Читать книгу Rosarote Ringelsöckchen - Lisa Winter - Страница 4

1. Kapitel „Stasia”

Оглавление

Anastasia, genannt Stasia, war gerade elf Jahre alt und stand kurz vor ihrem großen Ereignis. Nur noch eine Nacht. Dann war es soweit. Mama Frauke hatte ihr langes, goldblondes Haar sorgfältig in lauwarmem Bier gespült, damit es herrlich glänzte, bevor sie es auf Lockenwickler aufdrehte.

„Ich muss morgen besonders schön sein, denn ich bin als Frühlingsprinzessin ausgewählt worden“, dachte sie stolz.

„Ich bin das hübscheste Mädchen im Dorf! Das hat Herr Munster gesagt. Nur das hübscheste und freundlichste Mädchen hier im Ort darf als Frühlingsprinzessin in der mit Rosen geschmückten Kutsche durch das ganze Dorf fahren.”

Dieses Ereignis war der jährlich stattfindende„Sommertagsumzug”.

Am ersten Sonntag im kalendarischen Frühlingsanfang war es Brauch, den Frühling, symbolisch dargestellt durch eine Frühlingsprinzessin, feierlich zu begrüßen, um dann den Winter zu verabschieden, der als Strohmann dargestellt wurde. Nach dem Zug durch das Dorf wurde er dann am Marktplatz angezündet und verbrannt. Fast alle Bürger des Dorfes waren beteiligt, aktiv oder als Zuschauer des festlichen Umzugs. Die Dorfkapelle des Gesangvereins begleitete mit Pauken und Trompeten die phantasievoll gestalteten Umzugswagen, die dann stolz jedes Jahr präsentiert wurden.

An Schlaf war für Stasia nicht zu denken. Die Ungewissheit, was am nächsten Tag auf sie zukommen würde, machte sie ruhelos, dazu die pieksenden Lockenwickler auf ihrer Kopfhaut. Sie ertrug dieses unangenehme Gefühl tapfer, denn morgen musste sie einfach perfekt aussehen!

Für diesen Anlass hatte eine Freundin von Frauke für Stasia ein langes rosafarbenes Kleid in seidenähnlicher Spitze genäht. Passend dazu lagen lange rosa Handschuhe bereit, rosa Schuhe und ein aus duftiger Seide hergestellter Rosenkranz, der auf ihrem Haar drapiert werden sollte.

„Stolz und würdig wirst du den Frühling als Frühlingsprinzessin darstellen“, meinte Frauke, als sie Stasia frisch gebadet ins Bett schickte und ihr einen Gute-Nacht-Kuss gab.

Badewasser wurde sonst nur an Samstagen für die ganze Familie im Heizkessel des Kohleofens erhitzt.

„Wieso hat Herr Munster mich ausgesucht und nicht noch mal Bea? Sie war doch letztes Jahr eine wunderschöne Prinzessin. Wir alle im Dorf haben sie beneidet. Sie war wunderschön und hat nichts falsch gemacht.”

Bea war ihre beste Freundin und wohnte wie sie und das Ehepaar Munster im selben Wohnhaus.

„Bestimmt wird jedes Jahr ein anderes Mädchen ausgewählt.”

Frauke zuckte mit den Schultern, bevor sie das Zimmer verließ.

Da Stasia absolut nicht einschlafen konnte, sang sie leise ihr Lieblingslied vor sich hin:

„Rosarote Ringelsöckchen, und zwei rosa Pucki-Pucki-Schuhe, und dazu ein Sommerkleidchen, das gehört dazu. Wenn ich in den Spiegel schaue, seh ich eine Zauberfee, wenn ich auf die Straße gehe, sehn mir alle nach …”

Genau so fühlte sie sich, und endlich schlief sie unruhig, doch selig, ein.

Bevor auch Frauke einschlafen konnte, dachte sie an die schwierigen Jahre zurück, wo ihr armes Mädchen schon früh ums Überleben hatte kämpfen müssen. Als Zweijährige ging es um Leben oder Tod, als plötzlich und völlig unerwartet eines Nachts Stasia mit gequälter und schwacher Stimme zu schreien versuchte. Die bis ins Mark erschütterten Eltern eilten in das Kinderzimmer. Henry, ihr drei Jahre älterer Bruder schaute entsetzt auf seine kleine Schwester.

