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Vielleicht ist diese Reise ein Fehler. Markus Elsner wirft einen Blick aus dem Flugzeugfenster. Die weißen Häuser tief unter ihm haben nur noch die Größe von Schuhkartons. Vereinzelt ragen Palmen in den Himmel – einige so grau wie Staubwedel. Über Tomatenfeldern blähen sich Plastikplanen im Wind. Mattgelber Sand und Felswüste ziehen sich bis zu den Vororten der Hauptstadt.

Gran Canarias Küstenlandschaft ist im Osten karg.

Mit den Augen fährt Elsner die Schnellstraße am Meer entlang, sieht die Zementfabrik, die Entsalzungsanlagen, wirklich trostlos. Dann entdeckt er als dunklen Fleck die Kathedrale Santa Ana in der traumstillen Altstadt von Las Palmas. Er wird sie vermissen, genau wie das lebhafte Treiben im Park von Santa Catalina, wo alte Männer jetzt beim Domino sitzen und junge Mütter beim Schwatz. Wehmut steigt in ihm auf.

Er nimmt sogar Abschied von den rostigen Gerippen russischer Seelenverkäufer im Hafen Puerto de la Luz. Ein quirliges Viertel, das von zwielichtigen Gestalten und heimatlosen Seeleuten aus aller Welt geprägt ist. Gran Canaria ist nicht nur die Idylle, für die einige Touristen die Insel halten.

Rechts von sich entdeckt Elsner am Himmel eine silbern blitzende Maschine im Sinkflug. Wie viele der Touristen, die zum erstenmal hier landen, werden über die Ödnis rund um den Flughafen von Gando erschrecken? Wie viele der Urlaubshungrigen werden sofort an die Strände des Südens flüchten und nach zwei Wochen in ihre Heimat zurückkehren, ohne etwas von der herben Schönheit der Insel entdeckt zu haben? Seiner Insel, seiner Heimat seit vier Jahren.

Markus fragt sich, ob diese Reise nach Deutschland keine Dummheit ist. Nirgendwo auf der Welt – und er kennt die Welt – hat er die Ruhe erlebt, die er auf Gran Canaria gefunden hat, dem Miniaturkontinent, wie Domingo Cardenes schrieb. Auf Gran Canaria finden sich Landschaften und Wetterzonen für jeden Geschmack, von der Wüste im Süden bis zu voralpinen Berglandschaften im Inselinneren und lieblichen Tälern im Norden.

Elsner liebt vor allem die grandiosen Barrancos, die tiefeingeschnittenen Schluchten, die von der bergigen Mitte der Insel zum Meer abfallen.

Ihn faszinieren die vulkanischen Höhlen und die Felsgewitter im Inneren, die stillen Kiefernwälder und nebelverhüllten Gipfel. Er entdeckt sie beim Blumenpflükken – wie er seine Arbeit ironisch umschreibt – jeden Tag neu.

Markus Elsner ist Pharmakologe. Phytochemie ist sein Spezialgebiet. Er untersucht seltene und neuentdeckte Pflanzen, um sie medizinisch nutzbar zu machen. Auf Gran Canaria gibt es noch Exemplare, die nur hier vorkommen. Ihre Blätter, Blüten und Säfte enthalten hochwirksame Substanzen. Für Elsner ist deren Erforschung eines der letzten Abenteuer der Menschheit.

Jede Entdeckung beglückt ihn wie einen kleinen Jungen, der mit seinem Mikroskop einen Tropfen Pfützenwasser untersucht und feststellt, daß dieser Tropfen alle Geheimnisse des Lebens in sich birgt.

Elsner seufzt lautlos. Warum also wegreisen und den Seelenfrieden gefährden, wenn man in seinem vierzigsten Lebensjahr da angekommen ist, wo man hingehört? Braucht die Welt seine Entdeckungen wirklich? Besser, braucht er die Welt? Braucht er das ganz große Geld, um seine Forschungsarbeiten professionell fortzuführen? Er könnte auch weitermachen wie bisher. Im kleinen. Die Verlockung des großen Geldes ist ihm schon einmal zum Verhängnis geworden. Er hat auch so genug – für sich jedenfalls.

Das Flugzeug macht einen Schwenk nach Osten, taucht in die erste Wolkenformation ein. Die von Gischt gesäumte Insel verschwindet aus seinem Blickfeld. Meine Güte, es ist doch nur für ein paar Tage, eine kurze Geschäftsreise, ermahnt er sich.

