Читать книгу Die Kinder Paxias - Laura Feder - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеArn war der Erste, der diesen Beweis erbrachte.
Bei Sonnenuntergang des zweiten Tages trat er aus der Höhle, verließ den Ort seiner Prüfung.
Ein wenig mühsam erfolgte sein Abstieg, bis er den weichen Wiesenboden unter seinen Füßen spürte.
Er verharrte an der Steinwand, lehnte sich kurz mit geschlossenen Augen dagegen.
Die anderen hatten sich bei seinem Anblick abrupt erhoben und sahen ihm mit gespannter Reglosigkeit entgegen.
Müdigkeit zeichnete seine Züge. Dunkle Schatten lagen um seine Augen und sein vor Schweiß glänzendes Gesicht war unnatürlich fahl. Er wirkte, als wäre er kurz davor, vor Erschöpfung zusammenzubrechen.
Sich der Gegenwart der Gefährtinnen bewusst werdend, blickte er sie endlich an.
Die Flammen in seinen Pupillen flackerten ruhig und machtvoll, eine intensivere, gewachsene Aura umgab ihn, widersprach seinem äußerlich derangierten Zustand.
Für sie, die ihn seit langen Wochen Tag und Nacht um sich gehabt hatten, seine Ausstrahlung gewohnt waren, war die Veränderung fast körperlich spürbar. Sie mussten erst wieder vertraut mit ihr werden.
Was immer Arn hatte durchmachen müssen, um diese Wandlung zu erfahren – es forderte Respekt.
Er selbst war sich dessen und seiner neuen Wirkung nicht bewusst. Sein müdes, grüßendes Lächeln war von seiner typisch herzlichen Wärme.
„Ich habe euch lange warten lassen. Es tut mir leid.“
Er riss sie aus ihrer Starre.
Ausgerechnet Robin war es, die ihn ansprach.
Sie stand neben der Feuerstelle und deutete auf den Topf mit dem köchelnden Eintopf.
„Du musst sehr hungrig sein und viel Schlaf nachzuholen haben. Komm ans Lager und ruh dich aus.“
Obwohl ihr Tonfall vollkommen neutral wirkte, war Arn restlos verblüfft über den freundlichen Inhalt ihrer Anrede – ebenso Saya und Kaeli, die die Elfe überrascht ansahen.
Aber er gehorchte widerspruchslos und ging mit langsamen, schwerfälligen Bewegungen auf die einladende Ruhestatt zu. Seine Augen waren mit einem Ausdruck fassungsloser Dankbarkeit auf Robin gerichtet, deren Wangen sich unter diesem eindringlichen Blick verlegen röteten. Hastig wandte sie sich ab und füllte eine kleine von Saya gefertigte Holzschale mit dem stärkenden Gericht.
Arn wusste kaum wie ihm geschah. Kaum hatte er Platz genommen mit vorsichtigem Abstand von der Elfe, deren Stimmung er überhaupt nicht einschätzen konnte, da hatte sie ihm bereits die dampfende Suppe in die Hand gedrückt und reichte ihm nun auch noch einen Kanten Brot.
Verstört ob dem seltsamen Verhalten der Elfe, nahm er die Gaben stumm entgegen. Einen klaren Gedanken vermochte er nicht zu fassen – geschweige denn das Geschehen zu analysieren. Er fühlte nichts als Müdigkeit und nahenden Schlaf.
Schwere breitete sich in seinen Gliedern aus, sein Kopf verwirrte sich mehr und mehr in einem Nebel.
Die Tatsache, dass Robin sich um ihn kümmerte, überforderte seine Gedanken und Emotionen, sie schalteten sich einfach ab, während er eher automatisch denn aus einem Bedürfnis heraus die Mahlzeit zu sich nahm.
Er merkte kaum, wie er seitlich wegsackte. Robin schob ihm rasch eine zusammengefaltete Decke unter den Kopf, damit dieser nicht hart auf dem Boden aufschlug.
Das Letzte, was Arn bewusst wahrnahm, war die Decke, die sie über ihm ausbreitete, bevor er in tiefen Schlaf fiel.
Saya und Kaeli hatten als schweigende Beobachter nebeneinander verharrt. Verschiedene Gefühle spiegelten sich in ihren Mienen.
