Читать книгу Heute sterben wir noch nicht - Lily Zimmermann - Страница 5

Kapitel 2: Spezialauftrag

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„Muss man immer alles richtig machen?“, fragte ich die Smolenskaja, in deren Zimmer ich zitiert worden war. Sie saß mir schräg gegenüber und antwortete nicht, sondern schüttelte sich immer noch in ihrem Kittel. Ich hatte sie sozusagen ertappt, obwohl ich brav geklopft hatte. Sie knutschte gerade einen großen Mann, stieß dabei ihren rechten Arm in den Ärmel ihres Arztkittels und zerrte mit der linken Hand hastig den Saum ihres Pullovers, den sie darunter trug, über den Bauch. Der Mann löste sich von ihr und verließ mit schnellen Schritten das Zimmer. Er hatte einen schmalen Kopf mit deutlicher Stirnglatze, die Haare ringsherum waren fast vollständig abrasiert.

„Ruf mich an, wenn du gelandet bist“, rief die Smolenskaja ihm nach. Er ging gerade an mir vorbei und das Lächeln bei seinem „Mach ich“, fiel auf mich. Ich schickte ihm ein: „Wow, Ihr Alter? Ganz vital.“ hinterher und sah, wie die Smolenskaja in ihren Bewegungen kurz stockte. Dann setzte sie sich an ihren Arbeitstisch und wies wortlos auf einen Stuhl für mich, seitlich daneben.

Meine Frage hing schon eine Weile in der Luft, aber ich traute mich nicht, sie zu wiederholen. Endlich schaute sie mich an. Ich mochte ihr weiches Gesicht mit den klaren grauen Augen, das immer mütterliche Aufmerksamkeit auf mich ausstrahlte.

Auch ihre Stimme klang mütterlich warm, als sie zu sprechen begann: „ Es steht außer Frage, dass jeder seinen eigenen Leidensweg hat und es unzählige Arten gibt, ein Kind zu traumatisieren. Das Ergebnis sind immer dieselben eingemauerten Seelen, die sich in unzähligen Absonderlichkeiten mitteilen. Alle verdienen….“

„ ABER, Frau Doktor“, unterbrach ich sie, „bei allem Verständnis, auf das sogar Typen wie Angie Anspruch haben, als Insider traue ich mir zu, Quatsch zu erkennen. Und Angie hat die ganze Zeit Mist erzählt und die Aktion mit meinem Tagebuch war eine Sauerei, dabei bleibe ich.“

Die Smolenskaja bemühte sich, ein Lächeln wegzudrücken und tat, als hätte sie meinen Einwurf nicht gehört.

„Natürlich müssen Sie nicht alles richtig machen, zumindest nicht beim ersten Mal. Wichtig ist, daraus zu lernen, um die Fehler nicht zu wiederholen. Bei Ihnen zieht es sich allerdings wie ein roter Faden durchs Leben. Ich meine Ihr hohes Aggressionspotential mit regelmäßigem Kontrollverlust, das auf Fehlen von Wut-und Stressbewältigungstechniken hinweist, ich glaube sogar auf das Fehlen einer grundlegenden Konfliktstrategie.“

Meine Therapeutin stand auf, zog sich ihren Arztkittel aus und warf ihn auf die Untersuchungsliege an der Wand. Sie schob sich die Ärmel ihres herbstroten Pullovers bis an die Ellenbogen hoch und wandte sich mir wieder zu: „Ich dachte, Sie wären weiter, wollte Sie sogar demnächst nach Hause schicken.“

„Und wenn ich gar nicht raus will?“

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie die ganze Zeit gelogen haben?“

„Gelogen würde ich es nicht nennen.“

Ich hielt ihrem Blick stand. Hatte sie etwa eine bessere Idee, wie man sich vor dem aufdringlichen Engagement der Ärzte und Psychologen retten konnte? Wenn man tausendmal dieselbe Frage beantworten soll, aber wochenlang gar keine Besserung verspürt?

Nein, das sagte ich nicht. Das hatte die Smolenskaja nicht verdient. Mir war klar, dass sie weitere Erklärungen von mir erwartete. Ich sah es jedoch nicht ein, schließlich hatte sie mich her befohlen, ohne mir zu sagen, worum es ging. Jetzt war sie dran.

