Читать книгу Sehnsucht.. - Lothar Jakob Christ - Страница 7

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Boje war mittlerweile 84 Jahre alt. Die Nummer 37 war ein Hinweis auf sein Geburtsjahr. Geboren wurde er in Bremen, wo er aufwuchs, Abitur machte und Bau Ingenieurwesen studierte. Dann zog es ihn hinaus in die Welt, wo er auf allen Kontinenten Brücken baute, bis er vor rund 30 Jahren das Elternhaus in Bremen verkaufte und an der Ostsee Wurzeln schlug. Nun, mit 84 war er jedoch leichter und kleiner als damals als er hier im Nordosten seine Firma gegründet hat. Den Rauschebart stutzt er mittlerweile einmal in der Woche auf die Länge eines vier Tage Bartes. An sein zum Zopf geflochtenes Haar wird einmal im Jahr die Schere angelegt. Dafür fährt er, meistens kurz vor Weihnachten, nach Schwerin zu Ali Baba, sonst darf keiner an das Schwänzchen dran. Ob Ali Baba wirklich so heißt oder ob das nur der Name des Barber Shops ist? Man weiß es nicht und Boje interessiert es nicht wirklich.

Da standen Sebastian und Boje nun im kalten Nebel. Wie gesagt, Boje befand sich im altersbedingten Schrumpfprozess und leicht nach vorne gebeugt auf seinen Stock gestützt maß er mit großem Wohlwollen vielleicht noch 1,70 cm eher weniger.

Sebastian, Mitte 50, blickte von ganz oben auf Boje herunter, 1,95 mindestens war der groß und sehr athletisch gebaut. Ein schönes Bild also, was man sich nun ausmalen kann. Pat und Patachon im Nebel vor diesem im dichten Nebel liegenden Hofgut am Ende einer Allee.

„Zuerst musst du das Gestrüpp beseitigen lassen. Vorher kann man zum äußeren Zustand des Hauses gar nichts sagen. Kann aber sein, dass das Gemüse die Bausubstanz vielleicht sogar vor Schlimmerem bewahrt hat.“ So startete Boje seine Begutachtung.

„Lass uns einmal um das Haus herum laufen, nicht dass auf der Rückseite eine Überraschung auf uns wartet.“

Der Regen der letzten Tage hatte die Erde ziemlich morastig werden lassen. Boje ging vorneweg und bewegte sich so, als würde er hier jeden Stein und jede Baumwurzel persönlich kennen. Sebastian für seinen Teil trat, obwohl hinter Boje laufend in jede zweite Pfütze und traf zielsicher jedes Morastloch.

„Schöne weiße Schuhe trägst du zu deinem Anzug, war bestimmt teuer das Outfit. Kannste hier aber vergessen,“ lachte Boje als sie zurück am Parkplatz waren.

„Das Haus ist wirklich rundum zugewachsen. Auf den ersten Blick aber keine offenen Wunden zu erkennen. Wie gesagt: Als Erstes musst du das Gestrüpp entfernen, danach schauen wir uns das noch einmal an. Wenn du also im nächsten Jahr am und im Haus irgendetwas arbeiten möchtest, dann musst du das Grünzeug bis Ende Februar beseitigen lassen. Dann beginnt die Brut- und Setzzeit, danach darfst du hier keinen Grashalm mehr heraus reisen. Lass uns nun einmal schauen, wie das Nest von drinnen aussieht?”

Sebastian fragte: „Möchtest du vorgehen?“ „Nö“, antwortete Boje.

„Geh du einmal voran, Seb, ich warte hier in angemessener Entfernung. Wer weiß, ob der Träger über der Pforte auch wirklich trägt und Gott weiß, was da noch passiert, wenn du die Pforte öffnest.“

Sebastian ging voran. Er genoss es geradezu, die Treppe hinauf zur Pforte zu steigen. Auf dem Podest vor der großen Eingangstür stehend, schaute er hinunter zu Boje, er steckte denn großen Bartschlüssel in das Schloss, zweimal drehte er den Schlüssel, dann drückte er den Türgriff nach unten und öffnete die schwere Eichentür.

