Читать книгу Die schlechtesten Geschöpfe - Lechyd Zdravi - Страница 8
Martina und Gila
ОглавлениеNormalerweise mochte es Martina, wenn ihre Freundin Gila herüberkam, nur geschah das etwas zu oft in letzter Zeit. Ein ruhiger Abend auf der Couch mit einem Buch wäre ihr lieber gewesen. Allerdings tat es gut, mit ihr über ihren Sohn zu reden. Martina spürte eine immer größer werdende Distanz zwischen sich und Andreas.
»Ich verstehe Andy nicht mehr«, seufzte Martina.
»Weiß er denn, wie das damals mit dir und Hans war?«, fragte Gila leise und zog die Beine bequem auf die Couch. »Ich meine, dass Hans sich komplett von dir zurückgezogen hatte.«
»Ach was. Das erzählt man doch seinen Kindern nicht!«
»Er ist doch jetzt erwachsen! Der macht eine Lehre als Maler und Lackierer, bald zieht er aus, und irgendwann heiratet er seine Jana. Meinst du nicht, er hat ein Recht darauf, zu erfahren, dass sein Vater unter Depressionen gelitten und sich von allen zurückgezogen hat? Er wundert sich doch, dass Hans sich nie meldet, oder nicht?«
»Das schiebt er auf mich. Weil ich Hans angeblich aus dem Haus gegrault habe. Zuerst mit den vielen Streitereien und dann, weil ich ein Kind von einem anderen bekommen habe.«
»Ein Grund mehr, ihm alles zu erzählen. Warum willst du, dass dein Sohn dir innerlich ewig die Schuld an eurer Trennung geben wird?«
»Das tut er ohnehin. Die Wahrheit kann ich ihm einfach nicht sagen!«
»Mensch, Martina!« Gila nahm kopfschüttelnd noch einen Schluck Wein. »Wieso solltest du ewig der Sündenbock bleiben? Andy wird zu dir den Kontakt auch noch abbrechen, wenn du ihm nicht sagst, dass in Wirklichkeit sein früherer Lehrer Steffis Vater ist.«
»Soll ich ihm vielleicht sagen, dass ich mit seinem geliebten Religionslehrer ein Verhältnis gehabt habe, weil sein Vater mich nicht mehr wollte und unser Geld in diverse Spielautomaten geschmissen hat? Dass wir nur noch nebeneinander hergelebt haben? Dass ich mich allein und nicht mehr begehrt gefühlt habe? Als ob mich keiner mehr haben wollte, bis zu diesem Elternsprechtag?«
»Das ist immer noch besser, als dass er gar nichts weiß.«
»Zu spät. Ich habe ihm weisgemacht, dass ich einen One-Night-Stand in einer Kneipe hatte. Klingt doch auch viel interessanter.« Martina goss sich und ihrer Freundin Gisela, genannt Gila, noch Wein nach.
Gila verzog zweifelnd das Gesicht. »Na, ich weiß ja nicht ...«
»Es ist besser so. Und Daniel kann seine Frau doch nicht verlassen! Sie sitzt jetzt im Rollstuhl. Diese Krankheit ist wirklich furchtbar. Ich rechne es ihm hoch an, dass er sich um sie kümmert. Dass wir zusammen sind, muss die Ärmste ja auch nicht wissen, das wäre noch schlimmer für sie.«
»Also trefft ihr euch weiterhin heimlich?«
Martina zuckte mit den Schultern. »Was bleibt uns anderes übrig? Solange Vera lebt, werden wir sie nicht verletzen. Das haben wir so verabredet, daran halten wir uns. Danach ... Sch!«
»Hi.« Andy kam die Treppe herunter, und winkte der besten Freundin seiner Mutter kurz zu.
»Hallöchen, Andy. Möchtest du auch Wein?«
Andy schüttelte heftig den Kopf. »Nein.«
»Nein danke, heißt das«, schnaubte Martina und sah ihren Sohn vorwurfsvoll an. Der achtete nicht darauf und starrte in den Kühlschrank.
»Mit Wein kann er eh nichts anfangen. Das ist ein richtiger Mann, der trinkt Bier«, grinste Gila. »Oder, Andy?«
Langsam drehte sich Andreas um, musterte Gila, die er seit frühester Kindheit kannte, und wandte betont den Blick ab.
»Ich trinke kein Bier«, knurrte er, nahm sich einen Becher Kakao, und stieg die Treppe wieder herauf, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Kommt der jetzt erst in die Pubertät? Dass Steffi langsam bockig wird, ist normal, sie ist ja dreizehn. Aber Andy ...? Kommt das bei Jungs später oder so?«, fragte Martina irritiert.