„Schau Stefan, Stasia kriegt keine Luft. Sie kann kaum noch atmen“, schrie Frauke verzweifelt und hilflos.

„Tu etwas!”

Stasia zeigte mit ihren kleinen Fingerchen auf ihren Hals und röchelte mit weit aufgerissenen Augen und flackerndem Blick.

„Wasser, sie braucht Wasser, vielleicht hat sie sich an irgendetwas verschluckt“, rief Stefan.

Eilig brachte Frauke einen Becher Wasser. Stasia nahm den gefüllten Becher und schleuderte ihn gegen die Wand. Immer wieder zeigte sie auf ihren Hals. Stefan zog sich eilig an und packte das Kind auf seinen Arm. Er rannte in dem Mehrfamilienhaus einen Stock nach unten zum Nachbarn, der ein Motorrad besaß. Dieser erkannte sofort die Gefahr und war eiligst bereit, das um Luft ringende, erstickende Kind zum Dorfarzt zu fahren.

„Leider kann ich für Stasia nichts tun, sie muss schnellstens ins nächste Krankenhaus gebracht werden“, erkannte der noch etwas verschlafene Arzt voller Mitgefühl. Mittlerweile war auch Frauke in der Praxis angekommen. So saßen sie dann zu viert, Stasia zwischen ihren Eltern eingeklemmt, auf dem Motorrad und rasten in die nahe Stadt Mannheim ins städtische Krankenhaus. Mittlerweile war das Gesicht von Stasia blau angelaufen, sie atmete kaum noch, ihre Augen waren geschlossen. Nur noch ein leises Röcheln kam über ihre Lippen.

„Halte durch mein liebes Baby, halte noch eine Weile durch, bald wird alles wieder gut“, betete Frauke zum Himmel. Dabei drückte sie Stasia fest an sich. In ihrer Panik hatte sie ganz vergessen, sich etwas anderes anzuziehen. Noch immer trug sie ihr Nachthemd. Doch der Schock und die Sorgen um Stasia ließen sie den kalten Fahrtwind kaum spüren. Der Notarzt, den zuvor der Dorfarzt alarmiert hatte, erwartete die Familie an der Krankenhauspforte.

„Sie muss sofort in die Notaufnahme, wir müssen dringend und schnellstens operieren, jede Minute ist kostbar. Unterschreiben sie mir die Genehmigung für einen Luftröhrenschnitt. Ansonsten ist ihr Kind in kurzer Zeit tot.”

Ohne das Formular durchzulesen, unterschrieb Frauke das von der Krankenschwester angebotene Blatt Papier. Man sprach von einer Überlebenschance von zehn Prozent. Doch Frauke und Stefan beteten zu Gott, dass ihr geliebtes Mädchen überleben würde. Stasia widerstand dem Tod. Tapfer ertrug sie die auf die Operation folgenden Tage. Der Luftröhrenschnitt war noch rechtzeitig durchgeführt worden. Die Luftröhre hatte sich ohne ersichtlichen Grund zusammengeklebt. Keiner konnte sich erklären, wovon das gekommen war, da es ohne vorherige Anzeichen geschehen war. Schnell heilte die Wunde, und Stasia konnte als geheilt entlassen werden.

In den Jahren danach wuchs Stasia als gesundes fröhliches Mädchen heran, bis kurz vor ihrer Einschulung das Schicksal wieder heftig zuschlug. Bei einer sogenannten „Röntgen-Reihen-Untersuchung” im Dorf wurde bei ihr Tuberkulose festgestellt. Diese Untersuchungen waren in den sechziger Jahren amtlich vorgeschrieben, da noch einige Fälle von TB in der Region nach dem zweiten Weltkrieg aufgetaucht waren.

„Deswegen war es Stasia dauernd schlecht, sie wollte nicht essen und war oft schlapp und müde“, sagte Frauke zum Amtsarzt, als er ihr den Befund mitteilte. Oft hatte Stasia das frisch gekochte Gemüse, welches Frauke extra für sie kochte, verweigert, und sie war immer dünner und nervöser geworden. Stasia selbst hatte sich nicht krank gefühlt und diese Veränderungen nicht bemerkt. Und so schickte man sie auf ärztliches Anraten zur „Erholung” in den Schwarzwald.

