Читать книгу Im Schatten des Löwen - Linda Dielemans - Страница 6

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Schon tagelang saß Junhi in der Wohnhöhle fest, verurteilt zu häuslichen Tätigkeiten. Es war gar nicht so einfach, Tukhs List durchzuhalten. Sie vergaß oft, dass ihr Bein wehtun musste, und hatte schon einige Male für die Jagd bereitgestanden. Manchmal hinkte sie gedankenlos mit dem falschen Bein und konnte nur hoffen, dass es niemandem aufgefallen war.

Inzwischen beratschlagten Tukh, Uma und Dahs hinten in der Wohnhöhle. Der Träumer, die Stammesmutter und der Jäger, die Anführer des Stammes. Junhi wusste, dass Dahs sie beobachtete. Sie sah es, sie fühlte es. Er durchschaute, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber er schwieg. Und der Einzige, von dem sie gewollt hätte, dass er nach ihr schauen und etwas zu ihr sagen würde, tat es nicht. Tukh ignorierte sie so vollkommen, dass es einfach auffallen musste, und auch Ren gab sich alle Mühe, sie zu meiden. Letzteres war vielleicht auch gut. Ren wusste, was geschehen war. Er wusste, dass sie nicht verletzt war und dass Tukh und sie Uma belogen hatten. Junhi hatte keine Ahnung, ob sie Ren noch gerade in die Augen blicken konnte. Wenn Uma und Dahs ihn nur nicht befragten, und wenn er dann nur nichts sagte!

«Junhi, dürfen wir noch eine Geschichte hören?»

Sie schaute auf von dem Vorhang, den sie gerade flickte, und lächelte. Die Einzigen, die sich über ihr Vorhandensein freuten, waren die kleinen Kinder. Sie rutschte zur Seite, um Platz für die vier Kleinen mit ihren vom Toben und Spielen im Freien geröteten Wangen zu machen. Eines von ihnen hatte eine Speerschleuder in der Hand. Sie war nachlässig geschnitzt, und das Loch am Ende war nicht ganz sauber durchbohrt. An ihr baumelte ein grobes Seil.

«Hast du die selbst gemacht?», fragte Junhi. «Wie gut! Soll ich sie für dich verzieren? Was möchtest du darauf haben? Ein Mammut? Oder ein schnelles Pferd? Das wirst du dann sicher fangen!»

«Ein Pferd! Ja, ein Pferd!», rief der Kleine.

Junhi suchte um sich herum nach einem scharfen Stein und nahm die Speerschleuder von dem Jungen entgegen. Sie betrachtete das Stück Geweih, die Linien und Unebenheiten, die es schon von Natur aus besaß. Hier der Beginn einer Schnauze, da ein wehender Schweif, ein starrendes Auge …

«Was tust du da?»

Tiras Stimme war eisig wie der Winterwind. Die Kinder waren sofort still und starrten mit großen Augen in die Höhe. Tira sah sie nicht an. Ihr Blick war auf Junhi gerichtet.

«Du darfst nicht zeichnen», sagte sie. «Das hat Uma gesagt.»

«Es sind doch nur Verzierungen. Alle tun das. Die ganze Höhle ist voll davon!»

«Aber du darfst es nicht. Wem gehört die Speerschleuder? Gib sie mir. Ich werde es tun.»

Tira streckte die Hand aus. Ihr dünner, sehniger Arm zitterte ein wenig. Junhi hob den Kopf. Tiras Wangen waren eingefallen, und sie hatte dunkle Ringe um die Augen. Der Kopf stand nicht richtig in Bezug zu ihrem Körper, zu viel zur Seite durch die Krümmung in ihrem Rücken, zu viel nach vorn durch ihren Buckel. Wie ein verwitterter alter Baum, der durch den Wind seitwärts gewachsen war anstatt in die Höhe. Nur war Tira noch jung.

Ganz kurz zögerte Junhi. Was war eigentlich so besonders an Tira, dass die ihr sagen konnte, was sie tun durfte und was nicht? Sie war ebenso alt wie sie. Sie war doch nicht Uma! Aber schon bald verschwand dieses Gefühl. Auch Tira wusste von dem Betrug. Sie war ohnehin schon böse auf sie. Da bräuchte es nicht mehr viel, um sie beschließen zu lassen, dass es Zeit wäre, Junhi mal wieder so richtig eine zu verpassen.

«Also gut, hier. Sie gehört Tiph.»

Tira schloss die Finger um die Speerschleuder und sah auf die Kinder herab.

