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Einige Monate später

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„Wir sind glücklich und stolz, wie hervorragend sie Ihren Dienst auf unserer Station tätigen“, meinte der Leiter der Klinik, Prof. Dr. Schüler, als er Esmeralda ihren Schichtplan übergab.

„Ich habe Sie mit ihrer Freundin, Schwester Julia, für die Tagesschicht eingeteilt.“

Julia wartete am Eingang der Station auf Esmeralda.

Julia hatte sich mittlerweile mit Jens verlobt.

Der Tag wurde ziemlich anstrengend. Es kamen neue Patienten und andere wurden entlassen. Während Julia und Esmeralda ein freigewordenes Bett abzogen, sagte Julia:

„Stell dir vor. Der Jens hat ein Angebot bekommen in Krisengebieten als Arzt zu arbeiten. Man nennt sie `Ärzte für Menschen in Not`. Hast du schon mal etwas davon gehört?“

„Ja, mein Vater hat durch seine Arbeit als Reporter einige davon kennengelernt“.

„Die sind ganz schön mutig. Schließlich helfen sie in gefährlichen Kriegsregionen in der ganzen Welt.“

„Seid Ihr immer noch so sehr verliebt?“, fragte Esmeralda.

„Oh ja, wir wollen für immer zusammen bleiben und wir planen zu heiraten. Aber zuerst will Jens nach Afrika, um zu helfen, wo er gebraucht wird.“

Esmeralda grübelte darüber nach und schwieg.

„Freust du dich nicht? Du sagst gar nichts.“

Julia klang enttäuscht.

„Doch natürlich freue ich mich für Euch. Ich denke an etwas ganz anderes.“

„An was denn? Komm sag es mir.“

Esmeralda steckte die gebrauchte Bettwäsche in den Plastiksack.

„Komm wir schieben das Bett raus und bringen es zum Desinfizieren. Auf dem Weg können wir uns weiter unterhalten.

„Wann geht Jens? Weiß er schon wohin genau man ihn schicken will?“

„Ja, wenn er möchte, könnte er in den Kongo gehen. Der Krieg ist seit 2009 beendet. Doch nach wie vor herrschen dort üble Zustände. Jens soll mit einer Gruppe von Helfern ehemaligen Kindersoldaten psychologische und physische Hilfe geben. Auch müssen arme Kongolesen ärztlich versorgt werden. Immer wieder gibt es Verletzte, die den Rebellen zum Opfer gefallen waren. Impfungen gegen alles mögliche müssen verabreicht werden und vieles mehr muss getan werden. Er hat mich gefragt, ob ich als Krankenschwester mitkommen will. Die werden dort auch dringend gebraucht.“

„Ja und? Willst du mitgehen?“

In Esmeraldas Augen funkelte Feuer und sie blieb stehen und hielt Julia am Arm fest.

„Sag schon, gehst du mit?“

„Schau mich nicht so durchdringend an. Ich weiß es noch nicht. Ich will es mir überlegen. Ich glaube, dass ich zu feige bin. Die armen Kinder, Frauen und Verletzte. Wer weiß, was man mit denen jahrelang gemacht hat. Ich bin vielleicht dem Ganzen nicht gewachsen. Dann herrscht dort Ausnahmezustand. Keiner weiß, wie lange es noch dauert. Ständig werden immer noch Dörfer überfallen. Dann ist es dort sehr heiß und die Luftfeuchtigkeit fast unerträglich. Malaria ist nicht die schlimmste Erkrankung. Wir reden weiter, wenn wir heute Abend zu Hause sind, komm machen wir unsere Arbeit. Jens wird mich heute Abend abholen. Wir wollen Pizza essen gehen. Komm doch mit. Dann erfahren wir alles.“

Nach dem ersten Bissen der Pizza schilderte Jens sein Vorhaben:

„Die Sozialarbeiter haben sich in der „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ in Bukavu im Osten der Demokratischen Republik Kongo angeschlossen. Unter anderem werden Opfer sexueller Gewalt gegen Kinder und Frauen betreut.“

Esmeralda hörte aufmerksam zu und vergaß zu essen.

