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7.

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Die schweigende Wand und ihr erster Riss

Die Beerdigung von Albert Ukena ist für übermorgen angesetzt. Eine Trauerfeier in der Kapelle des Friedhofs an der Adolf-Dunkmann-Straße mit anschließender Beisetzung. Wegen der hohen Anteilnahme in der Auricher Bürgerschaft erwartet man eine rege Beteiligung.

Mieke Janßen ist ungehalten. Sie ist zornig, und sie weiß auch genau, warum. Der Chef hat sie zu sich gerufen. Rüster ist beherrscht gewesen wie immer, aber was er zu sagen hatte, klang unerfreulich. Bachmann hatte ihn nämlich in der Stadt angesprochen, am Samstag auf dem Markt. »Ich habe mich über ihn geärgert«, hat der Chef spröde geäußert, es klang irgendwie nebensächlich, als wollte er sagen, der Bürgermeister hatte eine viel zu kurze Hose an. Ob er, Rüster, denn wisse, was seine Leute so täten, habe Bachmann recht spitz gefragt. Zum Beispiel, dass man ihn, den Bürgermeister, zu privaten Dingen befragt hätte. Zu Sachverhalten, die außer die direkten Beteiligten nun wirklich niemanden etwas angingen, am wenigsten eine Behörde, und ganz zuletzt die Polizei.

Die Oberkommissarin hat die Brauen gehoben. »So? Was denn wohl?«

»Die Kasernensache«, hat Rüster knapp zurückgegeben, und Mieke Janßen bekam plötzlich schmale Augen. »Der Kauf dieser Grundstücke damals«, schob der Chef erklärend nach. Und dann: »Bachmann hat ja auch gekauft. Ziemlich groß sogar.«

»Stuss«, hat die Oberkommissarin geantwortet, sonst nichts, nur dieses eine Wort, aber in ihrem Kopf haben sich mit einem Mal die Räder gedreht wie Schwungscheiben. Was ist da los? Warum regt sich Bachmann darüber auf? So sehr, dass er Rüster darauf anspricht.

Der Chef konnte mal wieder Gedanken lesen. »Interpretieren Sie bitte nicht. Wir halten uns an Tatsachen. Und wieso Stuss? Was haben Sie denn gefragt?«

Mieke hat den Kopf geschüttelt. »Ihn gefragt? Nichts. Ich habe lediglich gesagt, dass ich die Kontroverse im Rat interessant fand. Und dass die Sache wohl ein heißes Eisen ist.«

Der Chef hat die Stirn gerunzelt. »Ein heißes Eisen? Warum?«

»Das ist nur so ein Eindruck«, hat Mieke vorsichtig gesagt. »Anscheinend ist der Erwerb der Grundstücke einer kleinen Gruppe vorbehalten gewesen.«

Kriminaloberrat Rüster hat einen Moment darüber nachgedacht. »Sie waren halt teuer«, befand er schließlich. »Bei dieser Lage kein Wunder.« Dann hat er sich zurechtgesetzt. »Nun ja. Wie auch immer. Wir haben diesen Mord am Hals. Darauf sollten wir uns konzentrieren.« Was er nach Miekes Verständnis eindeutig meinte, war: Sie haben diesen Mord am Hals. Darauf sollten Sie sich konzentrieren. Ganz allgemein: Lassen Sie Ihre Hände von Dingen, die nichts damit zu tun haben. Und sehr speziell: Lassen Sie wegen der Kasernensache Ihre Hände vom Bürgermeister.

Lassen Sie Ihre Hände vom Bürgermeister? Mieke hat sich aufgerichtet. »Sie meinen also, ich soll Bachmann in Ruhe lassen?«

Jetzt ist der Chef sogar ein bisschen ärgerlich geworden. »Nein, Frau Kollegin, das meine ich ausdrücklich nicht. Wenn Herr Bachmann im Zuge von Ermittlungen eine Rolle spielt, dann ran an ihn. Im Rahmen der Vorschriften und Verfahren, so viel versteht sich. Ich habe es schon gesagt: keine Rücksichten. Auf niemanden!«

»Und was haben Sie ihm geantwortet? Am Samstag auf dem Markt?«

Oberrat Rüster hat ein schales Lächeln gezeigt. »Dass ich natürlich nicht immer genau weiß, was meine Kollegen gerade tun. Dass aber meine Kollegen es immer ganz genau wissen. Nämlich das Richtige«, sagte er. In diesem Moment waren seine Augen sehr ernst, fast sogar warm, Mieke hatte den Eindruck, sie hörte auch eine Bitte in seinen Worten.