«Morgen ist er fertig, Tiph. Komm dann einfach zu mir.»

Tiph nickte, schaute von Tira zu Junhi und wieder zurück und beschloss dann, sich aus dem Staub zu machen. Die anderen folgten so schnell sie konnten.

Junhi seufzte, zog den Vorhang wieder auf ihren Schoß und tastete um sich her nach der Nadel. Wo war die geblieben?

«Ich war noch nicht fertig.»

Tira nahm ihren Stock in die andere Hand, wodurch sie ihr Gewicht verlagern musste. Ihr Gesicht verzerrte sich für einen so kurzen Moment, dass es fast nicht zu sehen war. Sie war gut darin, ihre Schmerzen zu verbergen. Junhi wartete ab.

«Ich will nicht, dass du nochmals mit Tukh sprichst.»

«Aha?»

Was gab Tira das Recht, ihr etwas zu verbieten? Junhi fühlte, wie ihr eine böse Wärme ins Gesicht stieg, und auch Tiras Wangen hatten plötzlich Farbe bekommen.

«Tukh hat geträumt, einen sehr wichtigen Traum, das weiß ich genau, aber er will mir nichts erzählen. Er spricht nur mit Uma und meinem Vater darüber. Ich kannte immer alle seine Träume!» Ihre Stimme bebte. «Und das kommt durch dich. Ich weiß nicht, was du getan hast, aber es ist deine Schuld. Wenn du noch ein Mal mit ihm sprichst, erzähle ich meinem Vater alles über dein angeblich verletztes Bein. Was dann passiert, darfst du dir selbst ausdenken.»

«Tukh hat sich diese List ausgedacht, nicht ich!»

«Als ob jemand Tukh etwas verübeln würde. Tukh ist viel wichtiger als du. Auf dich können wir verzichten. Genau wie auf deinen Vater.»

«Wie kannst du es wagen!»

Junhi sprang auf und wollte sich auf sie stürzen. Aber Tira stieß ihren Stock nach vorn, schneller als Junhi es für möglich gehalten hätte. Er landete hart in ihrem Magen, und mit einem Knurren fiel Junhi zu Boden, sich den Bauch mit beiden Armen haltend.

«Sei bloß vorsichtig mit deinem Bein», sagte Tira. «Es ist eindeutig noch nicht verheilt.»

Dann drehte sie sich um und entfernte sich. Aber sie kam kaum vorwärts und ihr Rücken wirkte krummer denn je. Junhis Wut erlosch sofort. Zurück blieb nur Leere.

Sie schaute sich um. Falls jemand gesehen hatte, was geschehen war, gab dieser sich alle Mühe, so zu tun, als wäre dem nicht so. Die meisten Stammesmitglieder waren unterwegs, und die Kleinen würden es nicht verstehen. Vorläufig war sie sicher.


Der Löwenmann saß auf der Klippe, seine Löwenschnauze in die Luft gereckt und seine Männerbeine über dem Rand baumelnd. Junhi drückte sich mit dem Bauch gegen die Felswand unter ihm und sah auf seine Fußsohlen. Ihre Finger griffen Halt suchend nach Rissen, ihre Zehen suchten Vorsprünge, auf denen sie stehen konnte, während der Wind versuchte, sie wegzupusten. Ihre Hände taten weh, ihre Beine zitterten. Aber sie musste klettern! Sie musste den Löwenmann fragen, ob die Mammuts echt waren, ob sie dem Riesenhirsch auch hatte folgen dürfen. Er schaute herunter, seine Miene unleserlich wie immer.

«Hatte ich recht?», schrie Junhi gegen den Wind an. «Habe ich es richtig gemacht?»

Er hörte sie schon. Er neigte den Kopf, als verstünde er nicht recht, was sie fragte. Dann schwenkte er seine Beine nach oben und stand auf.

«Nicht weggehen!», rief Junhi. «Nicht weggehen!»

Er schaute noch einmal herab und entfernte sich dann von der Klippe. Schon bald konnte Junhi ihn nicht mehr sehen.

«Nicht weggehen», flüsterte sie.

Ganz kurz schaute sie auf den Fluss unter sich. Der war klein, unten im Talboden, tiefer als sie ihn je gesehen hatte. Sie hielt sich noch etwas kräftiger fest. Ein neuer, wilder Windstoß umtoste sie, zerrte an ihren Armen und Beinen. Sie versuchte sich festzuhalten, aber ihre Finger konnten nicht mehr, ihre Füße fanden nichts als Luft. Sie schrie und fiel rückwärts ins Leere.


