Читать книгу Die Schatten von Mernor - Leonard N. Meyer - Страница 11

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4 Der Steinerne Krug

Im Versteck der Bande begann es langsam voll zu werden. Jay hatte am äußeren Kopfende eines Tisches zwischen den anderen Straßenkindern Platz genommen. Neben ihm saß das Tiranenmädchen Pia, das zusammen mit Bojo über mehrere Entführungen in allen Vierteln der Stadt berichtete. Jay lauschte den Erzählungen über die verlorenen Töchter und Söhne und wollte doch nicht wahrhaben, was ihm da erzählt wurde. Auffällig war, dass es ausschließlich Menschenkinder waren, die mitten in der Nacht immer auf die gleiche Weise entführt wurden. Von Tiranenkindern wurde nichts berichtet. Pia hatte die Finger in die Tischkante gekrallt und erzählte aufgeregt weiter.

»Die Stadtwache hat anscheinend auch keinen Schimmer, was es damit auf sich hat. Wie es in der Burg aussieht, wissen wir nicht. Mick und Ujo sind da oben noch unterwegs, die könnten was mitbekommen.«

Bojo wandte sich an Jay.

»Weißt du vielleicht was über die Entführten?«

Der Angesprochene schüttelte stumm und mit großen Augen den Kopf.

»Sagtest du nicht, dein Bruder wurde auch entführt?«

»Ja schon, aber …«

Freddy klinkte sich wie gewohnt ungebremst in die Unterhaltung ein.

»Dann erzähl doch noch mal genau, was passiert ist.«

Jay erzählte den Hergang der Entführung, wie er nachts die Einbrecher entdeckt hatte, wie sie durch das Fenster eingestiegen und mit seinem Bruder wieder entkommen waren.

Tilia, die die ganze Zeit unbeteiligt im Türrahmen zum Schlafbereich gelehnt hatte, kam nun herüber.

»Ein Gift, das einen Erwachsenen in ein paar Sekunden umhaut. So was hab ich noch nie gehört.«

Pia nickte, untermauerte Jays Erzählungen aber.

»Es passt ziemlich zu dem, was Bo und ich mitgekriegt haben.«

Jay hingegen kam das alles völlig verrückt vor. In was für kranke Machenschaften war Olja da nur hineingeraten?

»Es geht aber noch weiter«, fuhr Bojo fort und riss Jay aus seinen Gedanken. Der Straßenjunge hob den Finger und zeigte auf ihn.

»Jemand sucht nach dir.«

Irritiert entgegnete Jay: »Wie, jemand sucht nach mir?«

»Pia und ich waren am großen Marktplatz unterwegs. Eigentlich hatten wir gar nichts Großes mehr vor und wollten gleich zurück ins Viertel und euch berichten, was wir herausgefunden hatten. Da kam ein Tiran auf uns zu, recht groß und stämmig. Er fragte, ob wir zufällig einen bestimmten Jungen gesehen hätten.«

Bojo neigte den Kopf leicht zur Seite und untersuchte Jays Erscheinung. »Und seine Beschreibung passte ziemlich genau auf dich.«

»Was für ein Tiran?«

»Genau das ist es ja. Er sagte, er wäre ein Botschafter. Und er trug auch einen ihrer Ringe, soweit wir das richtig gesehen haben.«

Hätte er aufgrund des ungläubigen Tonfalls von Bojo wohl erstaunt darüber sein sollen, konnte er doch nur wenig damit anfangen.

»Ist … das was Besonderes?«

Ein Raunen zog durch den Raum. Tilia sprach aus, was alle dachten.

»Also, nur um das klarzustellen: Du kommst aus dem Haus eines Stadthalters, bist demnach wohl auch zur Schule gegangen und weißt nicht, wer die Botschafter sind?«

Der Sohn des besagten Stadthalters druckste herum.

»Doch, schon. Pa empfing immer mal wieder welche. Boten eben, oder nicht?«

Manch einer schüttelte nur mitleidig den Kopf. Freddy war es, der ihn schließlich aufklärte.

»Die Botschafter sind die Herren von Straßen und Wegen außerhalb jeder Stadt. Sie sind direkt dem Hohen Rat des Landes unterstellt und erledigen nur Aufträge von höchstem Rang. Die Botschafter haben keinen festen Sitz wie hier in der Stadt, sie reisen quer durch das ganze Land und sorgen auf diese Weise überall für Recht und Ordnung.«

Das hatte Jay tatsächlich nicht gewusst.

