Читать книгу Themse Krokodile.... - Lothar Jakob Christ - Страница 5

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Es ist der 13. Juni, ein Samstag. Schon seit den frühen Morgenstunden regnet es. Regen in London ist nichts Besonderes, aber an einem 13. Juni erwartet man selbst hier in London ein anderes Wetter! Kalt ist es geworden. Gestern hatten wir noch über 20 Grad und Sonnenschein und heute gerade etwas über 10 Grad, Dauerregen und trist und trüb.

Bei diesem Wetter ist es selbst an den Hotspots eklig. London Eye, Tower Bridge, Westminster Tower und so weiter, alles traurig und trüb. Selbst Big Ben die große Glocke klang heute irgendwie trauriger als sonst.

Wahrscheinlich deswegen, weil ich hier allein sitze. Ich? Vielleicht sollte ich mich zunächst einmal vorstellen: Mein Name ist Peggy McCartney. Heute ist mein Geburtstag, mein Einundfünfzigster.

Um ehrlich zu sein, habe ich nun ein ganzes Jahr gebraucht um die fünf vor der Null zu akzeptieren. Ich bin froh, dass nun die Eins hinter der Fünf steht. Einundfünfzig also, mein Alter fühlt sich so richtig passend zum Wetter an.

Ich schaue aus dem Fenster hinaus auf die Backsteinbauten hier in Whitechapel. Das London East End ist weiß Gott nicht die erste Adresse, Arbeiterviertel sagt man landläufig. Über viele Jahre hinweg sind hier sehr viele Migranten aus aller Welt im East End heimisch geworden. Viele Inder und Bengalen. Aber auch Menschen aus dem Arabischen. Es gibt hier im East End jedoch nicht nur Moscheen, auch Synagogen gibt es hier. Juden siedelten in London seit dem 17. Jahrhundert bis in die Mitte der Zwanzigerjahre hier im East End. Die fünf größten jüdischen Friedhöfe befinden sich dem zu Folge ebenfalls hier. Ich selbst lebe seit 1984 in Whitechapel. Nicht weit von der Brick Lane entfernt. Ich war gerade fünfzehn, als ich hier in diese Zweizimmer Wohnung gemeinsam mit einer sechs Jahre älteren Freundin eingezogen bin. Geboren wurde ich 1969 in Luton. Mein Vater war dort Hutmacher, Luton war bekannt für seine Hutmacher Industrie. Als angestellter Hutmacher genügte der Wochenlohn aber auch gerade, um in bescheidenen Verhältnissen nicht zu verhungern. Meine Stiefmutter arbeitete bei Vauxhall am Fließband.

Mit zwei Verdiensten war es meinen Eltern möglich ein einigermaßen auskömmliches Leben zu führen. Meine leibliche Mutter starb, da war ich zwei ein halb Jahre alt. Eine bewusste Erinnerung an sie habe ich nicht. Nur ein altes verblasstes Bild aus den 1960er-Jahren erinnert mich an sie. Das Bild steht in meinem Schlafzimmer. Sie ist das Letzte, was ich vor dem Schlafengehen anschaue und das Erste was mich am Morgen beim Aufwachen in den Tag begrüßt. Freunde, die das Bild zum ersten Mal sehen, fragen mich immer wieder, warum ich ein Bild von Jennis Joplin auf meinem Nachtkasten stehen hätte und sind sehr erstaunt, wenn ich ihnen sage, dass auf dem Bild meine Mama abgelichtet ist. Woran sie starb weiß ich nicht. Mein Vater hat mit mir nie darüber gesprochen und meine Stiefmutter, mit der ich eigentlich ein gutes Verhältnis hatte, die wollte mit mir darüber nicht sprechen. Mittlerweile leben sie beide nicht mehr. Mein Vater hat sich nach der Jahrtausendwende das Leben genommen. Warum? Auch das ist ein Geheimnis, das man mit mir nicht geteilt hat. Vielleicht hat er nicht verkraftet, dass meine Stiefmutter, nachdem sie bei Vauxhall ihren Job verloren hatte, im Alkohol einen neuen Freund fand.

An ihrem Alkoholismus ist sie dann zwei Jahre nach meinem Vater auch gestorben. Ich musste dann als einzige Hinterbliebene die Wohnung der beiden ausräumen. Ich war erstaunt, wie wenig persönliche Dinge ich gefunden habe.

Das hat mich seinerzeit sehr betroffen gemacht, aber auch im Nachhinein bestätigt, dass es richtig war, bereits im Teenageralter nach London zu gehen. Gut, aufgehalten haben meine Eltern mich damals nicht, im Gegenteil, die waren glaube ich froh, als ich weg war und damit ein Kostenfaktor die Familie verlassen hatte.