Dr. Smolenskaja ging im Zimmer auf und ab, die Hände in den Taschen ihrer grauen Stoffhose. Da ich einfach nicht antwortete, sprach sie leicht ungeduldig weiter: „ Wissen Sie, ich tue das alles hier nicht für mich. Sie sind diejenige, die Hilfe braucht und nur Sie haben es in der Hand, ob Sie Ihr Leben wegwerfen wollen. Und eines steht fest: Die Welt dreht sich auch weiter, wenn Sie zugrunde gehen.“

„Die Welt hat sich noch nie für mich gedreht.“

„Jetzt hören Sie aber auf.“

Woher wollte sie es wissen? Wenn ich es doch nie anders erlebt hatte! Warum sollte ich mich in eine Welt zurücksehnen, in der ich von Anfang an unerwünscht war, in der ich mich nie am richtigen Platz gefühlt hatte?

„ Die meisten Menschen mögen mich nicht, lehnen mich ab, das war schon immer so“, sagte ich trotzig, „ zu Anfang war ich nicht dagegen, anders zu sein als andere, weil ich dachte, genau das zeichnete mich vor ihnen aus. Ganz besonders die Jungen mochten meine Art, sie gab mir in ihren Augen etwas Geheimnisvolles. Aber auf Dauer verzeiht die Gemeinschaft einem das Anderssein nicht, sie grenzt denjenigen brutal aus.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Solange sich die Mehrheit etwas einverleiben und eine Mode daraus machen kann, ist es o.k.…“, das Klingeln des Diensttelefons unterbrach mich, ich hielt erschrocken inne. Frau Dr. Smolenskaja drückte den Anrufer weg und nickte mir zu, weiter zu reden.

„Aber einen Charakter oder eine Identität kann man nicht kopieren“, behauptete ich.

„Warum sollte die Gesellschaft auffällige Typen Ihrer Meinung nach ausgrenzen? Es ist der moderne Lifestyle, unverwechselbar und besonders zu sein.“

Es galt aber nur für bestimmte Besondere, nicht für die anderen Besonderen, wie sollte ich es ihr bloß klarmachen, verdammt nochmal! Es war nun einmal so: eine Art wurde akzeptiert, die andere abgelehnt. Ich gehörte zur letzteren Gruppe. Es war sinnlos zu antworten.

So hob ich nur die Schultern beim Luftholen und atmete geräuschvoll und lange aus.

„Was ist mit Ihren Freunden, Ihrer Familie?“

„Mit allen verkracht.“

„Dachte ich‘s mir fast. Umso besser. Ich meine natürlich für den Vorschlag, den ich Ihnen machen möchte.“

„Darf ich vorher noch kurz etwas sagen?“, drängte ich mich schnell in ihre Atempause. Sie nickte, ich wollte etwas gutmachen und ratterte noch schneller: „Ich weiß ja selbst inzwischen, dass ich die Therapie draußen nicht hätte abbrechen dürfen. Ich dachte, den Schlüssel für alles gefunden zu haben, aber ich hatte mich überschätzt.“

Es klopfte stürmisch gegen die Tür, kurz darauf wurde sie aufgerissen und eine aufgeregte Schwester stand vor uns und rief: „ Oh, Entschuldigung, Frau Doktor, ich wusste nicht, dass Sie eine….Ihr Telefon geht scheinbar nicht. Wir brauchen Hilfe im Wachzimmer. Ein Neuzugang macht Probleme.“

Frau Dr. Smolenskaja sprang auf, griff ihren Kittel und rief: „In Ordnung, Claudia, holen Sie den diensthabenden Spätdienst, in zwei Minuten komme ich sofort nach.“

„Ist unterwegs, Frau Doktor“, klang Claudias Stimme schon vom Stationsflur zurück.

Ich erhob mich ebenfalls und wir gingen nebeneinander zur Tür.

„Ich überlege, die Verhaltenstherapie bei Ihnen auszusetzen und Sie zu einem Intensivkurs in Achtsamkeitsausbildung zu schicken.“

„Damit kann ich nichts anfangen.“

„Das besprechen wir in den nächsten Tagen.“, beschloss die Psychologin unser Gespräch.

