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3. Kapitel „Lust auf Abenteuer”

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Nach erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung verlobten sich Stasia und Max. Vorher fanden sie eine nette Wohnung zur Miete in der Nähe der Eltern. Zwei Zimmer, eine hübsche Küche und kleines Bad. Genau passend für einen Start in ein Leben zu Zweit. Stasias Pudel Snoopy zog mit in die Wohnung. Tagsüber brachte Stasia ihren Liebling zu ihren Eltern. Darüber waren sie auch froh, so konnten sie Stasia jeden Tag sehen und konnten beobachten, wie es ihr ging. Frauke traute Stasia nicht zu, dass sie sich selbst mit Max versorgen konnte. Hausfrauliche Fähigkeiten waren nicht die hauptsächlichen Prioritäten für Stasia. Das wusste Frauke. So kochte sie öfter ein bisschen mehr zum Mitnehmen. Stasia nahm diese Geschenke dankbar an. Jetzt war Stasia verlobt, auch notwendigerweise, weil die künftige Vermieterin die Wohnung nur an Ehepaare oder an wenigstens verlobte Paare vermieten wollte. Marina war wieder solo. Da Max viel mit seinem Fußball beschäftigt war, abends die Jugend trainierte, hatte Stasia Zeit, ihre Freundin auch abends zu treffen. Sie brachte Max zum Sport und konnte dann über das gemeinsame Auto verfügen. Oft wurde es im Vereinsleben spät, so hatte sie Zeit, ohne Wissen von Max, mit Marina in die Disko zu gehen. Das durfte Max nicht erfahren, da er krankhaft eifersüchtig war und sehr aggressiv werden konnte. Sie log ihn an und behauptete, dass sie mit Marina zusammen bei ihr zu Hause die Zeit vergessen hatte, wenn sie erst nach Mitternacht nach Hause kam.

Max zeigte sein wahres Gesicht erst, als beide zusammenwohnten. Des Öfteren hatte er Stasia bösartig und ungerechtfertigt angegangen, mit ihr gestritten und gebrüllt, bis in rasendem Zorn die Messer aus dem Messerblock durch die Küche geflogen waren. Eifersüchtig schaute er auf die Freundschaft der beiden Mädchen. Stasia fürchtete sich immer mehr vor diesen Ausbrüchen. Sie bangte um ihre Sicherheit, wenn Max sie wieder mal aus Eifersucht anbrüllte. Er war auf alles und jeden eifersüchtig. Sogar auf ihren geliebten Pudel Snoopy, wenn sie ihn für seine Verhältnisse zu sehr verhätschelte und streichelte. Oft dachte sie daran, wieder zurück zu ihren Eltern zu gehen. Doch dann müsste sie den Eltern gestehen, dass sie recht gehabt hatten, dass sie einfach zu jung und unerfahren gewesen war, um für ihr ganzes Leben mit einem Mann zusammenzuleben.

Marina besaß ein eigenes Auto. Jede Woche, am freien Samstag, holte sie Stasia ab, um mit ihr die City von Mannheim zu fahren. Um Geschäfte zu gucken, zu shoppen und danach gemeinsam chinesisch essen zu gehen. Zu dieser Zeit gab es nicht viel Auswahl an chinesischen Lokalen. Die Mädchen genossen diese Art von fremden, scharfen, exotischen Speisen. Auch darüber war Max nicht sonderlich erfreut. Marina hatte einen weit höheren Verdienst als Stasia und konnte sich die schönsten Kleider von ihrem verdienten Geld kaufen. Stasia hatte nach ihrer kaufmännischen Prüfung in ihrer Lehrfirma gekündigt und in Mannheim einen für sie lukrativen Job gefunden. Aber sie hatte wenig Geld für Kosmetik und Kleidung, da sie mit ihrem Einkommen einen Beitrag zum gemeinsamen Haushalt mit ihrem Verlobten leistete. Marina konnte nicht verstehen, dass Stasia mit einem solch einfachen Mann leben wollte. Ständig sprach sie auf sie ein:

”Herrgott Stasia, warum bleibst du bei Max? Der ist überhaupt nicht nett zu dir, er ist krankhaft eifersüchtig, spioniert dir immer hinterher und ist ein ganz einfacher Mann, ohne große Ambitionen und ohne beruflichen Ehrgeiz. Der passt überhaupt nicht zu dir!”

