Читать книгу RUNNING - Lillie F. Leitner - Страница 13

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Michaela und Karl

Abends sitzt Karl in der Küche am Tisch. Zu dritt haben sie gemeinsam gegessen; David hat sich bereits in sein Büro zurückgezogen.

Michaela versorgt das Geschirr − ausnahmsweise mal einige Minuten lang schweigend. Über die Klappe des Geschirrspülers gebeugt, sortiert sie Teller und Besteck ein. Die Stille, allein durch das Scheppern der Teller gestört, bricht dieses Mal Karl. Er sagt ein einziges Wort: „Geld.“

Selbst für ihn klingt es wie ein Pistolenschuss im leeren Raum − das Wort scheint von den Wänden widerzuhallen.

Michaela ist so erschrocken, dass sie in ihrer gebeugten Haltung über der Klappe des Geschirrspülers starr verharrt und sich nicht aufzublicken traut.

Karl glaubt, dass sie ihn nicht verstanden hat.

Wenn einer, der so lange geschwiegen hat, plötzlich spricht, klingt das nicht besonders gesellschaftsfähig, das merkt er selbst. Es ist ein harter Ton gewesen, rau und heiser, viel zu laut für die Stille, in die er knallt.

Gerade holt er Luft, um einen ganzen Satz zu versuchen, sodass sie verstehen kann, was er will.

Da richtet sie sich auf, lässt alles stehen und liegen und setzt sich zu ihm an den Tisch.

Das verblüfft ihn. Erstaunt hört er zu, wie sie sich zu verteidigen und zu rechtfertigen beginnt. Für einen Vorwurf, den er gar nicht gemacht hat, nicht mal machen wollte.

Dem ganzen Gerede entnimmt er, dass sie kräftig abgezockt hat damals, als ihm alles egal geworden war. Ganz geschickt hatte sie das Geld für ihr neues Haus und für den dicken Mercedes von seinen Gewinnen abgezwackt, solche Bauernschläue hätte er ihr nicht zugetraut.

Er hört ihr zu, das Gesicht unbeweglich, sein Körper eingefroren auf dem Stuhl. Ausdruckslos starrt er vor sich hin, bemüht, sie nicht anzuschauen, damit sie den Abscheu und Widerwillen in seinen Augen nicht sähe.

„Und dir war doch sowieso alles egal“, ereifert sie sich, und schiebt ihm damit die Verantwortung für ihre eigene Raffgier mindestens zum Teil zu.

„Wäre ich nicht gewesen, wäre dein Geld jetzt komplett weg“, setzt sie noch einen drauf.

Er runzelt die Stirn. Was stellt die sich denn vor? Dass plötzlich das Erdreich unter dem Haus aufgerissen wäre und alles verschlungen hätte? Und dass sie das verhindert hätte? Grundbesitz und Geld verschwanden ja nicht so einfach, jedenfalls nicht, wenn man nicht gezielt nachhalf.

Wie es aussieht, hatte Michaela vor über einem Jahr die Betreuung für seine finanziellen Verhältnisse übertragen bekommen. Das musste sie wohl eifrig betrieben haben; er selbst wäre auf die Idee bestimmt nicht gekommen.

Und offensichtlich hatte er dem zugestimmt; dunkel erinnert er sich an viele Stunden auf einem Amt, umgeben von tausend Papieren. Ihm war das alles damals so egal gewesen, wahrscheinlich hätte er auch sein eigenes Todesurteil unterschrieben, wenn man ihn dafür aus diesem Raum heraus und in Frieden gelassen hätte.

Mit seinem Einverständnis hatte sie die Pflicht übernommen, sein Vermögen vernünftig − also einigermaßen gewinnbringend, jedenfalls aber ohne Verluste − zu verwalten. Das hatte sie wohl auch getan.

Und genug Geld für ihr neues Haus abgezweigt. Das war mit Sicherheit nicht in Ordnung, aber das konnte man doch regeln. Warum jetzt dieses lange Geschwafel? Man könnte auch die Fakten auf den Tisch legen, und gut wäre es? Da würde man schon eine Regelung finden.

Karl versteht nur Bahnhof. Er hat wenig Lust, sich das unsortierte Gequatsche weiter anzuhören.

Abrupt steht er auf und schiebt den Stuhl zurück.

Michaela hat gerade erneut Luft geholt, um weiter zu reden, macht jetzt den Mund wieder zu.

Karl greift sich einen umherliegenden Kassenzettel von irgendeinem Einkauf, holt einen Stift vom Küchenschrank und schreibt auf: „5.000 Euro.“ Darunter schreibt er das Wort ‚WANN‘, malt ein Fragezeichen dahinter und unterstreicht es zwei Mal. Den Zettel schiebt er Michaela hin.

Sie schluckt, nickt, erwidert leise: „Morgen. Morgen Abend?“, fügt sie mit fragendem Unterton hinzu.

Karl nickt, brummt zustimmend.

Er dreht sich um und verlässt den Raum, zieht seine alten, abgetragenen Schuhe an, greift nach seinem alten Parka, den er trotz Michaelas Protesten seit einigen Tagen wieder trägt, und schnappt sich den Schlüssel. Durch den Türspalt wirft er einen Blick zurück, sieht Michaela dort in der Küche zusammengesunken am Tisch sitzen. Sie hat ihre Brille abgenommen und vor sich hingelegt; den Kopf hat sie in die eine Hand gestützt, während sie mit einem Finger der anderen die Muster der Tischdecke nachzeichnet.