»Für Kinder von der Straße wisst ihr erstaunlich gut Bescheid«, bemerkte er anerkennend.

Freddy setzte sein Verschwörerlächeln auf.

»Müssen wir, immerhin leben wir ja auch nicht so ganz gesetzestreu. Da sollte man wissen, vor wem man sich in Acht nehmen muss.«

Jay kam seine Nacht in der Arrestzelle von Talis in den Sinn. Wenn er sich richtig erinnerte, war dort doch auch ein …

»Und dieser Botschafter sucht mich?«

Bojo nahm das Gespräch wieder auf.

»Wie gesagt, er fragte ziemlich eindeutig nach dir. Wir sagten, jemanden mit der Beschreibung würden wir nicht kennen. Doch bevor wir uns verdrücken konnten, gab er uns noch etwas mit. Eine Nachricht, falls wir dir eventuell begegnen sollten.«

Jays Ohren klebten förmlich an Bojos Lippen.

»Nun sag schon.«

»Er meinte, er würde heute im Gasthaus Zum Steinernen Krug übernachten. Das ist die Taverne direkt am großen Marktplatz. Wir sollten dir sagen, dass er dort den Abend verbringt und dich bitten würde, ihm einen Besuch abzustatten. Du bräuchtest dir keine Sorgen zu machen, er wollte ausschließlich mit dir über deinen Bruder reden. Das war alles.«

Diese Nachricht musste Jay erst einmal verdauen.

So war es zunächst Tilia, die das Wort ergriff.

»Für mich klingt das wenig verlockend. Im Handumdrehen bist du geschnappt, davon geh mal aus.«

Freddy wiegte den Kopf hin und her.

»Ich weiß nicht, Tili. Warum erwähnt er dann seinen Bruder, also eines der entführten Kinder, so eindeutig? Und er ist ein Botschafter, kein Soldat der Stadtwache.«

»Aber er weiß, dass Jay hier in Tenkun ist.«

Jay, der begonnen hatte, die Tischplatte zu hypnotisieren, blickte nun auf.

»Vielleicht kenne ich ihn sogar schon.«

»Was?«, sagten Tilia und Freddy wie aus einem Munde.

»Na ja, nicht persönlich, aber gestern Nacht in Talis habe ich einen Tiranen gesehen, der sich als Botschafter vorgestellt hat. Und er hat sich mit dem Wachmann darüber unterhalten, dass ich nach Tenkun zum Gericht gebracht werden sollte.«

Bojo kratzte sich am Hinterkopf.

»Hatte er kurzes dunkelbraunes, fast stacheliges Haar?« Er untermalte seine Beschreibung, indem er sich durch seine eigenen kurzen Haare von unten nach schräg oben fuhr.

»Könnte hinkommen.« Jay presste die Lippen zusammen und tippte aufgeregt mit der Hand auf dem Tisch herum.

»Vielleicht sollte ich hingehen.«

Auch Tilia schien angestrengt nachzudenken. Den Blick starr nach vorne gerichtet knetete sie ihre Unterlippe zwischen ihren Fingern. Schließlich schien sie einen inneren Entschluss gefasst zu haben.

»Na gut, wir werden aus der Ferne ein Auge auf das Gasthaus haben.«

Naragh saß am Tresen des Steinernen Krugs und blickte gedankenverloren auf das Sortiment aus unterschiedlichen Bechern, Humpen und Kristallgläsern, das sich hinter dem Wirt im Regal auftürmte. In seinen Händen hielt er einen Krug Zider. Waldbeere – die beste Medizin nach Feierabend. Immer wieder stellte er sich die Frage, ob seine Nachricht den Jungen wohl erreichen und vor allem, ob er in diesem Fall auch hier erscheinen würde. Einige Kinder auf der Straße nach ihm auszufragen, hatte Naragh als gute Idee empfunden. Viele Straßenkinder kannten sich untereinander und waren häufig aufmerksamer als die Erwachsenen, die draußen umherliefen und nur ihren eigenen Plänen zielstrebig nachgingen, ohne nach links und rechts zu schauen. Doch vielleicht hatte er in diesem Fall seine Erfolgschancen überschätzt.