Entschlossen hat sie Rüster zugenickt. »So ist es.«

Sie stand schon, als der Chef anfügte: »Ich habe ihm auch gesagt, dass ich mir verbitte, so auf der Straße angesprochen zu werden. Dass ich ihn auch nicht frage, ob er weiß, was seine Mitarbeiter machen. Es ist mir auch schnuppe. Solange sie nicht straffällig werden.«

Da war sie versucht, den Chef auf die Wange zu küssen, aber sie tat es nicht. Sie fand es unpassend, und Rüster hätte es ohnehin nicht verstanden.

So ist das gewesen, und jetzt ist Mieke noch immer ungehalten, ja wütend. Dieser Bachmann. Was bildet der sich ein? Weil er Bürgermeister ist und Geld hat, stehen ihm keine Sonderrechte zu. Auch nicht in Sachen Empfindsamkeit. Was hat sie denn schon getan? Eine harmlose Bemerkung hat sie gemacht. Eine harmlose Bemerkung? Plötzlich schießen ihr Bilder durch den Kopf. Sinnsprüche. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Getroffene Hunde bellen. Gelegenheit macht Diebe. Doch die vergisst sie bald, denn in der Sonderkommission wird gewirbelt. Zwei Kollegen hängen am Telefon und führen laute Gespräche. Andere diskutieren an einer Flipchart. Ein Drucker rasselt und speit Papier. Oberkommissarin Banafsheh Schariatmadari füttert ihren Computer. Frerich Frerichs redet mit Oberstaatsanwalt Schneider, der zu aller Verwunderung – seiner eigenen eingeschlossen – frisch befördert worden ist. Jetzt feuert der Oberkommissar zornig den Hörer auf den Schreibtisch, das Telefonat hat ihn wohl nicht sonderlich befriedigt.

»Das Telefon ist Eigentum des Landes Niedersachsen. Oft kannst du das nicht machen«, sagt Mieke mit leichtem Vorwurf und legt sorgfältig den Hörer auf. Frerich steht voll unter Dampf, er ist richtig aufgebracht. »Schneider spinnt, aber total. Er sagt, er will vorsorglich schon jetzt darauf hinweisen, dass er für mögliche Hausdurchsuchungen handfeste Beweise braucht!«

Mieke lacht freudlos. »Hausdurchsuchungen? Wer spricht davon? Viel zu früh. Wenn überhaupt.«

»Eben! Das habe ich ihm auch gesagt. Und weißt du, was er geantwortet hat? ›Ich kenne euch‹, hat er gesagt. Und: ›Ich bin eben meiner Zeit weit voraus‹!« Frerichs spuckt jetzt grüne Galle. »Und außerdem: Mann, was will der? Handfeste Beweise? Wenn ich die habe, brauche ich keine Durchsuchung mehr. Vollidiot!«

Mieke lässt ihn fluchen. »Der ändert sich nicht mehr. Du kennst ihn doch lange genug«, sagt sie. Schneider ist ihr aller »Liebling« in der Staatsanwaltschaft. Wenn sie können, gehen sie ihm aus dem Weg. Immer gelingt das nicht.

Die Kollegen von der Flipchart kommen zu Mieke an den Schreibtisch. Sie haben die ersten Befragungen durchgeführt. »Na, dann lasst mal hören«, sagt die Oberkommissarin.

Der Bauunternehmer Justus Nowack und Tjarko Joosten, selbstständiger Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, standen oben auf der Liste. Bei Nowack fangen die Kollegen an. Es lief nicht alles nach Plan. »Wir waren bei ihm auf dem Bauhof, er hat da eine Menge Zeug rumliegen, Steine, Kanalrohre, Schotter und Sandhaufen, derlei«, sagt einer der beiden. Aber nicht nur das. Seine Hunde liefen frei herum, und sie sind offenbar scharf. Zwei Rottweiler.

»Ist das Gelände eingezäunt?«

Der Kollege nickt.

»Und das Tor stand offen?«

Der Kollege nickt wieder. Das Tor stand offen.

