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Drittes Kapitel.

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Jobst war als erster fertig. Er ging vor dem Sprungbrett auf und ab und wartete auf die vier Mädels vom Boot „Frohe Fahrt“. Zwischendurch plauderte er ein paar Worte mit den jungen Männern und Mädchen, die hier herumwimmelten.

Er war erst ein paar Wochen hier im Klub als Trainer und eigentlich noch einer der „Jüngsten“ hier. Aber dennoch, man kannte und respektierte ihn schon. Man hatte ihn erst kritisch begutachtet, den jungen Arzt, der hier als Sporttrainer erschien, um sich in wahrstem Sinne des Wortes „über Wasser zu halten“, wie ein witziges Klubmitglied sagte. Aber Jobst hatte es sehr bald verstanden, sich Respekt zu verschaffen. Er hatte seinen Skull-Vierer mit den vier Mädels so in Zug bekommen, wie kein anderer. Die Leistungen der Vier vom Skull „Frohe Fahrt“ wurden besser und besser. Die Entscheidungskämpfe innerhalb des Klubs waren immer mehr zugunsten von Jobsts Schutzbefohlenen ausgefallen. Der letzte Wettbewerb hatte ergeben: Der Vierer „Frohe Fahrt“ kam als einziger in Betracht, die Einladung des Prager-Deutschen Damen-Ruderverbandes anzunehmen und die deutschen Farben in der schönen Moldaustadt zu vertreten.

Das hatte Jobsts Stellung mit einem Schlage zu einer überragenden gemacht. So wurde er auch jetzt von allen Seiten angesprochen. Man hatte das Training seines Skull-Vierers mit kritischen Augen beobachtet und die Verbesserung der Zeit mit viel Freude konstatiert. Man wusste, die Prager Damenmannschaft war aus verschiedenen Wettkämpfen bisher siegreich hervorgegangen. Nun die deutschen Farben auf der Moldau zum Siege zu führen, war der Wunsch aller.

Jobst antwortete freundlich, aber ein wenig zerstreut. Er war jetzt, nun die Anspannung der Arbeit vorüber, wieder ganz bei der kleinen Szene von vorhin. Ob Herdith ihm erzählen würde? Da kam sie schon in der Mitte der anderen Mädels.

Wie sich doch die Verschiedenheit der Charaktere bei den Mädels sogar im Schwimmdress ausprägt!, musste Jobst denken. Tina Lüders hatte einen gelben Anzug, der zu ihrer etwas fahlen Blondheit eigentlich gar nicht stimmte. Sicher war er der erste, der ihr beim Kauf unter die Hände gekommen war. Sie war in allem faul und gab sich nicht gern lange Mühe.

Kläre Grasshoff, die immer sehr Sachliche, Herbe, hatte einen dunkelblauen Anzug an, schmucklos, beinah puritanisch. Es passte zu ihrer schlichten, allem Schein abholden Art.

Marion dagegen hatte das Modernste vom Modernen. Einen grünweiss gestreiften Anzug, im Rücken unwahrscheinlich tief ausgeschnitten, auf Wirkung und Koketterie zurechtgemacht. Sie sah bezaubernd aus, wie sie da mit ihrem wiegenden, selbstbewussten Schritt ging. Ihre zierliche Gestalt war vielleicht ein klein wenig zu voll. Aber das gab ihrer ganzen Erscheinung dieses Weibliche und Verlockende, zu dem die bizarre, grüne Schwimmkappe nur wie eine lustige Verkleidung erschien.

Herdith dagegen? Ein weisser Wollanzug ohne jeden Schmuck. Er passte zu dem Reinen, Lichten, das von ihr ausging; eine weisse, helmartige Kappe, die sie jetzt noch in der Hand trug.

Jobsts Augen leuchteten auf. Aller Aerger war vergessen. Er hatte nur den Wunsch, mit Herdith in dieser sonnenseligen Nachmittagsstunde frei und gelöst zu sein.

