Читать книгу Themse Krokodile.... - Lothar Jakob Christ - Страница 9
ОглавлениеDie Tage vergingen und mit ihnen verging die Hoffnung auf eine baldige Normalisierung. Wurden die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gelockert, dann ging irgendwo die Infektionsrate wieder in die Höhe. So war es im Mai, als zum Ende des Ramadan das Zuckerfest gefeiert wurde. So war es nun im August als viele glaubte, sie müssten den Notting Hill Carnival ohne offizielle Genehmigung feiern. In der Konsequenz gingen die Infektionsraten ein weiteres Mal nach oben. Peggy war es mittlerweile egal. Nachdem die Fish&Chips Bude zum Anfang der Neueröffnung recht gut gelaufen war, hielt der Ansturm danach nicht lange an. Mittlerweile ist die Bude wieder geschlossen. Die Kosten stehen einfach in keinem Verhältnis zum Umsatz und Peggy bekommt zunehmend Existenzängste. Der Sparstrumpf nimmt ab als leide er an Schwindsucht und Peggy konnte sich gut ausrechnen, dass sie spätestens im November nicht mehr in der Lage sein wird die Miete zu zahlen.
Und dann?
Das konnte sich Peggy gut ausmalen.
Ihr Vermieter hatte ihr bereits einen Brief zukommen lassen, in dem er großzügig darauf hinwies, dass er aufgrund der Pandemie nicht länger auf die Einhaltung der Kündigungsfrist bestehen würde. Auch in so einer Pandemie gibt es Gewinner und Verlierer. Die Verlierer stehen meistens sehr früh fest. Das sind die kleinen Leute, die ohnehin irgendwie vom Leben betrogen wurden. Da half nun Peggy auch nicht, dass sie in der Gruppe der Verlierer sehr hoch oben in der Hierarchie stand. Umsatzsteuer wollte man ihr erlassen. Toll! Null Umsatz! Null Steuern! Bleibt im Ergebnis Null. In ihrer Not fragte Peggy bei Beigel Bake in der Brick Lane Bakery, ob sie eventuell dort wieder zu arbeiten anfangen kann? Aber nach 21 Jahren hatte man dort weder eine Erinnerung noch eine Verwendung für Peggy. Die Hälfte der Belegschaft hätte man kündigen müssen, die andere Hälfte wäre im Stand-by Modus zu Hause.
Nun war es Anfang September, Peggy hatte sich angewöhnt fast bis Mittag im Bett zu bleiben. Dann zwang sie sich aufzustehen, um sich tageslichttauglich herzurichten. Oft ging sie hinunter an die Themse, fütterte die mager gewordenen Tauben. Auch die Tauben litten unter der Pandemie und vermissten die Heerscharen von London Touristen. Dann saß sie oft auf einer der Steintreppen, die hinunter zum Themse Wasser führten.
Oder setzte sich auf die Kaimauer die Yachthafen und Themse trennte und ließ die Beine baumeln.
Genau so war es heute, es war herrliches Wetter und Peggy saß am Kai die Beine über dem Wasser baumelnd. Sie spürte den Stoß von hinten, hatte aber keine Zeit zu reagieren. Selbst wenn es eine Reaktionszeit gegeben hätte, wo hätte sie sich festhalten sollen? Peggy fiel Reaktionslos, wie ein Sack Mehl, Zweimeter und fünfzig tief, bis sie auf dem Wasser der Themse aufschlug. Noch unter Wasser spürte sie die Strömung, die hier am Eingang zum Yachthafen und um den Schiffsanleger herum besonders stark war. Zudem merkte man die Tiede und Peggys letzte Erinnerung war, dass sie unter der Tower Bridge in Richtung Tower trieb. Als sie wieder zu sich kam, hörte sie eine Stimme sagen:
„Sie ist wieder da, hör auf mit der Herzmassage, ich glaube, sie ist im Leben zurück.“
Peggy gewann ihr Bewusstsein zurück und erkannte, dass sie auf der Themse Seite des Tower Millennium Piers lag. Um sie herum Sanitäter, Ärzte und ein völlig durchnässter junger Mann, barfuß in Jeans und Oberkörper frei.
