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MAJOR TOM

»Bedenket, dass,

wenn die Erde sie doch

nur widerwillig bedeckt,

ihr Name für alle Zeiten

als Echo zwischen den Bergen

widerhallen wird.«

– Willie Verhegghe,

Tourmalet en andere poëzie buiten categorie

DER SPATZ

»Mont Ventoux – das ist doch der Berg, wo Tim Simpson gestorben ist?« Die tragische Geschichte vom Tod das Radrennfahrers Tom Simpson während der 13. Etappe der Tour de France 1967 ist sattsam bekannt. Die Erinnerung an ihn wird weiterhin lebendig gehalten durch einen Gedenkstein am Rande der Straße von Bedoin, etwa einen Kilometer vor dem Gipfel. Simpson ging in die Geschichte ein als »der erste Doping-Tote der Tour«. Aber war allein der Gebrauch stimulierender Mittel ursächlich für seinen Tod? Hätte er die Tour de France in jenem Jahr womöglich sogar gewinnen können, wenn er nicht gestorben wäre? War er einer der ganz großen Radrennfahrer? Wer war Tom Simpson eigentlich?

Jugendjahre

Tom Simpson wird am 30. November 1937 in Haswell geboren, einer Ortschaft im County Durham im Nordosten Englands. Mehr als die Hälfte seines Lebens widmet er dem Radsport, was ihm viel Glück beschert, aber auch bittere Enttäuschungen.

Der bis dahin größte britische Radrennfahrer aller Zeiten stammt aus einer großen Familie. Er hat vier Schwestern und einen zwei Jahre älteren Bruder, Harry. Seine Radsportkarriere beginnt mit einem alten Fahrrad, auf dem er mit seinem Bruder und seinen Freunden die Straße, in der sie wohnen, rauf- und runterjagt. Inzwischen ist die Familie nach Harworth in Nottinghamshire umgezogen, nachdem Vater Simpson bei einem Minenunglück verletzt wurde.

Mit dreizehn kauft sich Tom vom Taschengeld eine in die Jahre gekommene, halbwegs renntaugliche Schrottmühle, die günstig zu haben ist, und als Besitzer eines eigenen Fahrrads hält er die Zeit für reif, um zusammen mit Harry dem örtlichen Radsportverein beizutreten, dem Harworth and District Cycling Club.

Sein erstes Rennen ist kein Erfolg: 17:50 Minuten benötigt er für die fünf Meilen lange Strecke. Er nimmt sich vor, erst wieder an Vereinsrennen teilzunehmen, wenn er sich ein besseres Fahrrad zugelegt hat. Das gelingt ihm, indem er sein altes Rad gegen ein leichteres tauscht. Damit wagt er es, sich wieder im Club zu zeigen, aber sonderlich erfolgreich ist er weiterhin nicht. Die älteren Jungs hängen ihn jedes Mal ab und schauen ein wenig abschätzig auf ihn herab. »Four-Stone9 Coppi« nennen sie den schmächtigen Tom in Anspielung an den legendären Fausto Coppi.

Sein Bruder Harry wird Vereinsmeister und entscheidet sich dann aber gegen den Radsport und für eine Karriere als Fußballer: Er wird Profi bei Blackpool. Im folgenden Jahr versucht Tommy, seinem Bruder nachzufolgen und den Vereinstitel in der Familie zu halten, aber er schafft es nicht einmal unter die ersten zehn. Mit sechzehn gewinnt er dann jedoch leicht und locker das 25-Meilen-Rennen des Vereins und Tom hält mit seiner Freude darüber nicht hinterm Berg. Die älteren Clubmitglieder ertragen es nicht, dass diese missratene Coppi-Kopie sie geschlagen hat. Sie drängen ihn mehr oder weniger aus dem Verein. Nun, wo er der Stärkste ist, hat er freilich in diesem Club eh nichts mehr verloren und er wechselt zu den Scala Wheelers.

Als Tom mit der Schule fertig ist, beginnt er eine Lehre als technischer Zeichner in einer Fabrik in Redford, etwa zwanzig Kilometer von Harworth entfernt. Er fährt jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit und auch zur Anreise zu den vielen Straßen- und Bahnrennen, die er besucht, nimmt er stets das Fahrrad. Etwa zu dieser Zeit beginnt Simpson, über eine Karriere als Radprofi nachzudenken. Für ihn ist das Fahrrad zum Symbol von Freiheit geworden.

Amateurjahre

Sein erstes richtiges Rennen bestreitet er in Nottingham. Vom Start weg zeigt er sich an der Spitze, aber letzten Endes wird er geschlagen. Das soll ihm später noch häufiger passieren, denn das ist nun mal sein Charakter: Alles oder nichts. Mit dieser angriffslustigen Fahrweise, für die er oft kritisiert wird, die aber beim Publikum sehr gut ankommt, kann er mit siebzehn dann bereits sechzehn Rennen für sich entscheiden, unter anderem die Britische Bergmeisterschaft der Junioren (1954).

Tom verschlingt alles, was er an Literatur über den Radsport in die Finger bekommt, und alles, was auch nur im Geringsten mit Radfahren zu tun hat. Er lässt sich von einem gewissen Berger beraten, der schon jahrelang in Frankreich fährt, und stürzt sich auf dessen Rat hin auf Verfolgungsrennen auf der Bahn. Er kommt auch mit Cyril Cartwright in Kontakt, einem Fahrer, der für seinen starken Charakter bekannt ist. Cartwright vermittelt Tom eine Menge Selbstvertrauen, aber im Finale der Britischen Bahnmeisterschaften scheint Simpson mental noch nicht stark genug zu sein. Dann geht er auf Tournee nach Bulgarien und Russland, wo er wegen seiner hageren Statur den Spitznamen »Sparrow« erhält: der Spatz.

