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3. Tribut

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» W I RS I N DS P Ä Tdran«, sagte Mino und schnupperte. In der Luft lag bereits der erste Geruch von Schnee, ein frischer, scharfer Duft. Sie liebte es, wenn es schneite, wenn sich die zuckrigen Flocken über ihr weißes Haar und ihre weiße Haut legten, als kämen sie nur ihretwegen. Im Winter zu reisen war für sie immer etwas Besonderes gewesen, und dieser kalte Wind aus dem Norden brachte ihr die Zeit zurück, in der sie mit ihrem Ziehvater Keta unterwegs gewesen war, weil auch er nirgends zur Ruhe kommen konnte. Die Sippen der Zintas versammelten sich in den sonnigen Nadelwäldern des Südens, aber Keta musste weiter und sie mit ihm. Diese Zeit hatte sich so in sie eingebrannt, dass sie nur die Augen zu schließen brauchte und vor sich die langen, pelzigen Ohren ihres geliebten Esels sah. Einige Schritte vor ihr ging der Riese mit den breiten Schultern und den großen Schritten …

»Gar nicht«, widersprach Kroa, kratzte sich hinter den Ohren und brachte damit seine langen Strähnen durcheinander. Sein Haar war mittlerweile recht schütter, aber indem er es kunstvoll um seine Glatze herumdrapierte, fiel es nicht so sehr auf. Zumindest hoffte er, dass es nicht auffiel, aber da er nicht größer war als ein fünfjähriges Kind und ihm daher die allermeisten Leute auf den Kopf schauen konnten, urteilten sie über seine Bemühungen anders als er. »Wie können wir spät dran sein? Du hast Maja nicht versprochen, dass wir sie besuchen. Also kann sie nicht auf uns warten. Oder uns vorwerfen, wir hätten uns verspätet. Selbst wenn wir erst in zwei Jahren nach Laring kommen, kann sie uns nichts vorwerfen. Siehst du das nicht auch so, Jamai?«

Der Angesprochene, ein drahtiger Mann mit schwarzem Haar und bräunlicher Haut, schlug Kroa lachend auf die Schulter. »Und wer spricht jeden Tag davon, dass wir Manina ein Geschenk mitbringen müssen? Wer bleibt auf allen Marktplätzen vor wirklich jedem Stand stehen, um ein Geschenk für eine Prinzessin zu finden? Nun?«

»Genau aus diesem Grund besteht keine Eile«, versetzte der Zwerg würdevoll. »Was nützt es uns, wenn wir müde und abgehetzt bei ihnen anlangen und haben kein Geschenk dabei? Außerdem ist in Laring Spätsommer. Nur die hier oben in Wenz bestehen darauf, früher mit dem Winter anzufangen als alle anderen.«

Mino runzelte die Stirn, während sie in die tiefhängenden grauen Wolken blickte. »Ich möchte am liebsten zu ihnen fliegen«, sagte sie. »So schnell ich nur kann … Wir haben uns zu lange aufgehalten. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns beeilen müssen … dass wir zu spät kommen könnten.«

»Zu spät? Was meinst du damit?«, fragte Jamai. »Du warst es doch, die unbedingt noch die Tropfsteinhöhlen von Ruaning sehen wollte.«

»Ja, ich weiß. Aber auf einmal … Wir wollten im Spätsommer oder Frühherbst wieder im Silbernen Krug sein. Daran hätten wir uns halten sollen. Der Winter wird eher dort sein als wir.« Die ersten Flocken begannen zu fallen, sie rieselten herab wie Regen, klein und schnell, als hätten sie es eilig, auf dem Boden aufzutreffen. »Ich weiß selbst«, fügte sie leise hinzu, »dass ich dachte, ich brauchte diese Reise. So weit wie möglich fort von Kirifas. Ich dachte, wenn es mir nur gelingt, nicht mehr daran zu denken, dass Zukata gewonnen hat, würde es mir besser gehen. Aber jetzt will ich nur noch vorwärts.«

»Sieht aus, als müssten wir jedenfalls erst einmal anhalten.« Kroas Stimme klang heiter, und doch blitzte in seinen Augen das Misstrauen auf, das ihn immer befiel, wenn sie es mit Uniformierten zu tun bekamen.

Vor ihnen befand sich eine Straßensperre. Ein paar bewaffnete Männer lungerten an einem Schlagbaum herum. Aus einem kleinen Holzhaus wenige Meter dahinter kam Lärm; anscheinend wimmelte es in diesem kleinen Dorf von Soldaten.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte Jamai. »Aber sie haben uns bereits gesehen. Wenn wir jetzt umkehren, werden sie uns nachsetzen.«

»Oh, wir können problemlos verschwinden«, versicherte Kroa. »Wenn wir wirklich wollen. Was meinst du, Möwe?«

»Das ist unsere Straße.« Mino zögerte. Der Schnee wirbelte in immer größer werdenden Flocken zur Erde. »Und ich möchte nicht auf der Flucht sein, wenn ich zu Maja komme. Lasst uns erst einmal herausfinden, was das soll.«

Sie näherten sich den Wächtern, die so taten, als hätten sie die Ankömmlinge erst jetzt bemerkt. Sie grinsten, richteten sie sich zu voller Größe auf und blickten auf die Wanderer herab, als wären sie alle drei Zwerge.