Aber es sind die ersten paar Tage seit dem Unfall vor vier Jahren.

»Was möchten Sie trinken?«

Markus dreht der hübschen, dunkelhaarigen Stewardeß sein Gesicht voll zu und glaubt, ihr leichtes Erschrecken zu erkennen. Ihre Pupillen haben sich geweitet; er sieht es genau – Forscherblick. Früher war das anders, denkt er müde, früher konnte er mit einem anerkennenden Blick, sogar einem begehrlichen Aufblitzen in den Augen einer Frau rechnen.

Verfluchte Narben. In dem verträumten Tal, über dem er – hoch in den Bergen – auf Gran Canaria wohnt, schaut keiner hin. Die Canarios sind ebenso höfliche wie herzliche Menschen und mit den Wechselfällen des Schicksals vertraut. In Deutschland wird er sich wieder gegen Blicke wappnen müssen, neugierige und mitleidige.

Es nützt nichts, darüber nachzudenken, ruft Elsner sich zur Ordnung und bestellt Orangensaft. Er nimmt ihn dankend entgegen, wendet sich ab und dem Fenster zu. Unter ihm leuchtet tiefblau der Atlantik, der Passat kämmt Wellen hinein, vor ihnen liegt Fuerteventura.

»Hombre, du siehst aus wie eine traurige Knödel«, meldet sich neben Elsner eine fröhliche Männerstimme zu Wort.

»Kloß, Sanchez, du meinst Trauerkloß«, sagt Elsner, ohne seinen Blick vom Meer abzuwenden.

»Ach, Kloß oder Knödel, ich werde nie lernen eure Spruchworte, dabei habe ich extra gekauft eine ganze Buch damit. Aber viele sind so haßelich. Qué pena!«

Sanchez, ein Dreißiger mit sherryfarbenen Augen und schwarzem Haarschopf, seufzt und schüttelt übertrieben verzweifelt den Kopf. »Was wird sagen Stefanie, wenn ich spreche wie eine idiota? Wie man soll machen amor ohne schöne Worte? Ische liebe dich, das klingte schauervoll aus meine Mund. Sag mir, was ich kann sagen besser.«

»Ich bin mir sicher, du wirst die richtigen Worte finden, wenn du das wirklich willst.«

Sanchez glaubt, daß in der mürrischen Antwort eine Frage mitschwingt, räuspert sich und ist froh, seinen Gefühlen Luft machen zu dürfen.

»Si. Ich will, ich will, ich will.«

»Amigo, du klingst wie ein Mann vor dem Traualtar.« Markus Elsner sagt das ablehnend.

»Da will ich auch hin, und zwar rapido. Darum ich gehe mit dir nach Deutschland«, antwortet unbekümmert sein Freund.

Für einen Moment dreht Markus ihm das Gesicht voll zu. »Ich dachte, du wolltest mir bei meiner Rückkehr in die Höhle des Löwen beistehen und nebenher eine Baustoffmesse besuchen.«

Sanchez hebt die Hände, zuckt mit den Achseln: »Ich habe gedacht, ich kann schlagen zwei oder drei Fliegen mit die eine Klappe. Ich helfe meine beste Freund, schaue mir an neue Zement für Gußfundamente und sehe wieder die allergrößte Liebe von mein Leben.«

Markus zieht die Augenbrauen zusammen. »Du hast diese Frau doch erst einmal im Leben gesehen. Und das auch nur für eine Woche. Konzentriere dich lieber auf den Zement, das ist was Dauerhaftes.«

»Ach, wenn du Stefanie gesehen hättest an Weihnachten, statt Höhlenmensch zu spielen in die Berge, du würdest nix fragen. Sie ist eine Engel. Una belleza! Ach, es war Liebe auf die erste Auge«, sagt Sanchez schwärmerisch.

»Du meinst auf den ersten Blick.«

»He?«

»Ach nichts. Wenn sie es wert ist, wird sie deine Spruchworte lieben, neben all den anderen Dingen, die du zu bieten hast. Übrigens, wenn es Liebe auf die erste Auge war, warum hast du es ihr dann nicht sofort gesagt?« Markus Elsner sieht nicht aus wie jemand, der das wissen will, das Meer scheint interessanter.

