Читать книгу Tränen der Hoffnungslosen - Lisa Winter - Страница 5
2010 Ein neues Leben kann beginnen
ОглавлениеPeter und seine eritreische Frau Sanira hatten für ihre achtzehnjährige Tochter Esmeralda ein kleines gemütliches Appartement im Schwesternheim gemietet, das direkt neben dem Krankenhaus in einem Vorort von Frankfurt lag. Sie teilte es sich mit Julia. Julia war im gleichen Alter.
Beide waren gleichzeitig erfolgreich mit ihrer Ausbildung als Krankenschwestern fertig geworden.
Julia war langbeinig, schlank und hatte halblanges hellblondes Haar, das sie meistens zum Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Durch ihre aufgeweckte, offene Art war sie Esmeralda sofort sympathisch geworden. Dies beruhte sich auf Gegenseitigkeit. Sie wurden Freundinnen. So waren die gemeinsamen langen, meist ruhigen Nachtdienste, nicht ganz so ermüdend und langweilig gewesen, da sie sich immer etwas zu erzählen hatten. Doch niemals hatte Esmeralda von ihren dunklen Erlebnissen aus ihrer Vergangenheit erzählt.
Beide jungen Frauen wurden durch ihren Fleiß und Hilfsbereitschaft von den Ärzten, sowie von den Patienten geschätzt.
Nach einem gemeinsamen Nachtdienst erschien es Esmeralda, dass Julia aufgekratzt und gar nicht müde, so wie sonst war. Esmeralda kam bettfertig in ihrem Nachthemd aus dem Badezimmer und Julia saß untätig auf ihrem Bett.
„Wieso ziehst du dich nicht aus. Willst du noch weg?“, fragte Esmeralda.
„Ja, ich geh noch weg.“
Julia wirkte etwas verlegen.
„Wohin denn?“
„Es ist früher Morgen, viel zu schade, um ihn zu verschlafen. Außerdem haben wir heute den ganzen Tag frei, bis morgen zum Frühdienst“, antwortete Julia.
Julia ging ins Badezimmer.
Esmeralda legte sich in ihr Bett und war gerade am Einschlafen, als Julia geschminkt und umgezogen vor ihrem Bett stand. Sie spürte, dass Julia etwas auf dem Herzen hatte.
„Sag endlich was du vor hast. Vorher lässt du mich doch nicht einschlafen.“
Esmeraldas Neugier war geweckt.
Julia kicherte:
„Ich bin zum Frühstück verabredet. Mit Dr. Müller, dem neuen Assistenzarzt.“
„Hab ich es mir doch gedacht! Ich habe doch gemerkt, dass da irgend etwas zwischen Euch läuft. Ansonsten hättest du dich nicht freiwillig zum Nachtdienst gemeldet.“
Esmeralda lachte.
„Der ist doch süß, oder? Ich finde ihn hinreißend.“
„Ja, dass wird er wohl sein. Dann geh und komme nicht so spät zurück. Auch Verliebte müssen mal schlafen.“
Esmeralda lächelte und gähnte.
„Und da ich Gott Lob nicht verliebt bin, brauche ich jetzt meinen Schlaf“, fügte sie hinzu und drehte sich zur Wand um.
Bevor sie einschlief dachte sie über ihre neue Freundin nach. Esmeralda hatte aus den Erzählungen geschlossen, dass Julia in Liebesangelegenheiten noch sehr unerfahren war. Während ihrer Schulzeit hatte sie einen Freund in ihrer Klasse, der sehr schnell etwas mehr als `Händchenhalten` von ihr forderte. Daraufhin hatte Julia den Kontakt mit ihm beendet. Für mehr war sie nicht bereit gewesen.
Außer dem leitenden Professor der Klinik, Dr. Schüler, kannte niemand Esmeraldas Vergangenheit. Prof. Schneider, der ihr damals geholfen hatte aus ihrer Suchterkrankung heraus zu kommen, hatte ihr mit guten Worten geholfen, einen Neuanfang als Krankenschwester beginnen zu können. Er übernahm sozusagen eine persönliche Bürgschaft für Esmeralda.
„Sie wissen Herr Prof. Schneider, dass auch der Giftschrank mit allen Medikamenten, die unter Verschluss sein müssen, von den Schwestern verwaltet werden muss. Stellt das nicht eine Versuchung für ihre ehemalige Patientin dar, etwa rückfällig zu werden?“
„Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Esmeralda hat zu viel leiden und erleben müssen, um aus dem Drogensumpf heraus zu kommen. Sie ist vernünftig und intelligent genug, um nicht rückfällig zu werden.“
„Trotzdem werde ich ein Auge auf sie werfen. Doch nur eins von zwei Augen, Herr Kollege Schneider, keine Sorge.“
Dabei kniff er ein Auge zu. „Sie wird es nicht bemerken.“
Allein schon durch ihre Erscheinung war Esmeralda in ihrem neuen Umfeld aufgefallen. Sie war schön, wie ihre eritreische Mutter Sanira. Ihre leuchtenden smaragdgrünen Augen betonten ihr ebenmäßiges schönes Gesicht. Durch ihren deutschen Vater Peter war ihr bronzefarbener Teint nicht schwarz, wie bei vielen, die aus ihrer Heimat kamen. Nicht nur die Pfleger und Ärzte bemerkten ihr exotisches Aussehen, sondern auch einige der Patienten.
