Читать книгу Freier um Brigitte - Liane Sanden - Страница 5

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Nach diesem Vorfall sass der Generalkonsul Eberhard von Wittinghausen sorgenvoll in seinem Fauteuil und grübelte.

Er fand in dieser stillen Stunde doch, dass er nicht mehr der Mann war, der für den Widerstand geeignet war.

Der Gedanke einer Ehe mit seiner Freundin liess ihm keine Ruhe.

„Vielleicht macht sie mich doch glücklich,“ überlegte er.

Wie bei allen alternden Herren machte sich die Ueberzeugung breit, dass eine Frau die Sorgen und Gebrechen des Spätsommers des Lebens zu mildern vermochte. Er dachte an seine Magenbeschwerden, an seinen chronischen Hexenschuss, und an hundert andere Dinge, die das Leben oft stören. Jünger wird man auch nicht … kurz das Alter braucht Pflege und Schonung. „Vielleicht ist sie doch die Richtige.“

Zwei Stunden später begab er sich in das Eden-Restaurant, um dort zu soupieren.

Viele Menschen hatten sich eingefunden, um diesen Abend bei einer schönen Speisekarte gemütlich und fröhlich zu verbringen. Eberhard sass nahe bei der Musik und genoss die schwermütigen Klänge eines malayischen Liedes. Da fiel sein Blick auf den Stehgeiger, einen auffallend schönen Menschen, der mit seinen feurigen Augen unverwandt nach einer Richtung schaute. Seine Blicke schienen erwidert zu werden, es huschte ein überlegenes Lächeln über seine Züge. Wem galten diese Blicke? Eberhard war neugierig. Am Fenster sass eine Frau mit einem tiefen Dekolleté. Und neben dieser Frau ein eleganter, charmanter Mann, recht zärtlich tuend, recht innig … Dieser Herr war sein junger Freund, und diese Dame — heiss ging ein Blutstrom durch seinen Körper — diese Dame war sie, war Renate, die Geliebte, die vor wenigen Stunden noch allen Ernstes ihm einen veritablen Heiratsantrag machte.

Der Herr Generalkonsul war auf alles gefasst, aber auf diese Situation war er nicht vorbereitet. Im Augenblick schien es ihm, als sei sie der Vorgeschmack der Ehe. Man hatte ihn also doch richtig unterrichtet.

Er seufzte erregt. Und als der Kellner ihm die Suppe brachte, schlug er heftig Wellen im Bereich des Tellers. Er rief den Kellner zurück:

„Herr Ober, ich mag keine Suppe, nehmen Sie sie wieder zurück!“

Der Ober sah ihn erstaunt an:

„Der Herr sind wohl nicht damit zufrieden?“

„Mit der Suppe, ja, aber nicht mit der Umgebung!“

Dann überlegte er.

„Es ist immer gut, wenn man die Situation richtig erfasst.“ Er stand auf, rückte die Krawatte gerade, hüstelte nervös, strich über seine angegrauten Schläfen und ging an den Tisch der beiden Glücklichen.

Die Glücklichen waren so miteinander beschäftigt, dass sie zuerst seine Anwesenheit gar nicht bemerkten. Er räusperte, aber die beiden merkten immer noch nichts. Dann legte er die linke Hand auf die Schulter seines Freundes. Beide schreckten auf.

„Du!?“

„Du!?“

Der Weltmann lächelte: „Jawohl, ich! Ich habe mir erlaubt, heute hier zu essen.“

„Eberhard,“ sagte sie verlegen.

„Nun ja, Zufall, dass man sich trifft.“

Der junge Regierungsrat fand sich rasch in die Situation. Er hatte ja nicht umsonst die diplomatische Karriere eingeschlagen.

„Eberhard, du siehst, wenn man nicht mit jungen Damen ausgehen will und immer … Wir haben uns beide zufällig getroffen, und weil wir beide gerade heute unseren freien Tag hatten, sind wir hierher geschlendert.“

Eberhard war klug genug, nicht etwa den Eifersüchtigen zu spielen, und er gab seinem jungen Freund recht.

Renate spielte nach wie vor die Erstaunte.

„Nein, so ein Zufall, Berlin ist doch wie ein Dorf.“ Dann wandte sie sich ihm etwas zärtlicher zu, tätschelte seinen Arm und meinte:

„Eberhard, Hardi, du bist doch ein vernünftiger Mensch. Ich glaube, ohne dich könnte ich nicht leben.“

Hardi ward etwas spöttisch.

„Aber Renate, ich bin sicher, dass Franz Wilhelm mich ganz und gar ersetzen könnte. Sieh mal, Franz Wilhelm ist jung, ist fesch und ein ausgezeichneter Gesellschafter — wie ich vorhin bemerken konnte.“

Renate sah ihn gross an.

