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Kapitel 5 Geheimes Wissen

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In unserem kleinen Studio hatte Nikolaj Lwowitsch seine eigene, nur ihm gehörige Ecke. Um mir nicht, wie er selbst sagte, im Weg zu sein. Um weder sich noch mich zu stören, indem er durch das Zimmer pendelte. Übrigens war dieser Platz viel mehr ein Eckchen als eine Ecke: In der Zeit, in der ich keine Sitzungen hatte, blieb ihm nur ein alter Sessel, der in der Wohnung, die wir für das Studio gemietet hatten, zurückgeblieben war. Die Tochter, die ihre kranke Mutter zu sich nahm, hatte auf das alte Teil ihrer Möbelgarnitur verzichtet und Nikolaj Lwowitsch nahm dieses schöne, aber schon halb zerbrochene und seltene Möbelstück sofort in Besitz.

Wenn mein Vater und Lehrer ins Studio kam, setzte er sich immer in diesen im Laufe der Zeit sehr abgenutzten Sessel, in dem oft meine Kunden posierten, und schaute mir bei der Arbeit zu. Er kam aber niemals hierher, wenn ich nicht alleine war. Als Künstler konnte er gut verstehen, wie wichtig es für einen Maler ist, alleine mit seinem Objekt zu sein. Mit seinem Modell. In Ruhe. In Gedanken. Konzentriert.

Er mochte es, mich dabei zu beobachten, wie ich den Porträts die fehlenden Details, Vasen, Gardinen, alle Art von Dekorationen, hinzufügte. Manchmal erhob er sich aus dem Sessel und kam näher. Stand schweigend daneben und schaute zu. Meldete sich nur dann zu Wort, wenn ich ihm eine Frage stellte. Gab mir gerne eine Antwort, machte Bemerkungen und Vorschläge. Uns beiden gefiel dieser Rhythmus des gemeinsamen Schaffens. Nikolaj Lwowitsch störte mich keinesfalls bei meiner Arbeit, die sehr selbstbestimmt war. Ich entschied, was ich zeigte und welches Detail ich in meiner nächsten Arbeit zum Ausdruck bringen wollte. Ohne aufdringlich zu werden und mit großer Sorgfalt gab er mir aber weiterhin Kunststunden wie zuvor. Stunden der Professionalität. Zeigte, wie man richtig den Schatten legte. Wie man das gezeichnete Detail zum Leuchten brachte.

Ich brauchte seine stille Anwesenheit.

Seine fachkundigen Bemerkungen.

Seinen Zweifel und seine Zustimmung.

Er brachte mir bei, nicht nur das äußere meines Modells zu sehen. Er wollte, dass ich unbedingt tiefer hineinschaute. Dass ich mich dabei anstrengte.

Dass ich versuchte, den äußeren Glanz des Menschen zu zeigen und die Maske, hinter der er sich versteckte, zu lüften.

Dass ich versuchte, seine Beziehung zu sich selbst, zu der Umwelt zu verstehen.

Den Schleier seiner Seele, seines inneren Wesens zu öffnen.

„Wenn du das Innere dieses Menschen enträtselst, es nach außen holst, gelingt es dir viel leichter, sein gesamtes Wesen auf die Leinwand zu bringen. Ohne das bleibt deine Arbeit leblos und uninteressant. Es ist sinnlos, für den Papierkorb zu arbeiten. Versuche, jedem deiner Bilder, deiner Pinselschläge, deiner Striche einen bestimmten Sinn zu geben.“

Diese Weisheit lernte ich ganz langsam, Schritt für Schritt. Lernte aufmerksam die zu mir kommenden Menschen kennen.

Hier setzte sie (oder er) sich in den alten knarrenden Sessel, posierte halbliegend auf der Ottomane, stand lässig gestützt auf eine Gipssäule. Hielt einen Spitzenschirm in der Hand, spielte an einem eleganten Spazierstock mit dem Knauf eines Löwen- oder Adlerkopfs oder mit einer einfach vergoldeten Kugel.

Jeder Auftritt meines Kunden ist besonders. Die Leute, die zu mir kommen, möchten sich nicht mit langweiligen alltäglichen Dingen umgeben. Die meisten von ihnen betrachten sich als aus den Fantasien der Vergangenheit kommend. Aus der für die anderen unbekannten, aber für sie offensichtlichen Gegenwart. Aus dem Bild einer fremden Geschichte. Aus dem Pinselstrich des Ungewöhnlichen. Wo keiner außer ihnen war und jemals sein wird. Jeder von meinen Kunden gibt sich gerne als eine Persönlichkeit voller Geheimnisse aus.