Simpson wird für die Olympischen Spiele 1956 in Melbourne nominiert, er soll Großbritannien in der Mannschaftsverfolgung vertreten. Das beschert ihm eine Bronzemedaille.

Bei der Bahn-WM 1957 in Paris stürzt Simpson im Verfolgungsrennen der Amateure nachmittags schwer. Um das Team nicht zu sehr zu schwächen, wird er noch am selben Abend wieder aufs Rad gesetzt. Spätestens seit diesem Augenblick weiß er, dass er einen harten Beruf gewählt hat, härter noch, als unter Tage zu schuften, wie es sein Vater getan hat. Auch hat er begriffen, dass damit viel Geld zu verdienen ist, wenn auch nicht in England. Er reist nach Gent, wo er mit Albert Beurick in Kontakt kommt, einem freundlichen Flamen, der ihm einen Vertrag im Velodrom Het Kuipke vermittelt. Später werden die beiden enge Freunde.

Profijahre

Auf der Isle of Man trifft Tom die Brüder Murphy, Radsportler aus Saint-Brieuc in der Bretagne. Er fragt sie, ob sie ihn vielleicht eine Saison lang bei sich unterbringen können, und so macht sich der 21-jährige Tom Simpson kurz nach Ostern 1959 mit hundert Pfund und einem Rennrad auf nach Frankreich. Obwohl die Murphys irischer Abstammung sind, sprechen sie kaum ein Wort Englisch und Tom fühlt sich in der Bretagne wie ein Einsiedler, bis er das englische Au-Pair-Mädchen Helen Sherburn trifft. Sie kommt aus Harworth, genau wie er, und auch noch aus derselben Straße.

In seiner ersten Saison auf dem Kontinent holt Simpson 28 Siege. Vor allem der zweite Platz im Etappenrennen Essor Breton beschert ihm international Ansehen. Im Herbst 1959 tritt er in Zandvoort erstmals bei den Weltmeisterschaften im Straßenrennen der Profis an. Er wird Vierter. In seine Heimat kann er nicht zurückkehren, weil er dann zum Militärdienst eingezogen würde.

Tom Simpsons Stern geht 1960 beim Klassiker Paris–Roubaix endgültig auf. Eine Stunde lang ist er als einsamer Solist an der Spitze des Rennens auf den europäischen Fernsehbildschirmen10 zu sehen. Er belegt schließlich den neunten Platz, wird aber begeistert gefeiert. Er ist nun eine Berühmtheit.

In jenem Jahr gewinnt er den Grand Prix Mont Faron, schlägt dort auch Charly Gaul, den Toursieger von 1958. Seine Fans drehen schier durch und glauben, dass Simpson selbst die Tour de France gewinnen kann. Er befriedigt die hohen Erwartungen, als er Erster bei der Tour du Sud-Est wird.

Simpson bestreitet in jenem Jahr auch seine erste Tour de France. Zu Beginn der Pyrenäen liegt er noch ganz gut im Gesamtklassement. Doch die schweren Bergprüfungen werden für ihn zur Hölle und er kommt eher tot als lebendig in Paris an. Er ist klapperdürr und Helen erkennt ihn kaum wieder. Er bestreitet noch ein paar Kriterien, dann begibt er sich völlig ausgelaugt in ein Krankenhaus in Paris, um sich zu erholen.

Er beendet seine Saison und reist im Dezember nach England, wo er sich wieder sehen lassen kann, ohne verhaftet zu werden. An Weihnachten fragt er Helen Sherburn, ob sie ihn heiraten will. Die Trauung findet am 3. Januar 1961 statt.

1961 gewinnt Simpson die Flandern-Rundfahrt, indem er den Italiener Nino De Filipis im Sprint überrascht. Den Rest der Saison muss er abschreiben, weil er bei Paris–Roubaix von einem Auto der französischen Presse angefahren wird. Mit seinem geschwollenen Bein schleppt er sich von einem Spezialisten zum anderen und erscheint dann, gewappnet mit ein paar Wunderpillen von einem russischen Arzt, beim Start der Tour de France. Auf der dritten Etappe muss er das Rennen aufgeben.

Helen ist schwanger und die Familie zieht nach Gent. Im Winter verdient Simpson sein Geld auf den Radrennbahnen von Gent, Antwerpen und Brüssel. Er unterschreibt einen Vertrag beim Team Gitane.

Die Klassiker-Saison 1962 läuft schlecht für Simpson. Immerhin wird er Zweiter bei Paris–Nizza und Fünfter bei der Flandern-Rundfahrt. Inzwischen ist er Vater einer Tochter geworden. Jane.

Tour de France

Dann steht die Tour de France auf dem Programm. Auf der zwölften Etappe wird Simpson der erste britische Fahrer in der Geschichte der Tour, der das Gelbe Trikot überstreifen darf. Aber am folgenden Tag ist er es bereits wieder los und später kommt er auch noch zu Sturz, als er auf der Abfahrt vom Col de Porte mit knapp 90 km/h durch eine Kurve fliegt. Mit zahllosen Prellungen setzt er die Tour fort und verteidigt seinen sechsten Platz bis Paris. Möglich ist dies nur dank der vielen »Medikamente«, die man ihm gegeben hat.