„Was heisst vorhin?“

Sie wurde etwas verlegen, denn ihre Selbstbeherrschung war schon etwas ins Wanken geraten.

Eberhard schien die Worte zu überhören, und er sagte:

„Meine Herrschaften, amüsieren Sie sich gut, ich möchte nur bezahlen, und dann will ich gehen.“

„Wo sitzt du denn, Eberhard?“ fragte sie möglichst unbefangen.

„Dort drüben.“

Plötzlich entschloss sich Renate, ihren Freund zu begleiten. Kurz erklärte sie:

„Ich gehe mit.“

Er hob die rechte Hand.

„Renate, du wirst nicht mitgehen. Du hast hier Verpflichtungen.“

Dem jungen Freund wurde die Sache etwas unbehaglich.

„Aber lieber Konsul, ich bitte Sie, verfügen Sie doch ganz über Renate. Sie haben ja ältere Rechte, und ich trete in den Hintergrund.“

„Sehr diplomatisch gedacht,“ erwiderte Eberhard. „Ein solches Opfer kann ich von Ihnen nicht annehmen.“

„Meine Herrschaften, ich empfehle mich!“

Er nahm Renates Hand und führte sie zum Mund.

Dann gab er dem jungen Freund die Rechte und mit festen Schritten entfernte er sich.

Renate konnte nicht umhin, sich umzudrehen. „Ob er wohl allein hier ist?“ dachte sie. Peinlich war ihr aber doch der Vorfall.

Draussen in der Budapesterstrasse dachte Eberhard über Renate nach. Sicher würde das eine sehr flotte Ehe werden, meinte er. Doch besser, man heiratet nicht. Man hat wenigstens keine Herzbeschwerden.

Die Sache hatte ihn aber doch mehr erregt, als er sich eingestehen wollte.

Renate, diese schöne Frau, diese ausgezeichnete Künstlerin auf der Bühne, diese entzückende Gesellschafterin, hatte er doch im Laufe der letzten drei Jahre ganz lieb gewonnen.

Er, der Einsame, hatte mit ihr schöne Stunden verbracht, und manchesmal schien es ihm, als sei er restlos glücklich in ihrer Nähe. Tag und Nacht beschäftigten sich seine Gedanken mit ihr, und wenn sie nicht bei ihm war, so fehlte ihm etwas. Es fehlte ihm nicht nur dieses Etwas, mit allen Nerven und Gedanken sehnte er diese interessante Frau herbei. Das Leben ohne sie schien ihm inhaltlos.

Dieser Abend aber warf alles auf Stunden über den Haufen. Er dachte: „Sie ist treulos und falsch, wie sie alle treulos und falsch sind, diese Frauen von heute.“ Seine Gedanken kreisten um sie, und eine Bitterkeit stieg in ihm auf. Plötzlich war er wie ein junger Liebhaber erregt und bewegt. „Man müsste den Kerl niederschiessen,“ sagte er, „man müsste die Waffe auf ihn richten, auf ihn, auf sie und auf mich.“ Dann aber lachte er hellauf: „Das sind ja die Allüren eines Studenten oder eines jungen Künstlers. Sie hatte ja alle Freiheit.“

„Du sollst nicht töten, Eberhard. Töten ist Sünde. Morden ist das Vorrecht der geistig Minderwertigen.“

Er überlegte hin und her, schaltete das Herz aus, und seinen Verstand ein. „Sie sollen alle leben und glücklich werden,“ entschied er.

„Vielleicht sind die beiden das richtige Paar. Man kann nicht wissen.“ Dann wurde er realistisch in seinen Reflaktionen.

„Ich werde Renate, wenn sie damit einverstanden ist, ausstatten, damit sie ein sorgenloses Dasein führen kann.“

Plötzlich aber wieder kam es ihm zum Bewusstsein, dass es doch besser wäre, wenn ein Mann wie er, ein Mann in den allerreifsten Jahren, doch eine Frau hätte. Er kam sich vor wie ein von der Herde abgeirrtes Tier, das den Familienanschluss verpasst hat.

In diesem Augenblick klopfte es.

Wie aus Träumen geschreckt, rief er:

„Herein, Herein!“

Vor ihm stand Brigitte. Brigitte, die Hausdame, Brigitte, das feine, zartempfindende Wesen, das über alles im Hause schaltete.