Wie gesagt, fünfzehn war ich als meine Freundin Ruby anrief.

Sie wäre in London und hätte im East End eine Zweizimmerwohnung bekommen. Ob ich nicht Lust hätte zu ihr zu ziehen, fragte sie. Zunächst zögerte ich. Aber ich hatte die Primary School gerade abgeschlossen und eine weitere Schule zu finanzieren, sah sich mein Vater nicht in der Lage. Die Autoindustrie passte ihre Fertigungsmethoden immer mehr den Toyota Fertigungsmethoden an, was auch mit einem Personalabbau daher ging. Und die Hutmacher Industrie geriet auch immer stärker unter den Wettbewerbsdruck aus Asien. Also was sollte ich in Luton machen? Vielleicht in einem der vielen Pubs Downtown anheuern und versuchen wie ich freitagabends den Arbeitern den Wochenlohn aus der Tasche ziehen kann, wenn die sich Pint um Pint volllaufen lassen.

Als Ruby dann ein weiters mal anrief und mir den Job bei Beigel Bake in der Brick Lane anbot, da war meine Entscheidung getroffen.

Ich kaufte mir von meinem letzten Geld eine Fahrkarte nach London und Ruby wartete auf meine Ankunft in Whitechapel Station. Das war am 25. August 1984 und am 1. September startete ich meinen Job in Beigel Bake in der Brick Lane Bakery. Ich arbeitete im Schichtdienst. Der Laden hatte rund um die Uhr geöffnet und die Menschen haben wirklich auch rund um die Uhr gegessen. Da kamen morgens die Büroangestellten, die nach London City pendelten, bereits um fünf die Docker die sich ein Pausenbrot für auf die Schicht mitnahmen. Abends oft Touristen und nach Mitternacht die Nachtschwärmer, Prostituierte, Zuhälter und sonstige dubiose Gestalten. Für mich war es immer schlimm, wenn ich mitten in der Nacht Feierabend hatte und ich musste allein durch die East End Gassen nach Hause laufen. Wenn dann die Pflastersteine nass und glitschig waren, der Smog vom Westwind zu Nebelschwarten zerrissen um die fahlen Straßenlaternen hing, wenn ich dann vielleicht auch noch Schritte hinter mir hörte, dann verdammte ich Ruby, die mir die Geschichten von Jack the Ripper erzählt hat, der hier im East End im 19. Jahrhundert bis heute ungesühnt Frauen mit dem Messer geschlitzt und umgebracht hat. Noch heute denke ich daran, wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit allein woher auch immer kommend nach Hause laufen muss.

Ruby hat dann Ende der 1980er-Jahre einen Docker kennengelernt. Als die zwei geheiratet haben ist Ruby hier ausgezogen.

Ich habe den Mietvertrag übernommen und wohne seitdem allein hier in der Zweizimmerwohnung. Meistens allein. Das eine oder andere Mal konnte auch ich den schönen Augen eines Mannsbilds nicht widerstehen und ich habe mich auf ein Abenteuer eingelassen. Glück hatte ich dabei nie. Ich habe an der ‘Losbude Mister Right′ jedes Mal die Niete gezogen. Den letzten den ich hatte, der hat sich Tags an meinem Imbiss den Wanst voll gehauen um dann am Abend, in Jogginghose und Trägerunterhemd vor dem Fernseher zu liegen und Fußball zu schauen. An der Miete hat der sich auch fast nie beteiligt. Meistens war der Wochenlohn bereits versoffen, wenn er Samstag früh aus einer der Kneipen nach Hause kam, um sich bis Montagmorgen zu Schichtbeginn seinen Rausch auszuschlafen. Irgendwann habe ich ihm seine Siebensachen in den großen Seesack gepackt, habe das Schloss an der Wohnungstür austauschen lassen, den Seesack in das Treppenhaus gestellt und bin eine Woche ins Grüne gefahren. Ich war heilfroh, dass der Typ verstanden hat und als ich von meinem Trip zurückkam, da war der Seesack mit Besitzer verschwunden und ward nie mehr wieder gesehen. Seitdem lebe ich hier allein und bin gegen schöne Augen nun immunisiert.

Meinen Imbiss, den habe ich nun seit fast zwanzig Jahren schon.

P. McCartney --- Fish&Chips

Direkt unterhalb der Tower Bridge, dort wo es hinüber zum Jachthafen geht.