„Ach Marina, du hast ja recht, aber wie soll ich alles aufgeben. Ich denke auch schon lange über eine Trennung nach. Aber er ist so zornig in seiner Wut, dass ich einfach Angst habe, dass er mir was antut. Oder dem Snoopy. Er hatte schon mal angedroht, dass er Snoopy umbringt, wenn ich ihn verlassen sollte.”

Daran dachte sie, als sie beim letzten heftigen Streit mit ihm angedroht hatte, ihn zu verlassen und zurück zu den Eltern zu ziehen.

„Dann musst du heimlich verschwinden, ohne dass er es merkt und ohne dass er weiß, wo du bist”, erwiderte Marina nachdenklich. Aber wie sollte das geschehen? Wenn sie fliehen würde, würde er sie suchen und sie finden. Schon einmal hatte Stasia im Streit die gemeinsame Wohnung mit Snoopy verlassen und war zu ihren Eltern geflohen. Schon nach der ersten Nacht in ihrem alten Kinderzimmer war es passiert.

Nachdem sie am Morgen zur Arbeit gegangen war, hatte Frauke mit Snoopy einen Gassigang gemacht. Snoopy war wie immer nicht angeleint gewesen. Während sie auf einer Bank im Stadtpark andere Spaziergänger beobachtet hatten, war Max mit dem Auto angerauscht gekommen, hatte hart gebremst, war aus dem Wagen gesprungen und hatte sich Snoopy geschnappt. Die verblüffte Frauke hatte nicht gewusst, wie es ihr geschah, da alles sehr schnell, wohl von Max geplant, abgelaufen war. Er war mit dem Hund einfach davongerauscht. Frauke hatte mehrmals versucht, Max zu Hause anzurufen. Entweder war er nicht ans Telefon gegangen, oder er war schon auf und davon mit Stasias Liebling. Als Stasia nach ihrer Arbeit in der elterlichen Wohnung keine überschwängliche Begrüßung von Snoopy bekommen hatte, hatte es Stasia geschwant.

„Wo ist Snoopy? Ist was passiert?”

Frauke hatte ihr von dem Schrecken erzählt.

Dann der Anruf:

„Wenn du deinen Köter lebend wiederhaben willst, musst du nach Hause kommen, wo du und er hingehört!”

Seine Stimme hatte bedrohlich und gefährlich geklungen. Dann hatte er hinzugefügt:

„Wir vergessen alles, was passiert ist, es tut mir leid, aber du musst noch heute zurückkommen.”

Frauke hatte ängstlich mitgehört. Leise hatte sie auf Stasia eingesprochen.

„Du kannst nicht zurück. Er ist gefährlich, warte bis Papa von der Arbeit kommt, er geht dann mit dir Snoopy holen.”

„Ich habe Angst vor dir. Ich komme mit Papa und hole Snoopy ab!”

„Aber mein liebes Stasialein. Du brauchst keine Angst haben, wenn du wieder zurückkommst. Es wird wieder alles gut, das verspreche ich dir.”

„Wie geht es Snoopy?”, hatte sie verängstigt gefragt.

„Es geht ihm bestens, er hat gerade von mir eine Wurst gekriegt und wedelt mit seinem Schwänzchen, weil er merkt, dass ich mit dir spreche. Komm jetzt heim.”

„Was, wenn ich wiederkomme, wirst du mir böse sein, und Snoopy und ich werden darunter leiden? Ich traue dir nicht.”

Max hatte mit ruhiger und freundlicher Stimme gesagt:

„Nein, alles wird wieder gut, das verspreche ich dir, ich weiß, dass ich ungerecht zu dir war, ich will, dass alles wieder so ist, wie es war, bitte komme zurück.”

Stasia hatte geschwiegen. Nach mehreren Sekunden hatte seine Stimme weinerlich und verzweifelt geklungen.

„Bitte, komm heim, ich kann Snoopy nichts antun, dir auch nicht, dafür liebe ich euch viel zu sehr.”

Dann hatte er den Hörer aufgelegt.

„Vielleicht tut es ihm wirklich leid und er bessert sich. Sicher hätte er Snoopy nie was angetan“, hatte sie gedacht. Sie hatte Frauke versprechen müssen, am Abend nochmals anzurufen. Wenn sie nicht anriefe, sollte Frauke die Polizei bitten, bei Max und ihr vorbeizuschauen. Stasia war zurückgegangen. Frauke hatte ihr sorgenvoll aus dem Fenster nachgeschaut. Auch sie hatte verstanden, dass es für Stasia am sichersten war zurückzugehen, Streit gibt es in jeder Familie.

„Er wird sich in Zukunft zusammenreißen, er wird sich bestimmt bessern“, hatte sie gedacht.