»Nein, Jungs zicken nicht so rum. Was hat der denn? Man könnte meinen, er war pikiert, weil ich einen Rock anhabe. Ich trage doch öfters Röcke. Oder bekomme ich langsam Krampfadern? Ist es nicht gemein, dass man immer so einen Scheiß kriegt, wenn man über vierzig ist?«
»Hat er dir wirklich auf die Beine gestarrt?«
»Ja! Aber leider nicht so, wie ich das gerne hätte«, lachte Gila. »Er guckte, als ob mir da gerade eine riesige Spinne drüberlaufen würde. Irgendwie entsetzt und angeekelt.«
»So hat er heute auch geguckt, als ich ihm das mit dem One-Night-Stand in der Kneipe gesagt habe. Ob der unter die Moralapostel gegangen ist? Auf einmal?«
»Ist vielleicht nur eine Phase. Oder Hans hat doch Kontakt mit ihm und eine Menge Scheiße über dich erzählt. Und über mich auch. Der hat doch damals jedem die Schuld gegeben, er war das arme, unschuldige Opfer seiner Spielsucht. Weißt du nicht mehr?«
»Ja, stimmt. Aber irgendwie ... habe ich das Gefühl, dass er mich verachtet oder so was. Und nicht erst seit heute. Vielleicht hätte ich ihm doch sagen sollen, wie das damals mit seinem Papa war. Aber für ihn wäre das nicht schön, er hängt so an Hans. Soll er lieber weiter mir die Schuld geben.«
«Nee, das ist falsch! Er ist jetzt erwachsen. Er kann die Wahrheit verkraften.«
»Naja ... vielleicht hast du recht ...«
»Geh schnell hoch und erzähle es ihm. Ich muss sowieso den Wein wegbringen.« Mühsam erhob sich Gila und wankte zum Badezimmer.
Martina stand ebenfalls auf. Gila vertrug nach wie vor sehr wenig Alkohol. Bald schon würde sie zu lallen beginnen, albern werden und auf der Couch einschlafen, wenn sie noch ein Glas trank.
Martina ging die Stufen hoch und blieb kurz vor dem Zimmer ihrer Tochter stehen. Die Tür war mit einem großen »One Direction« Poster bedeckt. Nun, immerhin verdeckte es die Macken im Holz der alten Tür. Martina hatte damals ein Michael Jackson Poster gehabt. Sie fühlte sich uralt, wenn sie Steffis Poster ansah. Die Jungs darauf waren alle so jung. Und sie kannte keinen davon. Es war wohl ein Zeichen, dass man alt wurde, wenn einen die Boygroups und musikalischen Vorlieben der Kids nicht mehr interessierten. Es war auch ein eindeutiges Zeichen, dass Martina den Zugang zu Steffis Welt verlor. Statt Märchenbüchern und Puppen hielten jetzt die Jungs Einzug. Nette Milchbubis mit glatten, weichen Gesichtern. In welchen ihre Tochter wohl verliebt war?
Bei Steffi lief der Fernseher, aber leise. Martina runzelte die Stirn. Es war schon halb elf, aber vielleicht war Steffi beim Fernsehen eingeschlafen. Das passierte recht oft. Martina hob die Schultern und näherte sich dem Zimmer ihres Sohnes, direkt gegenüber. Seine Tür schmückte ein Bushido-Poster. Sie hob die Hand, um zu klopfen, erstarrte aber, als sie leise eine sehr merkwürdige Musik vernahm. Eine klagende Stimme, arabisch, untermalt von leisem Gequäke. Was hörte sich Andy denn da an? Sie drückte ihr Ohr gegen die Tür und erstarrte, als sie Andys Stimme leise, aber unverkennbar, mitsingen hörte. Noch etwas unbeholfen klang es, aber ihr Sohn gab sich große Mühe, die schwierigen, fremd klingenden Laute genau zu imitieren.
Martina richtete sich mit klopfendem Herzen auf. Ohne darüber nachzudenken, öffnete sie die Tür.
Andy saß vor seinem Computer. Der Bildschirm war die einzige Lichtquelle im Raum. Er starrte gebannt auf ein Youtube Video, bei dem arabische Worte, in lateinischen Buchstaben, durch das Bild liefen. Darunter waren deutsche Untertitel zu sehen. Martina entzifferte noch die Worte »... dass sie die Bewohner des Feuers sind.« Da fuhr Andy auf seinem Bürostuhl herum, und schrie wütend: »Raus hier!«
Erschrocken zog Martina die Tür zu und flüchtete.
»Nanu? Das ging aber schnell!« Gila hatte es sich wieder auf der Couch bequem gemacht.
Martina beachtete sie nicht, ging zum Barschrank, und goss sich mit zitternden Händen einen Whisky ein.
»Tina? Was ist denn?« Erstaunt sah Gila zu, wie ihre Freundin das Glas auf einen Zug leerte. Dann kam Martina wieder zurück, und ließ sich in ihren Sessel fallen.