„Die Rebellen fallen immer noch über die Dörfer her, vergewaltigen Frauen und Kinder, vor den Augen der Dorfgemeinschaft, um die Familien zu zerstören. Wenn sie es nicht tun, werden sie sofort erschossen. Danach entführen sie die Opfer in die Wälder und lassen sie in den Minen nach Coltan, Gold und Kupfer schürfen. Gleichzeitig dienen sie als Sexsklaven.“

Die Pizza wurde kalt. Keiner hatte Appetit. Jens trank einen großen Schluck Rotwein aus seinem Glas. Dann erzählte er weiter:

„Sollten die geschundenen Frauen lebend aus den Wälder zurückkehren, werden sie überwiegend von ihren Männern verstoßen. So sind sie doppelte Opfer. Denn „ ...wenn du meine Frau vergewaltigst, dann erniedrigst du mich und zwingst mich, sie zu verlassen und meine eigene Familie zu zerstören.“

„Das wusste ich gar nicht. Das ist wirklich grausam. Was passiert denn mit den aus den Vergewaltigungen hervorgegangen Kindern?“, fragte Esmeralda.

„Sie haben keine Zukunft. Sie werden benutzt, um der Welt Gold, Kupfer, und Coltan für Smartphones und anderen elektronischen Geräten, zu verkaufen.“

Julia trank etwas Mineralwasser. Auch ihr war der Appetit vergangen.

„Was tut denn die UN? Ich hörte, dass sie nach Zentralafrika EU-Soldaten geschickt haben, die für Ordnung sorgen sollen.“

„Hör auf“, verächtlich winkt er ab und fuhr fort:

„ … man sagt, dass die Vereinten Nationen EU-Soldaten verdächtigen, Minderjährige sexuell missbraucht zu haben. Mädchen zwischen 11 und 16 Jahren alt sagten einem UN-Team, sie seien von Soldaten des `Europäischen Militärverbandes` für Sex bezahlt oder vergewaltigt worden. Für Wasser und eine Packung Kekse habe ein Soldat Oralsex von einer Siebenjährigen verlangt. Das ist abscheulich! Deshalb will ich helfen und werde morgen dem Professor meine Kündigung vorlegen. Den Vertrag habe ich schon unterschrieben. Man wird mich für 6 Monate schicken.“

„Du hast Julia gefragt, ob sie mitkommen will. Ist das als Paar erlaubt, oder können nur Single aufgenommen werden?“, fragte Esmeralda neugierig. Auch Julia hörte aufmerksam zu, was Jens zu sagen hatte.

„Nein keine Paare. Deshalb wollen wir mit dem Heiraten noch abwarten. Nach meinem ersten Einsatz, sozusagen, wenn ich mich bewährt habe, wird mit mir über meine private Situation neu verhandelt werden.“

„Aber wir sind doch ein Paar und schließlich verlobt!“, Julia war aufgebracht.

„Süße, ja das sind wir. Wenn du mitkommst, muss das wohl nicht gleich an die große Glocke gehängt werden. Oder?“

Versöhnlich gab er ihr einen Kuss.

„Sie wollen eben keine Konflikte während der Arbeit in diesen schwierigen Krisenherden. Da sind schon genug eigene Probleme im Land“, meinte Esmeralda.

„Es ist spät geworden, ich habe Frühdienst. Wenn Ihr noch bleiben wollt, dann tut das. Ich muss ins Bett“, sagte Jens.

„Ich komme mit!“ Julia zwinkerte Jens zu.

„Ich bleibe heute über Nacht bei dir. Ich weiß nicht, wie lange ich dich noch habe.“

Jens erhob sich vom Stuhl und half Julia in ihre Jacke.

„Geht nur Ihr Turteltauben. Ich trinke in Ruhe meinen Wein aus. Ich will über deine Arbeit bei „Ärzte für Menschen in Not“ nachdenken.“

Esmeralda hatte Feuer gefangen.

