Читать книгу Freier um Brigitte - Liane Sanden - Страница 7
ОглавлениеEberhard legte immer Wert auf das Dekorum. Seine Braut durfte nicht zu gleicher Zeit seine Hausdame sein. „Das wäre nicht im Sinne der guten Sitte,“ dachte er.
Erst sollte sie zu ihren Eltern, um dann eines Tages, wenn alles public war, von ihm eingeholt zu werden.
Nun hatte er alle Musse, über die Zukunft nachzudenken. Der alternde Mann überlegte sich nun alles ganz genau. Jedenfalls war er der Ansicht, dass der Zeiger der Uhr etwas zurückgestellt werde. Er erklärte allen, dass er gerade fünfzig geworden sei, und manchesmal fragte er seine Mitmenschen, ob sie es glaubten, dass er die vierzig schon überschritten habe.
Zwei Tage später. Brigitte befand sich auf dem Gut ihrer Eltern. Der Vater machte zwar ein bedenkliches Gesicht, als sie ihm erklärte, dass ihr Bräutigam der Herr Generalkonsul wäre, aber ihre Mutter meinte, wenn nur das Herz jung sei. Und Brigitte bestätigte diese Tatsache.
Das Herz ist nicht nur jung, der Bräutigam sei auch mehr als liebenswert, und vor allem, er sei ein Prachtkerl.
„Nun,“ sagte der Vater, „dann mag mein Schwiegersohn kommen und sich meinen Segen holen.“
Plötzlich hatte aber auch er seine Wünsche und Pläne.
„Siehst du, Brigitte, unser Nachbar möchte sein Gut billig verkaufen, denn er will in die Stadt zurück. Wie wäre es, Brigittchen, wenn der Konsul, dein Bräutigam, mir ein Darlehen darauf gäbe?“
Brigitte sah ihren Vater entsetzt an. „Papa!“ sagte sie, „wir wollen keine Geschäfte abwickeln, Eberhard wäre grausam enttäuscht über den Schwiegervater, wenn er sofort aus dem Verlöbnis ein business machen wollte. Ich heirate den Mann aus reinem Idealismus.“
Da bekam der Vater den Husten.
„Aber Brigitte, Idealismus? Einen Mann heiratest du aus reiner Liebe, der fast sechzig ist? Und du bist doch vierundzwanzig? Mach mir doch keinen Scherz.“ Dann wurde er sehr ernst und entwickelte:
„Wir leben in einer harten Zeit, und mit unserem Träumen kommen wir nicht weiter. Um uns herum brennt geradezu der Realismus, also mein Kind, nimm Vernunft an, und nutze einmal die Konjunktur, die beste vielleicht in deinem Leben, aus.“
Da mischte sich die Mutter in das Gespräch, und sie gab ihrer Tochter recht.
„Nein, Kurt,“ sagte sie, „ich muss meiner Tochter recht geben. Du zerstörst dem Kind alles. Wir wollen auf eigenen Füssen stehen, und sie soll glücklich werden und sich allein ihr Glück ausbauen.“
Brigitte ergriff die Hand der Mutter: „Muttchen, du hast ja so recht und du sprichst mir ja so aus der Seele … Ich will rein durchs Leben gehen, und glücklich machen.“
„Nun ja, sagte der Vater, „wenn du dazu beiträgst, mein Gut zu erweitern, dann steht deinem Wunsch nichts mehr im Wege.“
Brigitte wandte sich ab. Sie verstand den Mann nicht, der ihr Vater war, und dem das Glück seiner Tochter weiter entfernt lag als das Gut seines Nachbars.
Frohe Tage brachen für die Braut an. Der Vater hatte eingesehen, dass sein Geschäftsgeist hier nicht auf fruchtbaren Boden fiel. Also versöhnte er sich rasch wieder mit seiner Tochter, indem er dachte: „Sie kommt schon eines Tages selbst auf mich zu, denn sie ist ja ein pietätvolles Kind.“
Jeden Tag erhielt sie einen Brief von ihm.
Es war die überquellende Liebe eines Mannes, der Jahrzehnte hindurch nie die richtige Frau gefunden hatte, die Frau, von der er annehmen durfte, dass sie ihn ehrlich und wahrhaftig liebe.
Alles, was sich um ihn drängte, strebte nur nach seinem Gelde. Er, der bekannte Mann der Berliner Gesellschaft, lockte sie alle an, diese Frauen, die ihn aussogen und ihre Vorteile suchten.
Es war das späte Glück eines Mannes, das von der Liebe bestrahlt wurde. Oft verglich er sich mit Goethe … Er las fast mit eifriger Begier die Bücher, die eine Friederike von Levetzow behandelten. Brigitte war seine Friederike. Und nun wurde er schwärmerisch, nach altem bewährten und gediegenen Muster.
Sie aber sah in ihm einen Grossen, einen Mächtigen. Er war ihr heilig. Ohne ihn, das sagte sie wohl tausendmal ihrer Mutter, wäre das Leben eine Qual. Und die mütterliche Liebe verstand sie.