Herdith bemerkte die Veränderung in seinem Gesicht. Auch ihre Augen leuchteten froh. Unmerklich liess sie die anderen vor. Die erste, die auf das Sprungbrett kletterte, war Kläre. Tina dagegen liess sich faul, einfach vom Strand aus, ins Wasser gleiten.

„Kommen Sie, Reichardt!“ Marion ging hinter Kläre her und drehte sich lächelnd zu Jobst um.

Der aber sagte kurz:

„Fangt nur schon an! Ich habe mit Herdith was zu besprechen.“

Gekränkt kletterte Marion empor. Herdith und immer Herdith. Ueberall war sie ihr im Wege. Schon in der gemeinsamen Schulzeit damals in Braunschweig. Immer sass Herdith einen Platz vor ihr. Immer war sie in den Arbeiten ihr voraus. Immer der Liebling der Lehrer. Und so war es weitergegangen bis zur Tanzstunde. Wer bekam die meisten Blumen? Herdith! Wer wurde immer zum Tanz zuerst aufgefordert? Herdith! Dabei konnte Herdith in nichts mit einem selber konkurrieren. Was hatte sie immer für jämmerliche Fähnchen angehabt? Aber es schien, als ob die Männer nur Augen für Herdith Assmussen gehabt hatten. Es war wie verhext. Nun war man längst aus Braunschweig heraus, wohnte in Berlin, hatte diese Herdith Assmussen längst vergessen. Da musste sie einem wieder hier in dem Klub entgegentreten. Und was das Schlimmste war: Jetzt ging es nicht mehr um eine Eins oder eine Zwei in den Schularbeiten, nicht mehr um einen Blumenstrauss von einem der kleinen Primaner. Jetzt ging es um Jobst Reichardt! Aber Herdith sollte sich in acht nehmen! Sie wollte siegen, und sie würde siegen.

„Ich habe so sehr auf Sie gewartet, Herdith“, sagte Jobst unten leise. „Ich wollte Ihnen ...“ Er unterbrach sich. „Wer war denn das, mit dem Sie vorhin da angekommen sind?“ fragte er.

„Ach das?“ Herdith zuckte die braungoldenen, schönen Schultern.

„Offen gestanden, ich weiss nicht. Ich hatte mich verspätet im Büro, Direktor Fredrichs fand und fand kein Ende. Ich war schon so ungeduldig, Jobst. Das können Sie mir glauben. Hab’ schon lauter Dummheiten geredet, bis sogar Fredrichs Mitleid bekam und ich endlich aus dem Laden ’raus konnte. Am Bahnhof Babelsberg hatte ich Pech. Der Bus war gerade fort. Da stand plötzlich dieser junge Mann neben mir, bot mir an, mich mitzunehmen. Und da bin ich mitgefahren. Wer er ist, und wie er heisst — keine Ahnung! Aber ist ja egal. Sonst wäre ich nämlich noch später gekommen, und da wäre ich traurig gewesen. Ich weiss ja, Sie waren sehr ärgerlich.“

„Da wär’s mir schon lieber gewesen, Sie wären noch später gekommen, Herdith. Sie sollen nicht mit fremden jungen Leuten fahren!“ Es kam sehr heftig.

Herdith lächelte. Sie war gänzlich ungekränkt. Dummer, lieber, geliebter Jobst!, dachte sie.

„Ich werde ja auch nicht mehr. Der war nicht von hier, soviel habe ich noch behalten. — Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder ..., summte sie lachend.

Jobsts Wutanfall machte sie beinah glücklich. Lieber, einziger, geliebter Jobst — ach, wenn man doch bloss nicht so arm wäre! Wenn man nur ein bisschen Sicherheit hätte! Sie glaubte zu wissen, warum Jobst nicht sprach. Er war nichts, er hatte nichts. Sie mit ihrem kleinen Gehalt und er mit seinen paar Pfennigen für den Trainingsunterricht hier: Null zu Null gab nichts!