Schwebt gerne in seinen Wolkenfantasien.

Erfindet eigene Legenden.

Meine Aufgabe ist es jedoch, diese Luftwolke voller verschiedener Mysterien auf die Leinwand zu bringen.

Die Erfindungen dieser Menschen durch banale Zentimetermaße zu begrenzen.

Mit Farbe zu bekleiden.

Bedeutsamkeit einen originellen Sinn zu verleihen.

Die Energie der Gedanken auf einem Stück Leinen zu platzieren und sie, die unsichtbare, durch Pinselstriche darauf zu fixieren.

Die Augenblicke des Lebens für die nächsten Jahre festzuhalten.

Ein Leben für die erdachten Geschichten.

Ein geheimnisvolles Porträt für die zukünftige Generation.

Ein erfundenes Schicksal, um die Gierigen zur Schau zu stellen.

Es ist unwichtig, wie meine Kunden vor mir erscheinen – gepflegt, mit Tätowierungen, geschmacklos gekleidet, mit bescheidenem Wortschatz, zynisch, mit Brillanten an den Fingern und Ohren, naiv, frech, offen, vulgär, bescheiden. Blond, brünett, mit meisterhaften Frisuren oder ganz ohne Haar. Nach Schweiß, leichter Meeresbrise oder starkem Lavendelduft riechend. Sie alle sind verschieden. Alle. Interessant dabei aber ist, dass sich ihre Geschmäcker hinsichtlich der Porträts nicht sehr voneinander unterscheiden – abhängig von ihren Vorstellungen von der eigenen Macht und Bedeutsamkeit.

Die Männer unterscheiden sich nicht in ihren Fantasien. Sie bleiben im Rahmen der gewöhnlichen Vorstellungen von Reichtum, Macht, Komfort- und Luxusleben.

Auf ihren Porträts erscheinen sie gerne im Smoking.

Mit schwarzem Seidenzylinder. Im langen Samtmantel oder in der Hausjacke aus Atlasseide.

Rauchen gerne teure Tabakpfeifen oder dicke Zigarren.

Legen die großen Hände mit teuren Ringen auf ihre Knie.

Tätscheln den daneben sitzenden Hund zwischen den Ohren.

Stehen mit einem Jagdgewehr auf dem Rücken und erschossenem Wild in der Hand oder unter dem Fuß.

Gekleidet in einen teuren Anzug mit goldenem Zigarettenetui in der Hand.

Frech gestützt auf den Flügel eines neuen Autowunders.

Mit konzentriertem Blick an einem großen Tisch sitzend, auf dem ein Stapel Ordner liegt.

Sich sehr ernsthaft zeigend.

Streng.

Wohlhabend.

Mächtig.

So sind die Geschmäcker meiner männlichen Kunden.

Die Frauen meiner reichen Kunden mögen es, schön zu sein.

Schick.

Auffällig.

Im langen Kleid, mit Hut und Sonnenschirm in der Hand aristokratisch auszusehen.

Als auf der Ottomane liegende Kokette mit erotisch herunterfallendem Oberteil oder etwas hochgezogenem Rock eines durchsichtigen Kleides.

Als Schulmädchen mit süßem Blick, unter den langen Wimpern hervorgeworfen.

Als Tänzerin im langen Zigeunerrock.

Als elegantes Model auf dem Laufsteg.

Als Mutter mit einem Baby im Schoß – übrigens, ein seltener Fall.

Als reiche Mätresse in grellen Kleidern.

Als bescheidene Dame mit perversem Lächeln und Peitsche in der Hand.

Als Tochter eines reichen Vaters, die mit Brillanten behängt ist.

Als Frau eines reichen Mannes im luftigen Pelzmantel seltsamer Fasson.

Als in der rosafarbenen Muschelbadewanne liegende Erbin eines ungeheuren Vermögens, unbestimmten Alters.

Keiner meiner Kunden möchte zum Objekt eines klassischen Porträts in dunklen Tönen werden. Keiner von ihnen glaubt, dass Bescheidenheit schön macht.

Jeder versucht seine markante Persönlichkeit hervorzuheben, die sich vom Hintergrund des Alltags absetzt.