Ein Arzt beugte nun über Peggy und fragte:
„Können sie mich verstehen?“
„Ja, ich kann sie verstehen“, sagte Peggy und fragte: ‚Was ist denn passiert?‘
„Was passiert ist?“ Meldete sich der junge Mann zu Wort. „Warum haben sie das getan?“
„Was getan?“ Fragte Peggy.
„Warum sind sie in die Themse gesprungen? Wir hätte beide sterben können! Warum um Himmelswillen haben sie das getan?“
„Ich bin nicht ins Wasser gesprungen, glauben sie ich sei lebensmüde? Irgendjemand hat mich gestoßen, haben sie mich gestoßen?“ fragte Peggy fast vorwurfsvoll in Richtung des jungen Mannes.
„Ich habe sie nicht gestoßen, ich habe Ihnen womöglich das Leben gerettet. Ich stand hier am Pier, als sie aus Richtung Tower Bridge angetrieben kamen.“
„Dann entschuldigen Sie bitte und vielen Dank für ihr selbstloses eingreifen, aber glauben sie mir, irgendjemand hat mich von hinten gestoßen.“
„Die Polizei wird gleich hier sein, solange warten wir noch, dann bringen wir sie ins Krankenhaus“, sagte einer der Sanitäter.
„Um Gottes willen, das bist ja du Peggy? Was ist denn passiert?“, fragte Chief Inspector Robert Miller.
Ein Arzt kam Peggy zuvor und sagte: „Wir wurden über den Notruf angefordert und mussten die Dame reanimieren. Der junge Mann hier war in die Themse gesprungen und hat der Frau wohl das Leben gerettet. Wir gehen davon aus, dass sie von der Tower Bridge gesprungen ist und versuchte Suizid zu begehen.“
„Hören sie auf Scheiß zu erzählen, ich sagte ihnen doch bereits, dass mich jemand in die Themse gestoßen hat. Ich bin auch nicht von der Tower Bridge gesprungen, ich habe am Kai hinten am Yachthafen gesessen. Dort hat mich jemand in Themse gestoßen.“
„Peggy nun beruhige dich“, sagte Chief Inspector Robert Miller. „Wir werden das aufklären, beruhige dich.“
„Wir würden die Dame nun gerne in das Krankenhaus bringen, gibt es Einwände dagegen?“, fragte der Notarzt.
„Nein, nein, machen sie nur, wohin werden sie Peggy bringen?“
„Wir bringen die Dame in das London Bridge Hospital.“
Chief Inspector Robert Miller wandte sich, als der Krankenwagen bereits weggefahren war, an den jungen Mann, der Peggy aus dem Wasser gezogen hat.
„Wie ist ihr Name bitte?“
„Ich heiße Michael Brewer, ich arbeite als Elektriker und sollte hier am Pier die Beleuchtung überprüfen. Als ich meinen Werkzeugkasten hier am Geländer abstellte, sah ich etwas unter der Tower Bridge treiben und erkannte schnell, dass es sich um einen Menschen handelt. Ich glaube auch erkannt zu haben, dass die Frau mit den Armen ruderte. Ich habe keinen Moment gezögert, habe die Schuhe und mein Shirt ausgezogen und bin ins Wasser gesprungen. Glücklicherweise hat mir die Strömung die Dame direkt in die Arme getrieben. Passanten hier auf dem Pier haben mir einen Rettungsring zugeworfen und haben mich mit der Person dann an den Pier gezogen und aus dem Wasser geholfen. Irgendjemand hatte bereits den Notruf gewählt und fast zum gleichen Zeitpunkt als man uns aus dem Wasser gezogen hat, da war der Notarzt auch schon da.“
„Das hört sich an, als hätte da jemand sehr großes Glück gehabt. Glauben sie, dass Peggy McCartney von der Tower Bridge gesprungen ist?“
„Das kann ich nicht bestätigen. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, da trieb sie unter der Brücke. Wäre sie von der Brücke gesprungen, dann wäre sie nicht unter der Brücke geschwommen.“
„Aber wenn sie nicht in Richtung Tower gesprungen ist, sondern in die andere Richtung, dann schon.“
„Das könnte natürlich sein, wenn sie in die andere Richtung gesprungen ist, dann wäre sie unter der Brücke hindurchgetrieben. Das ist nicht auszuschließen. Brauchen sie mich noch? Ich würde gerne die nassen Hosen ausziehen.“
„Nein Mr Brewer, sollten noch fragen sein melden wir uns, wir haben ja ihre Kontaktdaten.“
Chief Inspector Robert Miller fuhr mit seinem Kollegen zurück auf das Revier. Dort bat er Elli alle Webcams zu überprüfen, die das rechte Themse Ufer vom Yachthafen bis zum London Tower beobachten. Es war bereits 19:00 Uhr als CI Miller das Revier verließ um nach Hause zu fahren. Abschalten konnte er nicht und die Sache von heute Nachmittag ging ihm auch in der Nacht nicht aus dem Sinn.