Junhi zog sich die Kapuze ihres Mantels über den Kopf und wickelte sich in das Wisentfell, das sie irgendwo aufgehoben und mitgenommen hatte. Sie schmiegte sich in einen Winkel möglichst weit vom Feuer entfernt. Uma hatte angekündigt, dass sie diesen Abend etwas zu berichten hätte. Und für Junhi war es leicht zu erraten, worum es ging.

Jetzt braucht Tira nicht mehr böse zu sein. Gleich erfährt sie von dem Mammuttraum. Alle werden es erfahren.

Uma würde von den Mammuts berichten, als ob Tukh sie gesehen hätte. Es würde sein Traum sein und nicht der von Junhi. So hatte er es sich ausgedacht, und es war das einzig Mögliche. Aber Junhi war nicht gut darin, auf Lügen zu beharren, das hatte ihr angeblich verletztes Bein sie gelehrt. Wenn jemand sie jetzt sah, würde er oder sie sofort mitbekommen, dass etwas nicht stimmte. Und daraufhin befragt würde sie zweifellos etwas sagen, das sie – oder schlimmer noch Tukh – verraten würde.

Besonders Dahs. Er wird mich heute Abend nicht sehen, dafür muss ich sorgen.

Als Uma ins Licht trat, hielt Junhi den Atem an. Die Stammesmutter schien zu funkeln. Ihre Kleidung war mit unzähligen Perlen besetzt, manche weiß, andere rot gefärbt, in einem komplizierten Muster, das Junhi noch nie gesehen hatte. Wer hatte das angefertigt? Es musste in den Schatten geschehen sein, denn diese Arbeit wäre allen aufgefallen. Das Gewand schien Uma noch größer zu machen als sie schon war.

Dahs stand rechts von ihr, seinen Speer in der Hand, ein Bärenfell um die Schultern und neue Eulenfedern im Haar, weiß wie frisch gefallener Schnee. Er trug seine sämtlichen Halsketten, angefertigt aus den Zähnen der gefährlichsten Tiere, die er eigenhändig erlegt hatte. Den Bären, die Hyäne, den Wolf. Junhi kannte die Geschichten gut.

Sie fühlte, wie ihr die Anspannung bis zum Hals stieg. Alle fühlten es. Die gesamte Wohnhöhle schwirrte davon. Aber wo war Tukh?

«Es ist so weit», sprach Uma mit ihrer leisen, heiseren Stimme. «Die Mammuts sind gekommen. Tukh hat sie geträumt. Sie laufen durch das Tal, nicht weit von hier entfernt. Die Mutter hat beschlossen, unsere Zeit hier zu verlängern. Wir sind ihr dankbar.»

Das ist mein Traum, dachte Junhi, er gehört mir, mir allein.

Sie fühlte sich leicht im Kopf.

«Aber es wird nicht leicht werden», fuhr Uma fort. «Ich kann Dahs und seine tapferen Jäger nicht beschützen, solange sie die Mammuts jagen. Und wir werden für uns selbst sorgen müssen, bis sie uns brauchen, um das Fleisch zu tragen. Dahs?»

Dahs trat vor, während Uma in den Schatten verschwand, als ob sie nie daraus zum Vorschein gekommen wäre. Alle Augen waren jetzt auf Dahs gerichtet.

Der beste Jäger des Stammes, der stärkste, mit dem schärfsten Blick und den schnellsten Entscheidungen. Alle Jungen wollten sein wie er. Es war fast unvorstellbar, dass Tira seine Tochter war.

«Das wird eine schwierige Jagd», begann er. «Wir wissen nicht genau, wo die Mammuts sind. Wir wissen nicht, wie schnell sie sich bewegen. Darum nehme ich alle Männer mit, die zur Jagd imstande sind. Und einige Jungen, die uns helfen und anschließend schnell mit unseren Nachrichten zurücklaufen können.»

Er wies die Jungen einen nach dem anderen an. Sie sprangen auf, jeder mit einem Freudenschrei. Dahs lachte, während sie sich gegenseitig auf den Rücken schlugen, rot vor Erregung. Das hier war ihre große Chance, und Junhi freute sich für sie. Aber wo nur blieb Tukh?

Leise erhob sich Junhi. Alle hatten nur noch Augen für die jungen Jäger, und Tira saß zu sehr in der Nähe ihres Vaters, um Junhi sehen zu können. Sie schlich zu den Vorhängen am Eingang und huschte hindurch.