Außer ihm waren nur einige andere Bewohner der Stadt im Gastraum und begingen friedlich den Ausklang des Tages. An einer Tischgruppe weiter weg vernahm er eine aufgeregte Debatte über die Entführung der Tochter einer Nachbarin und die Folgen für die eigenen Familien. Worte wie »Einsperren« oder »Vergeltung« drangen an sein Ohr.

An einem anderen Tisch blaffte mit einem Mal ein Mann eine Tiranenfrau an.

»Was kannst du schon dazu sagen? Euch verschonen die Kupas schließlich!« Die Frau hob beschwichtigend die Hände, doch Naragh verstand nicht, was sie antwortete.

Stattdessen hörte er an anderer Stelle: »Wohin soll das führen, wenn nicht einmal die Stadtwache in der Lage ist, die Ordnung aufrechtzuerhalten?«

»Wohin soll das führen?«, hallte es in Naraghs Kopf nach. Er lächelte freudlos in sich hinein. Wenn der Kerl dort hinten nur wüsste, wie sehr er ihm gerade aus der Seele sprach.

Diverse Male blickte er zur Eingangstür hinüber, doch nur der eine oder andere Gast verließ das Haus, niemand trat ein. Er hatte sich bereits mit dem Gedanken angefreundet, unverrichteter Dinge in sein Zimmer gehen zu müssen, als die Tür doch noch von außen geöffnet wurde und eine kurze Gestalt eintrat. Das war er, eindeutig. Der Junge blickte sich zögerlich im dämmrigen Licht des Raumes um. Naragh winkte ihn herüber. Noch immer zurückhaltend trat Jay langsam näher. Die nachvollziehbare Skepsis entging dem Tiranen nicht, doch er wollte versuchen, seinem Besucher nicht das Gefühl zu geben, in Schwierigkeiten zu stecken.

»So sehen wir uns wieder, was?«, begann er mit leicht belustigtem Unterton und wies auf den Platz neben sich.

»Nimm nur Platz. Willst du was trinken?«

Nicken.

»Herr Wirt! Bitte was Passendes für den jungen Mann hier.«

Die Hände fest an den gereichten Krug Malzbier gepresst begann Jay: »Ihr habt mich gesucht?«

»Habe ich. Jay, richtig?«

»Jeradija. Aber alle rufen mich Jay.«

»Mein Name ist Naragh. Ich bin Botschafter des Reiches.«

Jay nickte. Immernoch etwas zögernd fragte er: »Ihr wollt mich nicht wieder gefangen nehmen, oder?«

Naragh schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein, nein, nichts dergleichen.« In Gedanken fügte er trocken hinzu: »Bei dem Vater wäre ich auch abgehauen…«

»Ich würde mich nur gerne mit dir über die Vorkommnisse der letzten Tage unterhalten.«

Mit etwas weniger Zurückhaltung, stattdessen einem Hauch von Neugier blickte ihm der Junge in die Augen, sagte aber nichts. Somit fuhr Naragh fort: »Ich war heute unter anderem bei deinem Vater, Jay, und habe dort etwas erfahren, das bei mir einige Fragen aufwarf. Also … Vielleicht hast du ja Lust, mir deine Geschichte zu erzählen?«

Auf der anderen Seite des großen Marktplatzes, versteckt im Dunkeln einer kleinen Nebengasse hinter zwei Kisten, beobachteten Tilia und Bojo den Eingang des Steinernen Krugs. Vereinzelt gingen oder torkelten Bewohner über das aufwendige Mosaikpflaster des Platzes, welches an vier Tagen im Monat über und über mit Marktständen und Besuchern gefüllt war. Eine ganze Weile behielten sie stumm die Taverne im Auge, doch die Tür blieb geschlossen, nachdem Jay das Haus betreten hatte.

»Glaubst du, das war eine kluge Idee?«, fragte Bojo schließlich.

Tilia hielt ihre Augen auf das Gasthaus gerichtet.

»Und wenn schon. Dann wird er eben wieder nach Hause geschleppt. Was soll’s?«

»Ach, tu nicht so. Du hoffst auch, dass er alleine und freiwillig wieder herauskommt.«

Das Mädchen knuffte ihre Faust in den Arm ihres Kumpanen.