Es folgt eine schwere Zeit für ihn. Gitane will seinen Vertrag nicht verlängern und am 12. November 1962 brennt das hölzerne Velodrom Het Kuipke in Gent nieder. Simpsons Rad und einige andere Sachen von ihm gehen dabei verloren. Durch unerwartete Umstände muss er auch noch das Haus verlassen, in dem er bisher kostenlos wohnen durfte. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich nach einem neuen Zuhause umzusehen. Das findet er in Mariakerke.

1963 geht Simpson für Peugeot an den Start. Er wird in dieser Saison Zweiter bei Gent–Wevelgem, Dritter bei der Flandern-Rundfahrt und Zweiter bei Paris–Brüssel.

Tom setzt alles auf Bordeaux–Paris. Glücklicherweise wird seine zweite Tochter Joanne rechtzeitig vor seiner Abreise nach Bordeaux geboren und er verspricht Helen, dass er diesmal gewinnen wird – für das Baby. Er hält sein Versprechen und kommt nach langer Zeit endlich mal wieder als Erster über die Ziellinie. Ein paar Wochen später hat er auf der Isle of Man erneut Grund zum Feiern, es ist sein erster Sieg als Profi auf britischen Straßen.

Er lässt die Tour ’63 aus, um sich voll und ganz auf die Weltmeisterschaft zu konzentrieren. Er geht mit großen Hoffnungen ins WM-Rennen, muss sich jedoch im Sprint geschlagen geben. Danach wird er Zweiter bei Paris–Tours und hinter dem großen Jacques Anquetil auch in der Super Prestige Pernod. Es steht außer Frage, dass Tom Simpson zu einem der stärksten Fahrer für Eintagesrennen geworden ist.

Die Saison 1964 beginnt hervorragend mit einem Sieg bei Mailand–Sanremo. Im Finale schlägt er Raymond Poulidor, der ihm als Einziger folgen konnte.

Aber das wichtigste Ziel in diesem Jahr ist die Tour de France. Auf der neunten Etappe, von Briançon nach Monaco, wird Simpson Zweiter hinter Anquetil, der schließlich auch die Rundfahrt gewinnt. Simpson kommt auf Platz 14 im Gesamtklassement nach Paris.

Auch die WM, die in strömendem Regen in den Alpen ausgetragen wird, beschert ihm keinen Sieg. Er muss sich mit dem vierten Platz begnügen.

Bei der Lombardei-Rundfahrt fährt Simpson ständige Attacken und liegt am Ende zusammen mit Gianni Motta in Führung. Allerdings hat er sein Pulver zu früh verschossen und muss auf den letzten Kilometern noch etliche Fahrer vorbeilassen. Völlig erschöpft erreicht er die Ziellinie.

Weltmeister

Der Start in die Saison 1965 ist eher mäßig. Zuerst bekommt er eine Grippe, dann erreicht er den dritten Platz beim Circuit Provençal und wird Sechster bei Paris–Roubaix. Diese Ergebnisse sind an sich nicht schlecht, aber er hätte den Circuit gewinnen können und bei Paris–Roubaix behindert ihn eine Prellung am Sprunggelenk. Deshalb muss er auch die Flandern-Rundfahrt auslassen.

Der Flèche Wallonne beschert ihm einen dritten Platz, aber ein paar Tage später schlägt das Pech erneut zu: Bei Lüttich–Bastogne–Lüttich stürzt Simpson. Bei Bordeaux–Paris belegt er diesmal Platz drei und dann folgt die Tour. Nach einem Sturz in den Pyrenäen muss er völlig demoralisiert aufgeben. Es sieht so aus, als könnte er seine Chance, Anfang September die Weltmeisterschaft in San Sebastián zu gewinnen, abschreiben.

Aber in Spanien laufen die Dinge anders als erwartet. Ausgerechnet zwei Fahrer, die sich gerade erst von Krankheiten und Verletzungen erholt haben, können sich absetzen. Tom Simpson und Rudi Altig kämpfen mit großem Vorsprung vor allen anderen um den WM-Titel. In einem sensationellen Zielsprint kann Simpson Altig schlagen und wird als erster Brite Straßenweltmeister. Ein Jahr später wird Altig sein Nachfolger im Regenbogentrikot.

Mit einem Sieg bei der Lombardei-Rundfahrt kann Simpson die Saison erfolgreich abschließen. Die britische Presse und die Öffentlichkeit wählen ihn verdientermaßen zum Sportler des Jahres, außerdem wird er zum Ehrenbürger von Mariakerke ernannt. Und als wäre das der Erfolge nicht genug, gewinnt er auch noch mit Peter Post das Sechstagerennen von Brüssel.

Aber auf Sonne folgt Regen, und so bricht sich Simpson im Winter beim Skifahren das Bein. Dies ist der Auftakt von noch mehr Unglück in einem Jahr der Krankheiten und Stürze. Auf der 17. Etappe der Tour de France 1966 muss er nach einer Kollision mit einem Motorrad, bei der er sich schwer am Arm verletzt, aufgeben.

1967 meldet er sich jedoch mit einem überwältigenden Sieg bei Paris–Nizza und Etappensiegen bei der Sardinien-Rundfahrt und der Spanien-Rundfahrt zurück auf der Sonnenseite. Toms Moral wächst mit jedem Tag.

13. JULI 1967

»… wo Tommy Simpsons Leben ging zu Ende …«

– Jan Kal, Dichten is fietsen op de Mont Ventoux

13. Juli 1967. Die 13. Etappe der Tour de France führt über 211,5 Kilometer von Marseille nach Carpentras. Höhepunkt ist der Anstieg zum Mont Ventoux. Die 103 Fahrer haben seit dem Start der Tour schon rund 2.500 Kilometer zurückgelegt und die Pässe der Alpen noch in den Beinen. Sie haben sich Kohlblätter unter ihre Mützen geschoben, ein primitives, aber bewährtes Mittel zum Schutz vor der gnadenlosen Sonne. Denn es ist furchtbar heiß, heiß wie in der Hölle. Überall, wo es geht, werden Trinkflaschen an den Rädern befestigt und in die Kleidung der Fahrer gestopft.

