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Der Bürgermeister erhält einen Anruf

Bachmann kommt. Bachmann ist der Bürgermeister. Darüber hinaus ist er der Star der ostfriesischen Politik. Nicht nur ein Mann von ungeheurer Popularität, sondern der Cicero der kommunalen Selbstverwaltung. Genie in allen Fragen der Erhebungs- und Ertragshoheit. Unerreicht im durchaus maßvollen Jonglieren mit Gebühren, Steuern und Beiträgen. Ein ausgewachsener Tiger, wenn es darum geht, das Prinzip der Subsidiarität zu verteidigen. Der Bürgermeister kommt früh ins Rathaus. Bachmann ist immer früh. Lässig, mit elegantem Schwung nimmt er die Stufen zur oberen Etage. Seine Schritte federn, als er über den Korridor seinem Büro zustrebt. Um diese Zeit arbeitet kaum jemand, aber das macht nichts. Bachmann liebt seine »blaue Stunde«, sie hat etwas Frisches, Jungfräuliches. Bachmann öffnet die Glastür in den Abschnitt, den er gerne »Beletage« nennt. Das Elysium. Den Olymp. Die Residenz der herrschenden Klasse. Bachmann schreitet jetzt. Er geht nicht in sein Büro, er nimmt es in Besitz wie ein regierender Fürst sein Reich. So betritt ein Staatsschauspieler die Bühne. Bachmann kommt. Frau Vossen ist schon da, seine Sekretärin. Bachmann sagt: »Moin«, und lächelt freundlich. Er reicht seinem Vorzimmer die Hand wie ein Kardinal den Ring zum Kuss.

Frau Vossen lächelt nicht. »Da war ein Anruf«, sagt sie. »Von Herrn Christoffers. Er bittet um Rückruf.«

Bachmanns Miene wird einen Moment starr, ehe sie sich wieder lockert. »Christoffers? Um diese Zeit? So ein Schlingel!« Sein Lächeln kehrt zurück, aber die Augen sind jetzt frostig. Er geht in sein Büro und schließt die Tür hinter sich. Sonst steht sie vielfach offen. Bachmann sagt dazu, er wolle damit zeigen, dass er für seine Bürger jederzeit ansprechbar sei, aber tatsächlich will er sehen, wer draußen vorbeiläuft. Er zieht sein Handy und wählt eine Nummer. Der Angerufene meldet sich ohne Namen, auch Bachmann nennt seinen nicht. Man hört, wie ungehalten er ist. »Du hast angerufen? Auf meinem Festnetzanschluss. Wir hatten es anders abgesprochen. Ausdrücklich!« Dann lauscht er. Seine Augen weiten sich. Er setzt sich schwer in einen Sessel. »Wer? Albert Ukena?«

»Ja, Albert.«

»Ermordet?«

»So sieht es aus, ja.«

Bachmann atmet tief aus, dann holt er Luft. »Wie? Erschossen?«

»Nein, mit einem Messer.«

»Wo? In seinem Haus etwa?«

Nein, sagt Christoffers, im Wald von Wallinghausen.

Der Bürgermeister erhebt sich steif aus dem Sessel. Auf seiner Stirn stehen plötzlich winzige Schweißperlen. »Nicht mehr am Telefon. Wir müssen uns treffen. Sofort. Sag den anderen Bescheid. Ja, so wie immer.«

So wie immer. Ein Auricher Café in der Innenstadt. Sie haben hier einen Stammtisch, der ständig für sie reserviert ist. Der Tisch steht abgesondert in einer Ecke auf einer kleinen Empore, man kann ungestört reden. Ein Treffen unter Männern aus der Elite der Stadt – der Bürgermeister, wohlhabende Geschäftsleute, reiche Ruheständler. Als Bachmann eintrifft, ist Jan Christoffers schon da. Hockt nervös hinter einem doppelten Espresso, extra stark. Sie benicken sich schweigend. Bachmann ordert Tomatensaft mit Pfeffer, den trinkt er immer, wenn er hier sitzt. Christoffers will anfangen zu reden, doch der Bürgermeister hebt die Hand. »Hast du alle erreicht?«

»Alle. Außer Albert.«

Albert, das ist Ukena, der Tote. Bachmann verzieht mürrisch das Gesicht. Wenn das ein Scherz sein soll, dann gefällt er ihm nicht. Auch Christoffers gefällt ihm nicht. Der Mann ist Besitzer eines alteingesessenen Kaufhauses und hält große Anteile an einer Leeraner Reederei, aber jetzt gleicht er einem verängstigten Schuljungen. Er zappelt und ruckelt auf seinem Stuhl. »Verlier jetzt bloß nicht die Nerven, Mensch!«, zischt Bachmann, und als der andere den Mund öffnet, knurrt er ihn an: »Ruhe. Wir warten auf die anderen!«

Die Bedienung bringt den Tomatensaft, sie sagt etwas von »außer der Reihe« und bittet um Nachsicht für die Wartezeit.

