Читать книгу Freier um Brigitte - Liane Sanden - Страница 4
ОглавлениеDer Generalkonsul Eberhard von Wittinghausen sass in seinem Fauteuil, schweigend, nachdenklich und versonnen. Seine Gedanken bewegten sich fern der Heeresstrasse.
„Ob ich für den Sommer das staubige Berlin verlasse und auf meine kleine Klitsche ziehe?“
Diese Klitsche war ein reizendes Haus in Tirol, künstlerisch ausgestattet, vornehm im Stil gehalten, gediegen, entzückend und mit allem Komfort. Es lag in der schönsten Natur, umrahmt von hohen Bergen, erfüllt von Sonne, Luft und Licht, ganz nahe bei Zell am See, ein paar Schritte von Saalfelden weg, einem Ort, der bekannt ist durch das „Steinerne Meer“. Hier toben sich jährlich hunderttausend waghalsige oder vorwitzige Bergkraxler aus. Auch der Generalkonsul Wittinghausen juhute in früheren Jahren von mancher Felsenkante im salontiroler Kostüm herab, während er in den letzten Jahren sich die Höhen lieber von unten bei einer Flasche Landwein betrachtete.
Kurz: Klitsche nannte er sein Dorado oder wie er scherzhaft anderen gegenüber meinte, sein Alterversorgungsheim. Während er ein Dutzend Bauern an seinem geistigen Auge vorüberspazieren und die Tiroler Mäderln mit ihren angesteckten Zöpfen à la Defregger Revue passieren liess, wurde er aus seinem geruhigen Träumen geweckt. Das Telefon unterbrach die Mäuschenstille. Der Generalkonsul schrak zusammen.
„Ich möchte Herrn Generalkonsul sprechen. Ist der Diener am Apparat?“
Wittinghausen lächelte:
„Ausnahmsweise der Herr selbst.“
Am andern Ende kicherte eine Frauenstimme:
„Verzeihen Sie, lieber Herr Generalkonsul, seien Sie nicht böse …“
„Aber, meine Gnädigste, wie können Sie nur denken ...“
„Herr Generalkonsul, ich möchte Sie zum Abendbrot, zu einer ganz unbelegten Butterstulle einladen. Würden Sie mir das Vergnügen schenken? Sie haben doch nichts vor?“
Der Konsul überlegte blitzschnell, dann schnalzte er bedauernd mit der Zunge:
„Ei, ei, ei, wie schade, ich habe eine Aufsichtsratsitzung heute abend, und da darf ich leider nicht fernbleiben.“
Die Dame am Apparat trommelte nervös auf dem Hörer herum.
„O, mein Lieber, Sie wollen wohl nicht? Sagen Sie, sind auch weibliche Mitglieder im Aufsichtsrat?“
„Ja, eine Dame,“ antwortete er.
„Das zeugt für unbescheidene Verhältnisse.“
Als der Speech zu Ende war und er den Hörer aufgelegt hatte, schnarrte er durch die Zähne:
„Alte Schachtel! Auf den Wohlstand hat sie es ja nur abgesehen. Nun erst recht nicht! Eine Witwe im reifsten Mannesalter haben wir nun doch nicht nötig!“
Und er ging zum kleinen Biedermeierspiegel hin, nahm eine fast militärisch stramme Haltung an, zwirbelte den Belgierschnurrbart etwas in die Höhe, so ungefähr wie es in einem ähnlichen Fall ein sehr ausgereifter Militärattaché tut, und dann machte er sich das Geständnis:
„Eberhard, das haben wir nicht nötig. So, wie wir gewachsen sind, jung, fesch und knusprig. Nein, verehrte Witwe Bolte alias Aurelia Hoppe, wir, mit erst 58 Jahren haben andere Ambitionen.“
Und der Herr Generalkonsul walzerte beinahe ätherisch durch den Raum. Dann setzte er sich in den Schreibtischstuhl und dachte über die Zukunft nach. Er atmete beschleunigt, denn die ungewohnte körperliche Uebung hatte sein Herz doch etwas angestrengt.