„Ja, das ist das Richtige, gute reine Luft, gutes Essen und viel Ruhe“, meinte Stefan beruhigend, als Frauke zweifelte, ihre Tochter einweisen zu lassen. Es sollte nur für sechs Wochen sein. Man brachte sie in ein Sanatorium für kranke Kinder in den Schwarzwald. Stasia war sechs Jahre alt, und viele andere Mitpatienten waren jünger als sie. Es war für Stasia eine Qual, weit weg zu sein. Sie vermisste ihre Eltern, ihren Bruder und ihre Freundinnen. Sechs lange Wochen Erholung. Aus diesen sechs Wochen wurden neun Monate. Für Stasia neun Monate voller Angst und Qual. Sie durfte nicht aus dem Bett und sich nicht anziehen. „Bettruhe” – so sagte man.

„Du musst liegenbleiben, damit du wieder gesund wirst.”

„Warum? Es geht mir doch gut. Ich bin nicht krank.”

Keiner versuchte, das Kind über seinen gesundheitlichen Zustand aufzuklären. Und dazu diese ständigen qualvollen Untersuchungen. Erfolglos versuchten die Ärzte, bei Stasia eine Bronchoskopie durchzuführen. Doch sie konnte diesen ekligen Schlauch nicht schlucken. Sie würgte heftig, schrie und wehrte sich dabei verzweifelt. Ständig verabreichte Spritzen und die undurchsichtigen Gesten der Ärzte während ihrer Visiten versetzten Stasia in Angst und Bange. Keiner gab irgendwelche Erklärungen. Nur:

„Du hast sechs Wochen Verlängerung.“

Dieser immer wiederkehrende Satz prägte sich in das Gehirn von Stasia ein. Sie konnte die Tage und Wochen zählen und wartete jeden sechsten Sonntag auf die von ihr ersehnte Entlassung. Hinzu kamen verordnete „Zwangsliegekuren“ nach dem Mittagessen. Man brachte die Kinder bei fast jedem Wetter auf die überdachte Terrasse im Freien. Sie war ja überdacht, eben gute frische Schwarzwaldluft! Wenn es kalt war, wurden die Kinder auf dem Rücken liegend mit am Körper anliegenden Armen fest in Decken eingewickelt. Das Atmen fiel schwer. Bewegungen waren fast unmöglich. Für Uneingeweihte musste sich wohl ein Anblick von eingewickelten Mumien bieten. Über die Augen wurde die Serviette von den Essenszeiten gebunden, damit die Kinder nichts sehen konnten und schliefen. Oft war Stasias Serviette feucht von ihren stillen Tränen. Kein Mucks durfte von den Kindern ausgehen. Sie mussten schlafen, ob sie müde waren oder nicht. Das wurde streng überwacht. Ein Grauen für alle Kinder.

Das Essen war eine Tragödie für Stasia. Falls nötig, musste unter Zwang der Teller leergegessen werden. Wenn auch unter Tränen. Es war ein christlich geführtes Sanatorium. Geleitet von Schwestern in weißer Ordenstracht. Nicht selten hörte Stasia ein weinendes Kind in dem großen Krankensaal, in dem etwa zwanzig Kinder untergebracht waren. Die Situation schien hoffnungslos. Stasia befürchtete, dass sie hier zur Strafe gefangen war und deshalb in ihrem Bett sein musste, doch sie wusste nicht warum. Sie hoffte, dass, wenn sie groß genug wäre, sie als Erwachsene das Sanatorium verlassen könnte. Doch was, wenn ihre Eltern sie nicht mehr erkennen oder sie nicht mehr haben wollten? Oder nicht mehr lebten, wenn sie zurück wäre? Es war für sie und ihre Mitleidenden ein Albtraum, der kein Ende nehmen wollte. Daran dachte Frauke traurig, als sie in die Vergangenheit blickte.

„Nur noch eine Nacht, mein Mädchen, dann bist du die schönste Frühlingsprinzessin, die die Leute hier im Ort je gesehen haben“, sagte sie leise, bevor auch sie einschlief.

Endlich kam der nächste Morgen. Ein idealer Frühlingstag. Die wärmende Sonne strahlte hell leuchtend durch die Fenster, die Vögel sangen ihre Lieder, der große Tag wartete auf Stasia.

