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Seit dreieinhalb Stunden sitzt sie nun schon in diesem entsetzlichen »Airport-Treff« vor teerartigem Kaffee. Davon trinkt sie die dritte Tasse auf nüchternen Magen. Du mußt mal was essen, ermahnt sich Victoria. Keine Chance. Heute morgen hatte sie einen lästigen Geburtstagsblues und keinen Appetit. Jetzt hat sie ein akutes Jagdfieber und keinen Appetit, nur einen nervösen Magen.

Der Flieger um vier war eine Fehlanzeige, und dabei hatte sie sich eine so hinreißende Geschichte ausgedacht, um Einblick in die Passagierliste zu bekommen.

Herr Rensle – soviel hat sie der Lächlerin von der Iberia erklärt – braucht dringend sein Herzmedikament, daß er – Schussel, der er ist: »Schriftsteller, Sie wissen ja« – auf Gran Canaria vergessen hat einzunehmen.

Die Lächlerin hat auch ordnungsgemäß betroffen reagiert, nur keinen Rensle auf der Passagierliste gehabt, auch nicht für morgen. Pech aber auch. Bei der Condor, von der die noch ausstehende Abendmaschine stammt, hat der Trick nicht geklappt. Das deutsche Bodenpersonal trägt nicht nur strengere Uniformen, es scheint auch ein Diplom in Sachen Datenschutz zu haben.

»Tut uns leid, aber über unsere Passagiere können wir leider keine Auskunft erteilen.«

»Aber er braucht doch sein Herzmittel. Hier geht es nicht um Vorschriften, sondern um Leben und Tod.«

»Sie können ihn ja ausrufen lassen, wenn er lebend gelandet ist.«

Als ob so einer wie Rensle darauf reinfällt! Der nicht, wenn er nicht will. Viel zu clever. Sicher reist er nicht einmal unter seinem Namen. So würde sie es jedenfalls machen, um nicht aufzufallen. Recht hat er, berühmt sein ist ein Job für sich. Er will eben keine Interviews geben. Wahrscheinlich will er nur gute Bücher schreiben, und das kann er.

Mißmutig rührt Victoria den Teer in der Tasse um. In ihrem Kopf braut sich die Gewittersequenz aus Beethovens Pastorale zusammen. Ein sicheres Zeichen für eine äußerst düstere Seelenlage. »Trüblig neb«, nennt Steffi das gern. Ein Ferngespräch mit ihrer Mutter hat Victoria auch keine neuen Informationen eingebracht, nur eine neuerliche Einladung nach Gran Canaria.

»Setz dich in den nächsten Flieger, komm her, und ich verspreche dir, wir schauen hinter jedem Feigenkaktus nach, ob sich da ein Dichter versteckt hat. Er könnte auch in einer Höhle wohnen, viele Künstler wohnen hier in den alten Wohnhöhlen. Das ist seit ein paar Jahren sehr schick.«

»Wohnhöhlen? Sehr witzig, paßt zu dieser Barbareninsel«, hat Victoria geknurrt.

»Du bist ein ahnungsloser Snob, Kindchen. Kein Sinn für Romantik. Okay, ich höre mich noch mal für dich um. Wäre doch gelacht, wenn ich den Rensle auf diesem Mini-Eiland nicht zu fassen kriege. Aber lohnt sich das für diesen Piratensender, für den du arbeitest? Das hast du doch gar nicht nötig. Mach’s wie ich, leb von deinem Vater.«

»Mutter, ich will arbeiten, und Daddys monatliche Zuwendung und seine Geschenke sind beschämend großzügig.«

»Pah, seine Geschenke sind vor allem selten. Er schafft es nicht mal, pünktlich ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Aber wenn du unbedingt künstlerisch arbeiten willst, warum machst du nicht was aus deinem Klavierspiel und deiner Stimme. . .«

»Beides reicht nicht mal für eine Barpianistin, gib’s endlich auf.«

Das ist ein ganz alter Streit zwischen Victoria und ihrer Mutter. Diesmal hat Charlotte Wohlzogen ihn mit einem Seufzer beendet und gemeint: »Wenn du unbedingt als Reporterin arbeiten mußt, dann arbeite doch beim deutschen Sender von Gran Canaria. Ich kenne den Leiter Horst Klatte ein wenig. Du weißt gar nicht, wie herrlich es ist, hier zu leben. Würde dir guttun.«

»Ein Sender auf der Deppeninsel? Worüber soll ich da berichten? Über die gestiegenen Sonnenölpreise und die Verluste beim Rentnerbingo?«

»Leben findet überall statt, Fräulein, man muß es nur zulassen.«

»Kommt drauf an, was man unter Leben versteht, Mutter.«

»Um des idealen Lebens willen läßt du die Finger vom wirklichen Leben. Du bist die abscheulichste Spaßbremse, die ich kenne. Ich frag’ mich, ob ich überhaupt deine Mutter sein kann.«

»Das wirst du ja wohl wissen!«

»Na ja, ich war bestimmt beschwipst, als es passiert ist. Ich war meistens beschwipst, als ich noch mit deinem Vater verheiratet war. Der war nämlich die schaurigste Spaßbremse von allen.«

»Der du jetzt ein Leben in Saus und Braus verdankst.«

»Mit Recht, schließlich haben mir die Nachhilfestunden, die Papa seinen Sopranistinnen im Fach Liebesduette gegeben hat, das Herz gebrochen, und die Scheidung hat mich von einer vielversprechenden Karriere als Altistin abgelenkt.«