Erleichterung über Arns sichere Rückkehr, Fassungslosigkeit über Robins Fürsorge gegenüber dem sonst so verachteten Mann, Nachdenklichkeit über Arns ausgebrannten Zustand und leise Sorge um die verbliebenen Prüflinge, die gleichartiger Anstrengungen ausgesetzt sein mussten wie Arn sie zu bestehen gehabt hatte und die sie mit jedem verstrichenen Moment länger als Arn zu bewältigen hatten.
„Ich hoffe, es geht ihnen gut“, meinte Kaeli leise mit Blick auf die Öffnungen, die Iain und Cecil verschluckt hielten.
„Wir alle wussten, dass dieser Weg von schwerer Natur sein würde“, erwiderte Saya, die den schlafenden Gelehrten betrachtete. „Sie werden wiederkehren. Arn ist uns allen an Weisheit voraus – sehr weit. Es ist zu erwarten gewesen, dass er der Erste sein würde. Wir können nur weiterhin warten.“
„Ich möchte versuchen, Kontakt zu Paxia aufzunehmen.“ Robin trat zu ihnen, ihr Blick war entschlossen. „Paxias Siegel hier weist auf starke Präsenz hin. Ich hoffe, sie erreichen zu können.“
„Willst du mehr über die Invasoren erfahren?“, erkundigte Saya sich. Sie war sofort interessiert und aufgeschlossen gegenüber dem Vorhaben, welches ihr vernünftig und sinnvoll erschien.
„Ja“, bestätigte die Elfe nun und machte eine weitläufige Geste. „Hier droht uns keine Gefahr, und ich kann mich unbesorgt für einige Tage in Meditation begeben.
Ich bleibe in der Nähe und werde spüren, wenn ihr mich braucht oder alle Prüfungen beendet sind.“
Sie verabschiedeten sich nickend voneinander.
Saya und Kaeli verfolgten Robins Weggang, bis sie in einem kleinen Waldstück verschwunden war – ein Rückzugsort, der in Anbetracht ihrer Herkunft nicht verwunderlich war.
Dann sah Saya auffordernd Kaeli in die unstet schillernden Augen.
„Die Nacht bricht an. Du solltest zumindest versuchen, etwas Ruhe zu finden. Keiner von uns – am wenigsten du selbst – profitiert davon, vor Erschöpfung umzufallen. Genau das aber wird geschehen, wenn du dich in deiner Unruhe weiterhin dem Schlaf verweigerst. Damit hilfst du ihnen und dir nicht.“
Kaeli seufzte.
„Du hast Recht. Ich gebe es zu und werde auch versuchen diese Nacht zu schlafen.
Müde genug bin ich auf jeden Fall.“
Saya neigte zustimmend den Kopf. Dann suchte sie ihr Lager abseits des Feuers auf.
Kaeli richtete das ihre. Sie wählte ihre liegende Position so, dass sie den Höhlen zugewandt blieb.
Ihre brennenden Augen verweilten dort die ganze Nacht.
Im Morgengrauen trat Iain aus der dunklen Öffnung.
Saya erblickte ihn sofort und näherte sich ihm. Als er sie bemerkte, verschwanden die Wolken aus seinen Augen. Die Ernsthaftigkeit seiner Miene wich einem erfreuten Lächeln, dem eine Spur Triumph anhaftete.
Doch auch ihm war die Erschöpfung deutlich anzusehen, wenn er sie auch durch seine gerade Haltung und die gleichmäßigen Schritte, die er auf Saya zu machte, zu verbergen suchte.
Er warf einen suchenden Blick in die Umgebung, sah Arn nach wie vor im Tiefschlaf, fand Kaeli gebannt auf die Höhlenwand starrend – nichts anderes wahrzunehmen scheinend, bevor er sich endgültig Saya zuwandte und vor ihr stehen blieb.
„Wie es aussieht, bin ich nicht der Erste.“
„Was zu erwarten gewesen ist“, bestätigte Saya herausfordernd, milderte ihren Konter jedoch gleich mit einem kurzen Lächeln. „Aber auch nicht der Letzte.“
„Was ebenfalls zu erwarten gewesen ist.“ Er zwinkerte ihr humorvoll zu.
„Was hast du erlebt? Entsprach die Prüfung deinen Erwartungen?“ Saya war nicht in der Lage, die Fragen noch länger zurückzuhalten. Iain wirkte so viel klarer als Arn am Vorabend, dass sie ihren Wissensdrang nicht bändigen konnte.
