Читать книгу Die Sprechpuppe - Leo Frank-Maier - Страница 8

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Helene Wannemacher war jetzt siebenundzwanzig und schon fast zehn Jahre von zu Hause weg, mit Unterbrechungen natürlich. Eigentlich hätte sie Köchin werden sollen und ging in eine Fachschule. Ihr Vater war Bierfahrer und zwei Mal die Woche besoffen, dann randalierte er entweder im Wirtshaus oder auch daheim, und manchmal mußte die Polizei kommen. Wenn er friedlich war, erzählte er Geschichten von der Deutschen Wehrmacht und wie er Unteroffizier wurde und das Eiserne Kreuz bekam. Helene kannte die Geschichten von klein auf und jedes Jahr wurden sie wilder. Ihre Mutter stammte aus Österreich; sie war eine resolute Frau und keifte den ganzen Tag oder tratschte mit den Nachbarn. Zwei ältere Brüder waren da, die schon zur Arbeit gingen als Lehrlinge in einer Holzfabrik. Sie trugen Lederjacken und kümmerten sich wenig um zu Hause, manchmal blieben sie tagelang weg. Helene wäre sicherlich eine gute Köchin geworden, aber einen Tages lernte sie Harry kennen, einen Besatzungsami, der fuhr einen Buick und hatte die Arme tätowiert. Als die Mutter von Nachbarn von dem Ami erfuhr, gab es einen Riesenwirbel. Der alte Wannemacher verdrosch seine mißratene Tochter nach bester Bierfahrerart und fluchte auf die Scheißamerikaner, daß man es im ganzen Hause hörte. Abends im Wirtshaus erzählte Wannemacher jedem, daß die Amis ein Scheißvolk wären und schuld daran, daß die Deutschen den Krieg verloren hätten. Und er ging früher als sonst heim, um seine Tochter nochmals zu verdreschen, aber das ging nicht mehr, sie war nicht mehr da. Sie war ausgerissen und schon auf dem Wege nach Frankfurt, es hatte sich so ergeben, daß ihr Harry gerade nach Frankfurt versetzt worden war, und eine Weile war sie unauffindbar. Weil sie noch nicht achtzehn war, gab es dann eine Menge Schwierigkeiten mit den Behörden, und auch der tätowierte Harry hatte ziemlich trouble mit der Militärpolizei.

Als Helene dann achtzehn war und ihren Reisepaß bekam, gab es wieder Schwierigkeiten wegen des Heiratens. Zuerst mit den amerikanischen Militärbehörden, die damals noch gegen Massenfraternisierung waren und nicht wollten, daß ihre braven Soldaten reihenweise die deutschen Nazimädchen heirateten. Eine Menge Formulare und Bestätigungen waren nötig. Helene, die damals schon Helen hieß, bestand tapfer unzählige Gesundheitstests und Intelligenztests. Sogar die amerikanische Verfassung mußte sie auswendig lernen. Als sie die Präsidenten der USA wie am Schnürchen hersagen konnte und auch wußte, von wann bis wann jeder im Amt war und welche hervorragenden Leistungen er vollbracht hatte, als sie das alles viel besser wußte als ihr Harry, gerade da wurde Harrys Einheit nach Japan verlegt. Helen blieb zurück mit dem Buick, der erst halb bezahlt war und mit Harrys Versprechen, er würde bald auf Urlaub kommen und sie dann heiraten. Helen wartete und verkaufte in einem Besatzungsladen Coca Cola und Eiscreme. Die ersten Monate erhielt sie aus Japan ein paar 20 Dollarschecks und Ansichtskarten, dann nur mehr Ansichtskarten und schließlich gar nichts mehr.

Dann kam Bill Halley, der war Sergeant bei der Militärpolizei und verschaffte Helen einen Posten am switch-board, in der Telefonzentrale bei den Amis. Helen stöpselte und trennte Leitungen acht Stunden am Tag, und die übrige Zeit verbrachte sie mit Bill, wenn er nicht gerade im Dienst war.