Bis nach Bedoin wird ein gemächliches Tempo angeschlagen, nur allzu verständlich angesichts der mörderischen Bedingungen. Die Flaschen sind schnell leer und an jeder Bar, an der sie vorbeikommen, bitten die Fahrer um Getränkenachschub. So auch in Bedoin, wo sich Simpson laut Überlieferung ein Glas Cognac in der Bar l’Observatoire genehmigt. Oder war es Calvados? Es heißt auch, Zuschauer hätten ihm eine Flasche Cognac gereicht, aus der zuerst er und dann einige andere Fahrer getrunken hätten. Simpson habe die Flasche schließlich geleert. Der Gebrauch von Alkohol war seinerzeit im Peloton nicht ungewöhnlich. Alkohol betäubt die Schmerzen und drosselt das Alarmsystem des Körpers auf Sparflamme. Er versetzt einen in die Lage, ein wenig mehr an seine Reserven zu gehen. Und das ist es, was Tom immer wollte.

Am Fuße des Ventoux herrschen 38 Grad im Schatten. Auf den ersten Kilometern des Anstiegs attackiert der Spanier Jiménez. Poulidor setzt ihm nach, gefolgt von einer Gruppe mit Gimondi, Balmanion, Janssen, Pingeon und Simpson.

Simpson steht auf dem siebten Platz im Gesamtklassement. »Das wird mein Tag«, hat er seinen Teamkollegen am Morgen anvertraut. Ihm ist bewusst, dass die Chancen auf einen Toursieg immer kleiner werden. Immerhin ist er inzwischen 29 Jahre alt. Er wird alles in seiner Macht Stehende tun, um an diesem Tag als Erster die Ziellinie zu überqueren.

Eigentlich weiß er, dass seine Chance, sein großes Ziel zu verwirklichen, den Sieg bei der Tour, eher gering sind, aber ein Etappensieg ist auf jeden Fall drin. Und auch damit käme Geld in die Kasse, das er gut gebrauchen kann, um seinen anderen Traum zu verwirklichen: ein Haus auf Korsika.

»Put me back on my bike«

Simpson tut sich sehr schwer. Nach dem Chalet Reynard fällt die Verfolgergruppe auseinander. Dann berichtet Radio Tour, dass Simpson abreißen lassen musste. Er fährt immer langsamer und langsamer und wird links und rechts von mehreren Fahrern überholt. Wie ein Betrunkener schlingert er über die Straße, seine Leidensmiene wird bleicher und bleicher. Simpson hängt über seinem Lenker, leichenblass trotz zwei Wochen praller Sonne, und geht wie ein Terrier an die Grenzen. Im Zickzack fährt er von einer Straßenseite zur anderen und kommt dann am Straßenrand zum Stillstand. Völlig erschöpft gleitet er vom Rad.

»Put me back on my bike«,11 bittet er Harry Hall, den Mechaniker des britischen Teams, der schnell aus dem Auto gesprungen ist. Mit Hilfe von umstehenden Zuschauern hebt Hall Simpson wieder aufs Rad und sie schieben ihn den Berg hoch an. Simpsons Augen sind stumpf. Wie ein Roboter fährt er noch ein paar Meter. Dann schwankt er und fällt hin.

Fernand Tuytens, der bei dieser Tour als Mechaniker der belgischen Mannschaft dabei ist, erzählt 25 Jahre später einer belgischen Zeitung, dass Simpson ein zweites Mal gestürzt und von dem britischen Mechaniker wieder auf sein Fahrrad gesetzt worden sei. Tuytens, der direkt hinter Halls Auto fuhr, sagt, er habe es nicht mehr mit ansehen können und sei aus seinem Auto gesprungen, um zu verhindern, dass Simpson in den Abgrund steuerte. »Maintenant c’est fini, habe ich zu ihm gesagt, aber Tom reagierte nicht mehr«, so Tuytens.

Ein Zuschauer beginnt sofort mit der Mund-zu-Mund-Beatmung, wenig später übernehmen Tourarzt Dr. Dumas und eine Krankenschwester. Sie legen Tom gegen die Böschung und versuchen abwechselnd, ihn wiederzubeleben. Vierzig Minuten lang kämpfen sie um sein Leben, auch eine Sauerstoffmaske kommt zum Einsatz.

Um zwanzig vor fünf landet ein Hubschrauber der französischen Polizei am Ort des Unglücks. Um viertel nach fünf kommt er mit dem leblosen Körper am Krankenhaus in Avignon an. Noch immer wird er reanimiert, aber vergeblich.


Um zwanzig vor sechs berichtet Tour-Direktor Félix Lévitan der Presse, dass Tom Simpson gestorben ist.

Doping…

Man findet zwei Ampullen in Simpsons Trikottaschen. Die eine ist leer, die andere noch zur Hälfte mit einem Amphetaminpräparat gefüllt. Eine andere Quelle spricht von drei Ampullen: zwei davon leer und eine mit Stenamina und Tonedron oder Onidrin. Aufgrund der Umstände verweigern die Ärzte ihre Zustimmung zur Bestattung des Leichnams.

Jan Janssen gewinnt an diesem Tag die Etappe, ohne etwas von dem Drama zu ahnen, das sich an den Flanken des Ventoux abgespielt hat. Als Tribut an den verstorbenen Rennfahrer darf am nächsten Tag einer von Simpsons Teamkollegen die Etappe gewinnen. Es wird Barry Hoban, der später Simpsons Witwe Helen heiraten wird.