„Sie hat es wirklich verdient, nach allem, was sie durchgemacht hat, und zudem ist sie wirklich ein bildhübsches liebes Geschöpf – unsere kleine Prinzessin“, dachte Frauke glücklich und stolz. Frauke gab sich viel Mühe, ihre kleine „Prinzessin” entsprechend auszustaffieren. Stasia im Kleid, mit den passenden hauchdünnen Handschuhen, das Rosenkrönchen saß perfekt auf dem sorgfältig frisierten Haar.

„Mami, was ist, wenn ich alles falsch mache, lachen dann alle mich aus?”

„Nein, du machst nichts falsch, einfach deshalb, weil du ein gescheites und hübsches Mädchen bist. Alle werden dich beneiden und keiner wird über dich lachen.”

Beruhigt warf sie einen letzten Blick in den Spiegel.

„Jetzt wird es Zeit, Herr Munster steht vor dem Haus und wartet auf dich“, rief Stefan durch die Schlafzimmertür. Auch er war sichtlich nervös. Stolz betrachtete er seine Tochter. Auch Henry pfiff anerkennend durch die Zähne.

„Mensch Stasia, du siehst phantastisch aus, alle werden mich um meine schöne Schwester beneiden.”

Als Stasia die Wohnung verließ, rief Stefan ihr nach: „Wir werden, wenn der Winter verbrannt ist, auf dich am Marktplatz warten. Danach gehen wir zusammen nach Hause.”

Die folgenden Stunden flogen dahin. Stasia saß mit klopfendem Herzen in der mit Rosen ausstaffierten Kutsche, die von zwei prächtigen Schimmeln gezogen wurde. Sie warf die Süßigkeiten, die neben ihr in großen Kisten lagen, den am Straßenrand wartenden Kindern zu. Alle grüßten und winkten ihr zu. Dann war der Strohmann verbrannt, das Fest war zu Ende, und es wurden noch Fotos für die Dorfzeitung geschossen. Herr Munster legte stolz „seiner” Prinzessin den Arm um die Schultern und posierte zufrieden vor der Kamera. Noch ein Foto mit den Eltern, und dann war alles vorbei. Noch benommen von dem Glücksgefühl war Stasia kaum fähig zu sprechen.

„Stasia, das hast du gut gemacht. Du warst einfach eine wirkliche Prinzessin! Wir sind für heute noch bei Oma und Opa eingeladen. Sie wollen alles wissen, und sie wollen dir zur Belohnung ein Geschenk machen. Wenn du dich umgezogen hast, können wir sofort losfahren“, meinte Stefan.

Er war noch genauso überwältigt und glücklich wie auch Frauke. Es war ja auch alles perfekt gelaufen: Stasia hatte ihre Rolle glänzend gespielt, das Wetter war herrlich, der Himmel war blau, und die Sonne strahlte wohlwollend auf die in Aufruhr geratenen Dorfbewohner. Die Erwachsenen zogen sich zurück in das auf dem Platz aufgestellte Festzelt, um zu feiern und zu tanzen. Die Kinder spielten draußen vor dem Zelt miteinander. Doch Stasia war absolut nicht dazu aufgelegt, um zu ihren Großeltern zu fahren. Sie war viel zu aufgedreht und wollte dieses wundervolle Gefühl allein zu Hause ausklingen lassen.

„Papa, bitte seid nicht böse, aber ich bin sehr müde und möchte mich ein bisschen ausruhen. Geht bitte allein zu Oma und Opa. Sagt ihnen bitte, dass ich ein anderes Mal mitkommen werde, aber nicht heute. Bitte, nicht böse sein.”

Frauke stieß Stefan an und meinte, dass es richtig sei, das Kind nicht zu überfordern. Es war alles aufregend genug gewesen.

„Henry ist noch mit seinen Freunden unterwegs und wird bald zu Hause sein, dann bist du nicht allein. Im Kühlschrank ist noch ein Topf mit Spaghetti mit Tomatensoße. Das braucht ihr nur aufwärmen, und dann sind wir bald wieder zu Hause.”

Spaghetti mit Tomatensoße war Stasias Leibgericht. Frauke hatte vorher schon gedacht, dass das Kind seine Ruhe brauchen würde und hatte wieder mal für ihre Lieben vorgesorgt. Als die Dunkelheit anbrach, die Eltern waren längst weg, klingelte es an der Haustür.

