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Werfen Sie sie raus. Verflucht, werfen Sie sie raus. Werfen Sie alle raus, die unsere Quoten verderben.«

Michael Pflügner hält den Telefonhörer auf halbe Armeslänge von sich weg. Die Stimme des Juniorchefs dringt trotzdem zu ihm, füllt einen Teil des Raumes. Nur gut, daß die Tür zu seinem Büro schalldicht ist. Den Sendeleiter Pflügner als Opfer einer solchen Schimpfkanonade zu erleben, wäre Wasser auf die Mühlen seiner Untergebenen – oder Mitarbeiter, wie sie sich selber nennen. Pah. Seine Sekretärin Claudia will sogar Assistentin der Sendeleitung genannt werden. Was für ein Kindergarten. Der Sender ist er!

Wenn die wüßten, was er so mitzumachen hat. Jedesmal, wenn die wöchentlichen Einschaltquoten vorliegen, muß er eine Endlostirade von Kröger junior über sich ergehen lassen.

Vor allem deshalb, weil der ahnungslose Verlegersohn so gut wie keine andere Aufgabe hat. Papa macht den Rest, den wichtigen Rest. Papa betreut die Zeitungen, Magazine und Bücher des Verlagsriesen, die wirklich Geld abwerfen, anders als Radio K., das mal als selbstverwaltetes Bürgerradio angefangen hat.

Papa hat den maroden Sender und seine Lizenzen für einen Spottpreis gekauft und dann, versehen mit einem Millionenetat, seinem Sohnemann als Spielzeug geschenkt. Sohnemann will aus dem Schaukelpferd jetzt einen Ferrari machen. Auf die schnelle.

»Werfen Sie alle raus, vor allem diese überdrehte Frau Wohlzogen, deren Zahlen nähern sich ja dem Minusbereich. Deren Scheißkultur reißt alles mit runter«, kreischt Kröger noch einmal – und zwar fortissimo. Er pausiert.

Pflügner wagt sich wieder an die Sprechmuschel.

»Sie verstehen das Geschäft, Herr Kröger, das muß ich Ihnen lassen. Es ist angenehm, wenigstens einmal am Tag mit einem Menschen zu sprechen, der wirklich was vom Geschäft versteht.«

Er hört, wie sich der Atem seines Gesprächspartners beruhigt und flacher wird. Pflügner reitet eine weitere Attacke. »Lassen Sie mich offen sein, Kröger. Nichts, ehem, würde ich lieber tun, als beispielsweise Frau Wohlzogen rauszuwerfen, aber Sie kennen den Hintergrund, fünfundzwanzig Prozent Anteil, die alte Freundschaft zwischen Wohlzogen und Ihrem Herrn Vater . . .«

Der Juniorverleger pumpt die Lungen neu auf und versteigt sich zu dem Befehl, seinen Herrn Vater ebenfalls hinauszuwerfen. Pflügner zählt die Löcher in der Sprechmuschel und multipliziert sie mit denen in der Hörmuschel. Schwierige Rechenaufgabe, so was dauert, beruhigt aber die Nerven.

Krögers Stimmvolumen erschöpft sich nur langsam. Pflügner entspannt sich am anderen Ende der Leitung, legt die Füße über Kreuz und auf seine Schreibtischplatte. Er führt den Hörer wieder zum Ohr, seufzt voll von verständnisvollem Mitleid.

»Kröger, Kröger, Sie sprechen mir aus der Seele. Wenn ich könnte, wie ich wollte . . . Niemand versteht Sie besser als ich, aber Ihr Vater ist nun mal der beste Freund von Frau Wohlzogens Vater. Eine Jugendfreundschaft. Sie wissen, was das für ältere Herren heißt.«

So wie er ältere Herren sagt, klingt es nach den Anführern einer senilen Deppenparade, vielleicht gefällt Kröger so ein Verbrüderungsangebot gegen väterliche Tyrannen. Kröger überhört das Angebot, schimpft weiter.

»Wegen dieser sogenannten Freundschaft haben wir jede Nacht irgendwelchen Kulturschrott auf Sendung. Vorige Woche habe ich mal reingehört, da hat diese Wohlzogen eine Viertelstunde über – warten Sie, ich hab’s notiert – Triolen und Wurfbogenpassagen bei Vivaldi gefaselt. Ich bitte Sie, da schaltet doch nicht einmal eine Sextalkline ihre Werbung zwischen. Das sind Riesenverluste. Nur weil der Vater von Frau Wohlzogen annopief mal ein berühmter Dirigent war und Frau Wohlzogen sich für die Erzieherin der Nation hält. Damit machen wir uns doch lächerlich.«

»Nun ja, ihr Vater war nun mal einer der deutschen Dirigenten der Nachkriegszeit. Einer der ersten, die an die New York Met geladen wurde, ein Freund Bernsteins, so etwas prägt eine Tochter«, wagt Pflügner einzuwerfen und denkt an das Erbe des Plattenmillionärs.