»Wohin des Wegs?«, bellte einer.

»Seit wann müssen Reisende über ihr Ziel Rechenschaft geben?«, fragte Jamai. Es gelang ihm, den Ärger aus seiner Stimme herauszuhalten, doch Mino wusste, dass es bereits in ihm brodelte. Trotzdem hoffte sie, dass es nicht zu einem Streit kam. Ihre Freunde liebten hin und wieder eine handfeste Auseinandersetzung – hatten sie das von ihrem Riesenfreund Keta gelernt? –, aber sie wollte keinen Ärger. Wenn einer von ihnen sich auch nur leicht verletzte, würden sie noch später zu Maja und Manina kommen.

»Seit sie gefragt werden«, knurrte der Soldat. »Genau seit dann. Also noch einmal: Wohin des Wegs?«

Nie im Leben würde sie ihr wahres Ziel verraten. Deshalb sagte Mino: »Nach Salien, wenn’s recht ist.«

Der Mann kniff die Augen zusammen. »Ob das recht ist oder nicht, das entscheiden wir. Wen haben wir da? Du bist ein Zinta, und ihr? Was seid ihr, eine Schaustellertruppe? Wo ist euer Wagen? Wo ist der Rest eurer Sippe?«

Wir sind allein unterwegs, wollte Mino antworten, aber sie biss sich rechtzeitig auf die Lippen. Dass Unterstützung unerreichbar war, gab man besser nicht zu.

»Wir sind die Vorhut«, sagte sie. »Um geeignete Marktplätze zu finden.«

»Der Fürst dieses Landstrichs erhebt den üblichen Zoll von den Ziehenden«, gab der Soldat bekannt und blickte schräg über sie hinweg, als sei es unter seiner Würde, Abschaum wie sie mit seinem Blick zu berühren.

»Was soll das denn heißen?«, fragte Kroa. »Als wir das letzte Mal hier durchgekommen sind, war davon nicht die Rede.«

»Seit Ezir Fürst von Kaiser Zukatas Gnaden ist, wird auch in diesem Wenzer Landkreis der traditionelle Tribut von allen Sippen der Ziehenden verlangt. Entweder ihr arbeitet alle für ihn, oder ihr lasst einen von euch hier in seinem Dienst.«

Mino schnappte nach Luft. Sie setzte schon zu einer heftigen Antwort an, doch Kroa drückte ihre Hand.

»Unsere Brüder und Schwestern kommen nach«, sagte er. »Wir sind bloß die Ersten, wie schon gesagt. Und nur zu dritt. Ihr solltet die anderen fragen, wenn sie hier eintreffen. Mit Sicherheit meint dieses neue Gesetz des edlen Fürsten Ezir, dass die Gebühr von einer ganzen Sippe einzuziehen ist, auch wenn sie grüppchenweise daherkommt.«

»Mit Sicherheit werdet ihr nicht jeden einzelnen Wagen als ganze Sippe behandeln«, fügte Mino hinzu, der es jedoch nach wie vor schwer fiel, ruhig zu bleiben. An ihrer anderen Seite hörte sie Jamai mit mühsam unterdrückter Wut atmen.

»He, du!«, rief ein zweiter Posten, der sie gründlich gemustert hatte. »Ist das etwa ein Bogen?« Er zeigte auf Jamai. »Ist dir nicht bekannt, dass es bei Todesstrafe verboten ist, in den Wäldern des Fürsten zu wildern? Her damit!«

»Zeigt uns, was ihr an Geld dabei habt«, befahl der erste Soldat. »Dann entscheiden wir, ob wir euren Worten Glauben schenken und es vor dem Fürsten verantworten, euch laufen zu lassen. Na los! Oder willst du«, er richtete das Wort an Mino, »dass wir nachsehen, wo du es versteckt hast?«

Mino gelang es, das Gesicht nicht zu verziehen, so als wären sie es gewöhnt, ständig ausgeraubt zu werden. Sie zog einen kleinen Lederbeutel hervor und leerte ihn in die ausgestreckten Hände des fürstlichen Wegelagerers aus. Vier kleine Kupfermünzen fielen heraus.

