamen sie vor den Gefährten zum Stehen.

Behutsam legte Arn Robin auf dem Boden ab und schlug die Decke zurück, sie dabei flehend ansehend.

„Kannst du helfen?“

„Bei Paxia!“ Jassie wich bei dem Anblick entsetzt zurück. Grauen stand in ihren Augen. „Was ist geschehen? Ist sie …?“

Auch Maylia wirkte tief erschüttert, aber sie gab sich nicht mit Fragen ab.

Sie handelte.

Silberweißes Licht umhüllte die sterbende Waldelfe, verband sie in einem weichen Strahl mit Maylias Händen, deren ernste Miene konzentriert nach innen gerichtet war.

Die Elfe verlor den Bezug ins Hier und Jetzt, schien nichts mehr wahrzunehmen als ihre rettende Aufgabe. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer erblassenden Stirn, rannen ihr Gesicht hinab.

Atemlos verfolgten die anderen das Geschehen, hauptsächlich auf Robin ausgerichtet.

Nur Jassie beobachtete die Freundin mit zunehmender Sorge. Die Anstrengungen, die sie zeichnend veränderten, gefielen ihr nicht. Unruhig suchte sie nach Zeichen, die auf den einsetzenden Erfolg der Heilung hinwiesen – fand keine.

Maylias Strahl flackerte in beginnender Schwäche. Aber sie atmete lediglich tief durch und erneuerte ihre Bemühungen mit entschlossenem Ausdruck.

„Ihr braucht Maylias Hilfe? Solltet ihr nach bestandenen Prüfungen nicht über ausreichend Macht verfügen, euch die Kreaturen vom Hals zu halten?“ Kyle grinste frech. Er näherte sich ihnen mit Cam.

„Das war keine Kreatur“, stieß Saya schnaubend hervor.

Die Elfenmänner stutzten nun. Erst jetzt bemerkten sie die seltsam traurige Stimmung. Sie beschleunigten ihren Schritt.

„Ihr seht furchtbar aus“, meinte Kyle einigermaßen verwirrt. „Was ist euch widerfahren?“

Cam umrundete ahnungsvoll seine Gefährtin, starrte fassungslos auf die Gestalt im heilenden Licht.

„Was machst du?“, stammelte er verständnislos. „Wieso versuchst du eine Tote zurückzurufen? Das liegt nicht in deiner Macht.“ Er konnte seine Augen nicht von Robin lösen, wartete auf eine Reaktion Maylias.

Jassie trat zu ihm und legte ihre Hand auf seinen Arm.

„Sie atmet, Cam. Ihr Herz schlägt noch“, sagte sie mit leiser Eindringlichkeit. Das rüttelte ihn abrupt auf. Ruckartig wandte er sich Maylia zu, blanker Horror in den Augen.

„Hör auf! Das kannst du nicht tun!“ Er packte sie bei den Armen, rüttelte an ihr, um ihren Zauber zu stören.

Doch Maylia ließ sich nicht beirren. Sie wirkte, als befände sie sich in einer anderen Welt.

„Du übernimmst dich!“ schrie Cam sie an.

Keine Reaktion.

„Sie ist nicht hier“, stellte Kyle tonlos fest. „Sie hat ihren Geist verschlossen, um mehr Kraft aus ihrem Körper zu ziehen.“

„Warum?“ Cam umschlang sie fest, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Doch die anderen hatten seine Tränen noch gesehen.

„Warum, warum, warum?“

Die Gefährten begriffen seine zornige Verlorenheit nicht. Verwirrt blickten sie das andere, gefasstere Elfenpaar an, welches stumm mit verschränkten Händen Cams Trauer ehrte.

„Jassie?“, bat Kaeli ratlos um eine Erklärung. Auch sie war schmerzlich berührt von der verzweifelten Szene.

„Eure Freundin ist eine Todgeweihte. Für ihre Rettung muss Maylia ihre Lebensessenz abgeben.

Sie opfert sich selbst.“

„Nein!“ Geschockt wich Arn zurück. „Das darf nicht sein. Das würden wir nie verlangen.“

„Das weiß sie – ebenso wie wir. Es war ihre Entscheidung.“

„Wir können das doch nicht zulassen! Wie sollen wir – wie soll Robin damit leben, dass Maylia für sie gestorben ist?“

„Ihr werdet es lernen müssen“, stieß Cam mit einem so bitteren Vorwurf hervor, dass sie betroffen zusammenzuckten. „Maylia ist kein Einhalt zu gebieten.“

„Das ist inakzeptabel!“ Saya schob sich an den Gefährten vorbei und stellte sich neben Maylia.

