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Am Wildbach

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Ein heißer Mittag wölbte sich über der Bergmatte, ließ die Luft über dem Felsgestein flimmern. Murru blinzelte träge in das grelle Licht. Im Augenblick hatte er keine Lust zu anstrengenden Unternehmungen. Er genoß die Nähe seiner Mutter und seiner beiden Schwestern, die, wohlig dösend an ihn gekuschelt, in der Sonne lagen.

Es war fast so wie in den ersten Tagen seines Lebens, als er noch mit geschlossenen Augen, nackt und ohne Zähne in der warmen Geborgenheit der Erdhöhle ruhte. Doch das war lange her. Wärme und Geborgenheit und die liebevolle Fürsorge seiner Mutter brauchte er noch immer; aber nun war er schon ein recht stattliches Murmelkind mit dichtem Fell, kräftigen Zähnen und munteren Augen. Und sein Bewegungsdrang und seine Spielfreude nahmen von Tag zu Tag zu. Und vor allem seine Neugier.

Auch jetzt hielt Murru die Ruhe nicht lange aus. Noch ein bißchen schläfrig krabbelte er zu seiner Mutter und rieb seine kleine Nase an ihrem pelzigen Gesicht. Und seine Mutter schnupperte ihm zärtlich übers Fell. Auch Mangi und Lura drängten näher, krabbelten einfach über Murru hinweg. Schnaufend wühlte er sich unter ihren weichfelligen Körpern hervor und setzte sich auf.

Vorsichtig probierte er ein paar Schritte hangabwärts. Doch seine Mutter war wachsam. Kaum hatte Murru sich in eine Mulde hinter dem Auswurfhügel verdrückt, folgte sie ihm. Und Mangi und Lura sausten Haschen spielend hintennach.

Die Murmelmutter wußte genau, daß ihre Jungen jetzt Bewegung brauchten. Und die sollten sie haben, aber unter Aufsicht, auch wenn sie selbst in der Mittagshitze lieber noch ein bißchen gedöst hätte. Außerdem sollten die Kleinen allmählich die Reviergrenzen kennenlernen, die Murmeltiere mit ihren Wangendrüsen markieren. Und eine der wichtigsten Grenzen war der Wildbach. Hier drohten viele Gefahren.

Langsam bummelte sie den Hang hinab, naschte zwischendurch mal ein paar Grashalme und Kräuter. Und sie hatte nichts dagegen, daß ihre Jungen ein Stück vornweg tollten. Die ungestüme Mangi kabbelte sich schon wieder mit Murru, der ihr am Ohr zu knabbern versuchte. Dann mischte Lura sich ein. Und Murru kletterte eilig auf einen Felsblock.

Von hier oben bekam er einen guten Ausblick über das Steilufer des Wildbachs, das tief unten die Schlucht durchzog. So weit hatte Murru sich noch nie allein vorgewagt. Er zögerte kurz, dann packte ihn die Neugier. Geschickt turnte er an der anderen Seite des Felsblocks hinunter und flitzte, mehr purzelnd als laufend, über den abschüssigen Hang.

Neben dem abgebrochenen Stumpf einer Lärche hielt er an, unweit vom Ufer. Schäumend stürzte der Wildbach über zerklüftetes Gestein. Die Luft roch feucht vom Wasserdampf. Und das laute Rauschen des Wassers ängstigte Murru. Hilfesuchend blickte er zurück.

Doch nirgends war ein Murmel zu sehen. Nur ein Bergmolch schob seinen dunklen Körper über einen bemoosten Stein, ganz in Murrus Nähe. Ein Stück bachabwärts jagte eine Wasseramsel an einer ruhigeren Stelle über den flachen Kiesgrund. Und eine Wasserspitzmaus äugte vom Uferrand zu Murru hinüber. Aber diese fremden Tiere trösteten ihn nicht.

In diesem Augenblick hörte Murru hinter sich von schräg oben ein vertrautes Geräusch. Dieses Quietschen kannte er. Mangi und Lura kugelten quietschend den Hang hinunter. Sie schienen überhaupt nicht zu merken, wohin sie rollten. Und sie rollten immer weiter.

Plötzlich platschte Mangi mit ihrem Hinterteil in die flache Bachmulde, wo eben noch die Wasseramsel gejagt hatte. Doch die Amsel war längst weg. Mangi quietschte erschrocken, kletterte dann aber mit einem leisen Klagelaut ziemlich geschickt über den glitschigen Uferrand aufs Trockene, gerade als ihre Mutter hinter dem Lärchenstumpf auftauchte.

Aufatmend drängten sich die drei um ihren schützenden Leib, griffen mit ihren kleinen Pfoten in ihr Fell und suchten nur noch Nähe. Und die Murmelmutter tröstete ihre Kinder. Sie war erleichtert, daß alles noch einmal gut abgegangen war. Immerhin hatten die Kleinen Glück gehabt: Der Bach führte um diese Jahreszeit nur wenig Wasser. Und ein kühles Bad schadete nicht bei dieser Hitze.

Gemächlich stieg sie mit ihren Jungen am Bachufer aufwärts: über Geröll und angespülte Äste. Es war kein bequemer Weg, aber den klettergewandten Murmeltieren machte das nichts aus. Nur an den Lärm des brausenden Wassers mußten die Kleinen sich erst gewöhnen.

Allmählich wurden die Ufer steiler. Der Wildbach toste tief unten zwischen überhängenden Felsen. Arven und Lärchen wanden ihre Wurzeln in den Boden. Und einer der Baumstämme lag quer über der Schlucht wie ein Steg von einem Ufer zum anderen.

Mit einemmal stutzten die vier. Dicht bei dem querliegenden Stamm am jenseitigen Ufer saß hoch aufgerichtet ein stattliches Murmel, ein fremdes Murmel. Aufmerksam sichernd, blickte es zu ihnen hinüber. Als es sah, wie die vier ruhig weiterzogen, wandte es sich langsam ab und verschwand hinter einem Fels.

Dort begann ein fremdes Revier.

Aber das wußte Murru noch nicht; er kannte ja bis jetzt nur seine Familie. Und er wurde sehr neugierig auf die unbekannte Welt dort drüben. Doch seine Mutter strebte unbeirrt ihrem eigenen Bau zu. Und Murru tappelte folgsam hinterher.

Murru, das Murmeltier

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