Der Mann grinste. »Eine«, sagte er, »für diese kleine Missgeburt hier, eine für dich, blasse Frau, und eine für den Halunken an deiner Seite. Die hier kannst du behalten.« Er gab ihr die vierte Münze zurück und nickte seinem Kameraden zu, der Jamai gerade um den Köcher und den Bogen erleichtert hatte. »Nimm ihm auch den Dolch ab. Wer weiß, wem er damit nachts auflauern will. – Und nun macht, dass ihr fortkommt.«

Sie gingen, wie befohlen. Schweigend. Erst als sie außer Hörweite waren, sagte Kroa: »Wie es aussieht, haben wir noch Glück gehabt. Wenn du ihm an die Gurgel gesprungen wärst, Möwe, säßen wir jetzt alle in einer kleinen Zelle.«

»Sie wollten uns möglichst schnell loswerden«, sagte Mino. »Damit sie zurück in ihre gemütliche Hütte können. Nur deshalb sind wir noch am Leben.«

Es schneite jetzt stärker. In Jamais dunklem Haar glitzerten weiße Flocken. »Wir brauchen einen Unterschlupf hier in der Nähe.«

»Damit du abends zurückkehren kannst, um deinen Bogen zu holen?« Kroa seufzte. »Jamai, lass gut sein. Du kannst dir einen anderen Bogen besorgen.«

»Ja, und wie? Wovon sollen wir leben, wenn ich nicht jagen kann? Geld haben wir auch keins mehr. Was will dieser Fürst denn – dass die Ziehenden betteln und stehlen müssen, bis die Leute sich lauthals beschweren, und dann nehmen sie den Ziehenden noch mehr weg und machen es ihnen noch schwerer, so dass sie noch mehr betteln und stehlen müssen? Das sind meine Waffen, Kroa. Ich gehe hier nicht ohne sie weg.«

»Was meinst du, Möwe?«, fragte Kroa. »Legen wir uns mit ihnen an?« Seine Stimme klang hoffnungsvoll, obwohl er eben noch versucht hatte, Jamai sein Vorhaben auszureden. Er wusste, wie es ausgehen würde, auch wenn er hin und wieder den Vernünftigen spielte.

Mino warf einen Blick in Jamais finsteres Gesicht. »Ohne Waffen und ohne Geld kommen wir nicht weit. Da gebe ich dir recht.« Sie zögerte. »Wir sollten uns über etwas im Klaren sein. Dieser Ezir ist einer von Zukatas Räubern. Er hat dem ganzen Verbrecherpack Fürstentümer und Throne gegeben. Während wir unterwegs waren, hat sich einiges verändert. Sie werden an jeder Landesgrenze Zoll verlangen. Es wird wahrscheinlich schwieriger werden, Maja zu erreichen, als wir dachten.«

»Das alte Gesetz«, flüsterte Jamai. »Dieser Tyrann hat alles, was Kanuna El Schattik für die Ziehenden getan hat, wieder aufgehoben. Wir haben keine Rechte mehr. Sie werden uns bluten lassen, bis wir vernichtet sind.«

»Zukata weiß, dass unser Volk gegen ihn ist. Er weiß, dass er mit jedem Schlag gegen die Zintas auch Keta trifft.«

Kroa winkte sie unter das dichte, verflochtene Gezweig eines großes Baumes, unter dem kein Schnee lag. Hier waren sie einigermaßen geschützt. Sie schüttelten den Schnee aus ihren Kleidern und setzten sich. Noch hatten sie Reste von der letzten Jagd in ihrem Beutel, ein paar trockene Kuchen vervollständigten die Mahlzeit. Schweigend aßen sie, in düstere Gedanken vertieft.

Die Dunkelheit kam früh. Um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hatten sie kein Feuer gemacht – sie waren zu nah am Dorf. Die lauten Stimmen der Soldaten drangen bis zu ihnen durch den stillen Wald.

»Da feiern sie«, knurrte Kroa.

»Ich gehe jetzt«, kündigte Jamai an, aber der Zwerg hielt ihn zurück.

»Noch nicht. Warte, bis sie schlafen. Und außerdem bin ich dran.«

»Womit bist du dran?«

»Mit einer Heldentat. Ich bin an der Reihe. Ich hole deine Waffen zurück.«

»Nein, Kroa, das ist doch …«

»Bin ich etwa zu alt?«, unterbrach Kroa ihn. »Bin ich zu klein? Wolltest du das sagen? Bin ich etwa nicht in der Lage, es mit dieser Handvoll Soldaten aufzunehmen?«

»Es sind meine Waffen und ich gehe selbst.«

»So ist er!«, rief Kroa aus. »So ist er immer, Möwe! Immer muss er alles alleine machen! Denkt er jemals an andere, he? Tut er das? An seine besten Freunde?«

»Ach, seid doch still, beide«, zischte Mino. An anderen Tagen fand sie die ständigen Dispute der beiden erheiternd, heute jedoch ärgerte sie sich nur darüber. »Es ist sowieso noch zu früh. Wenn wir in der Nacht fliehen, sollten wir jetzt ein wenig schlafen. Also seid einfach still. Und später gehen wir alle zusammen.«

In dem Unterschlupf, eng aneinandergekuschelt unter ihren drei Decken, die zusammen eine wärmende dicke Schicht ergaben, war es fast behaglich. Trotzdem wäre ein Feuer schön gewesen. Oder eine Unterkunft in einem richtigen Haus. Bevor sie einschlief, wanderten Minos Gedanken zu dem Haus auf Arima, in dem sie fast ihr ganzes Leben verbracht hatte, das Haus ihrer Kindheit und ihrer unglücklichen Ehe. Nein, dort hatte das Glück nicht gewohnt. Es war hier unter diesem Baum, hier bei Jamai und Kroa …