„Hallo meine Prinzessin!“

Herr Munster stand vor ihr mit einer riesigen Brezel in der Hand, die auf einen Sommertagsstock aufgespießt war.

„Hier ist deine Belohnung.”

Er trat ein in die Wohnung.

„Wo sind denn deine Eltern?“, fragte er, während er sich im Wohnzimmer umsah.

Stasia, kindlich naiv und unbekümmert, erwiderte, dass sie bei den Großeltern seien und spät am Abend zurückkämen. Sie hoffte, dass er gehen würde.

„Das ist in Ordnung, ich werde nicht lange bleiben.”

Unaufgefordert setzte er sich an den Küchentisch. Dann lobte er noch mal den grandiosen Einsatz von Stasia, erwähnte ihre fast erwachsene weibliche Schönheit und wurde immer aufgeregter, während er leise, langsam und konzentriert sprach. Lauernd betrachtete er sie, während er sich über seine Lippen leckte.

„Weißt du überhaupt, dass du fast eine reife Frau bist? Heute, an unserem besonderen Tag, will ich dir endlich gestehen, dass ich dich schon seit einiger Zeit sehr liebe und ich auf die passende Gelegenheit gewartet habe, um dir das zu gestehen.”

Dann schwieg er für ein paar lange Sekunden. Stasia fing an zu frösteln. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie zitterte leicht und bemühte sich, es vor Herrn Munster zu verbergen.

„Und wenn ein Mann eine Frau so liebt wie ich dich, dann möchte er seiner Geliebten eine erotische Unterwäsche schenken, die sie dann nur für ihn trägt“, fuhr er fort.

Wieder ließ er sich Zeit, den weiteren Satz zu formulieren.

„Ich kaufe für dich diese Wäsche, da ich mir sehr gut vorstellen kann, wie zauberhaft du darin aussehen wirst. Du, als meine richtige Prinzessin, wirst wunderschön sein …”

Wieder eine Sprechpause von mehreren Sekunden. Stasia erstarrte immer mehr, unfähig, ihm zu antworten.

„Und dann werde ich dich weiter sehr verehren. Das wird dann unser Geheimnis sein, du mit mir, als meine kleine Geliebte.”

Ihr erschien es, als zöge ein eiskalter Luftzug durch den Raum. Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Herr Munster verhielt sich wie eine lauernde Katze, die gleich Stasia als Beute anspringen würde. Sie bekam fürchterliche Angst vor irgendetwas Fremdem, Unheimlichem und Bedrohlichem. Es war ihr unmöglich, auf irgendeine Weise zu reagieren. Als er langsam von seinem Stuhl aufstand, hoffte sie erleichtert, dass er endlich die Wohnung verlassen wolle und stand wohlerzogen, als sei sie hypnotisiert, mit ihm auf. Doch dann ergriff er Stasia, warf sie brutal auf das Sofa, zerrte erregt an ihrem Kleid und Höschen. Gleichzeitig öffnete er seine Hose, keuchte und murmelte sabbernd Worte, die sie nicht verstand, dabei versuchte er seine feuchte Zunge durch die zusammengepressten Lippen der geschockten Kleinen zu drücken. Doch sie presste ihre Zähne fest zusammen. Das Blut dröhnte in ihren Ohren. Zu mehr Gegenwehr war sie nicht imstande, da sie sich vor Angst und Panik gelähmt und steif unter diesem massigen abstoßenden alten Menschen fühlte. In ihrer Starre spürte sie, wie Herr Munster ihre steifen Beine auseinanderschob.

„Meine Beine, er versucht meine Beine zu spreizen, und ich kann sie nicht zusammenpressen. Sie gehören nicht mehr zu mir! Was passiert mit mir?“, dachte sie verzweifelt. Ihr Körper gehorchte nicht mehr, nur ihr Gehirn arbeitete unter Hochdruck. Dann bemerkte sie, dass sie nackt in ihrer Scham war, da er es wohl geschafft hatte, ihr Höschen runterzureißen. Wie auch immer, sie hatte es nicht gespürt. Dann fühlte sie die fordernden Finger seiner Hand, die sich in ihre Jungfräulichkeit zu bohren versuchten.

