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12. Juli 1995

Jugoslawien

Ayyub Zlatar

Sein Urgroßvater war Goldschmied gewesen. Sein Großvater war Goldschmied gewesen. Sein Vater war Goldschmied gewesen. Und er wollte ebenfalls Goldschmied werden. Stattdessen hatte er von Vater eine Ohrfeige bekommen und musste den seit Jahren an der rauchgeschwärzten Hausmauer vor sich hin rostenden Škoda, mit dem sie früher nach Jesolo in den Urlaub gefahren waren, mit dem rötlichen Wasser aus dem Brunnen waschen, weil er den Müll auf den Wagen und nicht daneben geworfen hatte. Neben das Brennholz. Danach kippte er das Wasser in die stinkende Kanalisation.

Mit seiner älteren Schwester Camila musste er Löwenzahn, Brennnessel und wilden Spinat suchen, den ihre Mutter zu einer Suppe verkochte, die in der Nacht in den Mägen und Gedärmen donnerte. Die beiden durften nicht weiter als bis zu den Hügeln, auf denen verdorrte Sonnenblumen die Köpfe hängen ließen. Weiter oben war der Kopf ihres Schulfreundes Sulejman explodiert wie eine Melone. Vater und Großvater schwärmten in die umliegenden Dörfer aus, um bei anderen Familien Essen zu ergattern, das Wort betteln nahmen sie nicht in den Mund. Die Wölfe und Bären waren verschwunden, dafür war Ayyubs Onkel Mirsad zurückgekehrt, durch einen Fluss voller Leichen. Die Einzigen, die sich weit über die Stadtgrenzen hinausgetraut hätten, wären die Ratten gewesen, doch die blieben gerne.

Ayyub wollte endlich wieder mit seinem bestem Freund Ratko auf der Straße bolzen. Mit ihm die Wälder erkunden, Lager mit steinumrandeten Feuerstellen bauen, Dämme errichten oder die Schafe ihrer Nachbarn hüten. Schließlich hatten sie Blutsbrüderschaft geschlossen, mit dem Messer, das Ayyubs Großvater ihm geschenkt hatte. Ayyub dachte täglich an Ratko, weil er Angst hatte, ihn zu vergessen. Wenn er den Rauch von verbranntem Holz roch, strich er über die verhärtete Narbe an seiner Hand.

Auch jetzt dachte der siebenjährige Ayyub wieder an Ratko, weil kleine Feuer auf dem Gelände der alten Fabrik loderten und Ratkos Onkel sie mit einem Gewehr aus dem Haus vertrieben hatte. Sie hatten Kleider, Brot, Decken gepackt, und sich den anderen Familien angeschlossen. Nur Großvater war zurückgeblieben. Er hatte Ayyub über den Kopf gestreichelt und zu Vater gesagt: Keine Sorge, wir waren doch so lange Nachbarn.

Sie reihten sich ein in den Zug aus Menschen, neben einer mageren Kuh und den Frauen in ihren Dimijes, den Pluderhosen, mit ihren schreienden Kindern auf dem Arm. Ein fremder Großvater fluchte in seinem dreckverkrusteten weißen Hemd auf die Soldaten aus Holland. Der Schweiß rann unter seiner blauen Kappe über sein Gesicht. Sogar die Luft zitterte in der Hitze.

Jetzt stand der Mond über der verfallenen Autobatteriefabrik. Ayyub schwitzte noch immer und hielt sich die Nase zu, weil alle in die Ecken machten. Trotzdem knurrte sein Magen, und sein Mund war ausgetrocknet. Weshalb er auch hoffnungsvoll zu Mutter hinübersah, als sie das Küchenmesser auspackte. Aber anstatt Brot zu schneiden, fasste sie Camila an den Haaren. Und schnitt Haarsträhne für Haarsträhne ab. Die Haare, die sie täglich gekämmt, gepflegt, die sie so geliebt hatte. Camila zuckte bei jedem Schnitt zusammen, begann zu weinen. Warum schneidest du Camila die Haare ab, obwohl sie weint?, wollte Ayyub Mutter fragen, fragte aber lieber nicht, nicht, dass sie noch wütender wurde. Anstatt Camila zu trösten, schlich Mutter zum Feuer. Sie bückte sich, griff nach der erkalteten Kohle, verbranntem Holz, das nicht mehr glühte. Mit der Kohle rieb sie Camilas Gesicht ein. Ließ sich auch nicht von den Tränen abhalten, die noch immer über das rußgeschwärzte Gesicht rollten und graue Streifen hinterließen. Normalerweise nahm Mutter Camila in den Arm, wenn sie weinte. Heute wanderten ihre Augen durch die mit Menschen vollgestopfte Halle, in der zwei junge Frauen beteten. Ayyub wollte Mutter gerade fragen, warum die serbischen Soldaten ihnen die Beine auseinanderrissen und sich auf sie legten. Aber da stand sie auf, zog Camila in eine dunkle Ecke und wechselte ihre Jeans gegen eine Pluderhose. Ayyub wollte Vater fragen, warum der fremde Großvater mit einem Stein auf seinen eigenen Kopf einschlug, bis ihm das Blut über das Gesicht lief. Doch da zog ihn Vater mit sich. Mit der anderen Hand hielt sich Ayyub die Ohren zu, weil es ständig krachte, Männer, Frauen und Kinder wimmerten und weinten. Ayyub spürte, wie der Boden bebte, wich einem Jungen aus, dessen schwarze Füße in viel zu großen Schuhen steckten. Vater befahl ihm, er solle sich von Mutter und Camila verabschieden. Vater gab Mutter die Kleider seiner Schwester, Mutter gab ihm ein Bündel Dinar und Ayyubs Ersatzhose. Ayyub verstand nicht, wollte nicht, fing an zu weinen. Er küsste Camila auf die rußige Wange, die bitter schmeckte. Umarmte Mutter, die streifte ihm die viel zu lange grüne Jacke der Schwester über. Zog ein Halstuch aus ihrer Kittelschürze und band es Ayyub hastig um den Kopf. »Nimm es bloß nicht ab«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Dann riss ihn Vater von Mutter fort. Von den Berghängen tönte Hundegebell zu ihnen herunter.

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