Zwei Tage nach Ende der Tour gibt Staatsanwalt Lapavesin in Paris die Ergebnisse der Autopsie bekannt. Der offizielle Bericht besagt, dass Simpsons Tod auf einen Herzstillstand infolge völliger Erschöpfung (Hypoglykämie) zurückzuführen sei. Dabei wird auf die ungünstigen Wetterbedingungen (große Hitze) verwiesen, aber auch auf das Vorhandensein von Amphetaminen und Methylamphetaminen in Blut, Urin und Magen. Die gefundene Menge wäre an sich nicht tödlich gewesen sie habe aber mit dazu beigetragen, dass Simpson seine Kräfte überschritten hätte.

In einem Interview mit Radio Luxemburg nährt Julio Jiménez den Verdacht, dass Doping tatsächlich eine Rolle gespielt haben könnte. In dem Gespräch räumt er ein, er selbst habe acht Tage nach Simpsons Tod im Anstieg zum Puy de Dôme zu Doping gegriffen. »Alle Fahrer bei der Tour de France schlucken Mittel. […] Alle Fahrer nehmen Tabletten«, fügt er hinzu. »Jeder ist schuldig – oder keiner. So ist die Lage der Dinge nun mal.«

Am 28. August 1967 erscheint im Miroir Sprint ein Artikel mit der Überschrift: »Tom Simpson devait-il mourir?« – »War Tom Simpsons Tod unvermeidlich?« Es ist ein Interview mit Dr. Philippe Decourt, dem früheren Klinikchef der Faculté de Médecine de Paris.

Laut Dr. Decourt wäre Simpson von Dr. Dumas falsch behandelt worden. Simpson hatte einen Herzstillstand erlitten und in einem solchen Fall müsse das Opfer mit dem Kopf tiefer als das Herz gelagert werden, um die Blutversorgung des Gehirns nicht zu gefährden. Fotos und Filme zeigen, dass Simpson mit dem Kopf gegen den Hang gelegt wurde. Außerdem dürfe der Körper auf keinen Fall bewegt werden, sodass ein Transport vorerst nicht in Frage komme. Eine Adrenalin-Spritze wäre auch besser gewesen als eine Sauerstoffmaske. Bei richtiger Behandlung wäre Simpson nicht gestorben, folgert Decourt.

In einem Interview, das am 25. Juli 1998 in der französischen Sportzeitung L’Équipe erscheint, äußert Lucien Aimar, Gewinner der Tour de France 1966, eine deutliche Meinung. Er erklärt, dass Simpson nach zehn Renntagen völlig ausgelaugt gewesen wäre und bereits zwölf Tage lang Infusionen erhalten habe, weil er keine Nahrung mehr schlucken konnte. Laut Aimar, der am Ventoux in seiner Nähe fuhr, hatte Simpson höchstens 30 Milligramm Amphetamin genommen, während auch 1.000 Milligramm in 24 Stunden für einen Menschen noch nicht tödlich seien. Seiner Meinung nach waren weder Doping noch der Ventoux tödlich für Simpson, sondern die Medizin: Simpson sei durch das Zutun derjenigen gestorben, die ihn jedes Mal an den Tropf hängten, sodass er immer wieder weiterfahren konnte, obwohl sein Körper Tag für Tag immer schwächer wurde.

… oder Sonnenstich?

Der italienische Weltmeister Ercole Baldini, der Simpson gut kannte, ist wiederum von einer anderen Theorie überzeugt. In einem Interview, das Renate Verhoofstad mit Baldini führte und das im Oktober 2005 unter dem Titel »Museum Baldini« im Radsportmagazin De Muur erschien, heißt es: »›Unsinn, dass Tommy an Doping gestorben ist‹, begann Baldini. […] ›Natürlich hat er damals etwas genommen, so wie alle anderen zu jener Zeit auch. Vor allem Amphetamine, aber Pillen haben seinen Tod nicht verursacht. Sonst wäre ich nicht mehr hier‹, sagte Baldini und fing an, demonstrativ mit dem Kopf zu wackeln. ›Er hatte einen Sonnenstich, ganz einfach. […] Wir waren in jenem Jahr zu einem kleinen Etappenrennen in Neukaledonien. Während der Ruhetage machten wir Urlaub am Strand. Wir hatten eine tolle Zeit‹, sagte Baldini. ›Eines Tages brach Tommy plötzlich am Strand zusammen. Patsch! Wir erschraken uns zu Tode, hatten keine Ahnung, was los war. Bis im Krankenhaus ein Sonnenstich diagnostiziert wurde. Sie behandelten ihn dagegen und nach ein paar Tagen war Tommy wieder der Alte.‹ Baldini weiter: »Und, was stellte sich nun heraus? Nun, schon als Kind litt Tommy an einer schweren Form von Sonnenallergie. […] Die Hitze in Kombination mit den extremen Bedingungen ließ ihn oben auf dem Ventoux vom Rad fallen. Es war ein Sonnenstich, wirklich. Ich erkannte die Bilder wieder. Leider haben die Ärzte nie die richtige Diagnose gestellt. Tommy wurde falsch behandelt und das verursachte seinen Tod, nicht die Pillen. Poverino. Armer Tommy.‹«

Die belgische Internetzeitung Skynet Nieuws meldete am Montag, dem 27. November 2006: »Mit dem Tod des spanischen Fahrers Isaac Galvez während des Sechstagerennens von Gent am Samstagabend ist die Zahl der tödlichen Unfälle bei Radrennen auf 32 gestiegen.« In der danebenstehenden Liste ist Tom Simpson als sechster Radprofi aufgeführt, der bei einem Radrennen zu Tode kam, versehen mit dem Zusatz: »1967: Tom Simpson (Eng), Straßenweltmeister, erlitt während der Tour de France auf dem Mont Ventoux eine Ruptur der Koronararterie infolge von Hitze und Doping«.