Sie wollte die Tür zu ziehen, da klingelte das Telefon erneut. Die Smolenskaja lief von der offenen Tür zurück ins Zimmer und drückte auf die Freisprechanlage. Ich hörte eine Stimme sagen: „Hat sich erledigt, Frau Doktor, wir haben zwei Ärzte vor Ort, der Oberarzt kam auch dazu.“

Die Smolenskaja ließ sich auf ihren Stuhl nieder und sah mich an: „ Setzten Sie sich wieder. Wo waren wir stehen geblieben?“ Sie kramte unter den Papieren auf ihrem Schreibtisch ein kleines Heftchen hervor, das sie mir reichte.

„Genaugenommen stellt die Achtsamkeitslehre eine Lebensphilosophie dar, die therapeutisch genutzt wird. Letztlich geht es um das Weiterleben, auf eine bessere Art.“

„Weiterleben ist die Therapie? Da bin ich ja gespannt. Lässt sich daraus ein Sinn für das menschliche Leben erkennen?“

„Wenn die Sache Leben ein Sinn hat, dann liegt er in der Sache selbst. Aber das kann Ihnen Herr Schramm viel besser erklären. Von mir bekommen Sie nur die Hausaufgaben, parallel zu diesem Kurs ihre Beziehungen nach draußen ins reine zu bringen. Fragen sie sich, ob sie alles noch einmal so tun würden, warum, warum nicht, nehmen Sie Kontakt auf, und so weiter.“

„Toll, darauf bin ich ganz scharf“, brummte ich.

„Gerne.“

Landpartie mit Coco, heiße Maisonne und warmer Wind im flachen Land. Das Wäldchen war zu Ende und vor uns lagen rechts und links des Radwanderweges Felder und Wiesen. An einer Stelle, an der der Seitenstreifen breit genug war, legten wir uns mit unseren Rädern ins Gras.

Coco streckte sich und stöhnte wohlig vor sich hin. Mit hochgerecktem Hals, den Oberkörper durch meine schräg nach hinten gestreckten Arme gestützt, schaute ich ringsherum die Gegend ab. Etwa dreihundert Meter von uns entfernt und deutlich abseits von der Richtung unseres Weges ragte ein einsames Gehöft aus dem Grün. Noch weiter dahinter bewegte sich eine kleine Herde Weidetiere nur als undeutliche braune und weiße Punkte. Ich genoss es, dass wir vollkommen ungestört waren, schloss die Augen und legte meinen Kopf in den Nacken.

Außer dem sanften Sirren der Luft hörten wir nur eine Lerche. Sie trällerte genau über uns. Ich blinzelte zu ihr hoch.

„Ihre Stimme flattert wie ihre Flügel“, sagte ich gähnend.

Coco erhob sich, zog die Spange aus meinem Haar und verwuschelte meinen aufgetürmten Haarknoten in alle Richtungen. Sie stellte sich mit seitlich ausgestreckten Armen kerzengrade vor mich hin und ihre transparente Bluse umflatterte und verschleierte die Linien ihres Körpers. Coco trug gern Longblusen im Lagenlook, die standen ihrer großen Statur prächtig.

„Ich bin fasziniert von der Luft“, flüsterte sie, „sie ist das Medium, das uns alle miteinander verbindet….“

„Mich stört die Vorstellung, das einzuatmen, was die anderen ausatmen oder auf andere Art absondern“, murmelte ich.

Coco hielt kurz inne, winkte ab und meinte: „Ruhe, du störst meine Inspiration.“ Eine kleine Weile später schwärmte sie erneut:

„Bis zum kleinsten Härchen meines Körpers bin ich umfangen von ihr. Der Kontakt mit meiner Haut ist übergangslos, ich gehe regelrecht auf in ihr, fühle, wie ich unermesslich wachse. Sie ist mein Atem und durch sie werde ich zu einem Lebewesen. Ich spüre MICH. Bis in den kleinen Zeh. Das ist der Wahnsinn, Sina, Wahnsinn über alle Maßen.“

Ich sprang auf, fasste Coco an die Taille und tat so, als würde ich sie in die Höhe heben. Dabei rief ich theatralisch: „ Jawohl, ein neues Wesen ist luftgeboren und will hinein ins Leben.“ Coco simulierte einen Segelflug und rannte in kleinen Kreisen hin und her: „Einfach da sein, umherdiffundieren, berühren, mich vermischen, wachsen, mich teilen, aufnehmen, abgeben, ja, austauschen mit der Welt, teilhaben, dabei sein dürfen.“

Sie fasste mich bei der Hand: „Komm, lass uns über die Felder fliegen“, rief sie und mit einem Jauchzer zog sie mich mit.