»Du ... du glaubst das nicht! Der guckt sich da oben Koranvideos oder dergleichen auf YouTube an!«
»Oh ... nun ja, damit muss man sich heutzutage befassen bei so vielen Muslimen, wie wir im Land haben.«
»Aber ... Er hat mitgesprochen!«
»Ja ...? Na ja, ist ja auch nur eine Religion wie jede andere.«
»Meinst du?«
»Ja, na klar! Vielleicht etwas strenger als das Christentum, aber so rücksichtslos, wie sich heute alle verhalten, fände ich etwas mehr Moral gar nicht schlecht. Es glaubt doch kaum noch einer an Gott.«
»Das schon. Durch die Aufklärung ... Früher war ein Blitz der Zorn Gottes, heute ist er nur noch eine elektrische Entladung. Alles ist erklärbar geworden. Die Menschen brauchen eben keinen Gott mehr. Aber dass Andy sich für so etwas interessiert ...«
»Vielleicht durch die Medien? Oder hat er in der Schule früher Freunde gehabt, die ihn dafür interessiert haben könnten?«
»Ja, schon. Der eine Typ, Metin, das war ein guter Freund von ihm. Ist jetzt Imam in einer Moschee oder so was. Der war letzte Woche hier ... oder war es vorletzte? Ist ja auch egal. Der war mir sehr unsympathisch. Trug eine bullige Hose und eine Art langes Nachthemd, ein Käppi auf dem Kopf, Vollbart - und das in seinem Alter! Das sah vielleicht aus! - und als Andy ihn mir vorstellen wollte, sagte er kein Wort zu mir, sah mich nur einmal kurz eiskalt an und ging dann mit Andy nach oben. Glaubst du ... dass die beiden da oben über den Islam geredet haben?«
»Worüber sollte der denn sonst mit ihm plaudern? Über das Wetter? Mach dir nichts draus. Klingt nach einem ganz Traditionellen, die sind eben etwas konservativer gekleidet als wir.«
»Aber deswegen muss er mich doch nicht so ansehen, als wolle er mir den Kopf abreißen!«
»Nimm‘s nicht so tragisch. Dass du dich so kleidest, mögen die eben nicht. Du kannst es dir ja auch leisten, bei deiner Figur. Und so ein tolles Dekolletee muss man einfach zeigen!«
»Danke, Süße.«
»Weißt du, ich habe jemanden kennengelernt ... er ist aus Ägypten. Manche sind noch etwas altmodisch, aber er nicht, sagt er. Er hält nicht viel davon, so zu leben. Er ist modern eingestellt und sein Glaube bedeutet ihm nicht so viel. Du siehst, es gibt solche und solche.«
Martinas Gesicht erhellte sich. »Echt? Das wurde aber auch mal Zeit! Wie alt ist er denn?«
»Dreiunddreißig. Ja, okay, ich weiß ... ich bin sieben Jahre älter. Aber das ist ja nicht so viel. Und das Alter ist auch nur eine Zahl. Er meint, in seinem Land wären die Frauen so langweilig und geldgierig. Er findet mich toll. Ich habe die schönsten Augen der Welt.« Gila kicherte albern.
»Hast du den im Urlaub aufgegabelt?«
»Ja. Er ist Kellner in dem Hotel, wo ich war. Seit ich wieder hier bin, halten wir Kontakt über das Internet.«
»Na, das klingt ja nett.«
»Ich soll im Herbst wiederkommen, sagt er. Ich spare mir das jetzt zusammen. Hey! Willst du nicht mitfahren? Dann zeige ich ihn dir!«
Martina winkte ab. »Solange Andy hier noch wohnt, ist das schlecht. Da reicht das Geld kaum. Er spart doch auf eine eigene Wohnung mit Jana und kann hier nicht viel beisteuern. Der frisst wie ein Scheunendrescher. Aber wenn er nächstes Jahr die Ausbildung beendet ... und ausgezogen ist ... dann komme ich gern mit.«
»Bis dahin ist er aber schon hier!«
»So?«
»Ja, weißt du ... er hat vom Heiraten gesprochen. Im Herbst will er mich seinen Eltern vorstellen. Er meint es total ernst!« Gilas Gesicht glühte und sie sah aus wie ein Schulmädchen.
»Was?! So weit seid ihr schon, und du hast mir noch nichts erzählt?«
»Naja, ich wusste nicht, was du dazu sagen würdest. Ich wollte es eigentlich für mich behalten, bis ...«
»Bis es zu spät ist?«
»Bis es konkreter ist. Wer weiß, vielleicht bin ich ja doch bloß ein Urlaubsflirt für ihn.« »Klingt aber nicht so.« »Ich glaube auch nicht, dass er nur mit mir spielt.« »Hoffentlich klappt das alles.« Martina beugte sich vor, und tätschelte Gilas rundlichen Arm. Sie war eigentlich sehr hübsch, hatte aber wenig Selbstbewusstsein. Sie sah eben zu viel fern. Wenn eine Frau ein paar Kilos zu viel auf den Rippen hatte, galt sie sofort als fett, hässlich und unvermittelbar. Gila versuchte gar nicht erst, einen Mann zu finden. Aber nun hatte wohl jemand sie gefunden und den eisernen Ring um ihr Herz gesprengt. Martina war froh darüber. Gila kam nur deswegen so oft vorbei, weil sie einsam war. »Wie heißt er denn?« »Ali.« »Na, dann auf Ali!« Martina hob ihr Glas.