Und er war wie immer bereit jede Gelegenheit zu nutzen, mit ihr zu reden. Auch wenn es ihm schwer fiel, das Erfahrene in Worte zu fassen. Mit beiden Händen strich er sein Haar zurück.
„Ich bin nicht sicher, ob ich es beschreiben kann. Mein Versuch könnte enttäuschend ausfallen“, warnte er sie. Saya winkte ab.
„Was immer du erzählst ist mehr, als ich jetzt weiß.“
„Hinter dem Höhleneingang fand ich mich nicht in einer Grotte, sondern im Reich des Himmels – oder zumindest in einer Illusion selbigens.
Ich war allein – und es war Furcht einflößend.
Was wurde von mir verlangt, das ich tue? Ich wusste es nicht.
Ich versuchte Kontakt aufzunehmen, mich mit den Schwingungen meines Reiches zu verbinden. Aber alles blieb leer.
Ich verlor mich in Irrpfaden, vergaß zeitweise den Grund meiner Anwesenheit und das Ziel, wohin diese mich führen sollte.
Als es mir endlich bewusst wurde, beendete ich meine verzweifelten Bitten nach irgendeiner Reaktion der Mächte des Himmels.
Sie sollten mir gehorchen, und es war nicht an mir, mich ihnen zu unterwerfen.
Ich beendete meine Suche und konzentrierte mich auf meine eigene Aura in dem Bestreben, sie auszudehnen, das gesamte Reich zu umschließen.
Es gelang mir, und dann spürte ich endlich die verborgenen Mächte. Sie begannen sich dem Rhythmus meiner Schwingungen anzupassen.
Meine nächste Erinnerung ist, wie ich in der dunklen Höhle stehe und den Sonnenaufgang sehe.“
„Die Prüfung ist also eine Wanderung des Geistes in ein Abbild des Heimatreiches?“
„Das ist es, was ich vermute.“ Iain nickte. „Auch wenn mein Körper andere Signale sendet. Ich fühle mich als hätte ich eine tagelange Wanderung hinter mir.“
„Und es scheint mir, sie war alles andere als ein Spaziergang.“ Es waren mehr Informationen, als Saya gehofft hatte. Sie war zufrieden mit Iains Bemühungen und wollte ihm nun die verdiente Ruhe zugestehen.
Anerkennung lag offen in dem Blick ihrer schimmernden Augen, die Iain wie so oft fesselten.
„Ich werde dir keine weiteren Fragen aufbürden, Diplomat. Ich überlasse dich deiner Erholung.“
Damit wollte sie gehen, doch er fasste ihre Hand. Zu verblüfft, um sie zurückzuziehen, sah sie ihn fragend an.
„Ich bin unglaublich froh, es geschafft zu haben.“ Er sprach inbrünstig aus dem tiefsten Grund seines Herzens, wie um sich vom Bann der Prüfung zu befreien. Saya verstand ihn und nahm ihm diesen leidenschaftlichen Ausbruch nicht übel. Vielmehr glitt ein Lächeln über ihre Züge.
„Ich bin erleichtert, dich so bald und so erfolgreich zu sehen.“
Iain konnte nicht anders.
Er gab seiner Gefühlsaufwallung nach und küsste sie – entlud all seine Anspannung in dieser fordernden Berührung ihrer Lippen, der sie nicht entweichen konnte. Seine Hand in ihrem Nacken fixierte sie.
Kaeli hatte sie aus den Augenwinkeln beobachtet und auch ihre Unterhaltung verfolgt, soweit es ihr möglich gewesen war.
Das grünblau schillernde Licht aus der Höhle ihr gegenüber hielt sie mehr und mehr gefangen.
Vergangene Nacht hatte sie aufgehört, Erklärungen für diese Erscheinung zu suchen, ebenso Begründungen für die drängenden Stimmen in ihrem Kopf, deren murmelndes Wispern längst in ein tosendes Rufen übergegangen war.
Sie machte sich nichts mehr vor. Diese Höhle gehörte dem Reich des Meeres und seiner Prüfung.
Und diese forderte ihr, Kaelis, Erscheinen. – Dringend.
Doch es gab so viele ungeklärte Fragen, die sie verunsicherten und quälten.
Sie war noch jung, viel zu jung, um es auf natürlichem Weg in Erfahrung hätte bringen zu können wie Arn.
