Читать книгу Corona - Das Buch zum Film - Lotte Jotta - Страница 11
Оглавление2. Influenza und Corona im Vergleich
Volkstümlich als Grippe bekannt, stellt die Influenza eine Virusinfektion dar, deren Erreger jedes Jahr im Umlauf sind, dabei allerdings unterschiedlich viel Schaden anrichten.
Die Verbreitung der Grippe wird von der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) überwacht. Die AGI wurde 1992 gegründet. Sie untersucht das Auftreten von Influenza (und von akuten Atemwegserkrankungen im Allgemeinen), u.a. durch Vernetzung mit bestimmten Arztpraxen. Diese Praxen melden an die AGI zurück, wie häufig sie Patienten mit bestimmten Symptomkombinationen in der Sprechstunde vorfinden.
Im Zusammenhang mit einem 2001 in Kraft getretenen neuen Infektionsschutzgesetz übernahm das Robert-Koch-Institut die wissenschaftliche Leitung der AGI. (11)
Bei den Erregern werden verschiedene Subtypen unterschieden. Die Viren verändern sich ständig durch Mutation. Infiziert sich ein Mensch mit verschiedenen Virentypen gleichzeitig, können zudem völlig neue Kombinationen entstehen: Statt mühsam zu mutieren, tauschen die Viren fertige Gensegmente untereinander aus. Beide Phänomene führen dazu, dass vom Menschen bereits erworbene Antikörper für die neuen Typen nutzlos werden. (30)
Die Übertragung des Influenza-Erregers gleicht dem des Corona-Virus: Man infiziert sich hauptsächlich im Direktkontakt über Tröpfcheninfektion, es ist jedoch auch möglich, sich über kontaminierte Oberflächen und darauffolgenden Kontakt mit den Schleimhäuten anzustecken. Ebenso ist eine Ansteckung über Aerosole denkbar. (8)
Typisch für eine Grippe ist ihr abrupter Beginn. Gesunde Menschen haben von jetzt auf gleich hohes Fieber, fühlen sich abgeschlagen, haben trockenen Husten und schwere Kopf- und Gliederschmerzen. Eine Infektion mit Influenza-Viren schwächt die Abwehrkräfte und kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen, wie z.B. einer Lungenentzündung führen.
Einer Langzeitstudie (10) zufolge bildet allerdings nur ca. jeder Vierte, der sich mit dem Virus infiziert hat, überhaupt Symptome aus. Für 77 % der mit Influenza infizierten Personen gilt, dass sie keine Symptome haben, als Träger des Virus die Krankheit jedoch weitergeben können, ohne sich ihrer Infektion überhaupt bewusst zu sein.
Das RKI benennt den Anteil der Personen, bei denen die Grippe asymptomatisch verläuft, mit einem Drittel. (8)
Wieviele auch immer es sind… Haben Sie das gewusst? Ich nicht. Ich habe anfangs angenommen, dass dies einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Corona und Grippe sei. Mit Grippe fühlt man sich krank und bleibt freiwillig im Bett, statt durch die Gegend zu ziehen und Leute anzustecken. Aber so ist es nicht. Es gibt auch hier eine sehr große Dunkelziffer.
Selbst, wenn es „nur“ ein Drittel ist, das infiziert herumläuft, ohne Symptome auszubilden: Hinzu kommt ein weiteres Drittel, bei dem sich die Grippe nur mild ausprägt. Hier ist auch davon auszugehen, dass sich nicht alle ins Bett legen oder zum Arzt gehen, sondern Symptome behandeln und weitermachen.
Zur Risikogruppe für einen schweren Verlauf bei einer Ansteckung mit Influenza-Viren zählen Senioren, Menschen mit einer chronischen Grunderkrankung und Schwangere. (6)
Die folgenden Zahlen und Fakten sind dem „Bericht zur Epidemiologie der Influenza, Saison 2014/15“ der AGI entnommen. Entsprechend beziehen sie sich auf die Grippewelle 2014/15. (30)
Tauchen Sie mit mir ein in die faszinierende Welt der Influenza. Sollten Sie jetzt zurückschrecken, weil Ihnen das einfach zu spannend ist … Sie können auch zur Zusammenfassung hüpfen.
2.1 Grippewelle 2014/15
Bereits im Oktober 2014 kam es zum erstmaligen Nachweis des Influenza-Subtyps, der nachfolgend die Grippewelle auslösen sollte. Der Anteil der Proben, die positiv auf Influenza getestet wurden, stieg sukzessive an und lag ab der zweiten Kalenderwoche 2015 bei mehr als 20 %. Dies wird zeitlich von der AGI als Beginn der Influenzawelle definiert. Sie endete in der 16. Kalenderwoche.
Um das Ausmaß der Grippewelle beschreiben zu können, gibt die AGI verschiedene Maße an. Im speziellen sind dies die Anzahl der Arztbesuche, die Krankschreibungen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle, die mit einer Influenzainfektion in Zusammenhang gebracht werden. Die Fälle werden nicht deutschlandweit einzeln akribisch gezählt, sondern mittels statistischer Methoden hochgerechnet.