Brigitte brachte heute selbst den Tee. Der Generalkonsul war bass darüber erstaunt. Freundlich fragte er sie:

„Fräulein Brigitte, Sie bringen mir selbst ...“

„Jawohl, Herr Konsul.“

Wohlwollend betrachtete er das hübsche Mädchen mit den vornehmen, edlen Gesichtszügen.

Seine Blicke weilten länger auf ihr als je zuvor.

Erst heute bemerkte er, wie ihre Augen leuchteten, und wie der Mund zu lächeln verstand. Blendend weisse Zähne hinter frischem Rot. Ihre Wangen hatten den zarten Hauch von Pfirsichen. Und die ganze Gestalt verriet einen Charme und eine Grazie, wie man sie selten sah.

Immer mehr hatte sein Gesicht sich aufgehellt. Renate schien plötzlich vergessen zu sein. Das Seelenbarometer stieg von schlechtem Wetter urplötzlich auf Schön.

Und mit dem Steigen dieses Barometers kam Eberhard von Wittinghausen der Gedanke, dass diese Frau in ihrer Jugendfrische und Reinheit begehrlicher war als all diese mondänen Frauen mit ihrer auffälligen Eleganz und ihren gezierten Manieren, und die nur den Zweck verfolgten, Männer zu betören und sich ihnen botmässig zu machen.

Und was war Renate? In diesem Augenblick fiel ihm der letzte Schleier von seinen Augen. Renate hasste er in dieser Minute. Ihm kam die Erkenntnis, dass sie nichts anderes war als mondäne Dutzendware. Das Bild des Abends im Eden-Hotel erschien ihm und mit einem gewissen Unwillen warf er diese Erinnerung von sich.

Brigitte, die Hausdame, hatte entschieden das Uebergewicht bekommen.

Sie sah ihn fragend an:

„Herr Konsul, Sie haben wohl etwas Schönes erlebt?“

Und der Herr Konsul nickte wohlwollend.

„Allerdings!“

„Darf man wissen, um was es sich handelt?“

Es war keine Neugier von ihr, es war ein gewisser Grad von menschlicher Teilnahme und von Interesse.

Eberhard machte ein überkluges Gesicht. In seinen Zügen lag Frohheit, Wohlbehagen und auch Güte. Lag etwas, was sie noch nie bisher bemerkt hatte.

„Herr Konsul, verzeihen Sie, Sie haben heute etwas ganz Rätselhaftes an sich.“

„Finden Sie, Brigittchen?“

Das „Brigittchen“ war ihr ganz neu. Nun war die Fröhlichkeit an ihr.

„Aber Herr Konsul, was haben Sie denn nur?“

Mit fast sachlichem Ernst erklärte er:

„Mein Kind, ich habe soeben entdeckt, wie reizend und entzückend Sie sind.“

Sie wollte abwehren, die Situation war ihr nicht ganz geheuer. Er aber fuhr fort:

„Verneinen Sie nichts … Ich bin ein alter gediegener Menschenkenner, und Sie sind noch viel zu jung, verzeihen Sie, um vielleicht das Gegenteil davon zu behaupten.“

Sie versuchte, ihn zu unterbrechen. Er aber liess sich nicht beirren.

„Ich kenne Sie mehrere Jahre, wir haben sozusagen Freud und Leid zusammen getragen. Sie haben mir oft einen vernünftigen Ratschlag gegeben, Sie, die kleine, reizende Brigitte, mit dem klaren Menschenverstand.“

„Herr Konsul, das ist zuviel des Guten … Aber ich weiss wirklich nicht … Um was handelt es sich eigentlich?“

Der Herr Generalkonsul setzte sich wieder in seine bekannte Positur. Er räusperte sich einige Male und dann ging es los.

„Brigitte, wie Sie wissen, hatte ich eine Freundin ...“

„Hatte …?“ kam es von ihren Lippen.

Er nickte. „Hatte … Ich glaube, die Sache gehört der halben Vergangenheit an. Diese Frau ist mir nicht treu … Ich glaube, es wenigstens vermuten zu können ...“

Brigitte war etwas betroffen über diese Erklärung. Nun sagte sie:

„Kann man einen Mann wie Sie betrügen?“

Er lachte hellauf. „Man kann.“

„Herr Konsul, ich darf Ihnen wohl sagen, dass ich mich nicht gerne in solche Dinge mische. Eine Frau, die einen Mann liebt, würde sich auch jeden Einspruch von anderer Seite recht sehr verbitten.“

Eberhard war darauf nicht vorbereitet.