Alec Taylor, Teamchef der britischen Nationalmannschaft bei der Tour ’67, will die Beobachtung gemacht haben, dass Simpson mehr leiden konnte als seine Kollegen. Und auf seinem Grab auf dem Harworth Cemetery in North Nottinghamshire steht: »Sein Körper schmerzte, seine Arme wurden müde, aber er weigerte sich aufzugeben.« Simpson ist in seiner Rüstung gestorben. Und, wer weiß, vielleicht hätte er selbst es nicht anders gewollt, wenn er bewusst vor der Wahl gestanden hätte…

DER SPATZ UND SEINE TOCHTER

Schon kurz nach der verhängnisvollen Etappe wird eine einfache Gedenktafel an der Stelle platziert, an der heute das endgültige Denkmal steht. Übersetzt lautet der Text, der darauf zu lesen ist: »Zu Ehren seines Vaterlandes – Mont Ventoux. Tom Simpson, ›der Spatz‹, der in den höchsten Sphären seines geliebten Sports schwebte, fiel hier am Donnerstag, dem 13. Juli 1967, nieder. Mit dieser Gedenkplatte möchte The British Professional Cycle Racing Association die Erinnerung an den herzzerreißenden, tödlichen Kampf bewahren, den er lieferte, um die Tour de France zu gewinnen, und die Legende lebendig halten, dass ›Major Tom‹ unser Idol im Exil ist. Diese Tafel wurde von Mitgliedern des International Cyclists Saddle Club (London) im Namen von Radsportlern aus aller Welt aufgestellt.« Hinter der Gedenktafel werden eine Lebensbeschreibung von Simpson und ein Buch über die Tour de France in einen Gesteinsblock eingelassen.

In der Zwischenzeit ist auch bereits eine weitere Initiative vorangekommen, die sich seit einiger Zeit entwickelt hat. Unmittelbar nach Simpsons Tod haben die Leser des britischen Radsportmagazins Cycling begonnen, Geld für ein endgültiges Denkmal zu sammeln. Insgesamt bringen sie mehr als 13.000 britische Pfund zusammen, zu dieser Zeit eine beträchtliche Summe.

Am 14. Oktober 1969, einem klaren, aber eisig kalten Tag, ist es so weit: Eine Ansammlung von Menschen begibt sich fröstelnd zu einem Gedenkstein, der noch unter einem Union Jack verborgen ist. Helen, die Witwe von Tom Simpson, sein Freund und Teamkollege Barry Hoban, sein Teamleiter bei der Tour ’67 Alec Taylor, ein gewisser Monsieur Vermelinger im Namen der Tour-de-France-Direktion, Bedoins Bürgermeister Artilland und der Rest der Gesellschaft haben große Mühe, im steilen Gelände des Ventoux dem starken Mistral zu trotzen.

Artilland legt Blumen am Fuße des Monuments nieder und bittet Barry Hoban, das Denkmal zu enthüllen. Hoban nimmt die Flagge an sich und setzt den Gedenkstein den Launen des Ventoux aus. Die Gesellschaft schweigt minutenlang andächtig und lässt die Worte der Inschrift auf sich wirken.

A LA MEMOIRE DE TOM SIMPSON

MEDAILLE OLYMPIQUE CHAMPION DU MONDE

AMBASSADEUR SPORTIF BRITANNIQUE

DECEDE LE 13 JUILLET (TOUR DE FRANCE 1967)

SES AMIS CYCLISTES DE GRANDE BRETAGNE

»Wenn die Kinder groß sind, werde ich sie auf jeden Fall mit hierhernehmen«, sagt Helen Simpson noch. Dann begibt sich die Gesellschaft zurück nach Bedoin; auf dem Ventoux selbst ist es zu beengt für Ansprachen.

Seit diesem Tag liest jeder, der vorbeikommt, die goldenen Lettern, passiert jeder Radfahrer diesen Ort mit gemischten Gefühlen. Seit diesem Tag ist der Mont Ventoux, der bereits von sich aus eine so eigentümliche, geheimnisvolle Ausstrahlung besitzt, noch um einen Mythos reicher, den Mythos des Gentleman-Rennfahrers, der zum ersten Doping-Toten der Tour wurde.

Simpson Memorial

Gent 1996. Simpsons Tochter Joanne hört den befreundeten Sänger Helmut Lotti in einem Radiointerview erzählen, dass er und seine Frau den Mont Ventoux hinauffahren wollen. »Das kann ich auch!«, schießt es ihr durch den Kopf. »Ich werde es 1997 machen, dann jährt sich der Todestag meines Vaters zum dreißigsten Mal.« So wurde das Tom Simpson Memorial geboren: Joanne Simpson macht sich auf, um »boucler la Boucle«, wie sie selbst es formuliert. Der Kreis soll sich schließen, sie will vollenden, was ihr Vater nicht vollenden konnte.