Kroa schlüpfte unter den Decken hervor. Er hatte darauf bestanden, die erste Wache zu übernehmen, damit er seinen Plan ausführen konnte, bevor ihm Jamai zuvor kam. Seinem Freund war ohne weiteres zuzutrauen, dass er alleine aufbrach, um sich unnötig in Gefahr zu begeben. Vielleicht hatte sogar Möwe vor, heimlich die Waffen und das Geld zurückzustehlen. Hielten ihn die beiden für alt? Er lächelte grimmig in sich hinein, während er die Decke sorgsam wieder zurechtstopfte. Möwe und Jamai schliefen Rücken an Rücken, so wie sie es immer taten, wenn die Kälte sie dazu zwang. Innerlich schüttelte er den Kopf über diese beiden. Ob sie ihn wohl vermissen würden, wenn er nicht wiederkam, wenn irgendetwas schiefging? Sie gehörten so sehr zusammen … aber das war nicht seine Sache. Kroa duckte sich unter den Zweigen hindurch. Schnee rieselte ihm in den Kragen, als er trotz aller Vorsicht an einen Ast stieß. Aus den Wolken kam glücklicherweise im Moment nichts nach. Die Nacht lag sternenklar über ihm. In den nächsten Tagen würde es noch kälter werden. Bis dahin mussten sie alle möglichen Verfolger abgeschüttelt haben; sie brauchten unbedingt ein Feuer, wenn es ihnen nicht gelang, einen Unterschlupf in einer Scheune oder einer alten Hütte zu finden.

Während er sich dem Wachhaus näherte, verabschiedete er alle Sorgen und Überlegungen, die die Zukunft betrafen. Jetzt zählte nur noch sein Vorhaben. Ein Kribbeln in Armen und Beinen erfüllte ihn mit Vorfreude und Angst zugleich, sein Herz begann schneller zu schlagen. Das war immer so, bei jedem waghalsigen Abenteuer, bei jedem Auftritt, ganz gleich, wie lange man dafür geprobt hatte.

Licht fiel durch die Fenster und malte helle Rechtecke in den Schnee. Es war noch nicht spät genug, andererseits bezweifelte er, dass es eine Stunde gab, zu der wirklich alle schliefen. Ein frierender Soldat wanderte am Schlagbaum auf und ab und rieb sich dabei die Oberarme. Diese Männer kannten ihren Herrn; das war kein fetter, verweichlichter Fürst, der in einem Schloss saß und nichts von dem wusste, was in seinem Land und auf den Straßen vor sich ging. Zukatas Räuber. Nun herrschten sie über Deret-Aif, über das große Kaiserreich, das unter dem guten Riesen geblüht hatte …

Es gab keinen richtigen Zeitpunkt. Der Blick in die Stube verriet es ihm. Nicht alle tranken. Ein paar Männer saßen an einem Tisch und spielten Karten. In den schmalen Betten an der Wand schliefen einige, ohne sich von dem Gebrüll der Spieler, die einander lautstark Betrug vorwarfen, stören zu lassen. Auf einer langen Holzplatte lag ein buntes Sammelsurium von Dingen, anscheinend Gegenstände, die Reisenden abgenommen worden waren. In der kleinen Truhe, schätzte Kroa, wurden die Münzen aufbewahrt, daneben verschiedene Waffen – ob Jamais Bogen und Dolch dabei waren, konnte er von hier aus nicht sehen, aber er nahm es stark an –, Umhänge aus seidigem Stoff, sogar ein verzierter Reitsattel fand sich dort.

Kroa, der sich mit den Händen am Fensterrahmen festgekrallt hatte, um ins Haus hineinsehen zu können, ließ sich wieder auf den Boden hinunter und überschlug alle Möglichkeiten. Lärm machen, so dass alle, die wach waren, nach draußen liefen und er in dieser Zeit ins Zimmer gelangen und die Sachen holen konnte? Doch die Schläfer würden wahrscheinlich gerade zu diesem Zeitpunkt aufschrecken. Besser war es, sie alle völlig zu überrumpeln. Durchs Fenster brechen, sich den Bogen und den Dolch schnappen und wieder zurück, und bis die Soldaten sich von ihrer Überraschung erholt hatten, war er schon über alle Berge. Er würde Jamai und Möwe wecken – ja, auch sie würden staunen – und gemeinsam würden sie das Weite suchen. Ohne auch nur einen Kratzer davongetragen zu haben.

Kroa trat ein paar Schritte zurück. Von hier musste er springen, wenn er mit den Füßen voran durch das dünne Glas brechen wollte, dann ein Satz über den Tisch mit den Kartenspielern – wie gut, dass er so passend mitten im Raum stand – hinüber zu den Beutestücken und … Für den Rückweg brauchte er eigentlich beide Hände … Kroa überlegte. Den Dolch konnte er zwischen die Zähne nehmen, Bogen und Köcher nicht. Früher hätte es ihm keine Mühe bereitet, sich mit einer Hand zum Sprung abzustoßen. Er hatte es schon länger nicht mehr getan, aber er war sicher, dass er es immer noch konnte.