Wie alle Lebensphilosophen überlegte er oft und bedächtig:
„Ist es besser, einst einsam das Zeitliche zu segnen, oder soll eine liebende Hand dem Scheidenden die Augen zudrücken?“
Und immer wieder gelangte er zur Erkenntnis, dass die liebende Hand für ihn wichtig wäre. In solch ernsten Momenten fiel es dem Manne ein, dass nur eine selbstlose Frau in Betracht komme. Keine Frau Hoppe, die den Krösus von Berlin in ihm erblickte und sich lediglich versorgen wollte, auch keiner seiner Verwandten, die ihm jedes Jahr zum Geburtstag einige Sofakissen lieferten. Aber wer ist heute selbstlos? Wer naht sich mit dem Gedanken, einen alternden Herrn einst zu pflegen und auf seine Diät peinlich zu achten? Eberhard seufzte.
Nun fiel ihm Renate ein, Renate, seine Freundin, der Star der Komödie. Aber Renate, die mit allen Oberflächlichkeiten des Lebens bewaffnet war, war gewiss auch nicht die Richtige. Er ging immer von dem Gedanken aus, dass man eine Schauspielerin wohl lieben, vergöttern und verehren könne, aber zur Ehe? — Nein. Eberhard zeigte sich auch gern in der Oeffentlichkeit mit der berühmten Frau, sie war ihm jahrelang eine gute Freundin, allerdings, ohne viel Seele und Herz, aber ihre Ansprüche an Juwelen und Pariser Modellkleidern wurden grösser und grösser. In stillen Stunden überrechnete er den Etat für ihre Bedürfnisse und immer kam er zum Ergebnis, dass dies schliesslich nicht länger so bleiben könne.
Sich aber von ihr zu trennen, wäre ihm im Augenblick doch schwer geworden, denn sie kannte seine Eigenarten, und sie war eben die mondäne Frau, die ihm Lebensbedürfnis schien. Sobald er aber ganz in sich gekehrt, einsam und verlassen, fern vom Telefon, seine Stunden verbrachte, wurde er etwas schwermütig und dachte:
„Wie befreist du dich von Renate?“
Zu gleicher Zeit aber kam ihm der Gedanke: „Es wird schwer gehen, denn die ganze Stadt spräche von dieser Abdankungsurkunde. Und schliesslich: man gehört ja der Oeffentlichkeit an, und es gehört zum guten Ton, als Mann der vornehmen Gesellschaft mit einer Künstlerin eine Liaison zu haben. Ohne Künstlerin — man wäre ja nicht vollwertig. Man wäre ein regelrechter Spiesser.“
Als er wieder einmal so grübelte und über sein Schicksal nachdachte, hörte er von draussen einen bewegten Stimmenkampf. Renate und Brigitte! Renate war die erklärte Feindin seiner Hausdame.
Er hörte:
„Sie haben hier gar nichts hereinzureden, denn ich bin die Freundin des Herrn von Wittinghausen.“
„Gestatten Sie, gnädige Frau, ich lasse mir von Ihnen keine Massregeln geben!“
„Mein Name ist in ganz Deutschland bekannt. Ich bin eine Künstlerin von Ruf und habe es nicht nötig, mich mit einer Angestellten hier auseinanderzusetzen.“
„Gestatten Sie, ich setze mich nicht mit Ihnen auseinander. Ich sage Ihnen nur, dass Herr von Wittinghausen für niemanden zu sprechen ist. Ausdrücklich hat er mir befohlen …!“
„Für Andere, aber nicht für mich! Das merken Sie sich!“
„Ich richte mich nur nach den Befehlen des Herrn von Wittinghausen.“
Ein Lächeln huschte über die Züge Eberhards. Zu gleicher Zeit aber wurde er sehr nervös und etwas verlegen. Streit zwischen Frauen war ihm immer unangenehm, umso mehr, wenn es sich dabei um seine Person drehte.