„Meine Prinzessin, halte still, ich bin ganz vorsichtig, bevor ich in dein süßes Schlösschen eintrete“, stammelte er.

Ein stechender Schmerz in ihrer Vagina drang in ihr Bewusstsein. Dabei rieb er sein erigiertes Glied an ihrem Oberschenkel. Ein Gefühl von Ekel und Abscheu ließ ihr nur noch einen Gedanken:

„Bitte, lieber Gott, lass mich in dieser schrecklichen Sekunde sterben, bitte ganz schnell!”, betete sie in ihrer Schutz- und Hilflosigkeit.

Ihr Hilferuf wurde von Gott erhört. Im gleichen Moment klickte das Wohnungstürschloss. Blitzschnell stand Herr Munster wieder auf seinen Beinen, um seine Hose eiligst zu schließen. Auch Stasia, beschämt und sprachlos, richtete schnell ihre Kleidung zurecht.Wer stand pfeifend in der Tür? Ihr Lebensretter! Ihr großer Bruder Henry, nichts ahnend und guter Dinge. Er grüßte freundlich Herrn Munster und sagte:

„Mensch Stasia, du warst klasse, alle im Dorf reden über dich und sprechen mich auf dich an“, während er anerkennend die Riesenbrezel bewunderte. Er genoss es sichtlich, von seinen Freunden für den Auftritt seiner Schwester bewundert zu werden. Dann verschwand er im gemeinsamen Kinderzimmer und hörte lautstark die Beatmusik seiner damaligen Lieblingsband, den „Beatles.” Wortlos, mit hochrotem Kopf, verließ Herr Munster eilig die Wohnung.

Als Stasia allein im Zimmer stand, sah sie ihr Unterhöschen auf dem Boden liegen. Sie konnte sich nicht erklären, wie dieses Scheusal es geschafft hatte, es ihr auszuziehen. Schnell rannte sie an die Küchenspüle, um sich nicht auf den Boden erbrechen zu müssen. Sie würgte und spie mit aller Kraft alles aus, was sie im Magen hatte. Noch immer schmeckte sie den Speichel von Herrn Munster in ihrem Mund. Der Brechreiz wollte nicht aufhören, bis sie nur noch den bitteren Geschmack von Galle schmeckte.

„Gut, dass Henry rechtzeitig da war! Oh Gott, was hätte passieren können, wenn du mir ihn nicht rechtzeitig geschickt hättest.”

Dann säuberte sie sorgfältig das Spülbecken und war froh, dass Henry von all diesen schrecklichen Dingen nichts mitbekommen hatte. Sie schämte sie sich für dieses Erlebnis.

„Davon darf keiner etwas erfahren“, dachte sie, weil sie sich schuldig fühlte. Sie war von diesem abstoßenden Erlebnis dermaßen traumatisiert, dass sie stets, bevor sie die Wohnung verließ, sich ängstlich im Treppenhaus umsah, ob dieses Monster in der Nähe war. Mit erfindungsreichen Ausreden gegenüber ihren Eltern weigerte sich Stasia, den von Herrn Munster angebotenen Honig abzuholen. Wenn Herr Munster in ihrer Nähe war, lief sie in das Kellergeschoss und versteckte sich zwischen den Fahrrädern unter der Treppe, bis er in seiner Wohnung verschwunden war. Doch eine Begegnung war in einem Mehrfamilienhaus kaum zu vermeiden. Eines Tages kam sie nach der Schule nach Hause, und Herr Munster stand plaudernd mit ihrem Vater auf der Straße. Eilig wollte sie grüßend vorbeigehen. Frech fragte er:

„Hast du dich über die Brezel gefreut, Prinzessin? War das nicht ein schöner Tag für uns alle?”

Ohne zu antworten, lief sie davon und verbarg ihre Tränen. Ihr ratloser Vater entschuldigte sich bei Herrn Munster für das unhöfliche und unverständliche Betragen seiner Tochter.

„Na ja, sie kommt langsam in die Pubertät, da sind die Kinder manchmal eigenartig”, meinte Herr Munster und nickte nachdenklich.