»Ruhe jetzt.« Nachdenklich fügte sie in Richtung Taverne hinzu: »Möchte wissen, was die da drin besprechen.«

Langsam wurden der Botschafter und sein spätabendlicher Besucher warm miteinander. Jay erzählte immer ausführlicher, was er in den letzten Tagen bis zu seinem Transport nach Tenkun erlebt hatte. Eine Geschichte, wie er sie präsentierte, hörte Naragh wirklich nicht alle Tage, doch nichts daran schien geflunkert zu sein.

»Und als die Wachen dich ins Gericht bringen wollten, wurdest du befreit, hm?«, fragte er abschließend, nachdem Jay von seinem ersten und dazu noch unfreiwilligen Besuch in einer so überwältigend großen Stadt erzählt hatte.

Seine Antwort auf Naraghs Frage schien er nun jedoch genauer zu überdenken. Wohlwollend kam der Tiran ihm entgegen.

»Keine Sorge, Jay. Du brauchst hier niemanden zu verpfeifen.«

Das beruhigte den Jungen. Leider musste Naragh sich eingestehen, dass die Geschichte zwar interessant und auch bedauerlich war, sie ihn aber im Grunde nicht wirklich weiterbrachte. Jay starrte auf seinen Becher Malzbier.

»Wisst Ihr etwas über meinen Bruder?«, fragte er mit matter Stimme. Er hatte bemerkt, dass der Botschafter sich mehr von ihrer Unterredung erhofft hatte.

»Wenig, Jay«, entgegnete dieser mitfühlend. »Und wenn ich zusammennehme, was in den letzten Tagen passiert ist, sogar viel zu wenig.«

Er rückte sich auf seinem Barhocker zurecht.

»Diese ganze Sache wird immer undurchsichtiger. Sowohl hier als auch in Ilmerun haben sich in den letzten Tagen Entführungen noch nie dagewesener Größe angehäuft. Und ich habe das ungute Gefühl, dass ich auch andernorts Ähnliches hören werde, wenn ich mich morgen wieder auf die Reise mache.«

Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm.

»Aber lassen wir das. Was deine Frage angeht, so muss ich dich also leider enttäuschen.«

Eine Weile noch saßen sie mehr oder weniger schweigend da, bis ihrer beider Krüge geleert waren.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Naragh mit festem Blick, während er bereits in Richtung Ausgang schaute. »Wir werden deinen Bruder und alle anderen wieder nach Hause bringen.«

Damit verabschiedeten die beiden sich, und Jay ging aus dem Gasthaus heraus in den spät gewordenen Abend. Geknickter Stimmung, wie Naragh dachte, als er ihm vom Tresen aus hinterherblickte. Das war durchaus verständlich. Was er über sein Leben in Ilmerun erzählt hatte, beschäftigte den Botschafter noch eine Weile. Er fragte sich, ob er einen Fehler gemacht hatte, den Jungen wieder gehen zu lassen. Nicht, dass er in akuter Gefahr gewesen wäre, zumindest nicht mehr als alle anderen Menschenkinder. Trotzdem gehörte Jay mit seinen dreizehn Jahren in elterliche Verantwortung. Es war keine Seltenheit, dass Eltern – besonders von hohem Stand – ihre Kinder zu Gehorsam drillen wollten, im Zweifelsfall auch mit sicher fragwürdigen Methoden. Doch wenn Naragh es richtig verstanden hatte, war es zumindest aus Sicht des Jungen weniger die Erziehung, sondern eher ein gleichzeitig ausgeprägtes Desinteresse an dem jüngeren Sohn, welches das Verhältnis über die Jahre immer weiter unterkühlt hatte. Aber wer war er, darüber zu urteilen. »Ich habe ihm gesagt, er ist frei zu gehen«, beschied er letztlich. Und an dieses Wort wollte er sich halten. Zudem gab es leider eine andere Geschichte, die es wesentlich dringender zu klären galt.

Zusammen mit Jay traten Tilia und Bojo durch den Eingang des Streunerverstecks. Den Sack über dem Kopf hatten sie dankenswerterweise nicht mehr für nötig erachtet.

Freddy rotierte auffordernd mit der Hand. »Und?«

Tilia schüttelte nur den Kopf.