„Liebes Kind, Sie sind doch meine treue Beraterin. Sie sind meine Hausgenossin, Sie sind …“ Er suchte nach Worten, nach Worten, die etwas Liebes ihr sagen sollten. Aber er, der Weltmann, war plötzlich nicht fähig, auf dieser Linie, die er so schön beschritten hatte, weiterzugehen. Die profanen Worte, die er Renate gegenüber immer gebrauchte, erschienen für diese Frau hohl und abgeschmackt. Er zögerte, machte eine lange Pause, und während Brigitte etwas nervös mit den Fingern auf der Tischplatte trommelte, fand er plötzlich wieder zu sich selbst zurück.

„Kurz und bündig … Ich bin kein Maun von Phrasen und Rankwerk, ich sage es Ihnen offen heraus: Brigitte, ich habe Zuneigung zu Ihnen gefasst.“ Und er, der Routinier Frauen gegenüber, war plötzlich befangen wie ein Primaner.

„Also kurz und bündig,“ setzte er wieder an, „ich möchte, dass unser Verhältnis von heute an sich ändere.“

Sie stand ihm erstaunt gegenüber.

„Was wollen Sie damit sagen?“

Er streckte beide Arme aus, und es hatte den Anschein, als wollte er diese reizende kleine Frau umfassen. Brigitte wich zurück. Eine jungfräuliche Scham trieb ihr die Röte in die Wangen.

„Seien Sie ganz vernünftig, es ist mein vollster Ernst … Brigitte, ich möchte, dass Sie immer an meiner Seite bleiben.“

„Herr Konsul,“ gab sie zurück, „Herr Konsul,“ wiederholte sie, „ich bin kein Mädchen, das sich zur Freundin eignet.“

„Das weiss ich, dafür kenne ich Sie zu genau, und darum … möchte ich Sie — heiraten.“

Brigitte stand verwirrt da. Wenn sie an alles dachte, auf diesen Gedanken wäre sie nie gekommen.

Ihr Atem flog, ihre Augen irrten unruhig im Zimmer umher, sie wusste nicht, war es Ernst, war es Scherz.

Eberhard schritt auf sie zu, erfasste ihre Hände und küsste sie. Sie suchte abzuwehren. Er aber lächelte und sagte:

„Nicht doch, Brigitte.“

„Herr Konsul …“

„Nein, nicht Konsul, Eberhard heisse ich.“

„Es ist nicht recht von Ihnen, Herr Eberhard ...“ sie verbesserte sich, „Herr von Wittinghausen.“

„Hier gibt es kein Wittinghausen mehr, hier gibt es nur noch Brigitte und Eberhard oder Eberhard und Brigitte.“

Mit diesen Worten fasste er schnell nach ihrem Köpfchen und küsste ihre Stirn.

Sie wusste nicht, wie ihr geschah und stammelte:

„Aber Herr Eberhard, das kommt ja einem Ueberfall gleich, ich weiss gar nicht, was ich dazu sagen soll.“

„Die Antwort muss einfach lauten: Ja.“

Brigitte war skeptisch.

„Aber ich weiss ja gar nicht, wie Frau Renate sich dazu stellen wird.“

„Nichts hat sie mehr zu sagen,“ lautete die Antwort. „Gar nichts. Ich weiss genau, sie hatte keinen anderen Wunsch, als mich in den Ehebann zu zwingen … Ich aber bin nicht der Mann, der dazu da ist, einer Frau Wünsche zu erfüllen, die nur dazu angetan sind, sie zu versorgen und dann ...“

Er besann sich: „Und dann ... ihn laufen zu lassen.“

„Ja, aber sind Sie davon überzeugt?“

„Bitte: bist du davon überzeugt.“

„Ich, wieso ich?“

„Jawohl, ich bin davon überzeugt.“

Eberhard setzte sich und zog sie neben sich.

„Also, liebes Brigittchen, damit wir uns recht verstehen: Du wirst meine Frau und ich werde dein Mann.“

Brigitte versuchte immer noch abzuwehren.

„Aber Herr Eberhard, haben Sie sich das auch richtig überlegt? Ich bin doch ein so armes Mädel, und so etwas erregt doch in Ihrer Gesellschaft grosses Aufsehen.“

„Kind, was redest du denn? Ist denn Armut ein Verbrechen? Du bist doch aus guter Familie, und wir sind uns doch vollständig ebenbürtig ...“ Und dann setzte er schelmisch hinzu: „Die Armut können wir ja beheben, und meinen sogenannten Reichtum auch. Ich gebe dir die Hälfte von meinem Reichtum, und du gibst mir die Hälfte von deiner Armut, und schon ist ein Ausgleich geschaffen.“

„Herr Eberhard, das wollte ich wahrlich nicht damit sagen.“

„Wohl aber ich.“

Nach diesen Worten nahm er sie in seine Arme, und jetzt widerstrebte Brigitte nicht mehr.

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