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Wie soll das noch enden?
ОглавлениеBerlin, 24.12.2017 Die Leere nach der Trauer
Ein Jahr ist seit den Attentaten auf die Berliner Kirchen sowie dem Düsseldorfer Weihnachtsmarkt vergangen. Ein Jahr, in dem die Betroffenen mit ihren gesundheitlichen Schäden, dem Trauma und dem Verlust Angehöriger umgehen lernen mussten.
Detlef B., der in Berlin einen Arm verlor und auf einem Auge blind ist, will von Weihnachten nichts mehr wissen. »Es ist kein Fest mehr«, sagt er. »Die Fanatiker haben uns für immer die Freude genommen.« Seine Tochter Franziska starb, als Andreas Ganziger seine Bombe zündete. Seine Frau erlitt einen schweren Schock, bekam nach dem Attentat Depressionen und beging vor drei Monaten Selbstmord.
»Sie konnte nie verkraften, dass sie als Einzige in unserer Familie unverletzt blieb. Und Franziskas Tod natürlich auch nicht«, so Detlef B.
Susanne P. aus Berlin feiert Weihnachten ganz groß. »Ich werde nicht zulassen, dass diese Schweine auch noch unsere Lebensfreude zerstören.« Sie gibt sich kämpferisch. Die ganze Wohnung ist dekoriert, über jeder Tür hängt ein Kruzifix. »Früher war ich nicht besonders religiös, aber jetzt bin ich eine sehr gläubige Christin. Ich will ein Zeichen setzen, gehe jeden Sonntag in die Kirche, engagiere mich ehrenamtlich - soweit das möglich ist.« Dabei sieht sie auf ihr verkürztes linkes Bein. Der Unterschenkel wurde abgerissen, die Milz musste entfernt und ihr Gesicht auf der linken Seite rekonstruiert werden.
»Das Glasauge fällt kaum auf, zum Glück. Und draußen trage ich immer eine Prothese. Ich lege Wert darauf, dass man mir möglichst wenig ansieht.« Man sieht es ihr trotzdem an. In ihrem Gesicht gibt es Narben - auf ihrer Seele noch mehr.
»Natürlich ist es schwer. Ich habe damals auch mein ungeborenes Kind verloren. Mein Mann war nicht mit dabei. Er fand es immer heuchlerisch, nur Weihnachten in die Kirche zu gehen. Da hatte er wohl recht. Er ... er verließ mich.« Selbst wenn er jetzt zurückkäme, würde sie ihn nicht wiederhaben wollen. »Ich brauche niemanden mehr«, sagt sie. Aber es klingt verbittert.
»Meine Eltern waren herzensgute Menschen«, erklärt Rudolf D., »die haben nie jemandem etwas getan. Sie waren mit unseren Nachbarn auf dem Weihnachtsmarkt in Düsseldorf. Ich ging früher nach Hause. Und lebe noch. Sonst sind alle tot. Jeder, den ich kannte, ist tot. Meine ganze Familie. Meine Freundin lag zwei Monate im Koma. Und starb dann auch. Eine Bratwurst, das war alles. Sie wollten nur noch eine einzige Bratwurst essen, und dann auch nach Hause gehen. Ich bin nur früher gegangen, weil ich noch das Geschenk für Silvia abholen wollte, das ich bei einem Kollegen gelagert hatte. Jetzt steht das Mountainbike hier herum ... Sie wird nie damit fahren.«
Rudolf D. weiß nicht mehr, wofür er noch leben soll. »Zurzeit habe ich Kontakt mit einem anderen Überlebenden. Markus ist vierzehn und hat ebenfalls seine Eltern verloren. Er kommt damit überhaupt nicht klar. Er stand nur ein paar hundert Meter weiter für eine Portion Pommes an, als es knallte. Er ist jetzt ganz allein auf der Welt, wie ich. Aber in seinem Alter ist das natürlich sehr viel schwieriger. Ich helfe ihm da durch, so gut ich kann. Aber sonst weiß ich auch nicht, wofür ich noch da bin. Wenn Markus älter ist und mich nicht mehr braucht ...«
Die Schäden in den Kirchen sind so gut wie repariert, genauso wie an den Gebäuden, die durch den Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Menschen leiden weiter.