„Er hier“, sie deutete mit einem Nicken auf Cam, „kann keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen, so viel ist klar. Aber ihr … Strengt euch an!

Ihr habt verschiedene und vielfältige Fähigkeiten. Wir sind unsterblich. Es muss einen Weg geben, das zu kombinieren.“

„Lasst uns helfen!“, ergänzte Arn bittend.

Jassie und Kyle schüttelten in ihrer ersten abwehrenden Reaktion instinktiv den Kopf, suchten jedoch den Blick des anderen.

Vor allem Kyle wirkte sehr nachdenklich.

Immer wieder öffnete und schloss er seine Faust.

Ein kleines Licht pulsierte schimmernd, das ihn fesselte. Er hob seine Hand, betrachtete das rasche Farbenspiel. Cam beobachtete ihn in stumm flehender Inbrunst. In seinen grünen Augen spiegelte sich der leuchtende Schein.

Ein Ruck ging durch Kyles Gestalt. Erregt blickte er in die Runde. „Idee!“, verkündete er eilig. „Keine Ahnung, ob es funktioniert, aber den Versuch ist es wert.“

„Sprich!“, verlangte Cam brüllend. Nicht nur er lauschte mit zusammengebissenen Zähnen und erzwungener Hoffnung.

„Du kannst den Kreaturen ihre Energie entziehen, um diese als Waffe zu verwenden.

Ich kann freigesetzte Energie absorbieren und auf meine Waffe übertragen.

Warum diese Fähigkeiten nur im Kampf nutzen?

Du stiehlst einem unserer Ewigen hier seine Energie aus dessen unerschöpflichem Vorrat, und ich greife sie ab, um sie auf Maylia zu übertragen.

Wenn alles gut geht, behält sie ihre Lebenskraft und nutzt die der Quelle.“

„Ich bin die Quelle“, erklärte Arn sich sofort bereit und trat neben Kyle.

Cam sah Rat suchend zu Jassie, die ihm mit strahlenden Augen echter Zuversicht zunickte.

„Das klingt perfekt.“

„Dann lasst uns anfangen, bevor es zu spät für Maylia ist“, drängte Kyle.

„Gut.“ Cam nahm Abstand von der Gruppe, ebenso Kyle.

Sie brauchten Raum für ihr Vorhaben.

Jassie zog Arn mit sich und positionierte ihn so, dass er mit den beiden Dunkelelfen ein Dreieck bildete. Er hielt sie zurück, als sie sich entfernen wollte.

„Kann ich etwas tun, um besonders viel Energie freizugeben?“

„Guter Gedanke.“ Sie lächelte kurz. „Öffne dein Herz.“

Cam begann. Er warf einen blitzenden Lichtkegel auf Arn. Mit einem zischenden Geräusch verschwand dieser in seinem Körper, brachte ihn zum Glühen.

„Ich bin bereit!“, rief Kyle, die pulsierende Kugel in der ausgestreckten Hand.

„Jetzt!“ Cam kreuzte die Arme vor der Brust. Ein tiefroter Strahl fuhr aus Arn, raste auf Cam zu. Doch Kyles Kugel war schneller, sie kapselte den Strahl, lenkte ihn um.

Tiefrot mischte sich mit Maylias weißem Licht der Heilung. Ein Wimpernschlag später intensivierte es sich, wurde mächtiger, strahlender.

Sie hörten das knackende Geräusch sich zusammensetzender Knochen, der deformierte Unterleib veränderte sich.

Maylias Gesicht entspannte sich, ihre Blässe schwand.

„Es funktioniert“, flüsterte Jassie andächtig.

Dann rief sie es jubelnd.

Erleichtertes Aufatmen erlöste die zurückgebliebenen Gefährten aus ihrer Anspannung. Der Albtraum fand ein unwirklich anmutendes, aber hoffnungsfrohes Ende.

Mit jedem Moment verwandelte Robin sich mehr in das kraftvolle Wesen ihrer Erinnerung.

Mit jedem Moment genas Maylia an Arns überlassener Energie.

