Читать книгу Meine Welt schmilzt - Line Nagell Ylvisaker - Страница 4

Vorwort

Оглавление

Am Samstag, den 19. Dezember 2015, donnerten riesige, schwere Schneemassen vom Berg Sukkertoppen hinunter nach Longyearbyen, das gerade erwachte. Ein zwei Jahre altes Mädchen und ein Familienvater kamen in der Lawine ums Leben. Am 21. Februar 2017 rollte vom selben Berg eine weitere Lawine zu Tal und walzte ein Reihenhaus platt, und im Herbst 2016 ging nach heftigen Regenfällen eine Gerölllawine in der Nähe des Friedhofs und eine andere in der Nähe des städtischen Hundezwingers nieder.

Wieder und wieder wurden in Longyearbyen Leute aus ihren Häusern evakuiert, wenn die Wassermassen, die vom Himmel fielen, die Erde aufweichten und aufrissen, wenn der Bindfadenregen die Schneefelder in Matsch verwandelte und die Winterstürme die Berge unter schwerem Schnee begruben.

Im Jahr 2006 begann ich als Journalistin bei der Zeitung Svalbardposten. Es war das wärmste Jahr, das je auf der Inselgruppe Spitzbergen gemessen wurde. Im selben Jahr berichtete ein Kollege darüber, dass die Klimaforscher*innen für die kommenden hundert Jahre einen dramatischen Temperaturanstieg auf Spitzbergen vorhersagten, in manchen Gegenden über 8 Grad1. Ich weiß nicht, ob ich diesen Artikel jemals las, falls ja, drang er nicht zu mir durch. 1 Grad mehr hier, 1 Grad mehr da. Ich dachte nicht darüber nach, wenn ich auf meinem Schneemobil durch die Gegend sauste, den Wind im Haar und Sommersprossen auf der Nase. Es war so schön, so wild, herausfordernd und echt.

Ich habe die alten Kerle erzählen hören: vom Eis, das den gesamten großen Isfjord bedeckte, und wie sie in voller Fahrt quer hinüber zur anderen Seite bretterten, wo die Hütten und Fangstationen liegen. Von Robben, die im Adventfjord gleich unterhalb der Stadt ihre Jungen bekamen. Früher waren die Einwohner Longyearbyens ab dem Herbst, wenn sich das Eis ausbreitete, isoliert, bis es im Frühjahr oder manchmal erst weit in den Sommer hinein wieder schmolz. Seit einigen Jahren kommen die Frachtschiffe rund ums Jahr. Der Fjord liegt dunkel und offen da.

»Das Eis kommt wieder zurück, Wetter, Wind und Schneeverhältnisse waren immer schon unbeständig«, sagen die Leute mit vielen Wintern Erfahrung im Sattel ihres Schneemobils. Lange hat mich das beruhigt, aber jetzt bin ich nicht mehr ruhig.

Wir haben hier in Longyearbyen ein Haus gebaut, zwei Kinder bekommen und bezeichnen diesen Ort als unser Zuhause, aber eines Tages ertappte ich mich dabei, dass ich nervös wurde, als es eine Unwetterwarnung gab. Die dunkle Jahreszeit brachte besonders schwere Regenfälle. Ich investierte in einen gefütterten Regenmantel und fragte mich, ob es wirklich sinnvoll war, all unser Geld in dieses Haus zu stecken. Mir kamen Bedenken, ob es noch sicher war, in die Berge zu gehen, wie wir es sonst immer taten. Die Gefühle nahmen überhand. In mir wuchs das Bedürfnis nach greifbaren Erklärungen, ich wollte verstehen, was eigentlich vor sich geht, wie die Naturvorgänge zusammenhängen, wie das Klima funktioniert, wie sich das Wetter hier auf der Inselgruppe und im Rest der Welt ändert, falls oder wenn die Arktis schmilzt.

An einem dieser klitschnassen, spiegelblanken, dunklen Wintertage entschied ich mich, den Rest des Jahres 2018 dazu zu nutzen, diese Dinge herauszufinden.

Dieses Buch handelt davon, wie ich den Klimawandel erlebe, und es handelt von Longyearbyen, das inzwischen teilweise auf dem Rückzug vor den Naturgefahren ist. Ist es möglich, die Stadt ausreichend vor den Lawinen, Überflutungen und Extremwetterlagen zu schützen, die für die Zukunft immer häufiger vorausgesagt sind? Soll ich mit meiner Familie hierbleiben?

Meine Welt schmilzt

Подняться наверх