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Vergeblich weckst du sie

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Bestimmt hatte sie gesagt: Soll er mich doch suchen

und sehen, dass ich nicht da bin

diese Frau mit den Kinderhänden, die ich liebe

dieses Kind, das eingeschlafen ist

ohne sich die Tränen abzuwischen, ich wecke es vergeblich

vergeblich, vergeblich

vergeblich wecke ich sie

Branko M. *

Ich liege im Bett, halte die Lider fest verschlossen, die Wimpern kitzeln mich. Ich versuche die Pupillen zu entspannen. Tue so, als ob ich schlafe. Ich tue so, als müsste ich den Lärm nicht hören, der gleich in der Küche losbricht. Ich weiß, was gleich passiert. Wenn er betrunken nach Hause kommt, wird Dedo herumschreien, Nana wird weinen und meine Tante sich in ihre Welt flüchten. Hinter meinen Lidern ist es schwarz wie am weiten, verschorften Himmel, an dem die nie erfüllten Wünsche trocknen. Geschrei! Da war es. Und geht vorbei. Die Wut ergießt sich in Schritte. Wütend knarren die alten Dielen des Hauses in Vratnik. Dann kommt die Stille und mit ihr ein paar Schritte: Unbeholfen halten sie vor meiner Zimmertür inne. Los, komm schon rein, denke ich, während ich weiter meine Pupillen bändige.

Wir liegen auf dem Rücken. Auf den Kissen verschränkte kleine und große Hände. Darauf betten wir unsere Köpfe. Du weckst sie. Langsam sprichst du von deiner toten Frau, deiner schönen Frau. Zwischendurch fällt dir ein, dass ich mich ja nicht an sie erinnern kann, dann wirst du konkreter in deinen Beschreibungen, lang und breit. Und wie jedes Mal ziehst du aus dem Kleiderschrank, in dem immer noch ihre Sachen hängen, einen Rock nach dem anderen. Einen dunkelblauen, einen weißen, einen olivgrünen … Du nimmst sie mit den Fingerspitzen, die den Saum halten wie Wäscheklammern, breitest sie aus und faltest sie wieder zusammen, schaust sie dir an, und wie zwanghaft streichst du jeden von ihnen mit der rechten Hand glatt, wahrscheinlich um den Staub abzuwischen. Ich werde da nie hineinpassen, das sage ich aber nicht.

Du redest immer noch von ihr. Von deiner toten Frau, deiner schönen Frau. Es ist spät. Deine Stimme wird immer leiser. Die Worte zerfallen dir auf der Zunge. Du lallst, verlierst den Faden. Du bist das Kind, das einschläft, ohne sich die Tränen abzuwischen. Ich schaue dich an, während du schläfst. Noch ist mir nicht klar, dass ich dich eines Tages hassen werde. Nicht deinetwegen, das nicht. Du warst eine Rotznase, verwöhnt, verweint, verloren. Hassen werde ich dich wegen all der anderen, die herumbrüllen und zetern. Die dich auf der Straße beschimpfen, während du sie weckst. Hassen werde ich dich wegen der anderen Kinder, die ihre Blicke schlecht verstecken, die sich beim Murmelspielen gegenseitig anstupsen und zwicken und kaum hörbar kichern, sobald am Ende der Straße dein schwankender Körper auftaucht.

Das Zimmer füllt sich mit R-OH-Atomen wie die Küste mit Wasser, wenn die Kraft des Mondes nachlässt. Der Name meiner Mutter riecht nach Alkohol. Ich atme ihn gleichmäßig ein und starre dabei an die Decke. Die Tauben schlafen im Verschlag.

Ein paar Jahre später werden wir das Zimmer vernichten. Selber die Tapete ablösen und dann einen Maler bestellen, der die Wände abkratzt, bis sie nackt sind. Ich werde alles gründlich sauber machen, einen 30-Liter-Eimer mit Schutt beladen und ihn kaum zum Container ziehen können. Wenn ich die Straße hinabgehe, werde ich zum letzten Mal den Geruch deiner Tränen in der Nase haben. Während ich mich zum Müllplatz schleppe, werde ich uns wieder vor mir sehen, wie wir mit den Händen auf den Kissen daliegen, wie früher. Wie wir zur Decke schauen und du sie weinerlich weckst. Sie, deine tote Frau, deine schöne Frau. Aber dann werde ich bereits wissen: Ich hasse dich.

Ich hasse dich, weil der Himmel weit und verschorft ist – und du daran so absolut gar nichts ändern kannst.

Nennt mich Esteban

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