Aber man war ja noch jung. Man konnte ja warten. Man brauchte ja auch noch nicht zu sprechen. Wenn nur alles klar war, man umeinander wusste — schon das war ein grosses, ein unverdientes Glück. Ganz selbstvergessen ruhten ihre Augen auf Jobst. Soviel Innigkeit und Liebe strahlte aus ihnen, dass alles in ihm davor verging.

„Herdith, ich habe Ihnen vorhin was erzählen wollen.“

„Was denn?“

„Denken Sie, ich habe eine Assistentenstelle. Zum ersten Juli in einem grossen Krankenhause hier.“

„Bezahlt?“ fragte sie atemlos.

„Ja. Und eine Arbeit, die mich interessiert. Ich glaube, da bin ich in die richtigen Hände gekommen. Ein berühmter Chef. Da werde ich was lernen. Man wird mich fördern. Ich glaube“ — er atmete tief auf —, „nun ist die Pechsträhne erst mal abgerissen.“

„Oh!“ Sie sagte nichts als dies kleine Oh, aber es lag soviel Freude darin, mehr als in einem langen Glückwunsch. Und dann atmete sie auch auf, als ob auch sie selbst von einer schweren Last befreit wäre: „Wie schön, wie wunderschön! Ich hab’s ja gesagt, es kommt einmal wieder besser. Sie schaffen’s schon, Jobst. Passen Sie auf, Sie werden mal was ganz Berühmtes werden.“

Jobst war beinah beschämt über diesen gläubigen Ausdruck in ihren Augen. Beschämt und beglückt.

„Ach, du lieber Gott, Herdith, so hoch hinaus will ich gar nicht. Ich wünsche nur eins: arbeiten können — eine Arbeit, die meiner würdig ist.“

„Nicht so eine Herde dummer Mädels trainieren — nicht wahr?“ lachte sie schelmisch.

„So habe ich das nicht gemeint, Herdith! Ich bin ja so stolz auf das, was wir erreichen. Diese Trainingsmonate mit Ihnen allen, die möchte ich nicht missen. Wirklich nicht“, er streckte ihr die Hand entgegen.

„Nicht!“ flüsterte sie leise und erschreckt. Dicht am Ufer schwamm Marion und wandte keinen Blick von ihnen.

Jobst nahm sich zusammen. Nein, das war hier wirklich nicht der Ort für eine Liebeserklärung. Er musste Herdith einmal allein sprechen. Musste ihr sagen, was er von der Zukunft erhoffte. Dass er nicht nur glücklich war über die Aussichten, voranzukommen — um seinetwillen. Dass er hoffte, einmal so viel zu haben, dass er einem geliebten Mädel eine Heimat bieten konnte.

„Ein anderes Mal, Herdith! Und jetzt um die Wette schwimmen?“ fragte er.

Sie nickte, lief zum Sprungbrett hinauf. Wie schön sie ging! Wie kraftvoll sie war! Wie jung und rein! Er folgte ihr langsam. Er nahm ihre Schönheit in sich auf. Mit einer heissen und doch ehrfürchtigen Freude.

Nun stand sie oben auf dem Sprungbrett, ganz vom hellen Nachmittagslicht umflossen. Ihr Haar. Ihr Körper. Die Sonne legte einen flimmernden Lichtkranz um sie. Schön gereckt stand sie da, hob die Arme langsam im glücklichen Gefühl ihrer Kraft und Jugend. Wie eine Sonnenanbeterin sah sie aus. Jetzt spannte sich der schlanke Körper. Wie ein Pfeil, schmal und weiss, glitt sie ins Wasser. Er lief in zwei Sätzen hinauf, und schon slog auch sein Körper durch die Luft in den See — Herdith nach.

Erster Preis: Du!

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