Dann kam Stasia ins Teenageralter. Mit dreizehn Jahren war sie in ihrer körperlichen Entwicklung weiter als andere Mädchen in ihrem Alter. Sie liebte es, sich heimlich zu schminken. In dieser Zeit trugen die Damen einen dicken Lidstrich, den Stasia mit Wasserfarbe aus dem Malkasten gekonnt auftrug. Auf die Wimpern trug sie mit einem Bürstchen Schuhcreme auf, und die überlangen Fingernägel wurden aufwendig rot lackiert. Dafür hatten die Eltern gar kein Verständnis. Frauke und Stefan beobachteten das mit Unmut und verboten ihr, mit ihrem Make-up auf die Straße zu gehen. Doch ab und zu, wenn beide Eltern aus dem Haus waren, trat sie stolz und selbstbewusst geschminkt auf die Straße. Den Rock wickelte sie am Taillenbund hoch, so dass ihre Knie frei blieben. Der Modetrend in den sechziger und siebziger Jahren war auch damals ziemlich figurbetont und frech. Die Frauen trugen sehr kurze Miniröcke, dazu Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen, Plateausohlen von manchmal bis zu zehn Zentimetern Höhe. Stasia konnte das sehr gut tragen. Sie sah fast erwachsen aus, war langbeinig und schlank. Das goldene naturblonde fast hüftlange Haar trug sie meist offen. Ihre Mitschülerinnen waren oft neidisch auf ihr Aussehen. Doch während der Unterrichtspausen ließen sich einige gerne von Stasia beraten und schminken.

Es kam manchmal vor, dass Jungs in den Parallelklassen mit einem blauen Auge herumliefen, da Bruder Henry streng über Sitte und Moral seiner Schwester wachte. Jeder, der an Stasia interessiert war, musste mit Henrys Missfallen rechnen. Das gefiel Stasia gar nicht. Um ungestört mit Verehrern zu plaudern, ging sie öfter mit ihren Freundinnen im Sommer in den Nachbarort ins Freibad. Dort kannte man sie nicht, und sie konnte öffentlich und ohne Beaufsichtigung des Bruders mit den älteren Jungs flirten und schäkern. Da sie sich als Sechzehnjährige ausgab, auch so aussah, war es kein Problem für sie, beim Schwimmbadbesuch zu Partys, die damals in dafür eingerichteten Partykellern stattfanden, eingeladen zu werden. In dieser Zeit wollte fast jeder Jugendliche einen Partyraum im Keller der Eltern haben. Ungestört konnten die Jugendlichen die laute „Beatmusik” der damaligen Zeit hören. Den Eltern war das willkommen, da zu dieser frühen „Popzeit” die meisten Erwachsenen noch nicht offen waren für diese fremd klingende Art von Musik.

Stasia hatte einen Verehrer mit Partykeller. Er war sechzehn Jahre alt und verliebt in Stasia. Bei sonnigem warmem Wetter traf sich Stasia zusammen mit ihrer Freundin mit den Jungs aus dem Nachbarort. Gelangweilt lagen sie auf der Wiese im Schwimmbad in der Sonne. Martin, ihr Verehrer, schlug vor:

„Wir könnten alle zusammen zu mir nach Hause in meinen Partykeller gehen. Meine Eltern sind heute den ganzen Tag über weg, dann können wir ein bisschen feiern.”

„Ja, Getränke und Zigaretten können wir unterwegs im Kiosk kaufen, nichts wie los!”

Die Gruppe war sich einig, und sie freuten sich. Schnell wurden die Badesachen zusammengepackt, und jeder schwang sich auf sein Fahrrad. Unterwegs kauften sie Coca Cola, Rum und Zigaretten. Der Partykeller war abgedunkelt, kein Tageslicht drang in den Raum, und Martin legte laut dröhnende Musik auf den Plattenspieler auf, von den Beatles, den Rolling Stones und Janis Joplin. Die Paare tanzten eng miteinander. Auch Martin presste Stasia eng an sich. So eng, dass Stasia kaum atmen konnte und sich abrupt aus dieser körperlichen Umklammerung von Martin befreite. Die gedankliche Reife des Mädchens war noch nicht im Einklang mit der körperlichen Reife. Sie wusste Bescheid, dass durch sexuellen Verkehr ungewollte Kinder kommen können, und dass es schlimm sein musste, in ihrem Alter schwanger zu werden. Flirten war gut, aber körperliche Annäherungen konnte und wollte sie nicht noch einmal erleben. Immer noch quälten sie die schrecklichen Erinnerungen. Immer noch fühlte sie den heißen übel riechenden Atem von Herrn Munster über ihr Gesicht streifen. Mehrfache nächtliche Alpträume quälten sie. Oft war sie nachts schreiend aufgewacht, während Mutter Frauke ihr ratlos die Hand hielt, bis sie wieder eingeschlafen war.