Du bist zu alt, sagte eine Stimme in ihm. Beim Wandern tun dir schon die Knie weh, morgens kannst du kaum die Beine bewegen …

Ach was.

Seine Lippen bewegten sich lautlos. Das ist eine meiner leichtesten Übungen. Ich werde jetzt nicht kneifen. Ich bringe Jamai sein Eigentum zurück.

Er musste es jetzt tun, jetzt sofort, bevor seine Füße im Schnee zu frieren begannen, bevor es seinem inneren Spielverderber gelang, sich Gehör zu verschaffen. Bevor er nichts war als ein alter, etwas zu klein geratener Mann, dessen Familie

Zukata nach Belieben berauben konnte. Dabei war er immer noch Kroa, Herr der Wälder, Fürst der Akrobaten …

Er warf sich nach hinten, stieß sich mit den Händen vom Boden ab und schnellte durchs Fenster. Klirrend barst die Scheibe, als er mit den Füßen voran in den Wachraum stürzte, mit einer eleganten Drehung über den Tisch wirbelte und vor dem Diebesgut aufkam. Einer der Soldaten war vor Schreck hintenüber vom Stuhl gestürzt, die anderen sprangen gerade auf, als Kroa sich schon den Dolch zwischen die Zähne schob, den Bogen packte – in der Eile verfehlte er den Köcher, aber er hatte keine Zeit, zweimal zuzugreifen – und zurück auf den Kartentisch hechten wollte. Während er hochschnellte, merkte er schon, dass seinen Beinen die nötige Kraft fehlte, und als er sich mit der freien Hand abstützen wollte, krachte er mit dem Rücken gegen die Holzkante, schlug mit den Beinen gegen eine Stuhllehne und sah nur noch eine Faust auf sich zukommen, die seinen missglückten Flug in eine andere Richtung lenkte – leider nicht in die gewünschte.

Die bunten Wagen rumpelten über die holprige Straße. Die Pferde, die sie zogen, waren klein und kräftig. Der dunkelhaarige Mann, der das letzte Gefährt lenkte, blickte sich um, als der Weg in einer langgezogenen Kurve den Wald verließ. Dieser Idiot folgte ihnen immer noch!

Toris seufzte und zog sacht an der Leine. Der Braune mit dem breiten Hinterteil ging ein paar Schritte weiter, bevor er beschloss zu gehorchen. Während der Zinta auf den Mann wartete, der schon wer weiß wie lange hinter ihnen herlief, nutzte das Tier die kurze Rast und zupfte ein Kraut zwischen den Steinen hervor.

»Na gut.« Toris nickte dem jungen Mann zu. »Du kannst mitfahren, Sorayn. Aber ich werde dir nicht sagen, wo Maja ist. Und du wirst mich nicht mehr fragen. Einverstanden?«

»Es macht mir nichts aus zu laufen.« Sorayn lächelte. »Es geht mir nur darum, mit dir zu reden.«

»Von mir erfährst du nichts. Das habe ich dir schon tausend Mal gesagt.«

»Das hast du, in der Tat. Aber ich bin hartnäckig.«

»Das habe ich gemerkt, glaub mir. Nun steig schon auf, wir verlieren sonst den Anschluss.«

Auch wenn es Sorayn nichts ausmachte, hinter der Kolonne herzugehen – mit seinen langen Beinen war er sehr schnell, und er kam nie zu spät, wenn sie am Abend ihr Lager aufschlugen –, konnte Toris es nicht gut haben, dass sein Schwiegersohn hinter dem klapprigen grünen Wagen herrannte. Obwohl der Zinta sich standhaft weigerte, Sorayn zu verraten, wo Maja sich aufhielt, war es unmöglich, den jungen Mann abzuschütteln. Eigentlich durfte man ihm gar nicht verwehren, hier zu sein, bei den Brüdern und Schwestern der Ziehenden, an ihren Gesprächen und Tänzen teilzunehmen. Hatte er nicht rechtmäßig in diese Sippe eingeheiratet?

Sorayn tätschelte den Braunen und flüsterte ihm etwas zu, bevor er sich neben Toris auf die Bank setzte, die als Kutschbock diente. »Dein Pferd ist hierüber nicht erfreut«, sagte er. »Ich werde sowieso bald wieder laufen müssen.«

»Ach ja«, meinte Toris kopfschüttelnd, »ich vergesse immer wieder, dass du mit den Tieren reden kannst.«

Der Mann, den seine Tochter sich ausgesucht hatte, war ohne Zweifel ein wenig verrückt. Oder machte er, dass alle anderen irre wurden? In seiner Nähe geriet alles durcheinander, aber es fiel schwer, ihm lange böse zu sein. Obwohl er so groß war, trotz seiner breiten Schultern und seiner imposanten Erscheinung hatte er etwas anrührend Jungenhaftes an sich. Er kam einem vor wie jemand, der alles zum ersten Mal sieht. Manchmal sagte er Dinge, die keinen rechten Sinn ergaben – eine der Zinta-Frauen behauptete, es wären Gedichte – und dass er mit Pferden, Hunden und Spatzen flüsterte, war erst recht wenig vertrauenerweckend. Aber er war nun einmal sein Schwiegersohn, und nachdem alle seine Versuche, ihn wegzuschicken, auf taube Ohren gestoßen waren, musste Toris sich etwas anderes einfallen lassen.