Sie nahmen Platz, und Jay erzählte knapp von dem Treffen mit dem Botschafter und dem zwar auf gewisse Weise netten, aber nicht weiterführenden Gespräch.

Freddy zuckte mit den Schultern.

»Na gut. Aber wenigstens war es keine Falle, das ist doch auch was.«

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da wurde die Tür aufgestoßen und zwei Kinder traten aufgeregt ein.

Tilia blickte die Neuankömmlinge erstaunt an.

»Leute, wo wart ihr denn so lange?«

Der Tiranenjunge wandte sich aufgeregt an die Gruppe.

»Hallo zusammen, ihr glaubt nicht … Oh, du bist wohl der Neue, was?«

Damit blickte er zu Jay, der zustimmend nickte.

»Ich bin Mick, und das da ist Ujo.«

Ujo, der Menschenjunge neben ihm, nickte ebenfalls und winkte stumm.

»Ich bin Jay.«

Freddy ging fahrig dazwischen.

»Jaja, später. Was glauben wir nicht?«

Mick blickte in die Runde.

»Wir haben einen der Stalljungen von der Burg getroffen und er hat uns erzählt, dass vor ein paar Stunden noch Besuch eingetroffen ist. Der Stadthalter von Ilmerun.«

Jays Mund klappte auf.

Wieder wedelte Freddy auffordernd mit einer Hand.

»Ja, und weiter?«

»Offensichtlich war der Stadthalter sehr erbost über den Verlust von … dir.« Damit zeigte er auf Jay.

»Es muss ein wahrer Wutanfall gewesen sein, denn was jetzt kommt, werdet ihr nicht glauben. Ein Wachsoldat aus Talis, ich glaube sogar ein Offizier oder so was, wurde vor den Stadtfürsten und seinen Besucher beordert. Die Einzelheiten kenne ich nicht, aber noch diesen Abend wurde dieser Soldat einfach in den Kerker der Burg geworfen!«

Tilia riss die Augen auf.

»Was, wieso denn das?«

»Die offizielle Version lautet wohl, der Soldat habe den Stadthalter von Ilmerun aus heiterem Himmel angegriffen, und dieser musste sich zur Wehr setzen.«

Alle starrten zu Jay, der stumm und ohne Regung dasaß. Doch Mick war noch nicht ganz fertig.

»Der Fürst hat jetzt eine stadtweite Suchaktion angeordnet, um den Jungen, also dich, zu finden.«

Jay blickte zu Tilia, die den Kopf gesenkt hatte. Freddy schloss die Augen. Etwas vorwurfsvoll meinte Bojo schließlich: »Das klingt nicht, als wärst du deinem Vater egal.«

Das war natürlich richtig, wusste auch Jay, und es verwirrte ihn über alle Maßen. Die Anführerin der Bande ging zu ihm und sah ihn ernst an. »Tut mir leid, Jay, aber das ändert alles.«

Dieser schaute sich fragend und mit wachsender Angst um.

»Was meinst du?«

»Sie meint, du musst von hier verschwinden«, kam es von Bojo, nicht feindselig, aber klarstellend.

Und Tilia selbst fügte hinzu: »Eigentlich sofort.«

Jays Lippen begannen zu beben.

»Sofort? Mitten in der Nacht?«

»Du kannst nicht hierbleiben. Jay, es tut mir wirklich leid, doch ich muss in erster Linie an die Sicherheit unserer Gruppe denken. Wir müssen es unter allen Umständen vermeiden, zur Zielscheibe zu werden. Ich bitte dich spätestens morgen früh mit dem Sonnenaufgang unser Versteck zu verlassen. Und am besten für dich wäre es wohl auch, wenn du Tenkun ganz hinter dir lässt.«

Für einen Moment wirkte Tilia abwesend, bevor sie fortfuhr: »Vermutlich kann das niemand besser beurteilen als du selbst, aber vielleicht lässt du dir noch einmal durch den Kopf gehen, was dich dazu bewogen hat, von zu Hause wegzulaufen. Ob es nicht doch etwas übertrieben war.«

Jay stieg ein Kloß in den Hals. Er hatte das Gefühl, jemand hätte unter ihm ein bodenloses Loch geöffnet.

Die Schatten von Mernor

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