„AAAHHHHH“ entfuhr ihm ein lauter Schrei. Erschrocken und angst geschwängert. In seiner Rückwärtsbewegung wäre Sebastian beinahe über die Brüstung des Podestes auf den Parkplatz gestürzt, wo sich Boje vor Lachen fast in die Hose gemacht hätte und froh war, seine Notdurft bereits erledigt gehabt zu haben.

„Na Seb, da haste wohl ein paar Untermieter beim Mittagsschlaf gestört. Sei froh, dass es nur ein paar Ratten und keine Wildschweine waren. Ich komme jetzt zu dir hinauf, dann schauen wir einmal, was wir noch so entdecken in deinem Schloss, mein Prinz.“

Einmal davon abgesehen, dass hier in den letzten geschätzt fünfzig oder noch mehr Jahren, keiner mehr sauber gemacht hat, dafür sah es recht passabel aus. Durch die Eingangspforte betrat man zunächst eine geräumige Halle, von der aus eine Treppe im 90 Grad Winkel in den ersten Stock führt. Direkt hinter dem Eingang waren links und rechts eine Tür, die jeweils in einen kleineren Raum nach rechts und einen größeren nach links führte. Geradeaus blickte man auf einen großen verglasten Durchgang, welcher offensichtlich in das große Wohnzimmer führte. Dominiert wurde der Raum von einem runden Erker mit verglasten Türen, die auf eine Terrasse führten. Der Raum war nach rechts offen, führte in ein weiteres großes Zimmer, von wo man wieder in die Halle gelangte. In der Halle zur linken befand sich ein geräumiger Essbereich und offensichtlich befand sich hier auch die Küche. Auffallend war, dass das gesamte Untergeschoss mit Linoleum ausgelegt war.

Boje begann in einer Ecke der Halle den Belag anzuheben.

„Schau einmal Sebastian, was sich unter dem Belag herrliche Fliesen verstecken. Warum auch immer man dieses Linoleum Zeug hier ausgelegt hat, so hat es doch die darunter liegenden Beläge gut konserviert.“

Dies bestätigte sich auch im Küchenbereich, wo ebenfalls Fliesen verlegt waren und auch die Holzböden in Wohnzimmer und Salon erwiesen sich als restaurativ würdig.

Im ersten Stock war der Grundriss, der gleiche. Eine großzügige Halle, von der man in insgesamt sechs Zimmer gelangen konnte. Ein Zimmer war jedoch verschlossen. Es lag offensichtlich über dem Wohnzimmer, also sehr mittig im Haus.

„Seb, hast du einen Schlüssel zu dieser Tür? Ich würde da gerne auch einmal hineinschauen,“ fragte Boje.

„Nein, sorry, ich habe nur einen Schlüssel für die Eingangspforte bekommen. Warte, ich komme zu dir und trete einmal fest dagegen, dann geht die schon auf die Tür.“

„Bist du wahnsinnig˛“ echauffierte sich Boje. „Schau dir diese herrlichen Türen einmal an, die sollst du renovieren, nicht ramponieren. Gehe bitte einmal zu meinem Porsche, im Handschuhfach liegt ein Bund mit Dietrichen. Würdest du die mir bitte einmal holen.“

Kurze Zeit später war Sebastian zurück bei Boje. Zielsicher nestelte dieser einen Dietrich aus der Auswahl von mindestens zwanzig Stück, bohrte damit im Schlüsselloch der antiken Tür und klack, klack, klack war das Schloss besiegt und Boje konnte die Tür öffnen. Sebastian und Boje standen in einem Arbeitszimmer und Bibliothek. Auf den Mahagonimöbeln lag dicker Staub. Auch in den Regalen mit den geschätzt mehrere hundert Büchern. Auch hier oben ging eine Tür zur Gartenseite. Aber was im Erdgeschoss als runder Erker diente, war hier im ersten Stock ein runder, mit steinernen Balustraden gesicherter Balkon.

„Verdammt, hat sich das denn keiner einmal angesehen? Hast du von diesem Schatz gewusst. Welche Banausen haben dir denn dieses Juwel verkauft?“

Bojes Begeisterung war geradezu überschwänglich.