Fast tut sie ihm leid, so als Häufchen Elend, wie sie da kauert. Aber – pfffff! − soll sie sich mal nicht so anstellen! Schließlich verlangt er nur, was ihm gehört. Sie hätte die Verwaltung seines Geldes ja nicht übernehmen müssen, wenn es ihr zu viel war.

Karl verlässt das Haus.

Unterschiedlichste Emotionen bewegen ihn, unterlegt von dem sicheren Gefühl, dass hier etwas schief gelaufen war. Wie war das denn noch damals, in dem Amt zusammen mit dem Rechtspfleger und − ja, was waren das noch für Leute gewesen? Er kann sich nicht genau erinnern. Hat er was unterschrieben? Bestimmt – aber was? Oder hat er nicht? Er weiß es nicht mehr.

Aus alter Gewohnheit läuft Karl aus der Stadt hinaus, Schritt für Schritt gegen all seine Gefühle und Erinnerungen an. Die regelmäßigen Bewegungen beruhigen ihn und versetzen ihn in einen tranceartigen Zustand; kaum nimmt er wahr, wo genau er sich befindet. Er läuft und läuft, Stunde um Stunde, instinktiv biegt er hier ab, dann dort, schlägt eine andere Richtung ein, wie es ihm gerade in den Sinn kommt. Würde er im Kreis laufen, es wäre ihm auch egal − vielleicht tut er ja genau das.

Es muss ungefähr halb fünf sein, als es heller wird. Die Sonne geht auf. Karl läuft am Zoo vorbei bis hinunter zum Aasee. Er setzt sich auf eine Bank und sieht den Schwänen beim Gleiten zu. Alles ist still, bis auf die Dieselmotoren der Müllfahrzeuge, mit denen die Müllsammler rund um den See unterwegs sind. Der Aasee ist sommers wie winters Münsters beliebtester Erholungsort. Hier ziehen Jogger ihre Runden, alte Menschen spazieren genauso gern am Ufer entlang wie junge Leute; im Sommer hinterlassen hunderte von Besuchern täglich die Reste ihrer Grillvergnügen auf Wiesen und Wege verteilt.

Spätabends, wenn die meisten schon gegangen sind, kommen die ‚Abräumer‘. Das sind die, die mit zahlreichen Plastiktüten auf Einkaufskorbwagen und Fahrradanhängern Pfandflaschen und -dosen einsammeln, um sie an der nächsten Tankstelle gegen eine Flasche Fusel oder Zigaretten einzutauschen. Das, was liegen bleibt, heben morgens die Müllwerker auf; sie leeren auch die überquellenden Abfallkörbe.

Karl ist überhaupt nicht müde. Er befindet sich in einem Schwebezustand, lässt Geist und Seele über das vom Wind leicht gekräuselte Wasser gleiten.

Ausgepowert von seinem langen Marsch ist sein Willen nicht mehr sehr widerstandsfähig, mehr und mehr breitet sich eine merkwürdige Schwere in ihm aus. Er weiß nicht genau, wie ihm geschieht. Heisere Wärme steigt in ihm empor; plötzlich hört er krächzende, gurgelnde Laute. Er versteht nicht − erst, als er innerlich verkrampft und sein Körper zu schütteln beginnt, merkt er, dass diese Geräusche von ihm selbst kommen. Er kann seinen Körper nicht beherrschen, krächzt und schluchzt, am liebsten würde er schreien, bringt aber keinen Ton heraus. Er will aufspringen und laufen, aber seine Knie sind weich und folgen dem Impuls nicht. Karl zieht die Beine nach oben auf die Bank und umschlingt sie mit den Armen, rollt sich zu einer Kugel. Wie ein Kind fühlt er sich, hemmungslos schluchzend.

Erst als das Schütteln abebbt und sein Körper nach einer gefühlten Ewigkeit allmählich zur Ruhe kommt, bemerkt er, dass sein Gesicht und Bart tränennass sind. Mit dem Ärmel fährt er darüber, reibt mit dem T-Shirt seinen Bart trocken.

„Na, kannste nich schlafen?“ Jemand setzt sich zu ihm auf die Bank.

Langsam kehrt Karl zurück in die Gegenwart. Die Schwäne gleiten nicht mehr, sie schäkern miteinander. Die Müllwerker haben ihre Arbeit für heute beendet und sind verschwunden; erste Jogger drehen ihre Morgenrunde.

„Lange nich gesehen! Man munkelt ja, du wohnst jetzt wieder feste?“

Mit einem kurzen Seitenblick hat Karl seinen Sitznachbar identifiziert, danach schaut er wieder geradeaus aufs Wasser. Er sagt nichts.

„Mann, kannste nich mal ‘n Wort sagen? − Ach nee, kannste nich. Kannste nich oder willste nich?“

Karl schüttelt leicht den Kopf, ein halbes Lächeln auf dem Gesicht. Er mag Bernhard gern. Trotzdem will er jetzt keinen weiteren Sprechversuch unternehmen. Kurz kommt ihm der Gedanke, dass Bernhard an jenem Abend ja auch da war, an dem Abend, als Finch umgebracht wurde. Aber weiter denkt Karl nicht.

„Isses denn wahr? Wohnste jetz in ‘nem Haus?“

Karl nickt kurz und steht auf. Er sieht Bernhard an, nicht unfreundlich. Nickt nochmals, geht davon. Er kann spüren, dass Bernhard seine Schritte mit Blicken verfolgt; bestimmt holt er jetzt den Flachmann aus seiner Jacke und nimmt einen Schluck. Bernhard hat immer einen Schluck für zwischendurch.

Karl lächelt. In diesem Moment hätte er sein Leben auch gern reduziert auf die einzige Sorge, wo der nächste Schluck her kommt.

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