Vertrauen zu erwecken.

Die Schulter der Treue zu zeigen.

Aus der Erhabenheit der Pracht aufzutauchen, um seine Freundlichkeit und Offenheit zu demonstrieren. Den Reichtum und die Macht, in denen sich nach seinen Vorstellungen Ehrlichkeit und Anständigkeit widerspiegeln, zu präsentieren.

Keiner der Betrachter soll erraten, ob das Gesehene auf dem Bild echt oder vorgetäuscht ist. Nur er, der Held des Porträts, kennt die Wahrheit. Und die Aufgabe des Künstlers ist es, die Wahrheit größtmöglich von der Erfindung zu entfernen und auf dem Porträt ein schönes Märchen darzustellen.

Der Held des Bildes hat nicht vor, sein wahres Wesen zu offenbaren. Der Maler, der ihn mit seinen aufmerksamen Blicken studiert, kommt selbst darauf.

Ein Zimmer für zwei.

Lange Stunden unter vier Augen.

Gleichklang der Herzen.

Ein gemeinsames Atmen.

Nur ein Rätsel in den Augen: Gelöst oder nicht?

Und eine Frage im Kopf: Entschlüsseln oder nicht?

Eine Wolke der Erwartung.

So lange, bis der Künstler die Spindel, auf der das Innenwesen seines Helden aufgewickelt ist, nach außen holt. Sein Leben. Seinen Kern. Aber still! Das ist ein Geheimnis!

Ab dem Moment der Erkenntnis der fremden Innenwelt wird der Künstler zum Schöpfer. Er genießt sein geheimes Wissen. Mischt langsam und geschmackvoll die Farben. Versucht sie dann Strich für Strich auf die Leinwand aufzutragen. Lächelt dabei im Inneren seinem Wissen zu oder bleibt ernst. Der Künstler hat das Recht, die Stimmung für sich zu wählen.

Im Prozess dieser komplizierten, mit ihrer Mystik fesselnden Arbeit erscheint auf der Leinwand ein Bild, das seinen Besitzer begeistert. So entsteht ein weiteres Meisterwerk. Ein Porträt mit verstecktem Untergrund, das einem Koffer mit doppeltem Boden ähnelt. Der Betrachter kann die echten Gefühle des Porträtierten nicht sehen, ebenso wenig wie das Wissen des Künstlers, der sie enträtselt hat. Von diesem Wissen weiß auch der Auftraggeber nichts. Seine Vermutungen zählen nicht. Aber ab dieser Minute wird das Geheimnis des einen zu ihrem gemeinsamen. Zum Faden, der zwei Enden einer Wahrheit verbindet.

Eines Gewissens.

Eines Hasses, eines Neides oder einer Eifersucht …

Der Vater brachte mir vieles bei. Er lehrte mich, wie man richtig die Leinwand spannte. Keine Angst vor wiederholten Fehlern zu haben. Die Farbnuancen zu verstehen. Nach dem Gedächtnis zu malen. Die Bildgröße korrekt zu bestimmen. Richtige Pinsel zu wählen. Sogar das kleinste und unwesentlichste Element gründlich zu zeichnen. Aber als Künstler in die Innenwelt des vor mir sitzenden Menschen zu blicken, brachte er mir nicht bei. Wie auch? Das lernte ich selbst. Das Wissen dieses großen Geheimnisses kam während der Arbeit zu mir.

Das geschah unerwartet.

Seltsam und süß.

Meine Entdeckung fand noch vor unserer Reise zum Meer statt. Vor meiner ersten Begegnung mit diesem Wunder. Eines Tages malte ich das Porträt von Nastja, der jüngsten Tochter unserer Nachbarin Larissa. Das sechsjährige Mädchen war von Natur aus sehr laut, munter und unruhig. Das störte mich sehr bei meiner Arbeit. Es gelang mir einfach nicht, den richtigen, mich zufriedenstellenden Ausdruck ihres lebhaften Gesichtes festzuhalten. Als ich aber sagte, dass sie und ihre Schwester nach der Sitzung wie auf einem Eselchen auf meinem Rücken reiten könnten, wurde sie ruhig und bewegte sich nicht mehr. Trotz dieser kaum beherrschten Regungslosigkeit spürte ich, dass Nastja etwas auf dem Herzen hatte. Irgendetwas, das vor kurzem geschehen war, beunruhigte sie. Etwas, wovon ich nichts wusste.