„Diese Bibliothek musst du erhalten, das musst du wieder eins A instand setzen, kannst du mir das versprechen.“

„Versprochen, wenn du mir sagst, wo ich anfangen soll. Ehrlich gesagt, habe ich noch keinen Plan.“

„Was heißt, wo du anfangen sollst. Willst du mir etwa sagen, dass du planst, das alles hier alleine wieder in Ordnung zu bringen.“

„Ja, so habe ich mir das vorgestellt. Ich habe ja Zeit.“

Boje drehte sich um, ging die Treppe hinunter und rief: „Hätte ich mir eigentlich denken können. Schon wieder so ein Fantast, der glaubt, man bekäme so ein Hofgut mit Schaufel und Handfeger wieder auf Vordermann. Viel Spaß, mein Freund. Ich verfasse wie vereinbart mein Gutachten und werfe es dir in den Briefkasten.“

„Jetzt sei doch nicht beleidigt, warte doch bitte einen Moment, nun lauf doch nicht weg“

in der Halle hatte Sebastian Boje wieder eingeholt und sich ihm in den Weg gestellt.

„Warum soll ich denn nicht in der Lage sein, hier alleine zu arbeiten? Zumindest Vorbereitungen kann ich doch machen? Warum torpedierst du meinen Traum so sehr?“

„Weil ich nicht will, dass er zum Alptraum wird, dein Traum.

Alleine der Wildwuchs da draußen, wenn du an der zweiten Ecke fertig bist, dann ist die erste schon wieder zugewachsen. Du brauchst eine permanente Hilfe und Unterstützung von professionellen Firmen. Nicht ständig, aber für bestimmte Themen. Wasser und Sanitär, für Strom, Abwasser, das Dach. Du musst die Fenster ausbauen und renovieren lassen. Du musst die Türen von einem Restaurator bearbeiten lassen und so weiter. Kurzum, du brauchst einen Plan.“

„Nun mal bitte ehrlich, Boje, ist das wirklich so desolat und marode?“

„Das habe ich so nicht gesagt. Desolat und marode war vor ca. 25 Jahren eine Fischerhütte in Giebelwitz. Dafür hätte ich keinen Pfifferling mehr gegeben. Der Besitzer wollte damals auch alles alleine machen, obwohl er hinreichend Kohle hatte. Am Ende hat der gerade mal einen Hühnerstall hinbekommen, nachdem ich ihm den mehrmals hab, wieder einreisen lassen. Und am Ende war die Fischerhütte ein Schmuckstück, das war so schön, das glaubst du nicht.“

„Boje, hilfst du mir einen Plan zu machen? Und würdest du mich dabei unterstützen, die richtigen Leute zu finden.“

„Wenn du das möchtest, dann helfe ich dir gerne. Du bist mir sympathisch und das Gebäude hätte es wirklich verdient wieder zum Leben erweckt zu werden. Sag einmal Seb: hast du eine Frau, einen Mann oder Freunde, welche dir helfen können?“

„Nicht wirklich!

Gibt es hier in der Nähe ein Gasthaus? Wo man etwas essen kann und vielleicht ein Bett für die Nacht bekommt? Ich würde dich gerne zum Abendessen einladen.“

„Ungefähr eine halbe Stunde von hier. Nicht vier Sterne, aber sauber. Kochen gut bürgerlich. Und Hunger habe ich nun auch bekommen.“

Sebastian schloss die Pforte mit zwei Schlüsselumdrehungen.

Boje hatte den Porsche mittlerweile gestartet, bis der Diesel lief, das dauerte eine gewisse Zeit, noch immer war dichter Nebel und bissige Kälte.

Dann fuhren die zwei los, vorne Boje mit seinem Porsche mit den überdimensionierten Nebelleuchten, dahinter der Benz. Nach ca. dreißig Minuten dann ein Dorf und in dessen Mitte ein kleiner Platz. Boje parkte den Porsche und Sebastian den Benz daneben.

Sebastian sprang aus dem Geländewagen und wartete bis Boje den Gehstock so positioniert hatte, dass er sich gut daran aufrichten konnte.

„Hier, 'Zum Grünen Baum', das ist die Kneipe.“

Sehnsucht..

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