Sie kauft sich ein Rad, beginnt mit dem Training und steht am 13. Juli 1997 in Sault, am Fuße des Berges aller Berge. Spontan hat sich eine bunte Begleiterschar formiert. Barry Hoban, inzwischen seit fast 28 Jahren Helens Ehemann, ist ebenso mit von der Partie wie Vin Denson, ebenfalls ein ehemaliger Teamkollege von Tom. Joannes Cousin Chris Sidwells, Autor von Simpsons Biografie Mr. Tom, fährt ebenfalls mit, genau wie Thomas, der 13-jährige Sohn ihrer Schwester Jane. Ein australischer Rugbyspieler, der eigens zu diesem Anlass angereist ist, einige Freunde aus Gent und ein paar belgische Touristen, die zufällig von dem Plan gehört haben, komplettieren das kleine Peloton.

Die Gruppe fährt in aller Ruhe mit dem Rad hinauf; der Rest der Familie steht auf Höhe des Denkmals und feuert Joanne an, als sie vorüberkommt. Joanne fährt weiter und vollendet in der Tat, was ihr Vater damals nicht vollenden konnte: Sie erreicht den Gipfel. Nach einem Moment der Ruhe macht sie kehrt. Auf dem Weg zurück zum Denkmal kommt sie an einem Dudelsackspieler vorbei, der »Amazing Grace« spielt.

Am Denkmal angekommen, brechen sich die Emotionen Bahn. Helen reicht ihrer Tochter einen Becher aus Toms Trophäenschrank. Sie hat etwas eingravieren lassen:

JOANNE

FOR ACHIEVING YOUR GOAL IN CLIMBING THE MONT VENTOUX ON THE

30TH ANNIVERSARY

OF DADDY’S DEATH

13TH JULY 1997

HE WOULD HAVE BEEN SO PROUD

»Joanne, du hast dein Ziel erreicht, den Mont Ventoux am 30. Todestag deines Vaters zu erklimmen. Er wäre so stolz auf dich gewesen.«

Es werden Blumen niedergelegt und die Töchter befestigen eine Metallplakette am Gedenkstein. Darauf steht:

»THERE IS NO MOUNTAIN TOO HIGH…«

YOUR DAUGHTERS: JANE & JOANNE

JULY 13TH 199712

Am 13. Juli 2002, rund eine Woche bevor die Tour de France den Ventoux ansteuert, bezwingt Joanne Simpson den Berg erneut. Aber diesmal ist das Unterfangen nicht in Sault gestartet. »So viel zu trainieren, nur um 26 Kilometer bergauf zu fahren, das ist mir zu blöd. Beim nächstes Mal werde ich in Gent aufbrechen und dann werden wir der Tour ein Motto geben«, hatte sie sich 1997 geschworen. »Eine Tour gegen das Doping, das den Tod meines Vater mit verursacht hat. Die Menschen müssen der Wahrheit ins Auge blicken. In fünf Jahren werde ich wieder hier stehen.«

Treppe

Die folgenden Jahre haben ihr jedoch deutlich gemacht, dass es keinen Zweck hat, alte Wunden aufzureißen, dass die Welt nicht bereit ist, dass die Menschen – mitunter bewusst – lieber den Kopf in den Sand stecken. Sie will keinen Kreuzzug beginnen, nicht als »Doña Quichotte« von Gent enden. Dennoch muss sie etwas tun gegen dieses Gefühl der Machtlosigkeit, das sich ihrer in dieser Frage bemächtigt hat. Deshalb gibt sie dem Tom Simpson Memorial 2002 letztlich ein weniger direktes, aber doch verwandtes Motto: Sie will mit der Tour das nötige Geld zusammenbringen, um das Denkmal am Ventoux aufzuwerten. Schließlich erfüllt es immer noch seine Funktion: Es hält die Erinnerung an Tom Simpson lebendig und somit auch die Aufmerksamkeit für die Gefahren des Dopings. Eine neue Treppe soll dafür sorgen, dass das an recht schwer zugänglicher Stelle gelegene Denkmal besser erreichbar wird. »Aber eigentlich«, sagt Joanne Simpson, »weht über unserer Fahrt kein Banner mehr. Wir fahren gerne Rad und das Gedenken an Toms Tod vor 35 Jahren gibt uns ein Ziel.«

Und so klicken Joanne und sieben Radfahrkollegen am 29. Juni 2002 ihre Schuhe in die Pedale. Am 13. Juli, knapp 1.200 Radkilometer später, starten sie in Sault zum Memorial Tom Simpson 2002. Aus dem Radio erklingt »La Bicyclette« von Yves Montand – passender geht es kaum.

Als sie das Denkmal passiert, grüßt Joanne ihren Vater, indem sie eine Hand vom Lenker nimmt. Kurz darauf erreicht sie den in Nebel gehüllten Gipfel.

Fünf Jahre später ist dank Spenden genug Geld zusammengekommen, um Joannes’ Traum nachträglich zu verwirklichen. Am Freitag, dem 13. Juli 2007, genau vierzig Jahre nach Simpsons Tod, fährt sie in einem kleinen Peloton wieder hinauf auf den Mont Ventoux. Viele Menschen, darunter Helen und Barry Hoban, Jane Simpson und Bürgermeister Luc Reynard, sind gekommen, um der offiziellen Einweihung der Betontreppe beizuwohnen. Auf dem Gedenkstein wird auch noch eine weitere Gedenkplakette angebracht.

Im Oktober 2016 wird die inzwischen etwas in die Jahre gekommene Treppe am Tom-Simpson-Denkmal restauriert und bei dieser Gelegenheit mit Granitplatten verkleidet. Der Belgier Thomas De Gendt, einige Monate zuvor Sieger der letzten Tour-de-France-Etappe mit Ziel auf dem Ventoux, hilft beim Verlegen der ersten Platte, Joanne Simpson übernimmt die letzte. Dank neuer Spenden und ehrenamtlichen Engagements ist die Treppe nun endgültig fertig, rechtzeitig zum Tom Simpson Memorial 2017.