Bachmann nickt und dankt mit einem freundlichen Lächeln. Er hat sich wieder voll im Griff.

Nach und nach trudeln die anderen ein. Justus Nowack, ein Bauunternehmer, staubig und ungepflegt wie so oft. Tjarko Joosten, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater mit eigener Kanzlei. Joosten ist kreidebleich und schwitzt, er weiß schon Bescheid, er weiß oft etwas vor allen anderen. Günter Müller, der leitende Direktor der Ostfriesischen Creditbank. Berthold Krang, Eigner der »Auricher Rundschau« in dritter Generation, einer, der in der Stadt die Meinungen macht. Und schließlich Harm Bendichs, ein Großbauer vom Stadtrand. Harm hat reich geheiratet. Ihm gehören die größten und besten Flächen im Umkreis, zudem besitzt er einen riesigen Ferienhof in der Krummhörn. Sie warten schweigend, bis die bestellten Getränke kommen. Joosten trinkt als Einziger nichts, er sagt, er hat keinen Durst. Bürgermeister Bachmann missfällt das, er wirft ihm einen scharfen Blick zu. Als sie allein sind, stößt er Christoffers an. »Los. Aber leise!«

Christoffers erzählt stockend. Er redet heiser in abgehackten Sätzen. Lange braucht er nicht, dann ist er zu Ende. Joosten schwitzt und nickt zu jedem Wort. Die Sache ist in seiner Kanzlei schon rund, eine Mitarbeiterin hat etwas aufgeschnappt.

»So!«, sagt Bachmann, als Christoffers fertig ist. »Und woher weißt du das?«

»Lisa hat mich angerufen. Uns. Sie war völlig fertig und wir sind es auch«, sagt der andere mit schwankender Stimme. Lisa, das ist Ukenas Frau, jetzt seine Witwe. Ukenas und Christoffers haben privaten Kontakt, so wie ihn viele aus diesem Kreis miteinander haben. »Wir sind dann sofort hingefahren«, fährt Christoffers fort, »meine Frau und ich. Sofort. Lisa hat nur geweint. Sie konnte kaum reden. Aber was ich weiß, ist, dass sie Albert massakriert haben. Er muss viehisch ausgesehen haben. Viehisch. Wie hingerichtet.«

Betroffenes Schweigen in der Runde. Schließlich wischt sich Justus Nowack über seine staubige Hose. »Es wird eben viel gequatscht. Gerade bei solchen Sachen«, knurrt der Bauunternehmer.

»Bei solchen Sachen? Was soll das denn heißen, Mann? Albert ist ermordet worden!«, schießt Christoffers hoch.

»Ja, Mensch. Aber vielleicht hat er selbst …«, setzt Justus Nowack an, ehe ihn ein warnender Blick des Bürgermeisters stoppt. Doch dann fährt er fort: »Albert hatte schon immer ein loses Maul, das wissen wir alle!«

»Ist doch kein Grund, ihn abzustechen wie eine Sau!«, versetzt der andere.

Bachmann fährt dazwischen wie ein gereizter Tiger, obwohl seine Stimme gedämpft bleibt. »Ruhe jetzt. Wir warten ab. Ihr tut nichts, habt ihr verstanden? Nichts tut ihr. Ich melde mich, sobald ich mehr weiß. Ihr alle haltet die Schnauze. Und reißt euch bloß zusammen, verdammt noch mal, vor allem du, Jan!« Er funkelt Christoffers so scharf an, dass der sofort den Blick senkt.

Bachmann ruft die Bedienung, sie zahlen ihre Rechnungen und gehen. Der Bürgermeister marschiert mit festen Schritten, einige der anderen schleichen sich davon. Vor allem Christoffers sieht bedrückt aus. Das bemerkt sogar die junge Frau aus dem Service. Nachdenklich folgt sie dem Reeder und Kaufhausbesitzer mit ihrem Blick. Auch Bachmann fällt es auf. Draußen vor der Tür nimmt er den Mann noch einmal scharf ins Gebet. »Deine alberne Zappelei macht alles nur noch schlimmer«, zischt er ihm zu. »Sieh dich vor, Jan, ich rate dir gut. Sieh dich vor und nimm dich zusammen, sonst fliegt uns der ganze Laden noch um die Ohren, verdammt!« Sonst bist du der Nächste, liegt ihm eigentlich auf der Zunge, aber er schluckt es hinunter. Man muss nicht noch Öl ins Feuer gießen. Schon überhaupt nicht bei diesem Flatterheini.