Bevor er seinen Dienst am nächsten Morgen auf dem Revier antrat, fuhr Bob zunächst zum London Bridge Hospital, wo er Peggy McCartney aufzusuchen wollte.
„Guten Morgen Peggy, wie geht es dir heute, hast du tief geschlafen?“
„Hallo Bob, gut, dass du kommst. Die halten mich hier gegen meinen Willen fest. Ich will nach Hause. Mir geht es gut.“
„Peggy rege dich nicht auf. Die wollen doch nur dein Bestes und wollen dich beobachten.“
„Ja beobachten! Die glauben, ich sei verrückt oder lebensmüde. Schon zwei Psychiater haben sie mir ans Bett geschickt. Ob ich depressiv wäre, ob mir die Pandemie zu schaffen machen würde, ob ich Existenzängste hätte, ob ich meinen Job verloren hätte, und so weiter und so weiter.
Ja, habe ich. Meine Fischbude ist weg, damit habe ich meinen Job verloren. Mein Sparstumpf hat die Schwindsucht und ich weiß nicht, wie ich im November meine Miete bezahlen soll. Ja, verdammt noch mal, das ist so! Aber ich bin nicht lebensmüde und schon gar nicht will ich mich umbringen. Ich habe an der Kai Mauer am Yachthafen gesessen, die Nachmittagssonne genossen und Enten gefüttert.
Dann verspürte ich einen Stoß und lag in der Themse. Ich wurde kurz unter Wasser gedrückt und merkte direkt die Strömung. Unter der Tower Bridge ruderte ich mit den Armen in der Hoffnung, dass ich an das Ufer schwimmen könne.
Aber ich verlor wohl das Bewusstsein. Auf jeden Fall lag ich auf dem Pier, umringt von Leuten, als ich wieder zu mir kam. Bob ich will hier jetzt raus. Ich will nach Hause.“
„Peggy ich habe Elli gestern Abend gebeten, dass sie alle infrage kommenden Webcams überprüfen lässt. Ich hoffe, dass wir da einen Hinweis finden. Ich gehe jetzt und rede noch mit dem Stationsarzt. Auch sage ich ihm, dass du dich wohl fühlst und nach Hause möchtest.“
„Danke Bob. Ich hoffe, ihr findet auf den Videoaufzeichnungen welscher Schwachkopf mich da gestern in die Themse gestoßen hat.“
„Das wünsche ich mir auch Peggy.“
CI Robert Miller wartete im Arztzimmer. Dann endlich kam der Oberarzt und stellte sich vor.