Jassie bewunderte die Stärke, die in dieser wohnte.

„Er ist wahrhaft mächtig.“

„Ich dachte, Paxia hat mit ihren Reichen das vollkommene Gleichgewicht erschaffen. Ist das Feuer denn so viel machtvoller als andere Elemente?“, wunderte Kaeli sich.

„Es ist nicht das Feuer, von dem ich sprach“, korrigierte Jassie nachsichtig. „Ich meinte die Macht seines Herzens.“

„Oh.“ Kaelis Verwirrung wuchs mit ihrer Neugierde. „Ich glaubte, der Strahl symbolisiert sein Reich. Rot wie das Feuer.“

„Nein, es ist viel interessanter. Und aufschlussreicher“, belehrte Jassie sie mit einem Zwinkern.

Nun wurden auch Cecil, Iain und Saya aufmerksam.

„Inwiefern?“, fragte Saya und fixierte weiterhin Arn. „Was bedeutet die Farbe des Lichtes?“

„Es symbolisiert eine Emotion. Nicht irgendeine, sondern die, die dem Empfänger gegenüber dominiert.“ Jassie lächelte bedeutsam. „Euer Freund liebt die Waldelfe.“

„Unmöglich!“ Cecil lachte komisch entsetzt auf. „Robin verabscheut ihn.“

„Kann sein.“ Jassie zuckte gleichgültig die Schultern. „Aber das trifft auf ihn nicht zu.“

Ihr Blick traf auf Iains, der im Gegensatz zu seinen Gefährten nicht überrascht wirkte.

„Du wusstest es.“

„Ich hatte eine Ahnung“, gab er einschränkend zu und fand sich im Zentrum der Aufmerksamkeit der anderen, die ihn ungläubig musterten. Er hob herausfordernd die Brauen, lachte jedoch gleich darauf belustigt auf.

„Seid ihr wirklich so blind? Habt ihr niemals den Ausdruck bemerkt, mit dem er sie ansieht? Es ist reine Sehnsucht.“

„Was immer es ist, es gehört ihm. Wir haben kein Recht, darüber zu diskutieren“, entschied Saya streng. Es widerstrebte ihr, unbefugt in das Seelenleben des geachteten Mannes einzudringen, welches dieser freiwillig sicher nicht preisgegeben hätte.

„Wir sollten vergessen, was wir unbeabsichtigt erfahren haben.“

Es gab keine Gelegenheit zu einer Reaktion.

Das magische Licht schwand.

Maylia sackte mit einem leisen Keuchen auf die Knie. Doch sie lächelte, während ihr Blick sich klarte.

Cam rannte zu ihr, unbeschreibliche Freude überlagerte die Zeichen der eigenen Ermüdung. Sein Zauber hatte ihn viel Kraft gekostet. Allerdings hielt es ihn nicht davon ab, Maylia auf seine Arme zu heben und fest an sich zu pressen.

Sie schlang ihm ihre Arme um den Hals.

„Bist du mir nicht böse?“, fragte sie zaghaft.

Er sah auf sie herab. Seine Augen glitzerten.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr“, erwiderte er mit unverhohlener Wut.

„Ich würde dich am liebsten übers Knie legen und danach an mich ketten, um dir diese Verrücktheiten auszutreiben.“

„Ich würde es dir nicht verübeln.“ Sie lächelte traurig. „Trotzdem würde ich wieder so handeln.“

„Ich weiß“, schimpfte er. „Und das Schlimmste ist: Ich verstehe dich.“

Groß ruhte ihr Blick auf ihm, und seine Miene wurde weich. „Ich weiß nur nicht, wie ich es ertragen soll, dich zu verlieren.“

Maylias geflüsterte Erwiderung erreichte die Gefährten nicht mehr. Cam trug Maylia fort Richtung Lager. Kyle folgte ihnen mit müdem Schritt.

Arn hockte sich neben Robin ins Gras und betrachtete sie. Sie war nach wie vor ohne Bewusstsein, doch wie verändert war ihr Anblick.

Nichts als Staub und einige wenige Blutflecken auf ihrer Kleidung deuteten noch auf das schreckliche Geschehen des Morgens hin.

Keine zerschmetterten Beine.

Keine Knochensplitter, die ihre Haut von innen durchstießen.

Keine eingefallenen Wangen und schwarzen Flecken auf grauer Haut, die ihr langsames Verbluten zeigten.