»Und wenn die Viecher auf die Straße laufen?«

Das hätten sie den Nowack auch gefragt, sagt der Kollege. Der hätte nur gegrinst. »Die laufen nicht auf die Straße. Die bleiben hier auf dem Hof. Und achten auf Leute, die hier nicht hingehören. Er meinte wohl: ›solche wie ihr!‹« Der Beamte hält einen Moment inne. Dann sagt er: »Keinen Schritt konnten wir gehen. Die Viecher haben uns nichts getan. Aber rühren durften wir uns auch kaum.«

Der andere Kollege nickt. Und der Unternehmer hätte ausgesehen wie ein Handlanger, ungepflegt, dreckig, mit zotteligen Haaren. »Dabei ist der Mann doch reich. Auf dem Hof stand ein Bentley Continental GT V8. Ich habe das Modell letztes Jahr auf der IAA gesehen. Es kostet locker über 200.000 Euro.«

Unwillkürlich geht Mieke der Benz des Bürgermeisters durch den Kopf. Dann denkt sie, es sind halt Leute mit Geld.

Und die Vernehmung? Was ist da rausgekommen?

»Es ist seltsam«, sagt einer der Kollegen. »Die geben zwar Auskunft, aber sie antworten nur auf die Fragen. Ich meine, ganz präzise. Kein Smalltalk, nichts drumherum, kein weiteres Wort. Man hat immer das Gefühl, sie verschweigen etwas.«

»Kennen wir«, sagt Mieke nüchtern, »das muss nichts heißen. Und sonst?«

Der Kollege fährt sich nachdenklich über die Stirn, der andere zieht einen Notizblock aus der Tasche. »Wir waren in Nowacks Büro. Die beiden Köter waren dabei. Wir wollten, dass er sie draußen lässt, aber er hat gesagt, das findet nicht statt. ›Ich bin hier der Hausherr. Wir spielen nach meinen Regeln‹, hat er gesagt.«

»Und die Vernehmung?«, fragt Mieke geduldig.

Der Kollege blättert in seinen Notizen. »Das Übliche. Maulklammer. Kennen sich seit Langem. Haben sogar zusammen Urlaub gemacht. In Griechenland.«

Mieke sagt: »Klingt doch alles ganz flüssig.«

Der Kollege nickt zuerst, aber dann schüttelt er den Kopf. »Ich berichte jetzt flüssig. In Wirklichkeit hat sich das Gespräch so abgespielt.« Er schiebt ihr einen Papierbogen zu.

Mieke wirft einen Blick darauf. »Tonaufzeichnung?«, fragt sie streng.

Der Kollege verneint. »Gedächtnisprotokoll. Keine Sorge!«

Mieke liest.

»Sie kennen sich?«

»Ja.«

»Sie sind auch befreundet?«

»Ja.«

»Wie und wo haben Sie sich kennengelernt?«

»Am Großen Meer. Beim Segeln.«

»Am Großen Meer?«

»Ja.«

»Beim Segeln? Auf dieser Pfütze?«

Keine Antwort.

»Wann?«

»In jungen Jahren.«

»Und das heißt?«

»Als wir beide jung waren.«

»Aber da segeln Sie jetzt nicht mehr?«

»Nein.«

»Sondern wo?«

»In Griechenland.«

»Und Ihr Schiff?«

»Motorjacht. 20 Meter. 15 Tonnen. Einzelheiten erspare ich Ihnen.« Denn das ist nutzlos, davon verstehst du ohnehin nichts, so lautet die Botschaft.

»Und seins? Ukenas?«

»Gleiches Modell. Aber Albert fährt ja nun nicht mehr.«

Erstaunt hebt Mieke Janßen den Kopf. »Das hat er wirklich gesagt?«

Der Kollege nickt. Der zweite hat plötzlich ein verbissenes Grinsen im Gesicht. »Der Kerl war kalt wie die Schnauzen von seinen Kötern. Und wie erwähnt: kein Wort zu viel.« Die übrigen Inhalte der Befragung sind belanglos. Wechselseitige Besuche und Herrenpartien, Kegelausflüge, Anrufe zum Geburtstag, auch gemeinsame Feiern, Kinoabende mit den Frauen.

»Hatten die beiden geschäftlichen Kontakt?«, fragt Mieke.

Der Kollege schüttelt den Kopf. »Das habe ich ihn natürlich auch gefragt. Er sagt nein. Albert Ukena war ja Makler. Nowack hat sein Anwesen aber von den Eltern geerbt.«

»Deswegen kann er ja bei Ukena gekauft haben. Zum Beispiel eine Wohnung in Aurich. Oder ein Haus. Als Kapitalanlage.«

»Hat er nicht«, sagt der Kollege, »ich habe ihn danach gefragt.«

»Prüft das noch mal nach«, ordnet die Oberkommissarin an.