»Dafür klingst du ausgesprochen fröhlich, fast wie eine lustige Witwe.«

»Bin ich auch, und wenn du länger hier wärst, würde ich dafür sorgen, daß es dir genauso ginge. Ich rate dir, deinen Vater endlich vom Königsthron in deinem Herzen zu stoßen. Es könnte sein, daß er dich demnächst wieder im Stich läßt. Und zwar so richtig.«

»Vergiß es, ich komme nicht. Und hör auf, Vater schlechtzumachen, nur um dein Gewissen zu erleichtern.«

»Ich weiß, daß du auf dem Ohr taub bist, aber ich glaube, ich muß dir etwas von ihm erzählen. Könnte Ärger geben. Richtigen Ärger. Es geht nämlich auch um sein Geld und dein Erbe.«

An diesem Punkt hat Victoria eingehängt.

»Bing-Bong. Security advise.« Eine elektronisch erzeugte Lautsprecherstimme nervt mit dem Sicherheitshinweis: »Lassen Sie Ihr Gepäck niemals unbeaufsichtigt. Security advise. Never leave your baggage unattended.«

Vor dem Café drängeln sich die übermütigen Opfer des Massentourismus, strömen Richtung Flugschalter und Gates. Sie stolpern über Kofferelefanten, verlieren im Gedränge Tickets, Tennisschläger, Nerven und Kleinkinder, verursachen Crashs mit Gepäckwagen und vor allem einen Höllenlärm. Und das merkwürdigste ist, daß die meisten dabei unverwüstlich fröhlich aussehen.

Wer keine Familie sein eigen nennt und sich trotzdem in den Osterferien hierhin verirrt, hat eben einen Dachschaden – oder ihren Job. Victoria schaut zur Uhr. Es ist halb acht, noch eine Stunde, bis die Condormaschine landet. Lustlos klappt sie ihr Notebook auf.

Purer Unsinn, die zweite.

Kein Mann ist das wert. Nicht mal Rensle. Obwohl sein Buch ein wirklich beachtlicher Versuch ist. Sie löscht den letzten Satz. Okay, Schluß mit der kultivierten Zurückhaltung, zurück zum Tagebuch-Bekenntniston.

Ich sitze hier wie ein voll pubertierender Kelly-Family-Fan, um den Autor von ›Eine kleine Geschichte der Erde‹ zu treffen. In meinem Kopf spukt er als so eine Art Indiana Jones der Naturwissenschaft herum. Wenn dieser Mann den Urknall oder das Auseinanderdriften der Kontinentalplatten beschreibt, liege ich am Boden und knabbere vor Aufregung an den Teppichfransen.

Das Aussterben der Dinosaurier ist bei ihm so herzzerreißend traurig wie E.T.s Versuch, nach Hause zu telefonieren. Kurz, das Buch ist phantastisch. Ein Phänomen und ganz nach meinem Geschmack. Rensle hält auch nicht viel von Menschen, jede Mikrobe ist für ihn hingegen ein moralisches und ästhetisches Wunderwerk. Darum ist der ›erste Mensch‹ in seinem Buch ein echter Lacherfolg.

Mir ist das zwar voll peinlich, aber wie er – also der Autor, nicht der erste Mensch – aussieht, und ob er live genauso witzig, intelligent und spannend ist wie sein Buch, würde ich gern wissen. Mit anderen Worten: Ich habe einen akuten Fall von Knall. Am besten, ich lege mich ins Bett und warte, bis es vorbeigeht. Liegt das an der Hormonumstellung, verliert man kurz vor vierzig den Verstand?

Merke: Wer so dicke Bücher schreibt wie Elias Rensle, muß krumme Schultern und eine Hühnerbrust haben und versteht sicher nichts von Honigpuder und Handschellen.

Wie komme ich überhaupt dazu, an so was zu denken? Der Streß! Pflügner nervt mit seinen Quoten und alle halbe Stunde durch seine Sekretärin Claudia. (»Schon was Neues, Frau Wohlzogen? Pflügner läßt ausrichten, es gehe ums Ganze.«) Und um meinen Job, was ihr eine Heidenfreude macht. Sie nimmt mir von meinem einzigen Paar Versace-Schuhen aufwärts bis zu meiner Existenz alles persönlich übel.

Besonders drastisch wird’s, wenn Ludwig mich im Sender abholt. Den gönnt sie mir schon gar nicht und wirft das volle Flirtprogramm an – Stimme wie feuchtes Toilettenpapier, rutschender Rocksaum, Plüschaugen. Eine eindeutige Kriegserklärung an MICH. Ich schätze mal, das liegt daran, daß ihr Indiana Jones in Wahrheit unser aller Sendeleiter Michael Pflügner ist.

Ich bin zwar naturblond, aber sie hat die waschechten Blondinenträume: Minderbemittelte Sekretärin heiratet ihren völlig unterbelichteten Chef und lebt fürderhin von Pralinenpräsenten, täglichen Blumengebinden und einem Diamanten zu jedem Hochzeitstag. Halleluja.

Von mir aus soll sie ihn endlich flachlegen, dann hab’ ich meine Ruhe. Hormongesteuerte Pflügners sind ebenso lästig wie heiratswütige Weiber. . .

»Victoria! So ein Zufall.«

Sie reißt den Kopf hoch. Das gibt’s ja gar nicht.

Gran Canaria all inclusive

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