Читать книгу RUNNING - Lillie F. Leitner - Страница 7
ОглавлениеMichaela quatscht
Das Leben im Haus seiner Schwester ist für Karl wie Spießrutenlaufen. Er erholt sich nur langsam. Immer noch liegt er mehr, als dass er aufrecht sitzt oder etwa das Bett verlässt. Lediglich zum Essen steht er auf. Die gewohnte Bewegung an frischer Luft fehlt ihm. In den letzten Monaten war er ständig draußen, hat oft auch draußen geschlafen, wenn die Temperaturen es zuließen. Sich länger in geschlossenen Räumen aufzuhalten, macht ihm Unbehagen, ganz abgesehen davon, dass Michaelas Haus ihm fremd ist.
Er fühlt sich – und wird auch – auf Schritt und Tritt beobachtet, derweil für das Paar anscheinend alles seinen gewohnt zwanghaften Gang geht. Man liebt sich nicht, man hat sich gewöhnt. Nun ist man gespannt, wie er, Karl, sich jetzt und künftig verhalten wird. Er sieht ihnen die Fragen ins Gesicht geschrieben und beim Essen auf die Gabel gespickt: Am liebsten würden sie ihn damit pieken und löchern, so kommt es ihm vor. Aber sie trauen sich nicht, und nach Tagen scheint es Karl, als ob sie aus irgendeinem Grund Angst vor ihm haben.
Das wundert ihn zunächst nicht, denn auch er ist voller Ängste. Angst vor den dunklen, einsamen Nächten, die um ihn kreisen, die Schatten an Wände werfen, die das Haus flüstern und ihn nicht schlafen lassen.
Ständig ist er darauf gefasst, dass jemand herein kommt – was auch tatsächlich oft passiert. Für die Zimmertür gibt es keinen Schlüssel, und wenn er aus dem unteren Bereich des Hauses vor dem großen Redeschwall seiner Schwester nach oben flüchtet, geschieht es oft, dass sie nervensägend hinter ihm her läuft. Und mit dem Vorwand, irgendetwas ein- oder aufräumen, sortieren oder säubern zu müssen, in seiner Nähe bleibt und weiter schwallt.
Anstrengend ist seine neue Umgebung für ihn. Er schläft meist tagsüber, wenn Michaela und der Sachse „uff Arbeit“ sind. Dann ist er endlich allein und fühlt sich ungestört.
Nachts ist er dauerhaft damit beschäftigt, seine Gedanken zu blockieren. Er will nicht denken, nicht an das, was war, schon gar nicht an das, was kommt, und das, was jetzt ist, hält er nur aus, irgendwie.
Dennoch kriecht Stück für Stück schön langsam die Erinnerung in ihm hoch, die Erinnerung an das, was geschah, an die letzten Stunden, bevor er im Krankenhaus gelandet ist. Was ihm nicht ins Wachbewusstsein dringt, das träumt er, wenn er wehrlos im Schlaf hingegossen auf dem Bett seines Neffen liegt.
Jedes Mal schreckt er dann hoch aus unruhigem Schlaf, kurz bevor die Eisenstange seinen Kopf trifft, in Erwartung des scheußlichen Geräusches, das sie verursachen wird. Er hat es noch genau im Ohr und im Gefühl.
Bis dahin hat er aber schon in allen Einzelheiten gesehen, was sie mit Finch gemacht haben. Er kann sich nur zu genau ausmalen, was sie anschließend noch mit ihm getan haben, als erst mal sichergestellt war, dass er, Karl, sich nicht einmischte. Auch wenn keiner mit ihm bisher darüber gesprochen hat, auch wenn er nicht fragt – er weiß es: Finch ist tot. Sie haben ihn umgebracht.