Die Nachtluft verwandelte ihren Atem in weißen Nebel. Der blauschwarze Himmel war mit Lichtpunkten übersät, die das Dunkel endlos erscheinen ließen. Junhi schaute gern zu den Sternen auf. Das war fast wie Träumen.

Sie ging am Ufer des vereisten Flusses entlang. Sie hatte so eine Ahnung, wo sie Tukh finden konnte.

«Tukh», sagte Junhi leise, als sie ihn dasitzen sah, eine schwarze Silhouette vor der hellen Wand der Lufthöhle. «Warum bist du nicht in der Wohnhöhle?»

«Ich mache mir Sorgen», sagte er.

Der Träumer klopfte mit der Hand neben sich auf den Boden. Zögernd nahm Junhi Platz. Sie hob den Kopf. Ihr Riesenhirsch, vom Boden aus fast lebensgroß, begrüßte sie. Seine Linien waren verschwommener in der Dunkelheit, aber er war ebenso kraftvoll wie damals, als sie ihn auf dem Hang gesehen hatte. Eine Herde von Pferden leistete ihm jetzt Gesellschaft. Sie galoppierten nebeneinander, wie sich eine echte Herde über die Ebene fortbewegte, alle zusammen und doch auch allein. Überall auf der Felswand waren Tiere. Nicht nur gezeichnet, sondern auch ins Gestein geritzt, scharfe Linien im Schein der Sterne. Junhi vermisste die Pferde. Sie hatte schon eine ganze Weile nicht mehr von ihnen geträumt.

«Siehst du deinen Hirsch?», fragte Tukh. «Siehst du seine muskulösen Beine, seinen massiven Rücken, wie stolz er ist? Siehst du ihn atmen? Ich sehe es.»

Tukh ließ ganz langsam die Luft aus den Lungen entweichen, sodass der Dampf vor seinem Gesicht hängen blieb.

«Und jetzt sieh dir den Wisent links davon an. Schau gut hin. Was siehst du?»

Es war ein kraftvolles Tier, dieser Wisent. Viel Körper, wenig Kopf. Seine Beine waren kurz und standen etwas merkwürdig ab. Eigentlich hatte es nicht viel Ähnlichkeit mit einem Wisent.

«Ich … ich weiß nicht …», sagte Junhi zögernd. Was meinte Tukh?

«Genau», antwortete Tukh. «Ich weiß es auch nicht. Das hier ist … Wandschmuck. Das ist kein Traum der Mutter, der lebt und atmet und erzählt. Es ist Tiras Werk.»

Er seufzte. «Dein Hirsch und seine Echtheit, die Linien, haben mich überrascht. Dieses Tier steckt in dir, und du hast es hervorgebracht. Etwas, das Tira immer noch nicht kann, nach all den Jahren. Ich weiß, dass Uma dir verboten hat zu träumen. Aber die Träume der Mutter lassen sich nicht aufhalten. Und ich habe Angst.»

Tukh drehte sein Gesicht zu Junhi und starrte sie so nachdenklich an, als wollte er ihr in den Kopf sehen.

«Ich war vielleicht zu schnell, zu schnell mit deinem Traum. Ich habe ihn genommen und weitergegeben, obwohl er nicht von mir war. Aber ich war so froh! Dieser Ort ist gut, besser als alle anderen, die wir kennen, und ich möchte so gern, dass der Stamm hierbleiben kann. Du hast die Mammuts gesehen, da bin ich mir sicher. Ich sah es in deinen Augen, ich sah es an deiner Zeichnung. Aber was bedeutet das, Junhi? Das kannst allein du wissen. Nur hat niemand dir je etwas über das Träumen beigebracht. Du kennst nicht die Bedeutung dessen, was du siehst, du weißt nicht, wie die Träume einen manchmal in die Irre führen können. Das heißt, vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Sag mir, Junhi: War der Hirsch das einzige Tier, das dir den Weg gezeigt hat?»

Der Löwenmann, dachte Junhi, der Löwenmann hat mir den Weg gezeigt.

Aber sie konnte es nicht sagen. Wenn sie ihn mit Tukh teilte, ginge er vielleicht weg. Sie brauchte den Löwenmann. Er war ihr Freund.

«Ja», sagte sie also. «Nur der Hirsch. Ich bin ihm gefolgt, und als ich auf der Hangspitze war, habe ich hinuntergeschaut und die Mammuts gesehen.»