Das weckte mein Interesse. Ich kam auf die verschiedensten Gedanken. Hatte das Problem des kleinen Mädchens etwas mit seiner Schwester zu tun? Eher nicht, Sweta beschäftigte sich zurzeit mit ihren Hausaufgaben. Mit mir? – Auch nicht. Ich war für sie nur ein Eselchen, auf das sie zum Spielen wartete. Eigene Probleme hatte das Mädchen auch nicht. Sie war vor kurzem aus dem Kindergarten gekommen und vor der Sitzung fröhlich durch das Zimmer gesprungen. Hatte ihre Befangenheit vielleicht etwas mit ihrer Mutter zu tun? Gut möglich. Das Kind hatte irgendetwas falsch gemacht und hatte jetzt Angst, dabei entdeckt zu werden. Während ich die kleine Kinderhand sah, die in die Tasche des ausgewaschenen Kleidchens griff, fragte ich intuitiv:

„Hast du unerlaubt ein Bonbon genommen und Angst, es zu gestehen?“

Die kleine Hand fiel sofort nach unten. Nastja begann plötzlich zu weinen. Mir wurde unwohl. Ich legte meinen Pinsel zur Seite, ging zu ihr, streichelte sie über den Kopf. Danach ging ich direkt in die Küche, in der meine Nachbarin vor dem Herd stand.

„Larissa, schimpfe bitte nicht mit Nastja. Sie hat irgendwo ein Bonbon gestohlen. Ich kam zufällig dahinter und habe ihr das gesagt. Jetzt weint sie, und ich weiß nicht, was ich machen soll. Das geschah für mich vollkommen unerwartet. Verzeih mir bitte. Ich wusste nicht, dass ich mit diesem Bonbon ins Schwarze traf ... Beruhige das Kind doch bitte.“

„Wofür soll ich dich denn entschuldigen? Das verstehe ich nicht. Aber ist ja gut, ich werde nicht mit ihr schimpfen. Komm, lass uns das Sensibelchen zusammen beruhigen.“

Eine halbe Stunde später ritten die Schwestern auf dem versprochenen Eselchen durch die Wohnung und waren glücklich. Nastja hatte das in der Tasche versteckte und zerschmolzene Bonbon inzwischen vergessen. Larissa ging in die Küche und versteckte die Tüte mit den Süßigkeiten im Schrank. Weiter weg von der Versuchung. Der kaum entbrannte Konflikt war gelöst. Abends aber, als ich schon im Bett lag, dachte ich über das Geschehene nach.

Warum hatte ich plötzlich die Unruhe des vor mir sitzenden Mädchens gespürt?

Ihre Aufregung gehört.

Ihre Besorgnis durchschaut.

Wie war das passiert, und wie hatten sich ihre Gefühle mir übermittelt? Konnte denn so etwas nochmal geschehen? Mit anderen Menschen? Mit Erwachsenen? Ich wollte über vieles nachdenken, nachsinnen. Aber die Gedanken verlangsamten ihren Lauf, stolperten und legten sich endlich dort nieder, wo sie stehen geblieben waren. Müde vom Tag, voller Sorgen. Ich schlief ein.

Der neue Tag brachte neue Herausforderungen. Die gestrigen Gedanken gerieten in den Hintergrund. Gingen für mehrere Monate verloren. In Erinnerung kam mir dieser merkwürdige Vorfall erst wieder, als ich den vor mir träge im Sessel sitzenden Artem Nasarov genauer betrachtete – meinen ersten richtigen Kunden, den ich bei einem Aufenthalt am Meer auf seinen Wunsch portraitierte. Ein unangenehmer Mensch.

Mir fiel es nicht leicht, in sein Inneres, hinter seinen Blick zu schauen. Um zu verstehen, worüber er nachdachte, was er fühlte. Ich wusste nicht, wozu ich das brauchte, schaute ihn aber an und versuchte, seine nach außen versteckte Innenwelt rein intuitiv zu entdecken. Ohne genau nachzudenken, was ich tat. Wie wenn ich unter der Dusche stand, meine Hände, Schultern, meinen Rücken einseifte, die Wärme des Wassers und den Duft der Seife spürte: Auch da dachte ich doch nicht über die Anatomie des Menschen nach.