Er stand auf, ging zur Tür, öffnete und sagte:
„Meine Damen, meine Damen, bitte nicht zu heftig, nicht zu stürmisch … Bitte, Renate, komm herein, für dich bin ich ja immer zu sprechen ...“ und zu Brigitte gewandt, meinte er: „Fräulein Brigitte, Sie haben es sicher gut gemeint, aber es gibt Dinge ...“ er stotterte „… wo … man eben Ausnahmen machen muss ...“
Brigitte stieg die Röte ins Gesicht:
„Herr von Wittinghausen, dann weiss ich wirklich nicht, wie ich mich verhalten soll. Sie haben ja …“
Er unterbrach sie:
„Jawohl, ich habe gewünscht, allein zu bleiben, aber lassen wir es schon gut sein.“
Brigitte biss sich auf die Lippen, machte kurz kehrt und verschwand wortlos.
Nun brach drinnen das Gewitter los.
Gewohnt, auch im Leben ihre schauspielerischen Künste spielen zu lassen, donnerte Renate ihren Freund mit gewaltiger, heroischer Stimme an. Sie gestikulierte in lebendigster Weise, stampfte heftig mit den kleinen Füssen auf, liess die Augen blitzen, und nun ergoss sich ein Hagel von lieblichen Worten über den armen Eberhard.
Er hörte ruhig zu, fuhr mit der rechten Hand oft über die Stirn, ein Zeichen seiner starken Gemütserregung, und plötzlich, als habe er einen Gedanken gefasst, einen Gedanken, der alles zunichte machen sollte, ging er zum Schreibtisch, um hier nach einem Etui zu greifen.
Das wusste er: eine Frau kann man nicht leichter entwaffnen, als wenn man sie beschenkt, und besonders eine Frau wie Renate.
Renate folgte mit den Blicken seinem Gebahren. Im Augenblick dachte sie: er wird doch nicht etwa zum Revolver greifen? Ihr Gesicht wurde etwas bleich, und ihr Wortschwall verstummte.
Aber statt eines Revolvers kam ein Smaragdring zum Vorschein.
„Gnädige Frau, gestatten Sie, wenn ich Sie unterbreche ...“
Er reichte ihr den Ring.
„Eberhard!!“ kam es von ihren Lippen. „Eberhard!“
„Es ist ja nicht der Rede wert. Du weisst doch, wie lieb ich dich habe.“
Stürmisch umfasste sie ihren Freund und wirbelte ihn wie toll im Kreise herum.
„Genug! Genug! Halt! Halt!“ rief er atemlos. „Kind, ich bin ja nicht mehr der Jüngste.“
Sie lachte hellauf, dass man ihre blendendweissen Zähne sah, und dann nahm sie seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände und küsste ihn regelrecht, nach allen Paragraphen der hohen Schauspielkunst, ab.
Eberhard warf sich in den Sessel. Er war reichlich erschöpft.
„So, jetzt bin ich tot,“ erklärte er. „Meine Jugend ist, liebes Kind, schon längst begraben.“
Renate hatte Instinkte für so etwas. Sie kannte seine Schwächen.
„Nein, mein Lieber, du bist kein alter Mann, und du musst wieder heiraten. Du musst eine Frau haben, die repräsentiert.“
Er horchte auf:
„Ich soll also wieder Ehemann werden? Wer wird mich an den Altar führen wollen?“
Sie lächelte.
„Moi! Ich! Ich höchstpersönlich!“
Eberhard wieherte auf. Das kam ihm etwas plötzlich.
„Renate! Du machst mir ja Spass! Du machst mir ja Laune! Also du … also ich … wir beide ...? Kind, das ist ja zum Schiessen komisch ...“
Renate nahm einen ernsten Gesichtsausdruck an. Es hatte den Anschein, als kreiere sie eine sehr tragische Rolle.
„Eberhard, das ist kein Scherz von mir! Eberhard, die Zeit verlangt es.“
Er blickte sie starr an. Dann wiederholte er:
„Die Zeit verlangt es? Weisst du denn nicht, dass es viel besser wäre, wenn man sich mit solchen Gedanken nicht beschäftigte?“ Und dann fuhr er nach einer Pause fort:
„Kannst du es schöner haben, als du es hast? Du bist ein freier Mann bezw. eine Freifrau, hast keine Verpflichtungen, brauchst mir keine ewige Treue zu schwören …“ In Wirklichkeit aber war er eifersüchtig wie Othello. Er brauchte nur an seinen Freund zu denken, mit dem man sie, wie man ihm sagte, öfters sah.