Von Zeit zu Zeit kam Eberhard auf das Gut, um seine Braut zu besuchen. Hier wurde er empfangen wie ein Fürst.
Nur die Ackerknechte und Bauerndirnen grinsten. In ihrem natürlichen Sinn sagten sie sich, dass ein solches Paar nicht das richtige sei. Sie, das junge Fräulein, und er, der allzu reife Mann!
Das sei ja zu merkwürdig, zu albern, meinte die Theres. Und Jörg ergänzte: „Mensch, die zwei passen zusammen wie ich mit meiner Grossmutter selig, nur umgekehrt.“
Da lachte die ganze Dienerschaft, die gerade beim Napf sass, und Felix, der Laufbub, schlug mit dem Messer so auf die Schüssel, dass sie sprang, worauf die Gesellschaft über ihn herfiel.
Vierzehn Tage später erwartete sie an einem Sonntag wieder ihren Verlobten. Und während er sonst immer mit der Bahn kam, wollte er heute seinen Mercedes ankurbeln. Diesen Mercedes hatte er ihr versprochen. Sie legte zwar auf solche irdischen Güter keinen grossen Wert, aber sie freute sich dessenungeachtet auf diese „kleine Aufmerksamkeit“.
Um ihn zu überraschen, wollte sie ihm auf der Chaussee entgegengehen, und schon war sie mit ihrem Hündchen unterwegs. Sie ging eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, ging eine Stunde. „Das geht nicht mit richtigen Dingen zu,“ dachte sie. Längst müsste er diese Chaussee hier passiert haben.“
„Ob er wohl erkrankt ist?“
„Aber dann hätte er bestimmt telegraphiert!“
„Ob ihm etwas zugestossen ist?“
Sie wurde nervös ... der Gedanke entfernte sich nicht mehr von ihr.
Da kam in rasendem Tempo ein Motorradfahrer aus ihrem Dorf. Es war Jörg. Als er sie erkannte, stoppte er, und mit hastigen Worten sagte er: „Gnädiges Fräulein, Ihr Bräutigam ist verunglückt. Ich sollte es Ihnen schonend beibringen, aber ich kann nicht so die Worte drechseln ...“
„Um Gotteswillen, was ist los?“
„Hier im nächsten Dorf ist er. Steigen Sie auf. Wir fahren hin.“
Fünf Minuten später hielt er vor dem Gemeindehaus, vor welchem sich fast das ganze Dorf angesammelt hatte.
Man wich zurück, als Jörg laut rief: „Platz da! Wo liegt der Herr aus Berlin?“
Die Leute sagten wie aus einem Munde: „Im Krankenzimmer.“
„Lebt er noch?“ fragte sie totenbleich.
Der Gemeindevorsteher ging auf sie zu und sagte: „Meine Dame, Sie sind sicher die Braut … Jawohl, er lebt, und er hat nach Ihnen verlangt … Allerdings hat er jetzt die Besinnung verloren. Ein Arzt ist um ihn bemüht.“
Dann führte er sie leise in das Zimmer, wo der Verunglückte schwer röchelte.
Der Chauffeur hatte nur einige Hautabschürfungen davongetragen. Er stand etwas abseits, indem er mit bangen Blicken seinen Herrn betrachtete.
Der Arzt schritt auf Brigitte zu. Sie gab ihm die Hand und fragte bebenden Herzens:
„Herr Doktor, wird er durchkommen?“
„Gnädiges Fräulein, es wäre unser aller Wunsch, aber ich befürchte ...“
Es waren schwere und bange Stunden, die sie an seinem Bette verbrachte.
Nur einmal schlug er die Augen auf, ein ganz zartes Lächeln schien um seine Lippen zu huschen, als ob er sich besänne, sagte er:
„Brigitte?“
Sie antwortete: „Geliebter, ich bin bei dir, und du musst wieder gesund werden.“
Er schien zu nicken.
Nach einer Weile stammelte er Worte wie:
„Ewige Liebe … Bleibe bei mir ...“
Und nach wieder einer Weile: „Mein Testament … in meinem Schreibtisch … Aber ich will leben ...“
Eine Stunde später war er nicht mehr.
Namenloser Schmerz bemächtigte sich Brigittens. Sie warf sich über den geliebten Toten, und man hatte alle Mühe, sie zu bewegen, das Zimmer zu verlassen.
Brigittes Eltern kamen, und alles war in tiefer Trauer.
Und wie das Unglück geschah?
Der Chauffeur erzählte, dass bei der „Totenkurve“ der Wagen ins Schleudern gekommen sei, sich um sich selbst drehte und schliesslich gegen einen Baum geschleudert wurde. Die Folge war bei seinem Herrn eine doppelte Gehirnerschütterung und schwere innere Verletzungen. Wie durch ein Wunder war ihm nichts geschehen.