Helen konnte großartig Rollschuhlaufen, sie war bayrische Jugendmeisterin gewesen. Im Sport Center bei den Amis gab es Gelegenheit genug. Dort traf sie auch Mister Laremy, ein big shot in der Ami-Truppenbetreuung, und der bot ihr einen Job in seinem Team an, einen richtigen Vertrag, und Helen mußte nur mit der Crew herumfahren, überall hin, wo amerikanische Soldaten waren, die betreut werden mußten. In der Truppe gab es girl-singers, eine Musikband, einen Zauberer, eine Tanzgruppe, einen Seiltänzer, und Mr. Laremy war nicht nur der Manager, auch Conferencier. Das war gerade zur Zeit, als Bill Halley immer mehr Bier trank und Helen ärger verdrosch als der alte Wannemacher. So zögerte Helen keine Sekunde und ging mit der Truppe auf Tournee und rollschuhte vor begeisterten GI’s, die wie irrsinnig pfiffen und johlten, wenn sie mit ihrer Nummer fertig war. Damals war Helen schon zwanzig.

Mit dem Zauberer ging es dann ganz schief. Er hieß Antonakis, war griechischer Abstammung und konnte Feuer schlucken, Messer werfen und weiße Tauben aus seinem Hut erscheinen und auch wieder verschwinden lassen.

Mit dem Manager Mr. Laremy war er ständig auf Kriegspfad, der Streit ging immer um Geld, um die Gage. Es war in Athen, als die 6. US-Flotte nach einem Nato-Manöver in Piräus vor Anker lag und die Truppenbetreuung auf Hochtouren lief, drei Vorstellungen am Tag, und Helen hatte Blasen an den Fersen vom vielen Rollschuhlaufen. In seiner Heimat fühlte sich Antonakis im Platzvorteil, der Streit war kurz, aber heftig, und die Truppe teilte sich. Mit einer Sängerin, zwei Tänzerinnen, dem Trompeter und Saxophonisten desertierte Antonakis von der Truppe. Er lockte mit einem Privatvertrag in einem Night Club in Beirut, und im letzten Moment desertierte auch Helen, nicht nur wegen der Blasen an den Fersen, nicht nur, weil sie mit Antonakis gelegentlich geschlafen hatte, auch nicht wegen der geringen Bezahlung bei Laremy, sondern einfach, weil sie all die Amis satt hatte, die immer dasselbe redeten, meist tätowiert waren wie ihr Harry und nach dem Ficken jedesmal wissen wollten, ob sie gut waren. Und jeder glaubte, er wäre der Beste. Helen hatte die Amis satt wie jemand, der täglich Kaviar essen muß.

In Beirut im »Chimo Club« wurde es bald klar, daß Helen nicht wegen der Rollschuhe engagiert worden war. Der Direktor, Monsieur Hamsin, brachte Helen die Hausordnung bei. Zehn Prozent der Konsumation, zwanzig US-Dollar für jede halbe Stunde mit einem Gast im Separé. Helen brauchte nicht zu kassieren, sondern nur auf die Rechnung und auf die Uhr zu schauen. Kassieren tat Antonakis; er gab ihr fünfzig Prozent und fluchte jedesmal dabei, als ob er dem Finanzamt Steuern zahlen müßte. Die Rollschuhe konnte Helen verkaufen, und das tat sie auch.

Helen war dreiundzwanzig, als sie die große Liebe ihres Lebens traf, Mehmet Nashashivi. Er war Palästinenser, sein Bruder war in Kuweit ein hohes Tier in einem Ministerium, und der Teufel wußte, woher die Nashashivis ihr vieles Geld her hatten. Mehmet war einfach großartig, er hatte feuchtschimmernde melancholische Augen und einen hinreißenden Schnurrbart, blickte meist müde oder traurig, besonders dann, wenn von Menschen die Rede war, die arbeiten mußten. Er hatte in Paris studiert; Helen konnte nie herausfinden, was eigentlich, immerhin sprach er perfekt Französisch und auch Englisch; der amerikanische Slang, den Helen sprach, irritierte ihn manchmal. Er war ein echter Gentleman, der es nicht duldete, daß sein blondes Kätzchen Helen in einem Club arbeiten sollte. Er brachte sie in seine Villa in den Osten Beiruts, mit Swimmingpool und Garten und lächelte nachsichtig, als Helen meinte, sie wäre im Himmel.

Eines Tages kam er mit einem Flugticket nach München, einer Retourkarte, eröffnete, er müßte auf Geschäftsreise gehen und könne seinen Augenstern leider, leider nicht mitnehmen, sie möge inzwischen ihre Familie besuchen und nach vier Wochen wiederkommen. Er gab ihr auch Geld, genug für vier Wochen. Der Gedanke an die Wannemachers in München erheiterte Helen zwar nicht, aber sie tat wie geraten und absolvierte brav ihren Familienbesuch.