Beim nächsten Treffen mit Marina erzählte Stasia von dem Vorfall. Marina war ganz und gar nicht einverstanden. Sie hatte Angst um ihre Freundin und drängte sie, doch endlich ein für sie besseres Leben zu wählen.

„Du musst Schluss machen, du musst weg von ihm, der tut dir noch was an!”

Das musste Max wohl gespürt haben. Ständig wetterte er gegen Marina. Und so kam es, dass er Stasia noch misstrauischer als vorher überwachte. Eifersüchtig überprüfte er jede Stunde ihres Tagesablaufes. Für jede Gelegenheit, die Stasia ohne ihn unterwegs war, wollte er Rechtfertigung. Warum sie hier und dort allein hingehen musste. Jeden Schritt von ihr wollte er überwachen. Dieses Verhalten stieß Stasia mehr und mehr ab, so dass sie wieder von Trennung sprach. Er tat vernünftig, so, als könne sie jederzeit gehen, aber dann, wenn sie anfing, ihre Sachen zu packen, sperrte er sie im gemeinsamen Schlafzimmer ein. Die Telefone entfernte er aus dem Zimmer, den Rollladen am Fenster schloss er von außen ab. Verzweifelt und weinend wartete sie ab, bis er wieder die Tür aufschloss. Dann tat er so, als sei nichts geschehen. Immer wieder, wenn Stasia von Trennung sprach, wurde er mehr und mehr aggressiv, bis er sie schlug und sogar drohte, tatsächlich ihren geliebten Pudel zu töten, falls sie ihn verlassen würde. Die Lage wurde von Tag zu Tag schlimmer und gefährlicher für Stasia. Als sie wieder einmal später als besprochen nach Hause kam, wurde die Lage lebensgefährlich. Max saß wartend in der Dunkelheit im Sessel, als sie leise den Raum betrat. Sie war mit Marina wieder in ihrer Stammdisko gewesen und hatte die Zeit vergessen. Es war schon zwei Uhr in der Nacht. In aufgestauter rasender Wut packte er die verdutzte Stasia an ihren Schultern und warf sie auf den Boden. Sie wehrte sich, trat nach ihm und biss ihm in den Arm, als er versuchte, sie zu würgen. Sie schlug verzweifelt um sich. Snoopy kam mutig aus seinem Versteck und sprang Max von hinten an. Max lag auf Stasia. Ihre Kräfte ließen nach, Snoopy zerrte mit seinen Zähnen am Bein von Max und biss ihn schließlich in die Wade. Der Schmerz des Bisses ließ Max wieder zur Besinnung kommen. Erschüttert über sein eigenes Verhalten ließ er von Stasia ab und zog sich wortlos in die Küche zurück. Hinter sich verschloss er die Tür. Die Vermieterin, die auch im Haus wohnte, klingelte ängstlich und rief durch die Abschlusstür, ob sie die Polizei rufen sollte.

„Nein, Frau Müller, alles ist klar, ich hatte einen Albtraum und bin durch meine eigenen Schreie aufgewacht. Snoopy hat sich so sehr erschrocken, dass er losgebellt hat, als wäre mir was passiert“, log sie. Verängstigt ging Stasia ins Schlafzimmer. Wie aus dem Nichts stand Max vor ihr mit einem Glas Wasser in der Hand und einem Röhrchen Schlaftabletten. Er schüttete alle Tabletten in das Glas.

„So, jetzt hast du endgültig alles kaputt gemacht. Du kannst sehen, wohin du mich treibst. Früher oder später bringe ich dich um, oder ich mich. Ich lass dich jetzt gehen. Ich weiß, dass du dich mit dieser blöden Schlampe Marina rumgetrieben hast. Ab jetzt könnt ihr beide rumhuren, sooft ihr wollt. Du landest sowieso in der Gosse! Ich bringe mich jetzt um, dann ist Schluss.”

Stasia setzte sich wortlos, unfähig eines Gedankens, auf das Bett und wartete auf das, was geschehen würde. Nicht eine Träne floss. Tatsächlich trank er diesen giftigen Cocktail bis zum letzten Schluck aus. Regungslos betrachtete Stasia diese grausige Szene.

„Was tun? Soll ich es verhindern? Was, wenn ich nichts tue? Werde ich dann dafür rechtlich bestraft, weil ich Hilfe verweigert bzw. unterlassen habe?”