Der Kollege nickt und macht sich eine Notiz. Die Befragung des selbstständigen Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters Tjarko Joosten ist fast gleich verlaufen. Anscheinend war der gesamte Kreis Mandant bei dem Mann, er hat alle steuerlich betreut, auch den Ermordeten. Der Rest war unergiebig. Dünn und mager. Ein Protokoll der Widerspenstigkeit. »Wir kommen wieder!«, hätten sie ihm gesagt. »Ach so, Sie wollen mir drohen«, das hätte ihnen Joosten geantwortet. Der war ziemlich frech. Aggressiv. Mieke nickt. Kennen wir doch. Das typische Verhaltensmuster von Unschuldigen, die unversehens in den Fokus der Polizei geraten. Sie wollen zeigen, dass sie sich leisten können, frech zu sein. Aber manchmal auch von Leuten, die den berühmten Dreck am Stecken haben. Dann ist es Tarnung.

»Macht alles fertig und packt es in die Akte«, sagt die Oberkommissarin, ehe sie fortfährt: »Sonst noch was?«

Die beiden Kollegen sehen sich an. Tjarko Joosten habe sich genauso verhalten wie der Bauunternehmer Nowack. Nur Antworten auf die Frage, kein weiteres Wort. Auffällig sei aber gewesen, dass Joosten sehr blass war und stark geschwitzt habe. Das wiederum notiert sich Mieke.

Es ist schon früher Nachmittag, als sich die Oberkommissarin mit der Kollegin Banafsheh Schariatmadari auf den Weg macht. Das Veilchen fährt. Sie wollen Jan Christoffers befragen, den Kaufhausbesitzer und Reeder. Der Mann wohnt in einem noblen Stadtteil des Auricher Westens. Mieke hat sie telefonisch angemeldet. Als sie anlangen, steht die Einfahrt zum Haus offen, beide Flügel der geschmiedeten Tür sind bis zum Wegrand zurückgeschwungen und verriegelt. Der Garten ist nicht nur sehr gepflegt, seine Geometrie scheint auf dem Reißbrett entworfen. »Typisch ostfriesisch«, stellt die Oberkommissarin nüchtern fest und das Veilchen nickt. »So lieben wir es.«

Die Dame des Hauses öffnet ihnen. Frau Christoffers ist eine mondäne Erscheinung, sie trägt einen teuren Hosenanzug, ist exquisit geschminkt und das Haar sitzt perfekt, aber die beiden Polizistinnen spüren bald, dass es unter der glatten Oberfläche brodelt. Ihre Stimme vibriert, und wenn sie spricht, begleitet sie ihre Worte mit ausholenden Gesten. Ihr Mann werde gleich kommen, sagt Frau Christoffers, er führe nur noch rasch ein kurzes Telefonat im Arbeitszimmer. Ob sie bei dem Verhör dabei sein dürfe?

Mieke Janßen lächelt. »Verhöre haben die Nazis geführt, Frau Christoffers. Wir vernehmen. Aber mit Ihrem Mann möchten wir uns nur unterhalten. Wir sind dabei, die Hintergründe des Falles Ukena aufzuklären.«

Letzteres weiß Frau Christoffers natürlich, aber nun bestürmt sie die Erinnerung an das schlimme Ereignis. »Ach Gott, ja. Der arme Albert. Und die arme Familie. Ist das alles nicht schrecklich? Wer tut so etwas? Haben Sie schon eine Spur?« Die Frau ist unruhig wie ein Rennpferd vor dem Start. An ihrem schlanken Hals zeigen sich rote Flecke. Ihre Stimme wird unvermittelt schrill. »Sie müssen auf meinen Mann Rücksicht nehmen. Jan verliert schnell die Nerven. Deswegen würde ich gerne dabei sein.«

Das Veilchen lässt einen kurzen Laut hören, den man nicht deuten kann. Mieke Janßen betrachtet die Frau des Kaufmanns und Reeders Jan Christoffers ausführlich. »Er verliert schnell die Nerven? Als erfolgreicher Geschäftsmann? Wie passt das denn zusammen? Das scheint mir doch ungewöhnlich«, sagt sie und Frau Christoffers knetet die Hände.