„Was ist los, Stasia? Warum stößt du mich weg?”

Martin tat überrascht. Wieder wollte er Stasia an sich drücken und versuchte dabei mit seiner Hand unter ihre Bluse zu gelangen.

„Stell dich nicht so an, komm schon!”

Sein nach Alkohol riechender Atem stieß sie ab. Heftig stieß sie Martin von sich und rannte aus dem Keller auf die Straße. In ihrer Panik vergaß sie, dass ihre Freundin noch im Partykeller war. Doch die hatte die Flucht von Stasia beobachtet und eilte ihr hinterher. Nach diesem Erlebnis wollte Martin natürlich nichts mehr von Stasia wissen. Schnell hatte er sich mit einem anderen Mädchen getröstet. Als Stasia dies traurig sah, mied sie für den Rest dieses Sommers das Schwimmbad. Eines Tages, Stasia war gerade auf dem Heimweg von ihrer Turnstunde, stand ein Freund von Henry plötzlich vor ihr und versperrte ihr den Weg. Die Dunkelheit war eingebrochen und die Straßenbeleuchtung schwach. Stasia erschrak.

„Hallo Süße, ich bin dir von der Turnhalle aus gefolgt. Ich weiß, dass du jeden Donnerstag zum Turnen gehst.”

„Ach ja? Und warum folgst du mir?”

Stasia fühlte sich unbehaglich. Ja, sie kannte den Jungen, oft hatte er sie während seiner Besuche bei ihrem Bruder beobachtet.

„Ich weiß doch, auf was du stehst. So, wie du aussiehst, wartest du doch nur darauf, dass ein Junge dich küsst.”

Er hielt Stasia an ihren Armen fest und versuchte sie zu küssen. Angewidert stieß sie den Jungen von sich weg und rannte davon. Henry saß mal wieder auf der Treppe vor der Haustür, weil er, wie so oft, seinen Hausschlüssel im Haus vergessen hatte und die Eltern weg waren. Sofort erkannte er die Situation. Stasia kam atemlos angerannt, dahinter sein vermeintlicher Freund.

„Ist der Teufel hinter dir her, was ist los Stasia?”

Panikartig zeigte sie auf den Jungen, der ihr folgte. Henry überlegte nicht lange, lief dem Jungen entgegen und schnell – ganz ohne Vorwarnung – schlug er dem Jungen auf die Nase, der danach blutend und jammernd auf der Straße lag.

„Lass dich ja nicht mehr bei uns blicken. Wir sind keine Freunde mehr”, rief Henry zornig. Die Geschwister gingen in die Wohnung. Nach einem längeren Gespräch über Jungs erzählte Stasia stockend und peinlich berührt von ihrem Erlebnis mit Herrn Munster. Einige Jahre waren vergangen, die Ehefrau von Herrn Munster war mittlerweile verstorben und er danach mit unbekanntem Ziel weggezogen. Henry hörte aufmerksam zu. An diesen Tag konnte er sich noch sehr gut erinnern. Doch damals war ihm nichts Beunruhigendes aufgefallen. Er war damals selbst erst vierzehn Jahre alt gewesen. Er versuchte die weinende Stasia zu trösten, und beide schworen Rache für sie.

„Wenn ich dieses Schwein erwische, dann gnade ihm Gott.”

Henry war sichtlich erschüttert, und es traf ihn tief in sein Innerstes, dass er damals von dieser Niedertracht nichts gemerkt hatte. Er hätte ihn niedergeschlagen, auch wenn er noch sehr jung gewesen war.

„Sind denn alle Jungs und Männer gleich? Es ist einfach widerlich.”

Henry, selbst ein Mann, verteidigte die männliche Ehre:

„Nein Schwesterherz, nicht alle sind so. Es gibt auch nette, wie mich und Papa. Du musst einfach vorsichtiger sein. Manche Männer sind eben nur schwanzgesteuert und können nicht anders, wenn sie eine hübsche Frau sehen.”

Rosarote Ringelsöckchen

Подняться наверх