Trotz dieser Gedanken war sie nicht fähig zu reagieren. Sie wollte sich nicht erpressen lassen. Max zog sich wieder in die Küche zurück. Immer noch saß sie regungslos auf der Bettkante und wartete auf etwas, was folgen würde. Tief in ihrem Inneren, im Geheimen, wünschte sie sich, dass er sich umbringen würde und sie dann frei wäre. Aber auf diese Weise? Könnte sie ihr Leben lang dieses Szenario vergessen, ohne sich schuldig zu fühlen? Die Minuten zogen sich wie Stunden. Doch dann hörte sie, wie Max schwankend und polternd ins Bad lief und sich übergab. Anscheinend wollte er doch noch nicht sterben. Wieder war das ein böses Spiel, das er mit ihr spielte.

„Bei dir kann man verrecken, während du zuschaust! Gleich morgen früh haust du ab.”

Er legte sich auf seine Bettseite und schlief ein, als sei nichts geschehen. In Stasias Kopf wütete es. Sie musste ihn verlassen.

„Dieser Mann ist krank, er muss in die Psychiatrie“, dachte sie verzweifelt. Sie wusste, dass sie nur dann gehen könnte, wenn sie ihn heimlich verlassen würde. Diese Flucht musste präzise geplant sein, und wenn dann der richtige Zeitpunkt gekommen wäre, dürfte keiner von ihrem Fluchtplan erfahren. Nicht mal die geliebte Familie.

„Ich muss den richtigen Zeitpunkt abwarten und etwas Geld auf die Seite legen. Für den Weg in die Freiheit.”

Am nächsten Morgen hatte sich Max wieder beruhigt und Stasia tat auch so, als sei nichts Derartiges passiert. Sie wurde etwas vorsichtiger, da sie die Unberechenbarkeit von Max kannte und erfahren hatte, dass er im Zorn gewalttätig werden konnte. Sie durfte ihn nicht zu sehr reizen.

Dann kam wieder der Anschlag auf ihre Gesundheit. Eines Tages, als sie ausgelassen mit ihrem Pudel Snoopy auf dem Boden tobte, sprang er auf ihren Bauch, und plötzlich platzte etwas im Inneren ihrer Lunge. Sie hatte Atemnot und fühlte einen dumpfen Schmerz, begleitet von einem schmerzhaften Ziehen im Rücken. Der Druck der entweichenden Luft aus ihrem Lungenflügel drückte schwer auf ihre Schultern. Es war ihr unmöglich aufzustehen. Auf den Knien kroch sie zum Telefon und rief ihren Bruder Henry an, er möge ihr helfen. Max war gerade wieder auf dem Sportplatz. Henry kam sofort und sah die nach Atem ringende Schwester. Er verständigte sofort den ärztlichen Notdienst. Nach kurzer Untersuchung durch den Notarzt wurde Stasia mit Blaulicht und Sirene ins nächste Krankenhaus gefahren.

Wieder die gleiche alte Geschichte mit der Lunge. Die eine Seite der Lunge war durch ein Spontanpneu zusammengefallen. Das Atmen war nur schmerzhaft und zaghaft möglich. Die austretende Luft aus der Lunge drückte auf ihr Herz, das unregelmäßig und heftig schlug. Es musste gleich eine Operation durchgeführt werden. Es sollte ein Schlauch durch die Seitenrippen zur Lunge gelegt werden, um die zusammengefallene Lungenhälfte wieder aufzublasen. Dies ohne Narkose, unter örtlicher Betäubung. Stasia lag hilflos auf dem OP-Tisch und bekam entsetzliche Panik. Trotz verabreichtem Beruhigungsmittel sprang sie auf und rannte davon. Unter schrecklichen Schmerzen versuchte sie in größter Panik, aus dem Krankenhaus zu fliehen. Doch die Pfleger waren schneller als sie und zwangen das Mädchen auf einen Rollstuhl. Sie brachten sie zurück zum Operationssaal. Auch das Ärztepersonal war erschüttert. Die Pfleger setzten sie auf den OP-Tisch. Ihr Körper bebte von Weinkrämpfen. Sie verschränkte ihre Arme über der Brust. Der behandelnde Arzt war ratlos.

„Ich lasse nicht zu, dass ihr in meinen Körper schneidet!”

Der Arzt sprach ruhig und sachlich auf sie ein.

„Wir müssen schnell handeln und diesen Eingriff sofort durchführen. Falls Sie uns nicht gewähren lassen, werden Sie sterben, da der Druck des ausströmenden Sauerstoffs in Ihrer Lunge stark auf Ihr Herz drückt, so dass es sicher bald nicht mehr schlagen kann.”