Das war, als ich wirklich einmal Glück hatte im Leben. Oft bin ich an der Bude gewesen um ein preiswertes Abendessen zu mir zu nehmen. Marys Imbiss hieß der Laden. Immer gab es Bohnen, Eier und Speck. Manchmal Cheeseburger, selten Hamburger oder Würstchen. Mein Abendessen war zum Monatsende oft Bohnen ohne Speck und ich war froh, wenn mir Oma Mary einen Tee dazu spendierte. Eines Tags erzählte mir Mary, dass sie ihr Landen nun bald schließen werde. Sie sei Ende siebzig und hätte sich so viel zusammen sparen können, dass es für einen bescheidenen Lebensabend genügt. Sie hätte eine für das Alter schöne Bleibe auf der Insel White bei einer Cousine gefunden.

„O. K.! Und wo bekomme ich dann mein Abendessen Granny Mary?“ Fragte ich wohl sehr erschrocken.

„Darüber wollte ich mit dir sprechen Peggy“, sagte Mary.

Und fuhr ohne eine Pause zu machen fort: „Du könntest den Laden doch weiter führen, dann musst du bei Beigel Bake nicht länger in der Nacht arbeiten. Ich habe den Laden von 10 bis 20 Uhr offen und wenn schlechtes Wetter ist, dann hänge ich auch schon einmal das Schild ‘closed‘ an die Bude.

Und wie gesagt, wenn du das geschickt anstellst, dann kannst du dir jeden Monat ein paar Pfund zur Seite legen, um dich deinerseits vielleicht irgendwann einmal auf das Ruheteil zurückzuziehen.“

Ich habe die Bude dann wirklich von Mary übernommen. Zunächst habe ich die Hütte renoviert, habe die dunkelbraune Farbe übertüncht und der Bude einen weiß blauen Anstrich verpasst. Die Speisekarte bestand von nun an nur noch aus Fish&Chips und die Kundschaft das waren Touristen aus aller Welt. Bald hatte ich aber auch eine Reihe von Stammkunden, die mir am Abend ihre London Times überlassen haben, woraus ich dann am nächsten Tag Tüten faltete, um darin die Fish&Chips standesgemäß zu veräußern. Viele haben das Zeug, so glaube ich, nur gekauft, um dies in der alten Zeitung serviert zu bekommen, um dann ein paar Meter weiter an die Möwen zu verfüttern. Mir ist es egal. Der Laden läuft gut und ich habe ein auskömmliches Einkommen. Und wie mir Mary einst empfohlen hat, konnte ich auch, dass eine oder andere Pfund in den Sparstrumpf stecken.

Einundzwanzig Jahre! So lange habe ich die Bude nun schon. Immer im Frühjahr habe ich die Bude neu gestrichen. Immer wieder auch in die Küche investiert. P. McCartney Fish&Chips. Das ist mein Leben geworden. Sieben Tage in der Woche habe ich geöffnet.

Nie war ich krank und nur ganz wenige Tage an denen ich mir einmal freigenommen habe. Seit 1999 habe ich alle meine Geburtstage in der Imbissbude verbracht. Auch meinen Fünfzigsten. Nie war ich an meinen Geburtstagen allein. Immer war dann am Abend Party, wenn die Stammkunden zum Gratulieren kamen. Und jetzt? Jetzt sitze ich allein hier in meiner Zweizimmer Wohnung. Einige haben mir per Smartphone Geburtstagsgrüße geschickt. Immer mit dem Vermerk.

#Bleib gesund, #Bleib Zuhause, #Bleib Negativ.

Mit manchen habe ich über WhatsApp telefoniert.

„Schau wie ich aussehe. Schau mein Haaransatz, ganz grau. Hoffentlich macht der Friseur bald wieder auf?“

„Oh, Peggy! Ich bin nun schon seit acht Wochen im Home-Office, deshalb habe ich die Kamera ausgeschaltet. Ich möchte nicht, dass du mich so wie ich hier herumhänge, siehst.“

„Hallo Peggy! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich bekomme nun schon drei Monate keinen Lohn gezahlt. So langsam geht mir die Luft aus.“

Und so weiter.

Und auch Peggy hatte nun schon seit drei Monaten keinen Umsatz mehr. Das Gesparte hat sie fast zur Hälfte bereits aufgezehrt. So langsam bekommt Peggy Existenzängste. Übermorgen hat sie einen Termin wegen der Pacht für die Imbissbude und hofft inständig, dass ihr die Pacht bis auf Weiteres gestundet wird.

Themse Krokodile....

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