Sie fiel ihm ins Wort: „Hallo, Eberhard. Diese Version gibt mir zu denken … Strolch, du betrügst mich …“
Er wehrte ab. „Ich dich betrügen? So abgeschmackt bin ich nicht.“
Nun wurde sie schmiegsam wie eine Schlange. Sie ringelte sich mit ihren Gedanken und mit ihren Armen um den Konsul.
„Eberhard, ich muss ein ernstes Wort mit dir in dieser Stunde sprechen. Du weisst, ich liebe dich. Die Voraussetzungen zu einem grossen Glück sind gegeben. Und sicher: wir werden vernünftig zusammen leben ... du, ich, ich, du, kurz: wir. Hat das Leben denn irgendwelchen Endzweck, wenn man keine Ideale hat, wenn man dahinlebt, wie zwei Menschen, die parallel dahinjagen …?“
„Das ist mir zu hoch,“ erwiderte er. „Du weisst, ich liebe keine Biedermeiereien, und, verzeih mir, liebe Renate, aus deinem Munde klingen solche Worte höchst wunderlich … Du bist Schauspielerin, du gibst das Leben anderer in deiner Kunst wieder, und du …“
„Jetzt sage nur noch, ich empfinde nicht, ich fühle nicht und ich sehe meine Gestalten, die ich wiedergebe nicht vor mir.“
„Mag alles sein, aber ihr Schauspielerinnen und Schauspieler spielt in der Komödie Leben, und im Leben Komödie.“
„Weisst du, Eberhard, gelinde gesagt ist das eine Frechheit. Vor zweihundert Jahren oder dreihundert Jahren, so um Molieres Zeiten herum, waren die Komödianten Menschen, die als unehrlich galten, die vom Priester nicht einmal die letzte Oelung bekamen … Also versetzt du mich in diese Zeit … Das ist ja sehr lieb von dir, aber mein lieber Freund, so geht das nicht weiter.“
„Und was soll werden?“
„Was werden soll? Ich will Frau Generalkonsul von Wittinghausen heissen.“
Er stand auf, sprach kein Wort und rannte mit grossen Schritten im Zimmer hin und her.
Dann wiederholte er mit farbloser Stimme: „Frau Generalkonsul von Wittinghausen … von Wittinghausen … Ueberfallkommando auf den Herrn Generalkonsul von Wittinghausen.“
Sie erblasste, zitterte vor Wut, und dann schrie sie laut auf:
„Mein Lieber, diesen Zustand ertrage ich nicht mehr länger … Zur Freundin bin ich nicht auf Lebensdauer prädestiniert.“
Irgendein Gefühl sagte ihm: „Vielleicht tust du Unrecht an dieser Frau.“ Aber dann machte dieses Gefühl wieder kehrt.
„Nein, mein Kind, ich eigne mich nicht zu der Hausbackenheit eines Ehemannes. Ich will nicht. Ich kann nicht.“ Diese Worte stiess er heftig und überzeugend hervor.
Sie aber erklärte nun hart und bestimmt:
„Wir werden ja sehen, wer Sieger bleibt. Du oder ich.“
„Zu deutsch also: Du willst mich unter die Haube bringen. Die ganze Art sagt mir, dass ich ein Pantoffelheld werden soll.“
Eine Pause folgte. Dann fuhr er fort: „Nein, Renate, darauf gehe ich nicht ein. Und es wird auch so gehen. Wenn es aber nicht so gehen sollte, und du dein Köpfchen durchsetzen willst, dann darf ich dir sagen, dass wir uns in aller Freundschaft trennen.“
Sie erfasste die letzten Worte, nahm ihre Handschuhe und sagte:
„Mein lieber Eberhard, ich gebe dir Bedenkzeit bis morgen. Morgen wirst du wieder vernünftig sein und deiner zukünftigen Frau reumütig Abbitte leisten.“