Deshalb schlug ihr Herz nur noch mühsam und unregelmäßig. Also, OP oder Tod. Willenlos legte Stasia sich nieder und ließ diese ziemlich grausame und sehr schmerzhafte Behandlung über sich ergehen. Es wurde eine Dränage gelegt. Ein fingerdicker elastischer Schlauch, der durch die Rippen in die Lunge gestoßen wurde. Vorher wurde unter der Achsel ein Schnitt bis ins Innere der Lunge gemacht, um dann den Schlauch einzuführen. Als dieser im Inneren der Lunge ankam, entstand durch die ausströmende Luft ein krampfhafter Husten, und Stasia hustete spritzendes Blut zusammen mit dem im Lungenvolumen aufgestauten Sauerstoff heraus. Da sie den Hustenreiz nicht zu stoppen konnte, kam im Operationssaal Panik auf.

„Versuchen Sie, den Husten zu unterdrücken!”

Schwestern versuchten, das Blut auf dem Gesicht des Chirurgen wegzuwischen. Das OP-Tuch auf Stasias Brust war dunkelrot mit ihrem Blut durchtränkt. Endlich ließ der Husten nach, und die Wunden konnten verbunden werden. Diese quälende Tortour war damals nur mit örtlicher Betäubung möglich, da man Stasias Reaktion beobachten musste, um keinen Fehler auf dem Weg ins Innere des Lungenflügels zu machen, obwohl ein Monitor über ihrem Körper diesen Eingriff sichtbar machte. Das Atmen mit dem Schlauch im Inneren der Lunge war schmerzhaft und mühsam für Stasia. Sie war zu keiner Regung mehr fähig. Ihre Kräfte waren aufgebraucht. Psychisch und Physisch. Max und Henry warteten ungeduldig vor dem OP-Saal im Flur. Sie waren sehr nervös und besorgt. Trotz der örtlichen Betäubung schmerzte ihr gesamter Körper unendlich, eine Starre, aus der sie sich nicht lösen konnte, lähmte ihre Reaktionen und Bewegungen. Sie war ruhig gestellt, damit der Körper Zeit hatte, seine natürlichen Funktionen wieder aufzunehmen. Seit sie denken konnte, war das das schlimmste Erlebnis, das sie durchstehen musste. Jeden Tag besuchte Max sie im Krankenhaus. Da sie keine Freude während seiner Besuche empfand, wusste sie nun ganz sicher, dass sie ihn nach der Genesungsphase verlassen würde.

„Egal, was kommt! Wenn ich geheilt bin, will ich keine weitere Zeit meines Lebens verschwenden, endlich frei und unabhängig sein. Es hängt wieder an einem seidenen Faden.”

Endlich nach unendlichen langen sechs Wochen Krankenhausaufenthalt wurde Stasia entlassen. Die Freude war riesig für die ganze Familie und auch für ihr Hündchen Snoopy, der oft das Fressen verweigert und viel Aufmerksam und Trost von Mama und Papa gesucht hatte. Oft hatte er auf Stasias altem Kinderbett gelegen und sich nicht bewegen lassen, das sonst von ihm über alles geliebte Würstchen anzunehmen. Aber wieder war nicht alles so geheilt, wie es sein sollte. Schon ein Tag nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus, am ersten Morgen zu Hause, traf sie ein weiterer Schlag. Stasia wollte eine neue Jeans, natürlich sehr eng anliegend, anziehen. Bei dem mühsamen Versuch, die Hose zu schließen, platzte wieder etwas auf in ihrem Lungenflügel. Wieder war es schmerzhaft und mühevoll durchzuatmen. Wieder der gleiche Schmerz in ihrem Rücken, den sie zu gut kannte. Sie wusste ganz genau, dass sie wieder ins Krankenhaus zurück musste und was auf sie zukam. Sie wusste, dass man nun die Lunge öffnen musste, um zu erfahren, wo der Ursprung des Defekts war. Tief traurig und verzweifelt rief sie selbst den Notarztwagen, der sie wieder mit Blaulicht, dieses Mal zu einer Spezialklinik für Lungenerkrankungen in Heidelberg, fuhr. Noch am gleichen Tag wurde sie notoperiert. Vor dem OP-Termin schminkte sich Stasia noch ihre Augen. Den Nagellack musste sie leider entfernen. Sie schminkte sich für den Fall, „dass, wenn ich bei der OP sterbe, im Sarg schön aussehen werde.”

„Sie sind in den besten Händen. Sie werden nicht sterben, mein Kind, alles wird wieder gut.”

Dabei drückte die liebenswürdige Schwester ihr mütterlich die Hand.