Andreas Ganziger, Jan Ludreit und Lars Mölter sind zu trauriger Berühmtheit gelangt. Zum Schrecken der Überlebenden und ihrer Angehörigen gibt es im Internet Seiten, die die drei Konvertiten als leuchtende Beispiele und Märtyrer verehren. Es ist schwierig, den Inhabern dieser Seiten auf die Spur zu kommen. »Die Server stehen im Ausland. Da haben wir kaum eine Chance«, erklärt der Sprecher des BKA. Den Angehörigen bleibt nichts anderes übrig, als den Computer auszumachen.
»Man wird so wütend. Da stehen Kommentare wie ‚die ungläubigen Hurensöhne und ihre Nutten schmoren jetzt in der Hölle! Allahu akhbar!‘«
Margot S. verlor ihren Sohn und ihre Schwiegertochter, als Lars Mölter seine Bombe zündete.
»Mit welchem Recht meinen diese Extremisten, uns auf so feige Weise ihren Glauben aufzwingen zu können? Gegenkommentare werden einfach gelöscht. Die sind an unserer Meinung gar nicht interessiert. Da kommen höchstens übelste Beleidigungen und Verhöhnungen von uns Deutschen, unseren Werten, unserer Religion und unserer Lebensweise. Und dann löscht der Admin unsere Kommentare, lässt aber die dieser Rassisten stehen.«
Auf meine Frage wird sie noch wütender. »Natürlich sind das Rassisten! Sie hacken auf uns Deutschen herum und setzen uns als Volk herab! Haben Sie mal die Kommentare gelesen?«
Die Herabwürdigung und Verhöhnung der Opfer ist tatsächlich besorgniserregend. Allerdings sind es nur vereinzelte Fanatiker, die Deutschland so etwas angetan haben. Murat C., der mit Andreas Ganziger befreundet war, will von dieser Art des Fanatismus nichts wissen.
»Die haben die Suren im Koran befolgt, die nur im heiligen Krieg Anwendung finden dürfen. Wenn man also im eigenen Land angegriffen wird. Es gibt auch sehr viele Suren, die den Glauben anderer respektieren und Frieden fordern. Man darf jetzt nicht alle Moslems in einen Topf schmeißen.«
»Das ist doch Taqiyya, das erlaubte Belügen und Betrügen der Ungläubigen. Die Friedenssuren gelten doch gar nicht mehr, und selbst wenn sie es täten, es gibt so viele Stellen im Koran, die zum Mord an Ungläubigen auffordern«, schnaubt Kerstin Ludreit, die Schwester eines der Attentäter. »Ich muss mich täglich angreifen lassen von Leuten, die denken, unsere ganze Familie wäre so, und wir hätten alle Bescheid gewusst. Dieser Glaube hat unsere ganze Familie in Misskredit gebracht und meinem Bruder das Hirn vernebelt.«
Die Anschläge haben Hass, Verwirrung, Misstrauen, Trauer und Rassismus geschürt. »Was bringt es dieser Gruppierung denn, Menschen in die Luft zu sprengen? Außer, dass ihnen jetzt nur noch mehr Wut entgegenschlägt?«, fragte Martina Ganziger verzweifelt nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie. »Wieso haben sie meinen Sohn dazu gebracht, so etwas Schreckliches zu tun? Andreas war so ein guter Junge, sein ganzes Leben lang. Dann weckte irgendein Extremist sein Interesse am Islam, und er entglitt mir völlig. Jetzt ist er tot, und hat so viele Unschuldige mit in den Tod gerissen. Ich verstehe einfach nicht, wie das passieren konnte.«
Martina Ganziger traute sich seit den Attentaten nicht mehr vor die Tür. »Sie glauben ja nicht, was ich schon alles im Briefkasten hatte. Die bringen mich noch um ...«
Deutschland ist seit dem 24.12.2016 ein Hexenkessel, in dem es brodelt. Linke und Rechte schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, die der IS nahestehende Gruppe droht mit weiteren Anschlägen, Demonstrationen werden gewaltsam niedergeschlagen. Die Trauer weicht der Wut. Moscheen wurden niedergebrannt, muslimische Gemeindezentren mit Schweineblut besudelt. Wie soll das noch enden, steht an die Wand des Hauses gesprüht, in dem Martina Ganziger sich versteckt hielt.
Darauf kennt niemand die Antwort.