»Ah, maldito, ich konnte nix sagen, weil diese schlechte Person hat immer dazwischengemorst.«

Markus lacht endlich auf und wendet sich seinem Freund voll zu. Sanchez wirft ihm einen listigen Blick zu. »Jetzt du lachst endlich, eh? Dabei ich weiß, daß es heißt gefunkt, comprende?«

Markus Elsner nickt. »Claro! Du bist ein verteufeltes Schlitzohr, Sanchez. Das waren tatsächlich ein paar Sprachfehler zuviel für einen Mann, der ein Jahr Bauleiter bei einer Firma mit deutschem Management war.«

»Ach, die wunderbar Firma von mein Onkel. Er hält viel von die Deutschen. Weißt du noch, wieviel Spaß wir zusammen hatten, damals bei ihm in Venezuela? Fantastico. Und deine Spanisch war eine grande Katastrophe, viel schlimmerer als meine Deutsch. Weißt du noch, wie du in eine Bodega bestellt hast eine verbrannte Butterbrot, statt eine geröstete Bocadillo?«

Elsners Gesicht hat sich bei dem Wort Venezuela verdüstert. Sanchez merkt, daß er wieder an den Werksunfall denkt, die Flammen, die Schreie, den Geruch des Todes.

Vier Jahre, und noch immer macht sein Freund Markus sich Vorwürfe, dabei hat er dazu weniger Gründe als andere, ihm gehörte die Firma schließlich nicht. Er war doch nur Leiter der Forschungsabteilung. Aber es ist sinnlos, mit dem Freund darüber zu diskutieren. Genauso sinnlos wie jeder Versuch, ihn von der Harmlosigkeit der Narben zu überzeugen, die seine linke Gesichtshälfte durchziehen.

Elsner ist ein attraktiver Mann, soweit Sanchez das beurteilen kann. Schließlich sind auch grobe Gesellen wie Gerard Depardieux bei Frauen beliebt, und zumindest Rosalia, eine bildhübsche Archäologin aus Fataga, hat schon lange ein Interesse für Elsner.

Und welcher Mann würde diesen unermüdlichen Bergsteiger und Naturburschen nicht um seinen Körper beneiden? Keine Frage: Markus’ hochgewachsene Gestalt zieht die Blicke auf sich, genau wie seine fast eisgrauen Augen. Sanchez hat es seinem Freund oft gesagt, aber kaum schaut eine Frau wie Rosalia ihn an, zieht Elsner sich zurück. Er ist ein Einsiedler geworden, und daran hat für Sanchez seine Exfrau Schuld.

Elende Dorothea, ihn direkt nach dem Unfall zu verlassen. Noch dazu für den singenden Star einer südamerikanischen Tele-Novela, für einen Lackaffen, einen Kerl vom Schlage eines Stehgeigers. Diese Wunde geht tiefer als die Narben. Kein Wunder, daß Elsner den Frauen mißtraut. Er verachtet sie geradezu. Nur darum will er auch nichts von Sanchez’ wundervoller Stefanie wissen. Ach, Stefanie! Sanchez zwingt sich, das Gespräch betont munter wieder aufzunehmen.

»Für dich ich mache mich gerne zu eine lächerliche Clown, du weißt das. Du mußt mir nur hören zu. Ich bin deine Heilmacher, du weißt, die beste Pille gegen alle Schmerz.«

Elsner nickt. »Ich weiß, wenn ich dich auf Flaschen ziehen oder in Drageezucker hüllen könnte, wäre das ein größerer Verkaufsschlager als Aspirin. Okay, ich werde mich zusammenreißen, dir zuhören und Deutschland mit einem Lächeln begrüßen. Also, wer ist diese grausame Person, die dir bei deinem Engel Stefanie dazwischengefunkt hat?«

»Die Siegerin.«

»Wie bitte?«

»So heißt sie. Victoria. Ach, wie ich hasse diesen Namen.« Sanchez nimmt einen großen Schluck Rotwein, so als müsse er sich Mut antrinken.

»Victoria?« fragt Elsner nach. »Der Name ist vielleicht ein bißchen altmodisch, aber ganz hübsch.«

Sanchez’ Augen werden zu schmalen Schlitzen. »O ja, genau wie die Señorita selbst, sehrrr hübsch, ganze goldene Haare und Augen wie grüne Kohle.«

»Meinst du jetzt Grünkohl oder glühende Kohle?«

Sanchez zerdrückt seinen Becher und stopft ihn in das Netz am Vordersitz, hebt die Hand und winkt die Stewardeß heran.

»Noch eine Wein, por favor.«

»Es gibt gleich Essen, dann bekommen Sie noch etwas Wein«, erwidert die junge Frau freundlich, aber bestimmt. Man kann es in Touristenfliegern mit dem Gratisalkohol nicht übertreiben.