Die Operation ergab, dass sich noch immer der Tuberkulum aus ihrer Kindheit in der Lunge befand, und er sich mittlerweile mit den Jahren verkapselt und entzündet hatte. Dadurch wurde das umliegende Gewebe zu dünn und geschwächt. Das schwache Gewebe konnte bei Belastung nicht standhalten, platzte auf, und die eingeatmete Luft drang durch die Lungenbläschen hindurch ins Vakuum der Lunge. Die Luft im Vakuum sammelte sich mit jedem Atemzug an und presste den Lungenflügel mehr und mehr zusammen. Lediglich die gesunde Lungenseite konnte einwandfrei arbeiteten. Tatsächlich wurde der „Defekt” in der Lunge erfolgreich entfernt. Beim Aufwachen aus der Narkose befand sich wieder ein Schlauch in der Lungenseite, der nach der Heilung gezogen wurde. Die Ärzte versprachen ihr dieses Mal eine dauerhafte Heilung. Dieser stationäre Heilungsprozess benötigte einige Monate. Schreckliche Monate für Stasia, da sie in den ersten Wochen nur im Rollstuhl gefahren werden konnte, weil jede Belastung des Körpers zu einem erneuten Kollaps führen konnte. Durch die erzwungene Passivität hatte sie sehr viel Zeit, über ihr derzeitiges Leben zu grübeln. Im Grunde genommen war sie unglücklich, hatte das spießige dörfliche Leben satt und wollte einfach die große weite Welt entdecken. Das wurde ihr immer mehr bewusst. Unabhängig sein, zusammen mit Snoopy und frei. Ganz weit weg von den Fesseln, die Max ihr anlegte, um sie an sich zu ketten. Er durfte sie nicht finden, denn er würde sie wieder zwingen zurückzukommen. Sie wusste genau, wie gefährlich es für sie werden könnte, wenn er merken würde, dass er Stasia für immer verlieren könnte. Diese Flucht ist für immer! Sie hatte keine andere Wahl. Alles Vertraute musste sie hinter sich lassen, auch wenn der Weg steinig werden könnte. Nur die einzig eingeweihte Freundin Marina kannte den Drang ihrer Freundin.

„Ach Stasia, es ist wirklich tragisch, dass du diesen Weg allein gehen musst. Ich würde so gerne mit dir gehen, aber ich habe einen Superjob, verdiene gutes Geld und werde bald Karriere machen. Es ist in unserer Firma für eine Frau außergewöhnlich, so eine berufliche Stellung, wie man sie mir angeboten hat, zu bekommen. Frauen haben es bei uns immer noch schwer, auf der Karriereleiter aufzusteigen. Ich bin richtig traurig, dass du gehst.”

Noch wusste Stasia nicht, wie die Flucht verlaufen sollte. Nur, dass es im nächsten Frühling geschehen würde, das fühlte sie in ihrer Seele. Über mehrere Monate sparte sie einen kleinen Teil ihres Einkommens auf einem heimlich getrennt angelegten Konto. Südfrankreich war eine schöne Idee. Warmer Sonnenschein, blaues Meer und sicher viele elegante, schöne und berühmte Menschen. Weit weg von ihrem Verlobten. Das würde Geld kosten. Ohne Auto, mit kleinem Gepäck und dem geliebten Hündchen. Die Südküste der „Côte d' Azur.” Davon hatte sie nur gelesen und im Fernsehen Berichte über die jährlichen Filmfestspiele gesehen, wo sich die Prominenz der ganzen Welt traf. Das war ihr Traumziel. Naiverweise vergaß sie, dass sie, abgesehen von dem notwendigen Geld, so gut wie kein Wort Französisch sprach. Das musste schnell erledigt werden. Sie sprach darüber mit Marina, und beide beschlossen, einen Sprachkurs in Mannheim zu belegen. Das hatte zudem noch den Vorteil, dass sich beide am frühen Abend treffen und nach dem Sprachkurs gemeinsam essen gehen und flanieren konnten. Max hatte nichts dagegen, da er wusste, dass er die Leine etwas lockerer lassen musste, um Stasia nicht ganz zu verlieren. Ein Gefühl in seinem Inneren sagte ihm, dass er Stasia verlieren würde, aber er wollte es nicht wahrhaben und verdrängte erfolgreich diese unliebsamen Gedanken. Auch, dass er seit der Operation von Stasia keinen Sex mehr mit ihr hatte, wollte er verschmerzen, obwohl er sie sehr begehrte. Sie schob es auf ihren gesundheitlichen Zustand nach der Operation. Immer wieder vertröstete sie ihn, noch etwas Zeit vergehen zu lassen, bis sie sich wieder vollkommen gesund fühlen würde. Geduldig umsorgte er Stasia und ließ ihr ihren Willen. Stasia war darüber sehr erleichtert, denn ihr war klar, dass sie sich nie mehr von Max berühren lassen würde. Sie hatte nie Freude am Sex gehabt, war stets froh gewesen, wenn Max schnell zum Ende gekommen war und sie für ein paar Tage ihre Ruhe vor ihm gehabt hatte. Diese Unlust von Anfang an schob sie auf ihre unschönen sexuellen Erfahrungen in ihrer Kindheit. Um Max sexuell nicht zu reizen, verbarg sie ihren makellos schönen Körper unter langen weiten Nachthemden, bevor sie zu Bett ging. Vor dem Schlafengehen verbrachte sie viel Zeit im Badezimmer und war zufrieden, wenn Max dann eingeschlafen war.