»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wir haben ja nichts zu verbergen.« Sie setzt sich in den Sessel und fingert nach einer Zigarette. »Aber Jan, mein Mann, nun ja. Er ist sehr labil. Früher war das anders. Er hat Geschäfte gemacht, die man als gewagt bezeichnen kann. Mit viel Risiko. Und war dabei zwar erfolgreich, aber das hat alles viel Kraft gekostet.«

»Rede kein dummes Zeug, Erika!«, sagt Jan Christoffers. Er hat unbemerkt den Raum betreten und die letzten Sätze seiner Frau wohl mitgehört. »Was sollen die Damen denken? Als Kaufmann war ich immer solide, und ein Reedereigeschäft ohne Risiko gibt es nicht. Besonders nicht in arabischen oder afrikanischen Gewässern.« Der Hausherr begrüßt die beiden Oberkommissarinnen fast fröhlich, aber sie merken sofort, seine Lockerheit ist aufgesetzt. Der Mann ist ebenso aufgeregt wie seine Frau. Mindestens. Der Händedruck ist fest, aber die Hand feucht und fischig kalt. Christoffers bittet die zwei in sein Arbeitszimmer. Seiner Frau sagt er schroff, er wolle sie nicht dabeihaben. »Das hier ist meine Sache. Lass mich machen.« Er faucht es fast.

Erika schluchzt. Mieke Janßen beruhigt sie. »Wir werden uns zunächst mit Ihrem Mann unterhalten, aber später auch noch mit Ihnen.«

Er hört es und sieht Mieke scharf an. »Ich darf vorangehen?«, sagt er.

Auf dem Weg ins Arbeitszimmer wirft Mieke dem Veilchen einen kurzen Blick zu. Das ist keine normale Vernehmung. Hier geht was. Sie sieht das Veilchen knapp nicken. Banafsheh hat es auch so wahrgenommen.

Das Arbeitszimmer ist sehr geräumig. An der Wand hinter dem Schreibtisch hängt ein präparierter Hecht; Jan Christoffers hält sich einiges darauf zugute, ein erfolgreicher Sportangler zu sein, den Hecht hat er selbst gefangen. Er bemerkt den Blick der Oberkommissarin. »Im Kanal«, sagt der Kaufmann stolz und fügt an: »73 Zentimeter, fast acht Kilo schwer. Fängt man auch nicht alle Tage.«

»Sie angeln regelmäßig?«, fragt ihn das Veilchen.

Christoffers schüttelt den Kopf. Dazu habe er nicht die Zeit. »Vor allem dann, wenn ich Ruhe und Entspannung brauche, um mich abzulenken«, sagt er.

»Abzulenken? Wovon?«

»Von Ärger und Stress. Von irgendwelchen Lasten halt.«

»Kann es sein, dass Sie deshalb zurzeit besonders häufig angeln?«, setzt das Veilchen spontan nach.

Jan Christoffers versteht die Frage nicht. Er versucht es mit Humor. »Wie kommen Sie denn auf dieses schmale Brett?«, fragt er grinsend, aber der Scherz wirkt aufgesetzt.

Sie stehen da und betrachten den präparierten Hecht. Mieke glaubt, das Tier zu riechen. Sie fühlt sich nicht besonders wohl dabei. Alle drei stehen noch, als sie ihren ersten Pfeil abschießt. »Sie haben Ihrer Frau gesagt, das hier sei Ihre Sache? Was ist hier Ihre Sache, Herr Christoffers?«, fragt die Oberkommissarin. Ihre Stimme ist ruhig, fast bedächtig, aber da schwingt ein Vorbehalt mit, das hört man deutlich.

Der Kaufmann lässt sich mit einem Stöhnen in den Drehstuhl fallen, er deutet auf die beiden Stühle vor dem Schreibtisch. »Ach, Sie wissen doch, wie Frauen sind!«, nörgelt Christoffers, dann ruckt er hoch. Er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat. »Nein, entschuldigen Sie, nicht die Frauen. Meine Frau. Erika ist null belastbar. Sie kippt sofort aus den Pantinen, bei der kleinsten Schwierigkeit.«

»Schwierigkeit? Das müssen Sie uns erklären«, sagt Mieke, mit einem Mal fast eisig.

Der Hausherr rudert mit den Armen. »Nun ja, dieser Mord. Der Tod von Albert. Auf diese grausame Art. Das alles nimmt Erika unheimlich mit. Sie wäre kein nützlicher Gesprächspartner in dieser Lage, glauben Sie mir.« Dazu schweigt Mieke Janßen.