Am 13. Juli jenes Jahres – dem 50. Todestag von Tom Simpson – versammeln sich rund 200 Menschen am Denkmal. Unter ihnen ist Bradley Wiggins, zusammen mit Joannes Mutter Helen Hoban und zwanzig Verwandten aus Australien. Bedoins Bürgermeister Luc Reynard schneidet zur Einweihung ein weiteres Band durch.

***

Ein Familienfreund von Joanne Simpson sagte einmal: »Die Leute sollten aufhören, ständig über Doping zu reden; Tom war mehr als ein Opfer. Er war jemand, der für seinen Sport lebte, der alles für ihn getan hat.«

Aber das Denkmal steht nun einmal da13, und wenn man von Bedoin oder Sault aus hochfährt, kommt man auf jeden Fall daran vorbei. Und egal wie man es auch dreht und wendet, egal wie rational man die Welt und das Leben im Allgemeinen betrachtet, spricht einen dieser Gedenkstein auf die eine oder andere Weise an. Es mag seltsam oder unlogisch erscheinen, man mag für oder gegen Doping sein oder überhaupt nicht an dieses Thema denken, aber kaum jemand passiert emotionslos den Ort, an dem der Spatz zu Boden fiel.

Am 13. Juli 1997 steigt Alec Taylor, Teamchef der britischen Mannschaft bei der Tour ’67, auf sein Rad. In Cycling hat er über das Tom Simpson Memorial gelesen und fühlt sich schrecklich, jetzt, da die Erinnerungen wieder hochkommen. Er will in Gedanken bei der Tochter seines ehemaligen Fahrers sein und beschließt, als eine Art Tribut an Simpson ebenfalls eine Runde mit dem Rad zu drehen, wenn auch zu Hause, bei sich in England. Während der Fahrt erleidet er einen Herzinfarkt. Alec Taylor stirbt am 13. Juli 1997, am Tag des ersten Tom Simpson Memorials, genau dreißig Jahre nach dem Tod von Tom Simpson.

Eine Auswahl der Resultate von Tom Simpson

1954Britischer Bergmeister der Junioren
19562. Platz Britische Meisterschaft in der Einerverfolgung auf der Bahn Bronze in der Mannschaftsverfolgung bei den Olympischen Spielen
1957Britischer Bergmeister der Senioren
19581. Platz Großer Preis der Bulgarischen Union f. Körperkultur u. Sport Silber in der Einerverfolgung bei den Commonwealth Games
1959Tom Simpson wird ProfiEtappensieg Tour de l’Ouest2. Platz und Etappensieg Essor BretonEtappensieg Route de France4. Platz Straßenweltmeisterschaft
19601. Platz Tour du Sud-Est1. Platz Grand Prix Mont Faron29. Platz Tour de France9. Platz Paris–Roubaix
19611. Platz Flandern-Rundfahrt2. Platz Menton–Rom5. Platz Paris–Nizza9. Platz StraßenweltmeisterschaftAufgegeben auf der 3. Etappe der Tour de France
19622. Platz Paris–Nizza5. Platz Flandern-Rundfahrt6. Platz Tour de France, erster Brite im Gelben Trikot (12. Etappe)
19631. Platz Bordeaux–Paris1. Platz Manx Premier2. Platz Straßenweltmeisterschaft2. Platz Super Prestige Pernod2. Platz Gent–Wevelgem2. Platz Paris–Brüssel2. Platz Paris–Tours2. Platz Critérium des As3. Platz Flandern–Rundfahrt8. Platz Paris–Roubaix
19641. Platz Mailand–Sanremo3. Platz Trofeo Angelo Baracchi (mit Rudi Altig)4. Platz Straßenweltmeisterschaft10. Platz Paris–Roubaix14. Platz Tour de France
19651. Platz Straßenweltmeisterschaft1. Platz Sechstagerennen Brüssel (mit Peter Post)1. Platz Lombardei-Rundfahrt1. Platz London–Holyhead1. Platz Corona Grand Prix2. Platz Super Prestige Pernod3. Platz Flèche Wallonne3. Platz Circuit Provençal3. Platz Midi Libre3. Platz Bordeaux–Paris6. Platz Paris–RoubaixAufgegeben auf der 20. Etappe der Tour de FranceSportler des Jahres
19662. Platz GP Kanton Aargau-Gippingen Aufgegeben auf der 17. Etappe der Tour de France
19671. Platz Paris–NizzaEtappensieg Sardinien-RundfahrtZwei Etappensiege Vuelta a España1. Platz Manx Premier3. Platz GP Salvarini4. Platz Polymultipliée

Teams: Harworth and District Cycling Club, Scala Wheelers, Velo Sport, Briochin-Vins Santa Rosa, Rapha-Geminiani, Rapha-Gitane, Gitane-Leroux und Peugeot-BP.

Radrennfahrer sterben nicht,

sie verschwinden nur außer Sicht,

wenn sie mit unvergleichlichem Stil

die letzte Ziellinie überquert haben

und die Geschwindigkeit des Lebens

sie mit schweren Beinen zurücklässt.

Denn im Rennen bleiben sie,

auch wenn Herzen und Räder verstummen,

ja, sie gehen weiterhin in tausenden

Köpfen umher und sterben nie,

ihr Schweiß verleiht dem Asphalt

bleibenden Glanz.

Bedenket, dass,

wenn die Erde sie doch

nur widerwillig bedeckt,

ihr Name für alle Zeiten

als Echo zwischen den Bergen

widerhallen wird.

– Willie Verhegghe,

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Der kahle Berg

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