Das Flanieren mit Marina in der Stadt war viel schöner, als die schwierige Sprache zu erlernen, und so entschieden die Freundinnen, den Kurs zu meiden.

„Das Wetter ist heute so schön, warum gehen wir in den Kurs, wenn wir genauso gut im schicken Straßencafé auf der Terrasse sitzen können?”

Diese Stunden mussten sie nutzen, um zu plaudern und über die vorbeilaufenden Passanten zu lästern und dabei zu albern. Keine der beiden wusste, wie lange sie noch diese Gelegenheit haben würden.

„Französisch kann man eh am besten im Land direkt im Umgang mit den Menschen lernen. Das ist viel einfacher“, darüber waren sich beide einig.

Stasia war als Sekretärin in einer Filiale einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Die Leitung dieser Filiale bestand aus dem Geschäftsführer und ihr. Die angestellten Mitarbeiter waren in den jeweiligen Vertragsunternehmen in verschiedenen Firmen an mehreren Orten beschäftigt. Ab und zu kamen Bewerber oder auch Angestellte in das Büro. Das Büro lag mitten in der Stadt, wenige Minuten zu Fuß vom Zentrum entfernt. Es war bequem war für sie, ohne Auto in die Geschäftsstraßen zu gelangen. Wenn Max sie nicht zum Mittagessen abholte, ging Stasia während ihrer Pause bummeln, um alles Neue vom Modemarkt in den Auslagen zu erkunden. Wunderbare freie Stunden, die sie manchmal, wenn ihr Chef im Außendienst war, etwas ausdehnte. Das Arbeitsklima zwischen ihm und ihr war harmonisch. Beide empfanden eine angenehme Sympathie füreinander. Wenn dieser immer stärker werdende Freiheitsdrang nicht gewesen wäre, hätte sie ihre Ausreisepläne vergessen. Die Arbeit ging ihr gut von der Hand, sie arbeitete unabhängig, und sie konnte selbständig kleine Entscheidungen treffen. Da ihr Chef viel unterwegs auf Reisen war, hatte sie Zeit, über ihre Flucht nachzudenken. Es tat ihr leid, dass sie diesen guten Job würde aufgeben müssen, ohne ihren liebenswerten Chef vorher darüber zu informieren. Es gab Tage, an denen sie sich wünschte, dass sie ohne diese Aufregungen und ohne diese Totalveränderung ihres Lebens doch noch imstande wäre, die Verlobung im Guten zu lösen. Dass das mit Max unmöglich war, war ihr traurig bewusst. Selbst ihr Vater sprach Stasia zu, Max zu verlassen und in eine andere Stadt zu ziehen, da er so manchen Streit zwischen den beiden mitbekommen hatte, wenn sie weinend mit Snoopy an der elterlichen Wohnungstür gestanden war, um wieder vor einem erzürnten Max zu flüchten.

Während eines gemeinsamen Stadttags mit Marina berichtete diese von einem Verehrer, der sie zu einer Eröffnung einer Edeldiskothek in Bad-Herrenalp im Schwarzwald eingeladen hatte.

„Stasia, du sollst natürlich mitkommen. Diese Einladung gilt nur für ausgewählte Gäste. Diese Disko ist in einem vornehmen Hotel untergebracht. Und bequemerweise können wir auch dort übernachten.”

Dieses absolut verlockende Angebot musste angenommen werden.

„Wie komme ich von Max weg, das noch über Nacht? Nie wird er, geplagt von Eifersucht, uns beide über Nacht zu einem Diskobesuch gehen lassen!”, meinte Stasia nachdenklich.