»Maja …«, begann Sorayn.

»Ich werde dir nichts über Maja sagen. Sie wird ihre Gründe gehabt haben, dich zu verlassen. Wenn sie nicht von dir gefunden werden will, mische ich mich nicht ein.«

Eine Armee von wilden Riesen hatte diesem jungen Mann gehorcht. Auch allein war mit ihm, so hatten die Zintas aus zuverlässiger Quelle gehört, nicht gut Kirschen essen. Aber er hatte hier niemanden bedroht und nicht einmal eine Andeutung gemacht, dass er Majas Aufenthaltsort mit Gewalt herausbekommen könnte. Wenn es stimmte, was man sagte, war es ihm sogar gelungen, Remanaine zu besiegen, den Wanderheiler, der in Wirklichkeit, wie mittlerweile fast jeder wusste, Zukatas Zwillingsbruder Keta war. Sorayn dagegen hatte nichts von einem Riesen, das sah man auf den ersten Blick. Obwohl er recht groß war, kam er an einen ausgewachsenen Angehörigen dieses grobschlächtigen Volks nicht heran. Überdies waren seine Gesichtszüge viel zu fein, selbst für einen Menschen war er ungewöhnlich attraktiv. Die himmelblauen Augen erinnerten an Remanaines stechenden Blick, und von daher stammte wohl das Gerücht, er gehörte zur Familie des Kaisers. Aber während Toris den Heiler als ruppig und eigenbrötlerisch kannte, war Sorayn die Freundlichkeit und Sanftheit selbst.

»Maja hatte ihre Gründe«, gab der junge Mann zu, obwohl man kaum glauben mochte, dass es mit jemandem wie ihm Streit geben konnte. »Aber sie ist immer noch meine Frau. Und es hat sich sehr viel geändert. Ich werde sie finden, Toris, ob mit deiner Hilfe oder ohne sie.«

»Dann geh und such sie. Ich halte dich nicht auf.«

Sorayn lachte leise. »Erzähl mir von ihr. Von der Zeit, als sie hier in der Sippe gelebt hat.«

Toris grub in seinem Gedächtnis, aber ihm fiel nichts ein, was er berichten konnte. Über seine Tochter, von deren Existenz er so lange nichts geahnt hatte. Er hatte sie das erste Mal getroffen, als sie schon eine wunderschöne junge Frau war, mit glänzendem schwarzen Haar, mit dunklen Augen, in denen so viel Traurigkeit lag, dass sie kaum zu ermessen war. Lange hatte es gedauert, bis sie den Verlust der beiden Menschen, bei denen sie aufgewachsen war und die sie bis vor kurzem für ihre Eltern gehalten hatte, überwinden konnte. Bis es ihr gelang, die brennenden Gärten von Arima zu vergessen.

»Es ging ihr hier gut«, entfuhr es ihm. »Du hättest sie niemals von ihrer Familie wegreißen dürfen.«

»Wirklich?«, fragte Sorayn mit einem leisen Lächeln, und Toris schämte sich sofort dafür, dass er sich wie ein strenger Vater benahm, der seine erwachsene Tochter für immer behüten wollte.

Der Braune blieb stehen, als die Wagen vor ihnen hielten. »Was ist denn jetzt los?«, fragte Toris. »Warte, du brauchst doch nicht …« Aber Sorayn war schon vom Bock gesprungen und ging an der Kolonne vorbei, um herauszufinden, was passiert war. Darauf zu hoffen, dass vielleicht ein Rad gebrochen war, war nicht nett, aber Sorayn wünschte sich nichts mehr als eine Gelegenheit, den Zintas zu helfen. Ihnen irgendwie zu beweisen, dass er kein Fremder war, der sie mit seinen Fragen belästigte, sondern einer, der zu ihnen gehörte. Falls jemand, der ihnen erst seit einigen Wochen folgte, überhaupt einer der Ihren sein konnte. Aber er machte es ihnen schwer, ihn zu ignorieren. Er drängte sich nicht in ihre Mitte, war jedoch immer in der Nähe, und Toris bekam langsam ein schlechtes Gewissen, ihn außen vor zu lassen, und rief ihn immer öfter zu sich. Dass er ihn jetzt das erste Mal zu sich auf den grünen Wagen gebeten hatte, war ein gutes Zeichen. Irgendwann hatte Sorayn ihn soweit, dass er ihm Majas Versteck verriet. Hartnäckigkeit war eine Eigenschaft, mit der alle Riesen geboren wurden. Toris war sich höchstwahrscheinlich nicht im Klaren darüber, dass er einen solchen vor sich hatte, aber falls er überhaupt irgendetwas von Keta über sie gelernt hatte, würde er irgendwann merken, dass Sorayn alles, was einen Riesen auszeichnete, im Übermaß in sich trug.