Mittlerweile hatten sich die richtigen Rundungen an den richtigen Stellen ihres graziösen Körpers gebildet. Sie war schlank und ihre langen Beine betonten ihre Grazie, während sie durch die Gänge der Station schritt. Bewundernde, manchmal auch freche Blicke verfolgten sie. Doch sie ließ sich nichts anmerken. Falls sie von den Patienten eine unangebrachte Bemerkung hörte, konterte sie schlagfertig und höflich zurück.Von Männern hatte sie genug. In ihrer Freizeit ging sie gerne ins Kino oder zog sich in ihr Appartement zurück, um zu lesen oder das Fernsehprogramm zu verfolgen.
Doch Julia war in ihrer Freizeit ständig unterwegs. Ihr neuer Verehrer konnte nicht genug von ihr bekommen. Sie waren beide sehr verliebt. Esmeralda freute sich für Julia, auch wenn sie manchmal der müden Julia helfen musste, rechtzeitig aus dem Bett zu kommen, um pünktlich den Dienst anzutreten.
Jens und Julia waren nun schon seit Monaten ein Paar, ohne dass sie, außer intensivem Schmusen, Sex hatten. Esmeralda bewunderte Jens für seine Disziplin und Geduld.
„Er muss sie wirklich lieben, sonst würde er auf Sex bestehen“, dachte sie.
„Esmeralda, schläfst du schon?“, fragte Julia leise, als sie wieder im Morgengrauen zurück kam.
„Ich weiß, wir müssen früh aufstehen. Doch ich kann nicht schlafen, bevor ich dir nicht alles erzählt habe. Über das, was ich heute erlebt habe.“
Esmeralda knipste ihre Nachttischlampe an und rieb sich den Schlaf aus ihren Augen. Sie schaute auf ihren Wecker, es war 4 Uhr morgens. Den Wecker hatte sie auf 6 Uhr gestellt.
„Hat das wirklich keine Zeit bis später? Ich bin noch sehr müde Julia!“.
„Es ist passiert! Hörst du Esmeralda?“
Julias Stimme klang aufgeregt.
„Ich habe es getan!“ Julia schaute mit ernster Miene zu Esmeralda, die nicht gleich reagierte.
„Nein wir haben es getan.“
„Was denn? Was habt Ihr getan?“
Eine kleine Pause, dann begriff Esmeralda:
„Herrjeh, … er hat dich entjungfert! Oder? Ach du meine Güte, wie geht es dir?“
Esmeralda war hell wach geworden und hörte der aufgekratzten Julia neugierig zu. Julia setzte sich auf Esmeraldas Bettkante.
„Es geht mir gut, es war gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Jens war sehr zärtlich und liebevoll zu mir. Er meinte, dass ich es beim nächste Mal mehr genießen würde. Stimmt das? Ich fand es nicht so toll, wie er. Was meinst du? Du bist doch keine Jungfrau mehr, oder?“
Esmeralda setzte sich auf.
„Bevor ich dir von meiner Entjungferung irgendwann erzählen werde, erzählst du zuerst. Bei mir war es grässlich.“
Julia schilderte ihr jede Einzelheit. Wo sie sich trafen, was sie vorher im schicken Restaurant gegessen und getrunken hatten und wie aufgeregt sie war, als er sie in seinem Appartement verführt hatte.
„Dann hat er gesagt, dass er mich liebt und keine andere Frau mehr ansehen würde. Er hätte nur noch Augen für mich.“
Julias Wangen waren gerötet, während sie fortfuhr.
„Vorher oder nachher?“
„Wenn du es so meinst, wie ich es verstehe, bevor es passiert ist. Wir waren in seinem Appartement. Er hatte gemerkt, dass ich Zweifel hatte, und dass ich mich dabei geschämt hatte, nachdem er mich sanft auf sein Bett gezogen hatte und nackt ausgezogen hatte. Dabei hatte er mich zärtlich gestreichelt und geküsst und mir gesagt, dass ich für ihn eine wundervolle Frau wäre.“
„Muss wohl ein sehr zärtlicher Liebhaber sein, dein Jens“, Esmeralda klang etwas misstrauisch.
„Komm, ich koche uns einen Tee. Wir können sowieso nicht mehr schlafen. Bald beginnt unsere Frühschicht. Erzähl mir jedes Detail.“
Esmeralda stand auf und füllte den Wasserkocher für den Tee auf, bevor sie ins Bad ging.