»Aber ich wille trinken, Señorita«, sagt Sanchez und wählt ein hinreißendes Lächeln für den Nachsatz: »Ich muß trinken, weil man mich hat gebrochen die kleine Herz. Mi corazón. Und eine Canario ohne corazón iste eine tote Mann.« Sanchez bekommt seinen Wein und grinst siegesgewohnt.

»Bueno. Zurück zu Victorias Augen. Ich sage grüne Kohlen und meine grüne Kohlen. Sie hat Katzenaugen und eine brennende Blick, so heiß, daß ich darunter bin zerkrümelt zu Asche.«

»Ich glaube, du übertreibst, mein Freund. Die Frau, die dich mit Blicken zerkrümeln könnte, muß noch erfunden werden. Du bist der unverschämteste Latino-Macho, der mir je untergekommen ist. Dieser Ricky Martin ist gegen dich ein blutiger Anfänger.«

»No, no, no. Du kennst nicht Victoria. Sie hat gesagt, ich sei nicht wert ihre Freundin Stefanie. Incredible! Sie sagt, ich sei nur eine verschweißte, kleine Schwimmpoolputzer, und Stefanie soll lassen Finger von mir und meine schöne Körper und die noch schönere Seele. Ich habe nämlich Seele, eine sehr gekrankte Seele.«

Markus schüttelt amüsiert den Kopf. »Vor allem hast du eine gekrankte Phantasie. Wie kommst du darauf, daß du ein – was? Verschwitzter Swimmingpoolreiniger bist?«

Sanchez seufzt. »Nicht ich bin darauf gekommen, sondern Victoria. Sie hat mich gesehen bei ihre Mama, Señora Charlotte, die in eine von meine Villas bei Fataga wohnt. Da ich habe sauber gemacht ihren Pool vor die Weihnachtsfest. Aus alter Freundschaft, si? Charlotte ist wie lustige Witwe, muy simpático. Aber Victoria hat gedacht, ich sein die kleine, dumme Angestellte von ihre Mutter, der will verführen ihre unschuldige Freundin.«

»Du? Ein kleiner Angestellter?«

»Ja, ich.« Sanchez seufzt ausgiebig, aber nicht, ohne selbstgefällig zu schmunzeln.

»Das wird Victorias Mutter ja wohl aufgeklärt haben.«

»No, no, nicht Charlotte. Sie ist eine – wie sagt man? – geschlitztes Teufelsohr? Sie hatte große Spaß an die hochnäsige Dummheit von ihre Tochter, und mir sie hat geraten, zu spielen den armen Angestellten, um zu merken, ob Stefanie mich wirklich liebt. Charlotte ist sehr klug. Ich meine, mein Geld, das lieben alle, aber mich?«

Wieder spielt er den Verzweifelten, wirft die Arme auseinander und fegt einen Karton Orangensaft vom Trolley der Stewardeß.

»Perdón.«

»Hühnchen oder Fisch?« fragt die Stewardeß ungerührt, nachdem sie den Saft von ihrer Uniform gewischt hat.

»Stefanie«, antwortet Sanchez seufzend. Sie bestellen ihr Essen, klappen die Tische herunter. Eine Weile schweigen sie. Sanchez widmet sich den Plastikschälchen mit kaltem Fleisch, dem eingeschweißten Brot und dem Fruchtsalat. Elsner spielt lustlos mit dem Plastikbesteck herum.

»Den Appetit hat diese Victoria dir jedenfalls nicht verdorben«, stellt er fest und wundert sich über Sanchez’ Fähigkeit, einer Mahlzeit, die den Nährwert und Geschmack von aufgeweichter Pappe hat, ebensoviel Genuß abzugewinnen wie einem Festessen. Eine beneidenswerte, aber gefährliche Begabung. Bei Frauen ist sein Geschmack ähnlich wahllos.

»Ich brauche meine mannliche Kraft gegen diese Sandschüppe«, antwortet Sanchez würdevoll und kaut mit allen Anzeichen von Genuß auf einem Brötchen herum.

»Du meinst Xanthippe«, errät Markus.