Das Veilchen beugt sich vor. »Ihre Frau hat gesagt, dass Sie nichts zu verbergen haben. Wie kommt sie auf den Gedanken, wir könnten glauben, Sie hätten etwas zu verbergen?«

Jan Christoffers wirft sich so heftig in seinem Drehstuhl zurück, dass die Lehne quietscht. »Na, bitte! Da haben Sie es. Erika ist völlig mit den Nerven fertig. Brutal am Boden. Und dann redet sie Unsinn. Selbstverständlich haben wir nichts zu verbergen, aber ebenso selbstverständlich ist diese Feststellung überflüssig.«

Die Tür öffnet sich und Erika Christoffers erscheint mit einem Tablett. Sie hat Kaffee und Tee gekocht. Stumm setzt sie alles auf dem Schreibtisch ab und verschwindet wieder, nicht ohne ihrem Mann einen bohrenden Blick zuzuwerfen. Er starrt ihr nach, bis sie das Arbeitszimmer verlassen hat. Dann bedient er die beiden Frauen mit Tee, er selbst trinkt einen Kaffee. Seine Hand zittert, als er den Becher anhebt. Er sieht, dass sie es bemerken. »Es tut mir leid. Mich selbst fasst die Sache natürlich auch an, aber ganz gewaltig. Schließlich war Albert Ukena mein Freund.«

Sie nicken. Die nächsten Fragen stellt wieder das Veilchen. Sie spricht sachlich und routiniert. Joostens Verhältnis zu Ukena, der Freundeskreis. Hatte Albert Ukena in diesem Kreis Männer, die er besonders mochte? Waren Leute darunter, die er eher nicht mochte? Zu allen Fragen gibt Christoffers plausible Antworten. Aber er wirkt oft hektisch und ausschweifend. Das unterscheidet ihn von den bisher Befragten; der Kaufmann redet mehr, als er muss. Deutlich mehr. In diesem Männerkreis seien alle gleich, jeder möge jeden, jeder könne mit jedem, es gebe keinen Missklang zwischen ihnen, nicht den geringsten. »Wir sind Freunde, das möchte ich betonen. Gute und alte Freunde.« Fragen zur Familie des Ermordeten beantwortet Jan Christoffers wie einer, der eine Ware anbietet. So feine Leute. Honorig. Gediegener, alteingesessener Stadtadel, das sagt er tatsächlich. Er redet noch, als Mieke ihm schon längst eine weitere Frage stellt. Sie muss ihre Frage sogar wiederholen, weil er sie in seinem Wortschwall nicht erfasst hat. »Hatte Albert Ukena Feinde?«

Seine Antwort kommt wie ein Reflex, sie scheint unüberlegt. »Natürlich!«

Die beiden Frauen sehen sich an. Dann ihn. »Natürlich?«

Jan Christoffers setzt den Becher hart ab und richtet sich in seinem Stuhl auf. »Natürlich. Mindestens einen Feind muss er ja wohl gehabt haben. Sonst wäre er nicht tot.«

Mieke hakt sofort nach. »Sie glauben also nicht an einen Zufall?«

Jetzt wird Christoffers doch unsicher. Es dämmert ihm, dass er sich in Schwierigkeiten redet. Er senkt einen Augenblick den Kopf. »Na, wissen Sie, Albert ist beim Joggen. Der Kerl lauert im Gebüsch und sticht ihn ab. Kann das Zufall sein?«

»Und das Motiv?«, fragt Banafsheh.

Tja, das Motiv. Jan Christoffers streift die rassige Frau mit einem verwirrten Blick. Er begreift, dass es nun eng für ihn wird. Er beginnt zu faseln. Reiche Leute haben immer Neider. Das viele Geld. Man hält damit ja nicht zurück, es ist für jedermann sichtbar. Das ruft Gesindel auf den Plan.

»Sie wollen also sagen, der Mörder hat Albert Ukena nur umgebracht, weil der reich war? Ohne selbst einen Nutzen davon zu haben? Hatte Ukena Geld bei sich? Ist er beraubt worden? Das ist doch alles Unsinn, Herr Christoffers«, befindet Mieke scharf. Dann beugt sie sich vor. »Ich wiederhole meine Frage: Hatte Albert Ukena Feinde?«

Jan Christoffers starrt sie an. Dann schüttelt er den Kopf. Er war ungeschickt, hat vielleicht sogar eine Dummheit gemacht, und er weiß es.

Ostfriesisches Komplott

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