Tukh presste die Lippen zusammen und seufzte.

«Also gut. Ich vertraue dir. Aber ich denke, dass Umas Entschluss nicht weise ist. Es ist nur schwierig, ihr das beizubringen.»

«Würdest du es versuchen, Tukh? Bitte! Ich will lernen. Von dir.»

«Nicht jetzt, wo Dahs und die Jäger fortgehen. Tira ist dann allein, und es ist meine Aufgabe, sie zu beschützen, wenn ihr Vater fort ist. Das musst du verstehen. Tira sieht mehr als du glaubst. Sie fühlt sich bedroht.»

«Aber warum? Du kannst uns doch beide unterrichten. Das ginge doch?»

«Gewiss. Aber sie weiß, dass du besser träumst, besser zeichnest. Und für jemanden wie sie, die nicht jagen oder auch nur lange genug dasitzen kann, um einen Mantel anzufertigen, ist das schwer zu akzeptieren. Das hier ist ihr Platz, Junhi. Es ist ihr Leben.»

Junhi schluckte. Tukh hatte recht.

«Es tut mir leid.»

«Nicht nötig. Aber halte dich die nächste Zeit von uns fern. Versuche, nichts mit deinen Träumen zu tun, aber behalte sie, zeichne sie, und dann werden wir sie später besprechen, wenn Dahs wieder zurück ist. Es gibt eine kleine Lufthöhle an der anderen Uferseite. Ich nehme Tira nie mit dorthin, das heißt, sie kennt sie nicht. Du wirst sie finden, wenn du die Augen offenhältst. Aber sei vorsichtig. Uma darf nichts merken, bis ich mit ihr gesprochen habe.»

«Aber …»

«Nein, genug. Wir haben schon zu lange geredet. Geh zurück zur Wohnhöhle. Ich warte hier noch etwas. Vielleicht bitte ich den Hirsch noch, mir zu erzählen, was er dir erzählt hat.»

Tukhs Lächeln blitzte rot auf.

«Ich werde nichts sagen, wenn ab und zu etwas Farbe aus meinem Vorrat verschwindet. Aber vergiss nicht, dir nach dem Zeichnen gut die Hände zu waschen. Jedes Mal, immer. Und wage es nicht, mit farbigen Zähnen zurückzukommen. Du magst ja vielleicht träumen, aber das macht dich noch nicht zur Träumerin. Und nur Träumer zeichnen mit ihrem Atem.»

«Ich weiß. Danke, Tukh.»

«Und jetzt fort mit dir.»

Junhi sauste am Fluss entlang zur Wohnhöhle zurück. Vor dem Vorhang blieb sie kurz stehen. Drinnen tönte ein Singen und Klatschen, auch ein Schwirrholz war zu hören. Niemand würde sie hereinkommen sehen, wenn sie außerhalb des Lichtkreises blieb. Als ob sie nie fort gewesen wäre.

Aber sie war gerade erst durch den Vorhang gehuscht, da packte sie jemand beim Arm. Die kleinen Kohlen in Dahs’ Augen brannten wütend in seinem bemalten Gesicht. Junhi musste sich zusammennehmen, um nicht wie ein junger Hund aufzujaulen.

«Da bist du. Was hast du ausgefressen?»

«Nichts», sagte Junhi mit zusammengeklemmten Zähnen. «Es war heiß. Ich wollte die Sterne sehen.»

«Wo ist Tukh?»

«Das weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht gesehen. Lass mich los, Dahs!»

Stattdessen zog er sie am Vorderteil ihres Mantels näher zu sich heran.

«Ich habe dich durchschaut», sagte er. «Bilde dir nur nicht ein, du könntest tun, was du willst, wenn ich fort bin. Du wirst unter Beobachtung stehen, dafür habe ich gesorgt. Du wirst meine Tira nicht mehr verletzen. Und ihr Tukh nicht wegnehmen. Hast du noch nicht genug? Einen gesunden, jungen Körper und einen guten Speer! Tira hat nichts! Nichts!»

«Sie hat einen Vater. Zumindest, falls er die Mammutjagd überlebt.»

Das Feuer in Dahs’ Augen verwandelte sich in Eis. Sie hörte seine Hand kommen noch bevor sie sie spürte. Der Schlag besorgte ihr Ohrensausen und eine brennende Wange. Ihre Lippe platzte auf und sie schmeckte Blut.

«Das war eine Warnung», sagte Dahs. «Sieh zu, dass es dabei bleibt.»

Im Schatten des Löwen

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