»Genau, Victoria ist una histérica. Außerdem muß ich armer Schwimmpoolputzer fliesen die ganze Bad von Stefanie neu. Das ich habe versprochen an Telefon, damit ich habe eine Grund zu kommen und wohnen in ihr Wohnung für paar Tage.«

Elsner verschluckt sich an einer winzigen Scheibe Schwarzbrot, hustet und lacht gleichzeitig. »Du fliegst nach Deutschland, um einen Fliesenleger zu spielen?«

»No. Ich spiele eine arme Bauarbeiter, der sucht eine Job in Deutschland, und der hilft eine liebe Freundin nebenbei, um zu bekommen warme Mahlzeit, warme Gastbett und warme Gefühle. Stefanie spricht nicht gern von amor, also wir haben gesprochen über Badezimmer und Jobs. Sie ist sehr schüchtern.«

»Oder sehr gerissen.« Markus reicht der Stewardeß sein Eßtablett, klappt das Tischchen hoch und streckt seine langen Beine aus, so gut es geht. Für den sportlichen Mann ist es eine Qual, vier Stunden lang zur Bewegungslosigkeit verurteilt zu sein.

»Gerissen? No. Stefanie ist die ehrlichste Haut, die es gibt. Sie kann mich nur heimelich lieben, um nicht zu verletzen Victoria, die will eine bessere Mann für sie. Eine Mann mit cultura.«

Markus’ Miene verfinstert sich wieder, streng schaut er seinen jüngeren Freund an.

»Du bist wirklich ein Idiot, Sanchez! Für so einen Unsinn läßt du deine Geschäfte und unser Projekt schleifen? Das ist das Wichtigste, was du je vorgehabt hast, die Aufforstung des Waldes, die . . .«

»Nichts ist so wichtig wie die Liebe, steht schon in der Bibel«, unterbricht ihn Sanchez trotzig.

Elsner lacht trocken auf.

Sanchez spricht weiter: »Du kennst so was nur nicht. Jedenfalls nicht mehr, seit du dich hast verwandelt in eine gepanzerte Krebs. Niemand mag lieben eine gepanzerte Krebs. Öffne deine Arme, und du wirst umarmt werden, amigo! Wenn du geliebt werden willst, liebe! Claro?«

Elsner macht eine wegwerfende Geste. »Laß diese Kalendersprüche. Für mich gibt es Wichtigeres. Aber nehmen wir mal an, deine Stefanie ist wirklich so ehrlich wie eine Heilige, was soll sie dann denken, wenn sie herausfindet, daß du sie nach Strich und Faden belügst, und daß dir eines der größten Bauunternehmen von Gran Canaria gehört?«

Sanchez runzelt die Stirn. »Ach, das wird sie sicher nicht stören, wenn wir sind erstmals in die Liebe gefallen.«

»Und wenn sie es vorher herausfindet? Was wird sie dann von dem armen, heimatlosen Bauarbeiter denken, der sich bei ihr eingenistet hat? Wir sind nur für ein paar Tage in Deutschland. Vielleicht wird sie glauben, daß du nur ein bißchen Spaß wolltest, ohne daß es was kostet? Ich würde eine Frau, die ich ernsthaft liebe, nie belügen.«

Sanchez winkt ab. »Cierto! Du liebst ja auch niemanden ernsthaft, hombre, außer deine Bäume und deine Blumchen und die Blätter und die Kaktussen und die . . .«

»Sanchez, lenk nicht von deinen Dummheiten ab.«

»Ich werde mich enthüllen rechtzeitig vor Stefanie, okay? Ich wille sie bringen nach Gran Canaria auf unsere große Frühlingsgala am Wochenende. Sie wird sein die Prinzessin von die Ball im Hotel Paradiso.«

Markus läßt nicht locker. »Ich kenne noch ein paar Menschen – außer Victoria –, die dir ziemlich viel Ärger machen werden, wenn du mit dieser Stefanie ernst machst, vor allem im Paradiso. Es handelt sich um deine Familie.«

Sanchez rutscht unruhig im Sitz hin und her, sagt nichts.

»Glaubst du, sie werden einfach zuschauen, wenn du als waschechter Canario mit einer Ahnenreihe bis weit vor Kolumbus eine dahergelaufene Touristin heiratest?«

»Stefanie iste eine Radiostar. Sie sagt vorher die Wetter von ganze Deutschland.«

»Das interessiert deine Familie bestimmt brennend«, wirft Elsner ein und schnaubt.