Daheim gab Helen an wie zehn Affen, schmiß mit dem Geld um sich und erzählte jedem, sie wäre mit einem Ölscheich verheiratet. Mit einem stämmigen Schankburschen vom Blau-Weiß-Bräu, einem Fußballer, verbrachte sie zwei oder drei Liebesnächte und kaufte ihm mit dem vorletzten Geld eine Armbanduhr. Ziemlich abgebrannt kam sie nach Beirut zurück und hoffte, daß ihr Mehmet oder sonst jemand in der Villa sein würde, der das Taxi vom Flughafen bezahlte. Es war aber nur die Polizei in der Villa, die gleich eine Menge Fragen an sie hatte, die sie alle, ehrlich, nicht beantworten konnte. Sie bekam ein paar Ohrfeigen von den Polizisten, und man sperrte sie ein.

Eine Woche war sie im Arrest in Beirut, sie erhielt noch eine Menge Ohrfeigen, auch von den Gefängniswärterinnen. Schließlich brachte man sie zum Flughafen; dort war ein Herr der Botschaft, der sie zwar nicht ohrfeigte, aber behandelte wie ein Stück Scheiße.

Von diesem Menschen erfuhr Helene Wannemacher, daß ihr Mehmet Nashashivi ein Waffenhändler war, der seine Ware offensichtlich den falschen Kunden verkauft hatte und nun von der libanesischen Polizei verzweifelt gesucht wurde. Sie erhielt ein Flugticket nach München und unterschrieb einen Schuldschein, schließlich war sie immer noch deutsche Staatsbürgerin. Bei der Zwischenlandung in Athen aber verließ Helen den Flugplatz, verkaufte ihr Ticket einem Reisebüro der Lufthansa, schließlich war es ja bezahlt. Der Gedanke, nun wieder zu den Wannemachers nach München zu gehen, womöglich zu dem Fußballer mit der neuen Armbanduhr, war für Helen einfach unerträglich.

In Athen hatte sie es wirklich nicht leicht. Antonakis war zwar noch da und half ihr auch. Er vermittelte ihr einen Job als Serviererin in einer Bar im Hafen. Diesmal kassierte er siebzig Prozent, für die Aufenthaltsbewilligung, erklärte er.

Wie das Leben so spielt, plötzlich kooperierte Helen mit der Polizei, und das war wirklich verwunderlich. Einer der Stammgäste in der Bar war ein Inspektor der Geheimpolizei. Er war ein wenig beleibt und rauchte Zigarren, und zuerst hatte Helen richtige Scheu vor ihm. Als er mit ihr schlafen wollte, getraute sie sich nicht nein zu sagen, sie wollte keinen Ärger mit der Polizei. Nach und nach erfuhr Inspektor Dimitriades von der Sache mit der Aufenthaltsbewilligung und den siebzig Prozent des Freundes Antonakis, die Geschichte amüsierte ihn so sehr, daß seine Zigarre beim Zuhören ausging, und dann versprach er Abhilfe. Helen bekam eine richtige Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsbewilligung, die zwanzig Drachmen Stempelgebühr hatte der Inspektor ausgelegt, Antonakis erhielt ein blaues Auge vom Inspektor, als er wieder kassieren wollte, und das Leben war plötzlich einfacher für Helene Wannemacher. Inspektor Dimitriades kam nur ein oder zwei Mal in der Woche in die Bar, meist kurz vor Sperrstunde, schließlich war er verheiratet und hatte vier Kinder. Eines Tages verschaffte er ihr einen anderen Platz, einen besseren, ein kleines Lokal nur, aber Helen konnte es pachten, sie war dort Chefin, und Dimitriades bezahlte vorerst die Miete und was sonst nötig war. Er verlangte fünfzig Prozent vom Reingewinn, Helen fand das fair, und irgendwie war es das auch. Alle Behördenrennereien erledigte der Inspektor. Das kleine Lokal nannten sie »Helens Bar«; für die Konzession sorgte auch Dimitriades, und abgerechnet wurde einmal im Monat.

So war Helen ihr eigener Chef, vom stillen Teilhaber abgesehen. Sie war zufrieden und arbeitete hart und sparte auch. Alles, was sie wollte war, so viel Geld zusammenzukriegen, um einmal in München eine Bar eröffnen zu können. »Helens Bar« in Schwabing, oder irgendwo, das war es, wovon sie träumte. Schließlich haben alle Menschen ihre kleinen Träume, und Helen war jetzt siebenundzwanzig, man mußte an die Zukunft denken.

Die Sprechpuppe

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