Kein gebrochenes Rad hatte die Zintas zum Anhalten gezwungen. Sondern eine Straßensperre. Die Männer und Frauen aus den vordersten Wagen stritten lauthals mit zwei bis an die Zähne bewaffneten Soldaten.

»Tribut? Wieso denn das? Kanuna hat uns schon vor Jahrzehnten davon befreit!«

»Fürst Pidor ist der Herr dieses Landes«, sagte der Soldat, ohne eine Miene zu verziehen. »Und Kaiser Zukata hat selbstverständlich das Recht, die Gesetze des Kaiserreichs nach seinem Belieben zu erlassen. Glaubt es oder nicht, aber der traditionelle Wegezoll wurde wieder eingeführt. Entweder ihr arbeitet eine Jahreszeit lang für unseren Fürsten oder ihr lasst einen von euch hier. Wenn ihr euch nicht entscheiden könnt, wählen wir jemanden aus.«

»Gibt es ein Problem?«, fragte Sorayn und trat näher. In seinen Fingern juckte es bereits. Hier war endlich die ersehnte Gelegenheit, Majas Familie beizustehen.

Der Soldat wandte sich ihm zu, doch der nächststehende Zinta zischte: »Halt du dich da raus!«

Sorayn hatte nicht die Absicht, sich aus irgendetwas herauszuhalten, erst recht nicht aus einem Streit oder einem Kampf. Er hatte nicht gewusst, ob er jemals wieder kämpfen würde, nachdem ihn der Segen im Krieg mit einem solchen Mitleid erfüllt hatte, dass er niemandem etwas zuleide tun konnte. Doch jetzt fühlte er etwas in sich brodeln, das sich sehr vertraut anfühlte. Er hatte gedacht, dass er es nie wieder verspüren würde: das dringende Bedürfnis, jemanden zu Boden zu schlagen. Er konnte kaum an sich halten.

»Dieser Fürst Pidor verlangt einen aus der Sippe? Als Leibeigenen? Und das mit der Erlaubnis des Kaisers?« Natürlich wusste Sorayn, dass es solche Fälle auch unter seinem Urgroßvater gegeben hatte. Aber dann hatten die Landesherren hoffen müssen, dass ihre Dreistigkeit dem Herrscher in Kirifas nicht zu Ohren kam. Wenn diese Soldaten jetzt mit neuen Gesetzen auftrumpfen konnten, bedeutete das nichts Gutes. Was tat Zukata auf seinem Thron? Hatte Sorayn ihm nicht gesagt, er habe Kanunas Weg fortzuführen?

Der Soldat musterte ihn abschätzend. »Die Sippe, die vor euch hier durchgekommen ist, hat sich zuerst auch gesträubt. Aber wir haben denen schon beigebracht, wie der Hase läuft. Ihr könnt es so oder so haben, wie ihr es wünscht.«

»Geh einfach«, sagte einer der Zintas zu Sorayn. »Geh, das hier ist schwer genug für uns.«

Sorayn rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Er hörte zu, während sie sich berieten. Einige waren dafür, umzukehren und einen anderen Weg zu nehmen; andere, hitzigere Gemüter wollten eine solche Behandlung auf keinen Fall dulden und stimmten dafür, die beiden Soldaten so zu verprügeln, dass ihnen Hören und Sehen verging.

»Soldaten treten niemals zu zweit auf«, gab ein anderer zu bedenken. »Sie werden Verstärkung rufen, und dann haben wir das Nachsehen.«

»Eine Jahreszeit«, meinte eine Zinta-Schwester, schon halb am Weinen, »was heißt das? Was sollen wir tun? Wenn wir für diesen Fürsten arbeiten, wovon sollen dann wir leben? Und unsere Kinder?«

Auch die Zintas aus den hinteren Wagen waren herbeigekommen und erfuhren die schlechten Neuigkeiten.

»Umkehren ist keine Lösung«, sagte Toris sofort. »Wenn dies ein Gesetz ist, das ganz Deret-Aif betrifft, werden wir an jeder Grenze vor dieser Wahl stehen.«

Verzweiflung machte sich in den braunen Gesichtern breit. Sorayn beobachtete die Soldaten, die mit verschränkten Armen und breitem Grinsen abwarteten. »Mit denen werde ich fertig«, bot er an. Das Jucken in seinen Händen verstärkte sich zu einem Brennen. Wie hatte Zukata es nur wagen können, Kanunas Werk anzutasten?