Es hatte keine ernsthaften Verletzungen in ihrem Leben gegeben, die für Aufschluss hätten sorgen können, wie bei Cecil.
Gehörte eventuell auch sie zu den Auserwählten?
War sie eine Ewige?
Sie konnte es nicht wissen, diese Feststellung nicht treffen.
Alles, was sie mit Sicherheit sagen konnte, war, dass es im Bereich des Möglichen lag. Noch gab es keinen bekannten Unsterblichen im Reich des Meeres. Vielleicht war sie würdig genug, diejenige zu sein.
Waren die Prüfung und die Macht, die sie versprach, es wert, dass sie ihr Leben dafür riskierte, es herauszufinden?
Überlebte sie und bestand, wusste sie, dass sie den Ewigen angehörte.
War sie keine Ewige, würde sie die Anmaßung, die Prüfung unberechtigterweise angetreten zu haben, mit dem Leben bezahlen.
Noch einmal: War dieser Versuch ihr Leben wert?
Kaeli dachte an ihre Angehörigen, die der Willkür der Invasoren und deren geraubter Macht über das Meer hilflos ausgeliefert waren.
Sie dachte an den steigenden Wert ihrer Unterstützung im Kampf um Paxia.
Sie dachte an sich, ihre Entwicklung – ihre Verlorenheit.
Sie brauchte Klarheit über ihren Platz in dieser Welt.
Ja, all das war es wert, ihr Leben in die Waagschale zu werfen.
Ihr Entschluss stand fest. Sie würde keinen Moment länger mit Grübeln verbringen.
„Kaeli!“ Saya riss sich von Iain los und stürzte auf das Mädchen zu, das zielstrebig eine Höhle ansteuerte.
„Kaeli, nein!“, schrie sie in wütendem Entsetzten, als sie begriff, dass sie sie nicht rechtzeitig erreichen konnte, um sie aufzuhalten. Dennoch hielt sie nicht inne, verfolgte Kaeli auch dann noch, als die Dunkelheit der Höhle sie verschluckt hatte.
Hart prallte sie ab. Eine unsichtbare Barriere verhinderte ihr Betreten und schleuderte sie schmerzhaft zu Boden.
„Saya, alles in Ordnung?“ Iain kniete sich neben sie, Sorge stand in seiner Miene.
Hastige Schritte näherten sich ihnen. Es war Arn, der bei Sayas Schrei aus dem Schlaf gerissen worden war.
„Saya, Iain, was ist geschehen?“
Saya reagierte nicht auf seine verstörte Frage. Mit Iains Hilfe setzte sie sich auf.
„Wie konnte sie das tun? Es ist Wahnsinn!“ Sie zitterte vor hilfloser Wut und Sorge. „Das Risiko ist zu hoch – höher als ihr Nutzen, auch ohne Macht an unserer Seite zu kämpfen. Sie hätte es niemals eingehen dürfen.“
Arn verstand. Unglaube und angstvolle Sorge standen in seinen Augen, während er die Umgebung nach der zierlichen Vermissten absuchte, als wolle er die grausame Wahrheit nicht realisieren.
Iain versuchte, Ruhe in die aufgeladene Atmosphäre zu bringen. Seinen eigenen Kummer drängte er in den Hintergrund.
„Wir dürfen die Hoffnung jetzt nicht aufgeben. Immerhin könnte sie eine Ewige sein.“
Saya wollte aufbrausen, erkannte aber, dass dieser Trost ihr einziger in der kommenden Zeit des Wartens sein würde. Sie beschränkte sich darauf, ihn aus stürmisch schimmernden Augen anzufunkeln.
Iain blickte hinter ihren Zorn, sah ihre Sorge.
Ihr Beschützerinstinkt, den Kaeli in ihr erweckt hatte, quälte sie nun, da das Wohlergehen des Mädchens außerhalb ihrer Kontrolle lag.
Er umschloss ihre Hand mit festem Druck mit der seinen. Saya reagierte mit einem irritierten Blick, wehrte sich jedoch nicht gegen seine Berührung.
Arn hatte sich wieder erhoben und war vor die Höhle getreten.
Nichts als schwarze Finsternis.
„Sie könnte eine Ewige sein“, meinte er leise, mehr zu sich selbst. Dann wandte er sich den anderen beiden zu. „Aber dies sollte nicht der Weg sein, es zu ergründen.“