Kröger schnaubt nur verächtlich. »Wen interessiert das alles noch? Wer will das denn hören? Klassik, noch dazu richtige. Ich meine, diese niedliche japanische oder chinesische Geigerin, so etwas ist okay. Sie wissen schon, die, die auch mal durchsichtige Oberteile trägt. Na ja, wirkt natürlich nur im Fernsehen. Egal, wir brauchen Knaller. Hören Sie? Echte Knaller. Wir sind schließlich nicht beim Kirchenfunk.«

Pflügner will seinen Fehler wiedergutmachen. »Sie haben natürlich recht. Bei der Bildzeitung hieß es immer: Kultur ist nur, wenn Karajan der Kronleuchter auf den Kopf fällt.« Er macht eine Lachpause und muß sie selber füllen. »Hahaha.« Das mit der Bildzeitung beeindruckt Kröger gewöhnlich. Schließlich macht die eine Millionenauflage, und Pflügner war da mal Redaktionsleiter. So einen wie ihn kriegt der Kröger nicht jeden Tag als Chef für sein Dampfradio.

Kröger mäßigt seinen Ton und schießt sich wieder ganz auf Victoria ein. »Wenn diese Kulturtussi wenigstens was aus dem Leben ihres Vaters berichten würde. Soll ja ein ziemlich bunter Vögel sein, Yacht vor Marbella, Villa in Florida, bekannt mit halb Hollywood, dreißig Jahre jüngeres Model als Freundin. Die soll übrigens schwanger sein. Das sind die Nachrichten, die ich will, das sind Kontakte, die diese Wohlzogen nutzen sollte. Ideal für ein Lifestylemagazin. So was läuft.«

»Genau. Genau, meine Rede«, versucht Pflügner die Aufzählung zu unterbrechen und denkt: Nur weg von dem Thema. Kröger scheint zu spüren, daß Pflügner ihn abwimmeln will und geht wieder zum Direktangriff über.

»Hören Sie, Pflügner. Wir machen hier Regionalradio, das ist ein heißumkämpfter Markt. Wir sind weiß Gott nicht die einzigen. Wir brauchen endlich mehr QUOTE, rund um die Uhr. Sonst saufen wir ab. Lassen Sie sich nicht von überkandidelten Redakteurinnen mit Kulturknall auf der Nase rumtanzen. Merken Sie sich das: Wir brauchen QUOTE UND NICHT GOETHE.«

Der Juniorverleger spricht jetzt mit lauter Ausrufungszeichen, Doppelpunkten und in Großbuchstaben. Pflügner muß dazwischengehen, von sich selbst ablenken, denn Dampfradio hin oder her, einen ähnlich gut bezahlten Job findet er so schnell nicht wieder, und ganz so zugänglich wie erhofft ist die Erbin Victoria Wohlzogen noch nicht.

»Sie haben mal wieder in jedem Punkt recht, Kröger. Deshalb habe ich Frau Wohlzogen eine, nur noch eine Chance gegeben.«

»Das ist genau eine zuviel!«

Meine Güte, denkt Pflügner, Juniors Haß auf die Wohlzogen ist schon pathologisch. Ist er vielleicht so wütend, weil deren Herr Papa ebenfalls die väterliche Hand schützend über sie hält, obwohl sie nichts Anständiges auf die Beine stellt? Man bekommt bekanntlich ungern den Spiegel vorgehalten.

»Also«, sagt Pflügner so neutral wie möglich, »wir haben einen Tip bekommen. Elias Rensle soll heute nach Deutschland kommen.«

»Rensle? Rensle?« fragt Kröger tastend und ist dabei hörbar im Dunkeln unterwegs.

»Rensle, das ist der Autor von ›Eine kleine Geschichte der Erde‹. Dieser Megabestseller über Urknall und Erdgeschichte und den ganzen Sums. Steht seit drei Jahren ganz oben auf der Bestsellerliste. Ein Knaller, europaweit. Die größte Sensation seit ›Die Entdeckung der Langsamkeit‹ und ›Sophies Welt‹. Eins von den wenigen wissenschaftlichen Büchern, das Millionen lesen wollen.«

Die meisten geben allerdings schnell auf und tragen das Buch als Accessoire unterm Arm, fügt Pflügner in Gedanken hinzu und schnippt ein Stäubchen vom Ärmel. Immerhin, manchmal ist Kultur eben doch ein Verkaufsschlager.

»Kleine Geschichte der Erde? Aber natürlich. Ich habe es selbst gelesen«, antwortet Kröger jetzt mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Eigenlob.

Läßt du sonst lesen? fragt sich spöttisch sein Gesprächspartner. Egal, er hat den Junior, wo er ihn haben will, in der Position des schlechter Informierten.