So war es auch hier. Uns umgab ein unendlicher Raum. Die Luft umströmte uns als leichter Wind und wehte angenehm in das Gesicht. Es atmete sich leicht und frei. Ich konzentrierte mich auf das Bild und … seine Innenwelt öffnete sich vor mir, als läge sie auf meiner Handfläche. Ich ging hinein, wie ein Messer in ein weiches Stück Butter. Leicht und frei. Ohne jegliche Anstrengung. Plötzlich zitterte meine Hand und verschmierte das gezeichnete Hemd, über dem der Pinsel hängen blieb. In diesem Moment wurde mir mein Kunde nicht nur noch unangenehmer, sondern er wurde vollkommen uninteressant. Mir wurde egal, was er dachte und womit er sich beschäftigte. Ich sah, dass er in sich eine Welt voller Lügen und Gewalt trug. Eine Welt, die mir fremd war. Und die Grenzen dieser Welt wollte ich nicht überschreiten. Von dorther roch es nach giftigem Rauch voller Gefahr und Aggression …

Seitdem ich in mir die Kraft gespürt hatte, den inneren Rost meiner Porträthelden zu erkennen, erlangte ich eine zunehmende Form von Sicherheit. Sie breitete sich aus und ging mit jeder Bewegung, jedem Atemzug und jedem Schritt tiefer. Mit jedem nächsten Porträt trainierte ich nicht nur meine Hand, sondern auch diese Fähigkeit. Das geheime Wissen.

Die Art zu zeichnen und die Art, über das Resultat meiner Arbeit nachzudenken. Mit jedem neuen Strich lernte ich, einen Teil der lebenden Seele auf die Leinwand zu bringen. Versuchte die echten Gefühle und die Absichten meines Auftraggebers zu enträtseln. Und natürlich eine ausgezeichnete und zufriedenstellende Arbeit abzuliefern.

Meine Seele hielt ich geschlossen. Trennte stark die Arbeit von meinen Gefühlen und Eindrücken.

Porträtieren ist eine verantwortungsvolle Arbeit.

Meine Gefühle sind mein Privatleben.

Diese zwei Seiten dürfen sich nicht überschneiden.

Müssen parallel leben.

Und von dieser Trennung profitiert das Resultat.

Das sagte mir mein Lehrer.

Man darf nichts Privates in die Arbeit stecken, nur Professionalität. Und ich hielt meine Seele von der Farbpalette fern. Weit weg von den bunten Regenbogenfarben, die unter meinen flinken Fingern auflebten und aufblühten. In Resonanz mit meiner Seele traten.

Seit dieser zauberhaften Minute, in der das Geheimnis mich mit seinem Flügel berührt hatte, bekam ich Angst, mich mit einer meiner lebenden Farben zu beschmutzen.

Sie versehentlich auf meinen Körper zu streichen.

Die Gedanken zu beschmieren.

Ich hatte Angst, mich mit einer fremden Seele zu vereinigen.

Mich mit ihrem Schmutz, mit fremden Absichten anzustecken.

Nur Kinder bildeten eine Ausnahme von dieser Regel. Ihre Seelen waren rein und hell. Und fanden ein lebhaftes Echo in meiner.

Porträts zu zeichnen ist meine Lieblingsbeschäftigung. Alles andere, was außerhalb des Rahmens liegt, geht nur mich etwas an und gehört nur mir allein. Oft wurden meine Gedanken bei der Arbeit auf ungewisse Weise lebendig und zum Teil des Bildes. Davon wusste aber nur ich. Und warum sollte jemand über meine Geheimnisse Bescheid wissen?

Fremde Geheimnisse belasten.

Berauben des ruhigen Lebens.

Bringen auf fremde Gedanken.

Erschweren den Atem.

Erzeugen Eifersucht, Ärger, erwecken Hass.

Lieber nur die eigene Innenwelt genauer kennen.

Mit ihr in Einklang leben.

Sich selbst vertrauen.

Nicht in die fremde Seele, in der du nicht willkommen bist, eindringen.

Nichts riskieren und keine grausamen Schatten fremder Geheimnisse wecken.

Sogar dann, wenn sie sich selbst unter meinem Pinsel in ihrer vollen Abscheulichkeit offenbaren.

So ist es besser für alle.

Wo wäre ich?

Was wäre mit mir?

Hätte ich dieses geheime Wissen der fremden Geheimnisse ohne meinen Lehrer erworben?

Wie und nach welchem obersten Gesetz der Gerechtigkeit war mein Vater und Lehrer in meinem Leben erschienen?

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