Читать книгу Die Sprechpuppe - Leo Frank-Maier - Страница 7
ОглавлениеIn »Helens Bar« im Hafen von Piräus dröhnte die Music-Box, American III stand auf diesem dröhnenden Kasten und daneben in kleinerer Schrift: Wurlitzer. Die Silhouette von Manhattan, natürlich mit der Freiheitsstatue im Vordergrund, war innen beleuchtet. Mit Blaustich und sehr eindrucksvoll. Das Barmädchen blickte mißtrauisch und gelangweilt, als John Berger nach Papier und Bleistift fragte. Sie hatte, weiß Gott, andere Sorgen.
Er mußte seine Gedanken in Ordnung bringen, und das ging nur, wenn er seine Probleme niederschrieb. Bloß in Stichworten. Er war ein hoffnungslos visueller Typ und hatte gerade eine Idee, die er für gut hielt. Aber er mußte die wesentlichen Punkte aufschreiben, sonst war morgen alles wieder weg.
Die Wurlitzer Orgel dröhnte weiter, sie klang ihm, während er schrieb, leiser und leiser und schließlich gar nicht mehr störend, eher angenehm in den Ohren. Er schrieb nicht viel, war aber ganz konzentriert. Zwischendurch trank er seinen Ouzo und wurde mit jedem Glas nüchterner, das gibt es auch.
Fernet Branca stand auf dem Papier, das er da bekritzelte. Natürlich war es ein Rechnungsblock mit Firmenreklame, den ihm das Mädchen da gegeben hatte. Das störte ja nicht. Er dachte eine Sekunde daran, daß er niemals Fernet Branca trank, war ihm zu bitter. Seine Schrift konnte ohnehin nur er lesen. Und das auch nur mit Mühe — am nächsten Tag.
Er schrieb etwa eine halbe Stunde, dann las er den Zettel durch. Er grinste zufrieden. Wozu hatte er schließlich in Chemie Examen gemacht, damals, vor hundert Jahren? Die chemischen Formeln wußte er nur noch zum Teil auswendig. Aber das war jetzt nicht so wichtig.
Als Student hatte er mit diesen Dingern experimentiert. Er wußte, es würde einen Höllenkrach geben. Und viel Rauch, weißen Rauch. Der in den Augen biß wie wilde Ameisen.
John hatte vor einer halben Stunde beschlossen, eine Bank auszurauben. Für seine Pläne brauchte er Geld, viel mehr, als er hatte. Er würde eine Bank plündern, auf seine Art. Kein Blutvergießen, kein Risiko für unschuldige Menschen. Er hatte da so seine eigenen Ideen. Für eine kurze Zeit müßte es klappen, für ein bis zwei Monate, vielleicht drei. Dann würde er die Polizei am Hals haben, das wußte er. Aber er lebte schließlich nur für diese kurze, für die letzte Periode seines Daseins. Und in zwei Monaten würde alles erledigt sein. Eigentlich war er ja schon vor zwei Wochen gestorben. Er ging noch einmal die Liste durch, dann schrieb er darunter: Tonbandgerät. Natürlich, das war schließlich ein wesentlicher Bestandteil seines Planes.
Das Mädchen hinter der Bar gestikulierte. Sie wollte ihren Kugelschreiber wieder zurückhaben. John grinste höflich und gab ihr das Ding. »Evaristo«, sagte er, »danke«.
»You are welcome«, sagte sie. Müde und gelangweilt.
Bei einem frischen Glas Ouzo versuchte er, die Sache noch einmal durchzudenken. Abgesehen von seiner selbstgestrickten Rauchbombe war die Tonbandaufnahme das erste, was er zu erledigen hatte.
Er verlangte eine Zeitung und studierte die Kinoprogramme. Im Athineon wurde »General Patton« gespielt. Ein Film über die Invasion 1944. Gerade das richtige für ihn, viel Knallerei war zu erwarten. Er würde morgen die Geräuschkulisse auf Band aufnehmen, im Kino. Mit voller Lautstärke wiedergegeben, da würden wohl alle auf dem Bauch liegen in der Bank. Wer konnte schon im ersten Schock unterscheiden, daß Maschinengewehrsalven und Explosion nicht »life« waren, wenn der Raum voll von beißendem Rauch war? Wohl niemand. Und das war das Kernstück seines Planes.
Das Lokal war jetzt fast leer, und das Barmädchen betrachtete den schwierigen Gast eindringlich. »Geh schon endlich«, drückte ihre Haltung aus. John trank aus und ging an die Bar. »How much?« fragte er. Er wartete die Antwort nicht ab, warf einen Geldschein auf die Theke. Die Wurlitzer Orgel hatte aufgehört zu spielen. John bemerkte es erst jetzt.
Er hatte keine Lust zu gehen. »A final Ouzo, please«, sagte er. Während er das Glas schwenkte und das Klirren der Eiswürfel genoß, fing er die müden Augen des Mädchens. »Du bist ein braver Kerl«, sagte er auf deutsch.
Der brave Kerl hieß Helene Wannemacher und stammte aus München. Wäre sie nicht so elend blaß gewesen, so grell geschminkt, hätte man sie für ein Bauernmädel aus dem Allgäu oder dem Innviertel halten können. Alles war fest an ihr und rund, und beim Gehen bewegte sie Schultern und Hintern wie ein Mittelgewichtsboxer. Jetzt war sie ehrlich müde, und eine Konversation in ihrer Muttersprache war das letzte, was sie sich wünschte. »It’s closing time, Sir«, sagte sie deshalb.
John nickte und schlürfte seinen Ouzo.
Die letzten Gäste, ein junges Paar, verließen das Lokal. John gab die Zeitung zurück, und das Mädchen steckte sie in eine Art Zeitschriftenständer neben der Registrierkasse. John folgte automatisch ihren Bewegungen, sah die bunten Illustrierten und Wochenzeitschriften und plötzlich das Foto seiner Frau. Er nahm das Blatt aus dem Ständer, es war ein Bildbericht über das Geiseldrama. Er sah sich selber, als er die Polizeistation verließ nach der Identifizierung, dann sah er auch das Bild seiner Tochter.
In seinem Kopf dröhnte es. Er stand auf und murmelte gute Nacht.
Dieses Dröhnen in seinem Gehirn, dieses Geräusch eines startenden Düsenflugzeuges. Dieses irrsinnige Stakkato höchster Töne, Motorengeräusche, die glatt außerhalb des Irdischen zu sein schienen. Ein Düsenmotor in full speed, ist das noch ein Ding dieser Welt?
Helene Wannemacher sah den Mann schwanken und dann steif wie ein Brett zu Boden fallen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.