Nur üppige Schönheit und rosige Gesundheit.

Vorsichtig berührte er ihren Hals, lächelte, als er den starken Puls und ihre Wärme spürte.

„Ich hatte Recht, Waldelfe.“ Seine Stimme war rau und bebte vor Gefühl. „Du wirst leben.“

„Du hast ihr Leben gerettet.“ Kaeli kniete sich neben ihn und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

Er legte seinen Arm um sie und drückte ihr einen Kuss auf das staubige Haar.

„Ich habe ihr doch nur etwas von meiner Energie gegeben. Und die ist ja nicht gerade ein rares Gut bei mir“, wehrte er verlegen ab.

„Nein, Arn“, widersprach Saya. „Ohne deinen Einsatz und deine Kampfbereitschaft heute wäre Robin nicht einmal hier angekommen. Du hast ihr Leben gerettet.“

Die zustimmende Überzeugung in den Gesichtern der anderen war ihm unangenehm. Er hoffte, dass Robin von dieser Geschichte verschont bleiben würde. Ganz sicher wäre sie alles andere als begeistert zu erfahren, wie es zu ihrem Überleben gekommen war. Vor der daraus resultierenden Unbehaglichkeit würde er sie und sich gern bewahren.

Sein Kopf begann zu pochen. Er rieb sich tief atmend die Schläfe.

„Du bist erschöpft“, stellte Jassie fest. „Genau wie Maylia, Cam und Kyle. Ihr müsst ruhen. Auch Robin braucht noch Erholung. Du solltest sie ins Lager bringen, ein Bad in den Quellen nehmen und dann einen geruhsamen Schlaf anstreben.“

„Verlockend“, gab er zu und erhob sich vorsichtig. Seine Beine fühlten sich nach dem langen Lauf mit seiner wertvollen Last wackelig an. Er schwankte leicht.

„Ich nehme Robin“, erbot Iain sich, dem seine Schwäche nicht entging. Doch Arns Augen flackerten entschlossen auf.

„Ich habe sie den ganzen Weg hierher getragen. Ich werde auf den letzten Schritten nicht versagen.“

Jassie grinste, als hätte sie eben diese Reaktion erwartet. Sie blieb an seiner Seite, während sie zum elfischen Lagerplatz schritten.

Arn brachte Robin zu einem kleinen Waldstück, nah genug am Feuer, um die Wärme zu empfangen, aber weit genug abseits der anderen Schlafplätze, um ihre Ungestörtheit zu sichern.

„Kommst du?“ Iain und Cecil, in Begriff die heißen Quellen aufzusuchen, warteten fragend. Unschlüssig blickte Arn von ihnen zu Robin.

Durfte er sie allein lassen?

„Ich bleibe bei ihr.“ Jassie verstand seinen Zwiespalt.

Beruhigt nickte er ihr dankbar zu und machte Anstalten, den anderen beiden zu folgen.

„Eins noch.“ Die Dunkelelfe hielt ihn auf. Ihre Stimme war gesenkt. Sie wollte vermeiden, belauscht zu werden.

„Ich möchte dich warnen“, begann sie und erhielt seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Sorge erschien in seiner Miene.

„Es ist nichts Schlimmes“, erklärte sie hastig, da sie seine ausgestandene Angst nicht erneut schüren wollte. „Es hängt mit der Art ihrer Heilung zusammen. – Und den Nachwirkungen.“

„Nachwirkungen? Die Heilung ist doch aber endgültig, richtig?“

„Natürlich“, versicherte sie überzeugend. Arn entspannte sich.

„Robin war dem Tod näher als dem Leben. Die Energie, die du aufbringen musstest, um sie zu heilen, war größer als ihre eigene. Ihr Körper muss nun wieder eigene Kraft aufbauen und den regenerativen Zauber verarbeiten.

Solange dies geschieht, zehrt sie von deiner Energie – deinen Emotionen, die dieser zugrunde gelegen haben.

Wahrscheinlich wird sie diesen Prozess verschlafen, aber wenn nicht …“

„Jassie, was versuchst du mir zu sagen?“ Arn schüttelte hilflos den Kopf. Er begriff nicht.

Eindringlich sah sie ihn an.

„Robin wird deine Gefühle reflektieren. Sie wird fühlen, was du fühlst.“

Die Kinder Paxias

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