»Du bist eine schlimmere Snob als meine Familie und die schreckliche Victoria zusammen«, antwortet Sanchez gereizt. »Deine Haß auf die turista ist so hochnäsig! Wir brauchen Touristen. Wir leben von ihnen. Meine Vater und seine Hotel Paradiso leben nur von ihnen.«

»Ja, genauso wie die Kanarier früher nur von Wein, dann nur von Tabak, dann nur von Bananen gelebt haben. Immer wurde alles auf irgendeine verdammte Monokultur gesetzt. Vergiß nicht die Cochenille-Läuse, die ihr auf den Kakteen gezüchtet habt. Die ganze Insel wurde abhängig von einem Wirtschaftszweig und verarmte, wenn der Boom vorbei war. Die Natur hat sich nie mehr davon erholt. Der Lorbeerwald ist ausgerottet, der gesamte Wasserhaushalt steht auf der Kippe. Ich hasse diese gedankenlose Zerstörung einer perfekten Schöpfung.«

»Für wen hältst du dich? Für Gott?« erwidert Sanchez aufgebracht. »Wir lieben unsere Heimat, aber früher wir konnten nicht anders machen. Gran Canaria war geplündert von alle mögliche Eroberer und arm, sehr arm. Was meinst du, warum so viele Canarios wie mein Onkel sind gewandert nach Venezuela und Kuba? Du haßt die Menschen und siehst sie nur als Schädlinge, aber meine Stefanie ist keine Cochenille-Laus.«

»Tut mir leid«, lenkt Markus unwirsch ein. »Der Fanatiker ist mit mir durchgegangen. Wahrscheinlich, weil ich von der Insel weg muß. Trotzdem könnte ich deine Familie verstehen, wenn sie nicht auch noch eine Touristin zur Schwiegertochter haben will. Und wie oft hast du dich nicht schon unsterblich verliebt? Da wird sich doch noch eine passendere Kandidatin als diese spröde Stefanie finden. Ich rate dir, nimm deine Gefühle nicht ernster als einen Schnupfen. Das vergeht.«

Flugkapitän Schuhmacher meldet sich über Bordlautsprecher, um die Flughöhe und die verbleibende Reisezeit durchzugeben. Die Maschine nimmt Kurs auf Faro und überfliegt ein dichtes Wolkenband.

Markus Elsner glaubt, daß er seinen Freund zum Nachdenken gebracht hat. Sanchez nimmt einen letzten Schluck Wein, macht eine entschlossene Miene.

»Du biste wirklich die größte Kaltschnauze, die ich kenne. Alle Menschen sind dumme kleine idiota, außer dir.« Er nickt zur Bekräftigung. »Aber es ist gut, daß du bist so sturisch und arrogant. Da wirst du geigen können der Victoria heute abend beim Essen eine Levite, während ich wickele mir ein meine Stefanie.«

»Ein Essen heute abend? Nein danke, du weißt, wie wenig mir an Bekanntschaften liegt. Und diese grünkohlenäugige Victoria samt teufelsohriger Mutter klingen nach genau der Art von überspannten Menschen, mit denen ich überhaupt nichts zu tun haben will.«

»Mama Charlotte iste nicht dabei. Sie lebt die ganze Jahr in die Villa auf Gran Canaria. Du mußt also nur einwickelen Victoria. Bitte! Du wirst mögen Stefanie! Sie iste nicht spröde, sie ist liebelich wie eine Schafkind.«

»Ich hoffe für dich, du meinst Lämmchen und nicht Schafskopf.«

»He?«

Markus macht eine abwehrende Handbewegung. »Vergiß es. Eine Frau, die sich von einer überkandidelten, hochnäsigen Freundin beherrschen läßt und dich zum Fliesenleger degradiert, hat wenig Chancen, mir zu gefallen.« Wie zur Bekräftigung gähnt Elsner.

»Das ist nicht Schuld von Stefanie«, verteidigt Sanchez seine Angebetete. »Du kennst nicht Victoria. Sie könnte Vulkane überreden, nicht mehr zu spucken Lava, sondern Eis. Sie kann machen die vernunftigste Mann wahnsinnig.« Bei diesem Satz leuchtet plötzlich sein Gesicht auf, er konzentriert sich, legt den rechten Zeigefinger an die Lippen, muß eine ganz neue Idee verarbeiten.

»Vielleicht gefällt Stefanie dir nicht«, sagt er endlich und starrt geradeaus, »aber dafür Victoria. Sie ist eine kaltherzige Dickschädling und nur verliebt in ihre Arbeit. Victoria iste also wie du. Nur, daß sie ist der Vulkan und du biste die Eisberg . . . Perfecto!«

Er wirft Markus einen listigen Seitenblick zu, stößt dann einen Laut der Empörung aus. Kurz vor Gibraltar ist Elsner eingeschlafen.

»Típico!« knurrt Sanchez.

Gran Canaria all inclusive

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