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Nach Hause kommen

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Aus Andreas Ganzigers Tagebuch

Murat hat mich heute gefragt, warum.

Ausgerechnet ein Moslem fragt mich, wieso ich konvertiere?

Zuerst war ich auch voller Zweifel. Ich hatte für Religion nichts übrig. Der Buddhismus schien mir ganz okay zu sein. Aber dort gibt es keinen Gott. Der Islam erkennt den Buddhismus nicht an, nur die Religionen der Schrift, also Christentum und Judentum. Trotzdem sind auch das Ungläubige, die sich weigern, den Islam anzunehmen. Sie werden ebenfalls die Bewohner des Feuers sein. Ja, zuerst war ich sehr skeptisch. Und ich dachte, jedem das seine, soll doch jeder glauben, was er will. Aber dann fand ich durch Allahs Gnade an jenem Tag einen Koran in der Straßenbahn. Es war ein Samstag, und in der Innenstadt waren welche verteilt worden. Scheinbar hatte jemand in der Bahn darin gelesen und ihn dann in seiner Dummheit einfach zurückgelassen, weil er nicht verstehen wollte. Metin gab mir später meinen Koran, den mit dem Golddruck, als ich mehr wissen wollte und daher Kontakt zu ihm gesucht hatte. Metin nahm mich auch mit in unsere Moschee. Da drinnen erfüllte mich ein Gefühl von Frieden, Geborgenheit. Zugehörigkeit. Ich habe mich sofort wohl gefühlt.

Es war, als wäre ich nach Hause gekommen.

Im Koran habe ich zuerst nur geblättert. Er ist etwas schwer zu lesen, aber wenn man sich darauf konzentriert, geht es schon. Und man kann online nach bestimmten Suren suchen. Auch die Ahadithe findet man im Internet. Ich war sehr überrascht, wie komplex diese Religion ist. Mit fünfmal Beten am Tag und auf Schweinefleisch verzichten ist es nicht getan. Jeder Aspekt des Lebens ist geregelt. Die Suche nach einem Sinn im Leben entfällt sofort. Auch die Frage »mache ich dieses und jenes richtig oder nicht?«, wird beantwortet. Es war eine Erleichterung. Dieser Glaube hat so etwas reines, Sinnvolles. Man lebt so, wie Gott es will. Endlich tut man das Richtige und konzentriert sich mindestens fünfmal am Tag auf Gott. Und man gehört zu einer enorm großen Gemeinschaft. Es ist ein tiefes Gefühl von Frieden und Zugehörigkeit. Man zählt als Mensch, nicht mehr nur als jemand, der die tollsten Klamotten trägt, am besten aussieht oder die meisten Biere trinkt. Mir dröhnte erst der Kopf, weil ich so vieles falsch gemacht hatte, aber durch die Konversion ist man wie neu geboren. Alle Sünden sind vergeben. Ich gehöre jetzt zu denen, die sehen können. Metin hat mir so vieles erklärt … unsere Welt ist eine einzige Lüge, in der die Menschen sich von Propaganda und schlechten Filmen einschläfern lassen. Er zeigte mir solche Filme und Fernsehserien. Ich kannte einiges davon, aber mir war nicht klar, welchen Sinn sie erfüllen.

Sieh, was dir da vorgelebt wird. Ehen und Beziehungen sollen sofort beendet werden, wenn es Schwierigkeiten gibt, Kinder erleiden seelischen Schaden, weil ihre Eltern getrennt sind. Sex wird wie eine Wegwerfsache behandelt, du zählst nur noch, wenn du mit möglichst vielen Leuten im Bett warst. Treue, Moral und Glaube gelten als uncool, altbacken, unmodern und werden belächelt oder ausgelacht. Die Familie wird gezielt zerstört, somit die Gesellschaft auch. Die Stabilität ist fort. Bald gibt es nur noch Individualisten, die ganz für sich leben und leichter zu steuern sind. Was ist ein Mensch ohne Familienverband? Schwach und einsam, lenkbar, ohne jede Unterstützung. Dort will der gottlose Staat ansetzen. Ein isolierter Mensch ohne Moral und Werte ist nichts weiter als ein Sklave seiner Regierung. Da Allah dich zu uns gebracht hat, ist all das für dich nun vorbei.“

Ich hatte endlich etwas gefunden, das größer ist als ich, umfassender. Ich kann mich endlich fallenlassen.

Metin hat das auch gesagt.

»Du suchst? Du hast gefunden, Bruder«, sagte er und umarmte mich.

Murat enttäuscht mich. Gerade er sollte es verstehen. Aber er denkt, ich sehe das alles viel zu eng. Er labert sogar was von Übersetzungsfehlern. Taqquiya will er ausgerechnet bei mir anwenden? Die Botschaft ist doch klar! Wer sich weigert, sie zu lesen, weigert sich, Gottes Gebote anzuerkennen. Unsere Lebensweise ist so falsch ... Gott versteht das, wenn es ihn gibt, hat meine Mutter doch eben tatsächlich gesagt, als ich sie auf ihr Leben angesprochen habe. Dieses Leben ohne Ehemann, Sex mit Fremden, dieses sich zeigen. Sie scheint es toll zu finden, wenn Wildfremde ihren Busen sehen können. Abscheulich! Ist eine Frau nicht mehr als ihr Körper? Der Platz einer Frau ist im Haus, bei den Kindern. Wer außer ihrem Mann sollte ihren Körper sehen dürfen? Jedes Mal, wenn meine Mutter im Minirock und knappen Oberteil auf die Straße geht, stempelt sie sich zur Schlampe und mich zum Schlappschwanz, weil ich sie nicht davon abhalte ...

Die schlechtesten Geschöpfe

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