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Das Alte Gewürzamt

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Randvoll mit schönen Eindrücken kehrt Justine aus ihrer Reise in die Vergangenheit zurück, mit all diesen Erinnerungen. Sie mag den Namen Seltenbach, dem irgendjemand diesem eigensinnigen kleinen Bachlauf einmal gegeben hat. Auch sie selbst hält sich nicht selten für seltsam im Sinne von besonders. Und während sie weiter gedankenverloren durch die Gassen streift, entdeckt sie ein Ladengeschäft, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie kann sich nicht erinnern, es schon einmal gesehen zu haben, doch es lockt sie beinahe magisch an.

„Mama, hast du Zimt in die Soße gegeben?“, hatte Justine ihre Mutter gefragt, als sie ein kleines Mädchen war.

„Ja, mein Schatz. Das schmeckst Du heraus?“

„Ich hatte einen kurzen Grießbrei-Moment … deshalb. Lecker, ich wusste nicht, dass man Zimt auch zu einer Bratensauce geben kann.“

„Ach, man kann es zumindest probieren. Mit der Zeit stellt sich heraus, was schmeckt und was nicht so gut passt. Ich liege auch manchmal noch daneben. Weißt du noch, als ich den Fisch mit Vanille kombiniert habe? Das hat euch nicht so gut geschmeckt.“

„Du bist also eine Erfinderin von neuem Geschmack!“, schlussfolgerte Justine und ihre Mutter musste lachen.

Die Welt der Gewürze verzauberte sie schon als kleines Mädchen und bis heute ist davon nichts verloren gegangen. Anders als andere Kinder vielleicht, mochte Justine zum Beispiel schwarzen Pfeffer, Kümmel und fruchtig-scharfe Currys schon im Alter von gerade mal 5 Jahren.

Justine staunt über den massiven Sandstein, der den unteren Teil der Fassade ziert. Sandstein war hier überall verbaut. Sie erinnert sich in diesem Moment wieder daran, dass Valerie einen Keller aus ebensolchem Gestein besessen hatte. Tante Vally kultivierte damals auf Strohballen sogar Champignons, die Justine ernten durfte. Es herrschte ein herrlich angenehmes, erdiges Klima in diesem Keller, auf den Regalen rund herum war eine Auslage von Weinflaschen und etwas Gemüse.

Sie betritt den Gewürzladen und sieht sich um. Direkt im Eingangsbereich hängt ein rot schimmernder, großer Deckenleuchter. Ein Verkäufer an der Theke befindet sich in einem Beratungsgespräch und grüßt nur kurz, dafür mit einem herzlichen Lächeln. Justine ist ganz froh darüber, für sich zu sein und allein durch die Regale zu stöbern. Es gibt zahlreiche grüne Döschen, die gefühlt alle Gewürze der Welt enthalten. Auf einem Tisch in der Mitte stehen größere Gläser, darin sind verschiedene Gewürzproben. In den hölzernen Auslagen ringsum gibt es dazu passende Ergänzungen wie Pfeffermühlen, Reiben und Weine. Sie hat so oft mit den unterschiedlichsten Gewürzen hantiert, doch hier bekommen sie eine ganz eigene, große Bühne. Justine schaut ganz genau hin und versinkt in diesen Beobachtungen. Das kleine schwarze Pfefferkorn trägt einen ledrig anmutenden Mantel, den es um sich geschlungen hat wie ein wabenförmiges Netz. Der Name schwarzer Pfeffer wird dem Produkt gar nicht ganz gerecht, denn es schimmert in den unterschiedlichsten Nuancen, zeigt zahlreiche Brauntöne. Justine geht weiter zum Sternanis. Das Gewürz erscheint ihr wie eine Blüte gefertigt aus Holz und Rinde, so fein ausgearbeitet von der Natur, wie es ein Handwerk nicht schaffen könnte. Sie öffnet das Glas mit der echten Vanille, schließt die Augen und atmet tief ein.

„Riecht gut, was?“, fragt der junge Mann und strahlt übers ganze Gesicht. Justine zwinkert ihm nickend zu und schlendert weiter.

Als sie den Laden wieder verlässt, ist es bereits eine ganze Stunde später. Im Hotel breitet sie alles auf dem Bett aus, lauter kleine Besonderheiten, die sie in Hamburg an diesen Tag erinnern werden. Der junge Mann hat sie hervorragend beraten.

Das Handy klingelt.

„Hallo Tini, hattest Du einen guten Tag?“, fragt Tom. „Wunderbar“, schwärmt sie. „Ich habe mir vorgenommen, wieder häufiger selbst zu kochen, so wie früher. Hier gibt es einen kleinen Laden, der mich sehr inspiriert hat. Lass Dich überraschen.“

„Klingt gut. Ich habe Theo und Lars eingeladen, sie kommen in einer Stunde. Wir wollen bisschen FIFA zocken, deshalb rufe ich jetzt schon an.“

„Okay, hast du denn was eingekauft?“, will Justine wissen.

„Lars bringt zwei Sechser und Chips von der Tanke mit.“

„Ah … gut, dann wünsche ich euch viel Spaß und wir hören uns dann morgen. Ich melde mich, wenn ich im Zug sitze.“

Nach dem zehnminütigen Austausch ist das Telefonat wieder beendet. Justine streckt ihren Fuß vom Hotelbett aus in die Luft, streift sich den zweiten Schuh ab und gähnt. Dann knurrt ihr Magen mit einem Mal so laut, dass sie lachen muss. Die ganzen Aromen haben ihren Appetit angeregt und bis auf drei kleine Probierhäppchen im Alten Gewürzamt und das Eis hatte sie nach der Ankunft nichts mehr zu sich genommen.

Also los, lass uns was futtern.

„Die Nummer drei aus der vegetarischen Karte bitte. Dazu den Spätburgunder vom Klingenberger Schlossberg, der klingt sehr gut“, wählt Justine aus der fränkischen Karte der Häckerwirtschaft aus.

Sie hat einen lauschigen Platz im Freien bekommen. Als Tisch dient ein altes Holzfass mit einem roten Deckchen, direkt über ihr ranken die Reben. Noch sind die Zweige fast kahl, doch im Herbst, wenn alles voller Weinblätter und Trauben hängt, sieht das sicher noch viel schöner aus.

„Einmal das rote Frankengold für die junge Dame, zum Wohlsein.“

Als das Glas serviert wird, ist er angenehm kühl. Justine mag es, wenn der Rotwein etwas kälter ist, gerade bei diesen Temperaturen. Sie schwenkt das Glas und hebt es gen Himmel.

„Auf Dich, Tante Vally.“

Es schmeckt vorzüglich. Im Französischen bedeutet Bouquet auch Blumenstrauß, daher passt die Bezeichnung auch wunderbar zu dem charakteristischen Duft der Weine. Der hier schimmert rubinrot im Sonnenlicht.

Die Kellnerin bringt einen kleinen Salat, Klöße mit einer schön einreduzierten, kräftigen Dunkelbiersauce und Scheiben von gebratenen Sommersteinpilzen aus der Region sowie ein Schälchen Rotkraut und eingekochte, süß-säuerliche Johannisbeeren. Das Kraut ist hand-geschnitten und verfeinert mit etwas grob gewürfeltem Apfel, Wachholderbeere und Lorbeerblatt. Lecker!

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