Das Gespräch mit dem Professor war für Esmeralda nicht einfach. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, ihm ihr Vorhaben zu erklären. Doch nach jedem gesprochenen Satz wurde es für sie einfacher.

„Das ist bewundernswert liebe Esmeralda. Ich freue mich, dass Sie sich für diese schwierige Arbeit entschieden haben. Gleichzeitig bedauere ich, Sie und Schwester Julia gleichzeitig zu verlieren. Ich werde für sie beide ein Spitzenzeugnis ausfertigen lassen.“

Jens war bereits abgereist. Er hatte sich für 6 Monate verpflichtet in der Zentralafrikanischen Republik zu arbeiten.

Gelbfieberimpfungen, ärztliche Versorgung von Verletzten und medizinische Aufklärungsarbeit, sowie die Betreuung von Kriegsgeschädigte hatte man ihm als seine Aufgaben aufgetragen. Esmeralda und Julia durften als Krankenschwestern in den Ostkongo reisen. Im Vertrag für `Ärzte für Menschen in Not` waren alle finanziellen Angelegenheiten geklärt. Ihr erster Einsatz sollte 3 Monate dauern. Es wurde ein kleines monatliches Gehalt auf ein deutsches Konto überwiesen. Die Reisekosten, Unterkunft, Verpflegung, Versicherungen und notwendige Impfungen wurden von der Organisation getragen. Auch sagte man in dem Vertrag zu, falls nach einem Einsatz in Krisengebieten, es zu physischen oder psychischen Störungen kommen sollte, dass diese von Fachärzten der Organisation behandelt werden würden. Denn die Erfahrungen zeigten, dass viele von den freiwilligen Einsatzkräften dem Druck der begangenen Unmenschlichkeiten nicht immer gewachsen waren. Julia konnte nicht mit Jens gehen, da sie verlobt waren. Doch man hatte nichts dagegen einzuwenden, sie in verschiedenen Regionen einzusetzen.

Peter hatte nach anfänglicher Skepsis Esmeraldas Entscheidung akzeptiert. Auch er hatte sich nach dem Tod von Sanira wieder als freier Krisenreporter engagiert und plante nach Afghanistan zu reisen.

Der Abschied war schwer. Er und Julias Eltern brachten die beiden Freundinnen nach Frankfurt zum Flughafen.

„Wenn du oder deine Freundin in Gefahr seid, egal wo ich mich in der Welt aufhalten werde, rufe mich. Ich krieche aus jeder Ecke der Welt, um dir zu helfen. Versprichst du mir das mein Engel? Ich werde dich, sooft wie ich kann, informieren, wo ich mich aufhalten werde. Passe gut auf dein Handy auf.“

„Ja Papa, das werde ich tun. Wir bleiben stets in Verbindung, egal wo wir sind, das ist doch klar.“

Dann ertönte der Aufruf für die abfliegenden Passagiere nach Kinshasa durch die Lautsprecher der Abflughalle. Es galt aufzubrechen, zum Flug in die Demokratische Republik Kongo. Julia stand noch bei ihren Eltern. Weinend verabschiedete sich ihre Mutter von ihr. Ihr Vater drückte Julia fest an sich und nahm seine traurige Frau in den Arm, als Julia zu Esmeralda ging.

„So Papa, es geht los. Ich liebe dich sehr und werde dich vermissen. Passe gut auf dich auf!“

„Das verspreche ich dir, passe auch gut auf dich auf. Und lasse nicht alle die schrecklichen Dinge, die du sehen wirst, zu dicht an dich heran. Ich weiß, dass du sehr sensibel bist.“

Esmeralda gab ihrem Vater einen herzhaften Kuss und wandte sich Julia zu.

„Komm meine Freundin. Unsere Zeit ist gekommen. Zeit den armen Menschen in einer anderen Welt zu helfen.“

Arm in Arm, mit dem Rucksack auf dem Rücken, den Reisetickets in der Hand, verschwanden sie hinter der gläsernen Wand der Absperrung zu der Gepäckkontrolle für Fluggäste.

Tränen der Hoffnungslosen

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