„Hallo, ich bin Dr. Raju Bengali, der Oberarzt hier.“
„Angenehm, ich bin Chief Inspector Robert Miller und komme gerade von Peggy McCartney, die man hier gestern eingeliefert hat.“
„Der Suizid Fall.“
„Herr Doktor, glauben sie wirklich, dass Peggy sich umbringen wollte?“
„Nein, das können wir mit 99-prozentiger Sicherheit ausschließen. Wir haben die psychologische Untersuchung bewusst noch einmal von einem zweiten unabhängigen Psychologen durchführen lassen. Selbstmordgedanken sind bei Peggy McCartney absolut auszuschließen. Die körperliche Untersuchung hat zudem ergeben, dass sich unter dem rechten Schulterblatt von Peggy McCartney ein Hämatom gebildet hat. Ganz offensichtlich durch einen Fußtritt verursacht.
Peggy McCartney ist kein Fall für uns, das ist Kundschaft von Ihnen Inspector.“
„Chief Inspector, bitte.“
„Das ist Kundschaft von Ihnen Chief Inspector. Ich glaube Ms. McCartney. Irgendjemand muss sie von der Kaimauer gestoßen haben. Wir werden Ms. McCartney auf jeden Fall nach Hause entlassen.“
CI Robert Miller kam gegen 10:30 Uhr auf das Revier.
„Guten Morgen Elli, schon etwas herausbekommen?“
„Guten Morgen Bob, ich habe dir die gesuchte Webcam Sequenz auf deinen Mail-Account geschickt. Nur soviel vorab: Peggy wurde tatsächlich in die Themse gestoßen.“
CI Robert Miller startete die kurze Videosequenz, die Elli von der Webcam kopiert hatte. Ganz deutlich sah man Peggy McCartney in der Nachmittagssonne am Kai sitzen. Unten auf dem Wasser der Themse mindestens zwanzig Enten, die um eine Brotkrume bettelten. Dann sah man von der Straßenseite kommend eine Gestalt in einer Motorradkombi bekleidet. Den Motorradhelm hatte die Person nicht abgenommen. Er oder Sie ging seelenruhig in Richtung Peggy McCartney, dann nahm die Person einen kurzen Anlauf und trat mit dem rechten Fuß gegen Peggy McCartney's Rücken. Peggy stürzte hinab in die Themse, versank kurz und man sah deutlich, wie sie von der Strömung in Richtung Tower Bridge getrieben wurde. Die ganz in schwarz gekleidete Person ging langsam, ohne einmal in die Themse geschaut zu haben, zurück zur Straße. Ein Motorrad konnte man jedoch nicht erkennen.
„Elli, verbinde mich bitte mit Inspector Ronald Rocks in Ramsgate.“
„Inspector Rocks hier, was gibt es denn schon wieder, dass London hier in der Provinz anruft.“
„Inspector Rocks, hier in London wurde gestern in der Nähe der Tower Bridge eine Frau absichtlich in die Themse gestoßen, besser gesagt, wurde sie in die Themse getreten. Eine von uns ausgewertete Webcam zeigt den Täter deutlich. Es handelt sich um einen Mann oder eine Frau, gekleidet in einen schwarzen Motorrad-Overall und einen schwarzen Motorradhelm. Ich vermute diesen Monty Frog hinter der Aktion. Zumindest passt die Figur und zudem hat sich Monty Frog mit seinem Motorrad genau an dieser Stelle herumgetrieben um Peggy McCartney zu beobachten.“
„Ja, Chief Inspector Miller, das ist sehr naheliegend, was sie da vermuten, wann sagten sie war das?“
„Gestern Nachmittag, so gegen 16 Uhr.“
„Das kann Kermit unmöglich gewesen sein. Den haben wir hier vor vier Tagen in U-Haft genommen. Er wurde wieder beim Dealen von Rauschmitteln erwischt und wir haben ihn wegen Fluchtgefahr zuerst einmal Dingfest gemacht. Der kann gestern unmöglich in London gewesen sein. Tut mir leid.“
„Ich hätte schwören können, dass das die Motorradkluft von Monty Frog war, vor allem das goldene Helmvisier war absolut passend. Äußerst merkwürdig.“
„Sorry Chief Inspector, wenn sie glauben, dass wir trotzdem helfen können, dann rufen Sie bitte erneut an. Auf wieder hören.“
„Ja, auf wieder hören, vielen Dank.“