Es musste gut durchdacht und geplant werden. Die Lösung kam Stasia über Nacht. Sie waren doch gemeinsam in der Berufsschule gewesen, zusammen mit anderen Mitschülerinnen. Stasia hatte eine geniale Idee. Gleich am nächsten Tag rief sie Marina vom Büro aus an.

„Marina, kannst du dich noch an Helga erinnern? Eine Mitschülerin von uns?”

„Ja, sie war sehr nett und hat uns manchmal geholfen, schwierige Fragen für die Abschlussprüfung für den Vorbereitungskurs in Buchhaltung zu klären.”

Marina erinnerte sich gut an Helga. Sie war die Beste in Buchhaltung gewesen.

„Wir erfinden einfach, dass sie uns zu sich in den Schwarzwald für dieses Wochenende einlädt. Wir schreiben uns eine Einladung von ihr. Natürlich mit verstellter Handschrift.”

„Warum nicht? Das ist doch ein guter Grund, ohne Max über Nacht zu verreisen. Ein harmloser Besuch bei einer ehemaligen Schulkameradin! Genau, das ist es!”

Marina war begeistert. Das war ein genialer Plan. Das musste funktionieren. Die beiden Mädchen verfassten eine Einladung von Helga und adressierten die Briefe an ihre Adressen. Mit Begründung, dass ihr Ehemann über das Wochenende geschäftlich verreist sei und Helga das als Gelegenheit sehe, endlich den beiden Freundinnen aus der Schulzeit ihre neue Heimat zu zeigen.

„Das wäre doch eine wundervolle Gelegenheit für einen gemütlichen Mädelabend“, schrieb Helga.

Die Briefe kamen am gleichen Tag an Stasias Elternadresse und Marinas Adresse an. Raffinierterweise an Stasias Eltern gerichtet, da Helga nicht die gemeinsame Adresse von Max und Stasia kennen konnte. Bei dem üblichen samstäglichen Besuch bei den Eltern übergab ihr die Mutter den Brief.

„Hier ist ein Brief für dich“, Frauke schaute neugierig.

Stasia tat sehr überrascht. Öffnete den Brief und tat hocherfreut und überrascht, von Helga zu lesen.

„Oh, was eine schöne Überraschung! Helga lädt mich und Marina zu sich in den Schwarzwald ein. Ist das nicht herrlich?”

Dabei zeigte sie den Brief Max.

„Nach Abschluss unserer Prüfung hatten wir uns gegenseitig versprochen, unseren Kontakt zueinander nicht zu verlieren. Aber Helga ist fortgezogen. Wir hatten zwar gehört, dass sie geheiratet hat, aber Marina und ich haben nicht gewusst, wohin sie gezogen und was aus ihr geworden ist.”

Max schaute neugierig auf den Brief und las ihn aufmerksam durch. Skeptisch sah er Stasia an. Hatte er etwas gemerkt? Sorgfältig las er jedes geschriebene Wort. Dann schaute er auf und lächelte großzügig.

”Wer ist denn Helga?“, fragte er wohlwollend.

Sie erklärte ihm nochmals die Bekanntschaft aus ihrer gemeinsamen Schulzeit während ihrer Ausbildung. Um vor den Eltern gut dazustehen, auch vor Stasia, nickte Max verständnisvoll. Frauke freute sich mit ihrer Tochter. Der Plan ging auf. Beim nächsten Zusammensein planten die beiden Freundinnen, wie alles ablaufen sollte, was man anziehen könnte, und was sie noch für diese Party einkaufen mussten. Marina hatte wunderschöne Abendkleider, davon war eins für Stasia gedacht. Es war bodenlang, tief ausgeschnitten, schwarz und aus glänzendem Material genäht. Marina entschied sich für ein sehr feminines silbernes Kleid, hochgeschlossen, sexy eng anliegend mit einem tiefen Rückenausschnitt, der fast bis zum Poansatz reichte. Bei der nächsten Verabredung mit Marina wurde das dazu passende Make-up gekauft, wie Goldstaub für die Wangen und viele andere raffinierte Schönheitsmittel, absolut passend für solch einen besonderen Anlass. Dann zu Hause bei Marina wurden die herrlichen Utensilien ausprobiert und die Verschönerungen durch das Make-up sorgfältig begutachtet. Alles wurde perfekt organisiert. Schon der Gedanke an diese Einladung versetzte Stasia in Aufregung, und ihr Herz klopfte.

Rosarote Ringelsöckchen

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