»Was?«, rief Toris. »Du willst mit ihnen kämpfen?«

»Das können wir selbst.« Stolz warfen sich ein paar junge Männer in die Brust. »Wir brauchen deine Hilfe nicht. Wir werden ihnen zeigen, was es heißt, uns versklaven zu wollen!«

»Merkt ihr es nicht?«, fragte Sorayn leise. »Wie unruhig eure Pferde geworden sind? Sie wittern ihre Artgenossen. Diese Soldaten sind nicht zu zweit. Ihr könnt nicht sehen, wie viele sich in dem Wäldchen dort verbergen.«

Die älteren Zintas schüttelten voller Bedenken die Köpfe. »Lange ist es her, dass wir vor einer solchen Entscheidung standen.«

»Und damals war Remanaine bei uns.«

»Jetzt bin ich da«, mischte Sorayn sich wieder ein. »Zieht ihr weiter und ich werde mich darum kümmern.«

»Nein.« Toris’ Stimme klang scharf. »Du allein? Wir sollen fliehen, während du sie zurückhältst? Wenn es nur diese zwei wären, brauchten wir dich nicht dazu, und wenn es ein ganzer Trupp ist, zwanzig oder fünfzig, kannst du uns auch nicht helfen. Sie werden dich töten und uns nachsetzen. Wenn du sie angreifst, werden sie unter uns wüten und keine Rücksicht auf Kinder oder Alte nehmen. Wir werden niemanden opfern. Wenn es nicht anders geht, werden wir die Arbeit verrichten müssen, zu der sie uns zwingen.« Er blickte in der Runde. »Ich wüsste nicht, was wir sonst tun könnten. Das werde ich ihnen jetzt sagen.«

Sorayn konnte sehr gut mit den jüngeren, heißblütigen Burschen mitfühlen, die sich damit nicht abfinden wollten. Auch er überlegte fieberhaft, wie man diese Demütigung vermeiden konnte. Natürlich musste er zum Kaiser und ihn dazu zwingen, dieses Gesetz wieder zurückzunehmen. Doch bis er in Kirifas angekommen war und mit seinem Großvater gesprochen hatte, bis die Kunde von der neuen Regelung die Landesherren erreicht hatte, würde Majas Sippe in Knechtschaft leben müssen.

»Nein!«, rief er aus. »Warte, Toris. Gebt ihnen einen der Euren.«

»Ich habe bereits gesagt, so etwas tun wir nicht.«

»Biete ihnen einen großen, starken Kerl an. Sie werden unmöglich ablehnen können.«

»Du?« Toris starrte ihn ungläubig an. »Du willst, dass wir dich alleine hier lassen? Meine Tochter wird mich schlagen, wenn ich so etwas zulasse.«

Sein Herz machte einen kleinen Sprung. Selbst Toris glaubte also daran, dass Maja ihn immer noch liebte, dass es ihr etwas ausmachte, wenn ihm etwas geschah.

»Ich gehe mit ihnen«, verkündete er. »Nicht, dass ich vorhätte, besonders lange zu bleiben. Sobald ihr weit genug weg seid, mache ich mich aus dem Staub.«

»Und du glaubst, das geht so einfach?«

Er sagte ihnen nicht, was er mit seinen Händen tun konnte. Eisenketten zerreißen und Bäume fällen, und dass er wie im Rausch die wilden Riesen des Gebirges unter sich gezwungen hatte. Sie hätten es doch nicht geglaubt.

»Und an der nächsten Grenze«, schlug er vor, »machen wir es wieder so. Wenn ihr mir sagt, wohin ihr zieht, werde ich euch einholen.«

»Das tun wir ganz gewiss nicht«, meinte Toris trotzig, »wir lassen nie einen von uns im Stich.«

Und da war es wieder, das Glück. Einer von uns. Als wäre er wirklich ein Zinta, für den das galt, was jedem von ihnen zustand: der Schutz der Gemeinschaft.

»Wir sollten es ihnen mitteilen, bevor sie ungeduldig werden«, drängte Sorayn. Er konnte geradezu fühlen, wie die Soldaten ihre Macht genossen. Es würde ihm sehr schwer fallen, nicht sofort loszuschlagen, sondern sich in ihre Hände zu begeben, bis die Sippe in Sicherheit war.

»Und, was ist bei euren Überlegungen herausgekommen?«, fragte einer der Soldaten höhnisch.

»Wir werden nicht …«, begann Toris, aber Sorayn unterbrach ihn: »Sucht euch einen aus für euren Herrn.«

Die beiden Soldaten musterten die kleine Gruppe, zu der noch ein paar ältere Männer und Frauen und einige Halbwüchsige gehörten. Man musste kein Hellseher sein, um zu erraten, wen von ihnen sie ihrem Fürsten mitbringen würden.

»Du!« Der Soldat zeigte mit dem Finger auf den großen Kerl, der aussah, als könnte er gut mit anpacken. »Du bleibst hier. Die anderen können gehen.«

Sorayn verkniff sich ein Lächeln, das sie vielleicht misstrauisch gemacht hätte. Er nickte Toris zu, der, so wie auch die anderen Ziehenden, ein glaubhaft entsetztes Gesicht machte. »Bis bald«, formte er mit den Lippen. Er hatte keinen Zweifel daran, dass sie sich in Kürze wiedersehen würden, und dann verriet ihm sein Schwiegervater hoffentlich, wo er Maja finden konnte.

Der Thron des Riesenkaisers

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