»Der Autor Rensle ist so ziemlich das größte Geheimnis des gesamten Buchbetriebs. Der B.Traven des Sachbuchs sozusagen. Alle wollen wissen, wer er ist, was er genau macht. Wer ein Interview – das erste Interview – mit ihm bekommt, dem sind eine satte Quote und überregionale Aufmerksamkeit sicher. Und wir kriegen Rensle. Die Zeitungen werden uns rauf und runter zitieren. Das ist eine Riesenwerbung für Radio K. Bis ins Ausland. Noch dazu gratis.«

»Und warum sollte ein Mann wie Rensle ausgerechnet mit uns sprechen?« fragt Junior Kröger und landet einen Treffer, der Pflügner beinahe versenkt. Beinahe.

»Frau Wohlzogen hat Rensle so gut wie in der Tasche. Sie kann nämlich sehr charmant sein, und der Name ihres berühmten, kultivierten Vaters kommt ihr bei so was gelegen.«

Kröger unterdrückt den Mißmut in seiner Stimme kaum. »Na ja, klingt nicht schlecht. Aber sagen Sie dieser Wohlzogen, sie soll gefälligst über den Lifestyle von Rensle berichten. LIFESTYLE, verstehen Sie! Ich will wissen, was er trinkt und ißt, wie er wohnt, wer neben ihm im Bett liegt und wie viele. Eine Homestory mit O-Tönen. Das ganze Programm, und zwar exklusiv, verstanden? Sie soll auch die Printrechte für das Porträt einkaufen und wegen einer TV-Produktion vorfühlen. Vielleicht kann sie ihn auch überreden, sein nächstes Buch bei Papa, eh, beim Verlag meines Vaters herauszubringen. Ich will den großen Knaller, sonst ist die Wohlzogen draußen. Das war’s.«

Peng! Er hat eingehängt.

Schlechter Abgang vom Juniorchef, sehr schlechter Abgang, einfach den Hörer hinknallen, das machen nur Anfänger und Verlierer, denkt Pflügner kopfschüttelnd.

Er drückt die Gabel ganz zart herunter, behält den Hörer am Ohr, tippt eine Taste an. Seine Sekretärin meldet sich mit so adretter Schmeichelstimme, daß man an die Zeit von Hochfrisuren und Pfennigabsätzen denken muß. An Zeiten, in denen ein Mann noch ein Mann und eine Sekretärin nur eine Sekretärin war. Die einzig gute Kraft, die in seinem Vorzimmer sitzt. Hat er ja auch persönlich ausgesucht, schmeichelt sich der Sendeleiter.

»Ja, Herr Pflügner, Sie wünschen?«

Nach Krögers Unverschämtheiten wirkt soviel Höflichkeit wie eine Droge.

»Claudia, meine Liebe, verbinden Sie mich mit Victoria Wohlzogen. Über Handy, es eilt.« Er muß die Kleine noch ein bißchen briefen. ›Die Kleine‹ nennt er Victoria natürlich nur in seinen Gedanken. Manchmal, zum Spaß, das entspannt, genau wie eine gelegentliche Zigarre.

Im Vorzimmer schneidet die Sekretärin dem Hörer eine höchst unadrette Grimasse, legt auf. Die Grimasse gilt nicht Pflügner, sondern Victoria.

Es eilt immer, wenn Pflügner etwas von Victoria Wohlzogen will. Schließlich ist Victoria Wohlzogen eine ganz Wichtige. Eine ganz Wichtige mit soviel Geld im Kreuz, daß sie nur zum Vergnügen arbeitet. Die Sekretärin schnaubt verächtlich. Diese verwöhnte Pute hält sich für Gottes Geschenk an die Menschheit. Und Gott, der Verräter, hat die Pute mit Kleidergröße 38, naturblonden Haaren und einem strammen Hintern gesegnet.

Außerdem ist Victoria der Schwarm von Pflügner, was Claudia sehr persönlich nimmt. Schließlich hat Victoria schon einen Verehrer, den Ludwig. Der ist treudoof wie Plüschteddy, dabei läßt Victoria ihn nicht mal ran. Die kann sich eben alles leisten. Nein, nicht alles, sie soll die gierigen Finger gefälligst von Pflügner lassen. Immer dieses Getue, diese Sonderbesprechungen, Spezialaufträge.

Claudia tippt lustlos Victorias Handynummer ein. Na typisch, besetzt. Die muß einem das ganze Leben schwer machen, diese . . .

»Was ist? Wo bleibt das Gespräch mit Frau Wohlzogen?« Pflügner steht in der Tür zu seinem Zimmer. Claudia knipst ihr Lächeln an, volle sechzig Watt. »Es tut mir leid, da ist besetzt.«

»Wie wär’s, wenn Sie es weiter versuchen?«

Die Sekretärin schraubt hoch auf neunzig Watt: »Natürlich gern. Ich bleibe dran.«

»Und holen Sie mir ein Sandwich aus der Kantine. Roastbeef ohne Meerrettich und Remoulade, zwei Blatt grüner Salat, keine Tomate. Seien Sie ein Schatz.«

Claudia ist gern ein Schatz, wenn es um Pflügner geht, deshalb kümmert sie sich zuerst ums Roastbeef und dann um Victoria.

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