Gemeinsam sprangen wir im Hopserschritt über die Huckelwiese und sangen laut lachend das russische Kinderlied „Immer lebe die Sonne“: „ Budj wsjegda, budjet solntse, budj wsjegda, budjet njeba…..“

Unabsichtlich waren wir mit unserem wilden Geschrei in die Nähe des Gehöftes geraten. Es stand verwaist da und steckte uns mit seiner Stille an.

Plötzlich schoss ein schwarzbraunes Bündel um die Hausecke, das sich in rasender Geschwindigkeit zu einem wütenden Hofhund vergrößerte. Das Verharren in der Blitzstarre, die Kehrtwende auf der Stelle und das Davonstürzen vollzogen sich bei Coco und mir synchron und in einem einzigen Handlungsablauf. Wortlos rannten wir, blieben knapp vor den Reißzähnen des Köters. Irgendwann trat ich in etwas Weiches, Schmatzendes und rannte noch schneller, bis Coco rief: „Es reicht, er ist weg. Zum Glück hat auch die längste Hundeleine ein Ende, mein Gott, die war ja mindestens fünfzig Meter lang oder mehr.“

Ich hob meinen linken Fuß: „Guck mal.“

„ Schöne Scheiße“, sagte Coco, „Ausziehen. Den Strumpf auch.“

Ich zögerte, barfuß weiter zu gehen, mein nackter Fuß ruhte auf dem beschuhten.

„Na, Prinzesschen, hier ist kaum der passende Boden für eine Ballettstunde. Komm, ich nehme dich Huckepack.“

„Schaffst du das?“

Mit dem Kennerblick der Soldatin meinet Coco: „Mehr als mein Sturmgepäck, wenn ich voll aufgerödelt bin, bringst du nicht auf die Waage.“

Sie stapfte mit mir als ihrem Rucksack zu unseren Rädern zurück. Ich hielt Cocos Hals umschlungen und legte meinen Kopf auf ihre Schulter. Während ich überlegte, womit ich mich leichter machen könnte, drehte Coco den Kopf zur Seite und sagte mit der Stimme der SMOLENSKAJA direkt in mein Ohr: „Der Sinn des Lebens ist: zu leben. Mit allem, was du dazu brauchst, bist du ausgestattet.“

Die nächste Böe des Frühlingswindes verwehte das Traumbild und ich erwachte in meinem Klinikbett.

Ich nahm Coco übel, dass sie nicht mit ihrer eigenen gurrenden Stimme gesprochen hatte, obwohl von ihr niemals dieser Therapeutensatz gekommen wäre, auch wenn sie sicher eine Antwort gewusst hätte, sie war ja immer so lebendig. Stattdessen schlich sich die Smolenskaja in meine Träume und machte meine Erinnerungen zu ihrer Lehrstunde.

Ach Coco, ich möchte dich wiederhaben, dachte ich wehmütig und zog mir die Decke bis ans Kinn.

Dann mach die Hausaufgaben, die die Smolenskaja dir aufgetragen hat, befahl ich mir. Jaja antwortete ich mir selbst und im Aufstehen wiederholte ich ganz entschlossen: Ja-ha!

Es war leichter gesagt als getan. Ich schob den Zeitpunkt hinaus, an dem ich mich hinsetzen und mein Leben, was vor allem für mich Ausgrenzung, Kränkung und Ärger bedeutete, Revue passieren zu lassen. Wer riss sich schon darum, sich freiwillig mies zu fühlen, in dem er Dinge heraufbeschwor, die er zuvor mit gutem Grund aus seinem Bewusstsein verbannt hatte.

Beim Frühstück trödelte ich so lange, bis ich allein im Saal saß, die Geräusche auf dem Flur verklungen und sogar die Essenwagen fort waren.

„Nanu, haben Sie heute keine Termine? Nicht mal Sport?“ Eine bekannte Stimme scheuchte mich auf.

„Spezialauftrag“, murmelte ich eintönig.

„Soso, Spezialauftrag“, Schwester Renate zeigte ihr schiefes Lachen, das ich so an ihr mochte.