Er lässt ihn stehen und eilt zurück in sein Büro. Diesmal schreitet Bachmann nicht, er fliegt die Rathausstufen hinauf wie ein Sturmtrupp einen feindlichen Hügel. Erst oben, auf der Beletage, verlangsamt er seinen Schritt. Frau Vossen ist nicht da, sie macht Frühstückpause. Das hatte er jetzt nicht im Kopf. Er geht in sein Büro und schließt die Tür. Dreht sogar den Schlüssel im Schloss. Seine Gedanken rasen. Vielleicht ist ja alles nur ein monströser Zufall. Vielleicht hat dieser Vorfall ja überhaupt nichts mit ihrer Sache zu tun. Vielleicht, vielleicht. Er zieht das Handy und wählt die Nummer. Der andere nimmt das Gespräch sofort an. Es geht so rasch, man könnte denken, er hat auf den Anruf gewartet. »Ja?«

»Ich bin’s«, sagt Bachmann.

»Ja?«

»Ukena«, sagt Bachmann, nur dieses eine Wort, und dann ist es auf der anderen Seite lange still.

»Ja?«

»Er ist tot. Ermordet«, sagt Bachmann dumpf. Noch immer hofft er auf ein planloses, ja irres Zusammentreffen Ukenas mit seinem Mörder, doch der andere wischt jede Hoffnung mit einem Satz zur Seite.

»Es war nötig.«

Bachmann spürt sein Herz in der Brust. Es hat einen Hüpfer gemacht und klopft jetzt heftig. Er fängt an zu schwitzen. »Es war nötig?«

»Er hat geplaudert. Beim Stammtisch und im Freundeskreis«, sagt der andere dürr. »Du kennst die Regeln. Wer Mist macht, ist draußen. So haben wir es vereinbart.«

Ja, denkt Bachmann, das haben wir vereinbart. Wer Mist macht, ist draußen. Aber doch nicht so! Doch nicht, wer Mist macht, ist tot. Laut sagt er: »Geplaudert? Woher weißt du das?«

»Ich weiß es. Das genügt«, sagt der andere.

»Und der Täter? Wer …«, setzt der Bürgermeister an, doch der andere fängt ihn ab.

»Das geht dich nichts an«, sagt er grob. Dann fragt er: »Was hast du in dieser Sache unternommen?«

Bachmann lauscht diesen Worten nach. Unternommen? In dieser Sache? Ich? »Ich habe die anderen zusammengetrommelt und vergattert«, antwortet der Bürgermeister kurz.

»Gut!«, hört er, »sieh zu, dass sie den Mund halten.« Und dann, nach einer Pause, sagt der andere: »Reden ist Gift, das weißt du. Vielleicht hätten wir uns die Leute besser aussuchen sollen?«

Das ist ein eindeutiger Vorwurf, denn er, Bachmann, hat die Leute ausgewählt. Schon vor Monaten hat er sein Umfeld beobachtet. Wer ist vertrauenswürdig? Wer hat genügend Geld? Wer ist, wenn es Not tut, verschwiegen genug? Er ist der Mann, der den Kreis festgelegt hat. Und dann die Leute angesprochen hat, einen nach dem anderen, in Einzelgesprächen, mit deutlichem Hinweis auf den erwartbaren Gewinn. Und auf das Risiko. Das war er. Bachmann. Anscheinend hat er dabei mindestens einen Fehler gemacht, so lautet jedenfalls die Rüge des anderen, auch wenn sie unausgesprochen bleibt. Der Bürgermeister nickt und will schon antworten, aber der andere hat die Verbindung abgebrochen. Draußen hört er Frau Vossen am Telefon, sie ist zurück von ihrer Frühstückspause. Er zählt langsam bis zehn, eher er behutsam den Schlüssel im Türschloss dreht. Atmet dann tief durch und öffnet mit einem Ruck fröhlich die Tür. Bürgermeister Bachmann ist wieder der Alte. Zumindest äußerlich.

Ostfriesisches Komplott

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