„Jawohl, zu dem ich einiges recherchieren muss. Sogar Interviews gehören dazu. Zum Beispiel mit Ihnen, Schwester Renate. Sagen Sie, kann man in der Psychiatrie eigentlich nur arbeiten, wenn man total randvoll mit Düsternis, abartigen Gedanken und Reue über eigene Schandtaten ist oder muss man im Gegenteil vollkommen licht und unbelastet sein und gleichzeitig eine Seele besitzen, die immun ist gegen Angriffe der Schlechtigkeit? Wie gehen Sie persönlich mit den Gespenstern Ihrer Vergangenheit um, denen, die sie weggesperrt haben? Oder dürfen die bei Ihnen mit am Tisch sitzen?“

Renate zeigte sich immer amüsierter und setzte sich zu mir: „Sie meinen, ob es Sinn macht, die Schrecken immer wieder zu beleuchten, damit sie blasser und schwächer werden, wie die Gespenster im Märchen, die das Licht fürchten? Jedenfalls behaupten das die Märchentanten.“ Wen sie wohl mit Märchentanten meinte, fragte ich mich und nickte, worauf sie den Kopf schüttelte: „Warum soll man immer wieder traumatische Gefühlssituationen heraufbeschwören? Ich bin eher der Typ, der gern gründlich aufräumt und verdorbenes aussortiert. Nur einmal, dafür richtig. Vorbei ist vorbei.“

„ Schade, hier gibt es nur theoretische Antworten. Ich dachte, wenigstens Sie würden mal mit etwas Brauchbarem rausrücken“, maulte ich enttäuscht.

Renate schwieg. Nach kurzem Nachdenken begann sie zu erzählen: „Wissen Sie, ich war sieben Jahre verheiratet. Sieben Jahre im siebten Himmel. Ich glaubte, neben meinem Mann niemanden anderen zu brauchen, niemanden zu vermissen, nicht einmal ein Kind wünschte ich mir. Bis eines Tages eine Mitarbeiterin mir mit einer pikanten Geschichte klar machte, dass ich sieben Jahre einem Trugbild verfallen war. Ganz plötzlich lag mein Leben in Scherben.“

Renate war es anzusehen, dass sie mit sich kämpfte, ob weitererzählen sollte.

„Es kann ja nur die bekannte schäbige Sache sein“, versuchte ich zu entschärfen und dachte an Felix, was mich auf der Stelle betrübte.

Renate nickte: „Es ging um eine andere Krankenschwester, die auch hier auf dieser Station arbeitete. Sie war, wie alle Kollegen Gast auf meinem Polterabend und musste diesen leider früher verlassen, weil sie Nachtdienst hatte. Mein Mann bot sich damals an, sie schnell in die Klinik zu fahren. Nett, nicht? Ein fast perfektes Alibi, um im Personalumkleideraum gierig übereinander herzufallen. So perfekt, dass sie nicht merkten, wie sie beobachtet wurden. Am nächsten Tag heirateten wir. Er setzte mich die ganze Zeit unserer Ehe einer ungeheuren Situation aus. Alle um mich herum waren im Bilde über diesen Fehltritt, alle außer mir.“

Ausgerechnet einer so feinen Person passiert dieser Mist. Ich fragte neugierig: „Und? Was haben Sie mit ihm gemacht? Lebt er noch? Oder sind Sie etwa noch mit ihm zusammen?“

Renate schüttelte lachend den Kopf: „ Trotzdem waren es die schönsten Jahre meines Lebens und ich bin dankbar, dass ich sie mit ihm erlebt habe. Ich habe ihn geliebt, er hat mich glücklich gemacht. Wenn ich es nie erfahren hätte, wer weiß?“ Renate erhob sich, „Was ich sagen will: vorbei. In einer neuen Liebe würde ich wieder vertrauen.“

„Einmal richtig ausmisten“, sagte ich tonlos, „ Verlangt die Smolenskaja auch.“

„Lassen Sie sich Zeit, wir sehen uns noch öfter hier.“

Die beste Phase meines Lebens, in der ich sogar gerne lebte, prägten Felix, Coco und Marcella. Die aufrichtige Bereinigung dieser Beziehungen war der Schlüssel zu meinem Glück, so viel hatte ich begriffen.

Teil II: Rückblick

Heute sterben wir noch nicht

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