Von repräsentativen Stichproben auf die Grundgesamtheit zu schließen, ist eine gängige Methode, um die Verbreitung eines Merkmals in der Bevölkerung zu schätzen, wenn es aus unterschiedlichsten Gründen nicht möglich ist, jeden einzelnen zu erfassen. Auf diese Weise kommen z.B. die Zuschauerquoten zustande. Es läuft ja niemand deutschlandweit von Haus zu Haus und fragt nach dem Fernsehprogramm vom Vortag. Ausgewählte Nutzer melden zurück, welches Programm sie tatsächlich gesehen haben. Da die Gruppe der Nutzer vorher so ausgewählt wurde, dass sie in relevanten Punkten die Bevölkerungsstruktur widerspiegelt, kann man die Werte auf die ganze Bevölkerung hochrechnen.
Der von der AGI angewandte Weg ist daher plausibel. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Zahlen stark von der Realität abweichen. Am Ende behauptet auch niemand, die Zahl genau zu kennen, sondern es wird für die meisten Maße ein Konfidenzintervall (KI) angegeben. Dies benennt den Bereich, in dem sich die tatsächliche Zahl mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % befindet.
Die Vorgehensweise der AGI bei der Schätzung soll hier nur zusammengefasst dargestellt werden. Bei (noch mehr) Interesse sind Details zu den angewandten statistischen Modellen dem Bericht der AGI (30) zu entnehmen.
Bezüglich des zu berechnenden Maßes wird zuerst ein Basiswert berechnet. Am Beispiel der „Konsultationen“ würde man die Frage stellen:
„Wieviele Menschen suchen in einem durchschnittlichen Jahr im Zeitraum von Januar bis April normalerweise wegen akuter Atemwegsbeschwerden ihren Hausarzt auf ?“
Die Antwort auf diese Frage führt zu dem Wert, der auch dann zu erwarten gewesen wäre, hätte es keine Grippewelle gegeben. Hier kann die AGI auf kompliziert berechnete Erfahrungswerte zurückgreifen und weiß so, wie viele Arztbesuche mit dieser Diagnose nichts mit der Grippewelle zu tun haben.
Die überzufällige Anzahl der darüber hinaus gehenden Konsultationen mit derselben Diagnose werden als im Zusammenhang mit Influenza stehend betrachtet. Der sich hieraus ergebende Wert wird Exzess-Konsultationen genannt.
Sehr vereinfacht kann man es auch folgendermaßen darstellen: Nehmen wir an, dass in einer durchschnittlichen Hausarztpraxis im Zeitraum von Januar bis März eines beliebigen Jahres erfahrungsgemäß ungefähr 200 Patienten wegen akuter Atemwegsbeschwerden vorsprechen. Sind es während einer Grippewelle plötzlich 400, so erhält man eine Differenz von 200. Davon wird der Teil abgezogen, der auf rein zufälligen Schwankungen beruhen könnte. Und nur das, was danach übrig bleibt, würde man auf die aktuelle Grippewelle zurückführen.
Für die Influenza-Welle 2014/15 kommt die AGI für Deutschland zu dem unglaublichen Wert von 6,2 Millionen Arztbesuchen, die über das normale Maß hinausgehen und mit Influenza assoziiert sind. Genauer gesagt liegt der tatsächliche Wert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % zwischen 5,5 und 6,7 Millionen Arztbesuchen.
Die auf die Grippewelle zurückzuführenden zusätzlichen Krankschreibungen und die von den Hausärzten ausgestellten Überweisungen in ein Krankenhaus wurden auf gleiche Weise berechnet.
Hinsichtlich der Krankschreibungen (einschließlich der Verordnung von Bettruhe bei Menschen, die keine Krankschreibung benötigen) liegt der Schätzwert bei 3,7 Millionen (KI: 3,4 – 4,1 Millionen), allein wegen Influenza.
31.000 Menschen wurden aufgrund der Schwere ihrer Symptome in ein Krankenhaus überwiesen (KI: 26.000 – 35000).
In diesen Zahlen sind all diejenigen noch nicht berücksichtigt, bei denen die Infektion symptomfrei oder so mild verläuft, dass kein Arzt aufgesucht wird.
Auch zu den mit Influenza assoziierten Todesfällen legt die AGI Schätzungen vor. Ähnlich wie bei den o.g. Parametern wird zuerst ein Basiswert berechnet. Wie viele Todesfälle sind erfahrungsgemäß in dem definierten Zeitraum zu erwarten? Geht die Anzahl der Todesopfer während einer Grippewelle deutlich über den zu erwartenden Wert hinaus, wird der überzufällige Anstieg den Auswirkungen der Influenza zugerechnet.
Auf diese Weise berechnet die AGI für die Grippesaison 2014/15 21.300 Todesfälle in Deutschland.
Dabei sollte erst drei Jahre später die schlimmste Grippewelle seit 30 Jahren auftreten…
2.2 Zusammenfassung
Ungefähr 6 Millionen Arztbesuche, mehr als 3,5 Millionen Krankschreibungen und ca. 30.000 Patienten, die aufgrund der Schwere ihrer Symptome ins Krankenhaus mussten. Nicht insgesamt, sondern nur im Zusammenhang mit der Grippe. Plus Dunkelziffer. Über 20.000 Menschen sind direkt oder indirekt an Influenza gestorben. Das alles geschah in Deutschland im Zeitraum von Januar bis April 2015.
Die Fragezeichen in meinem Kopf sind größer geworden. Meine drei zusammengereimten Hauptargumente dafür, dass Corona gefährlicher sein muss, haben sich in Luft aufgelöst:
Grippeviren sind dem Körper bekannt, Corona ist neu.
Erstens sind Corona-Viren an sich nicht neu. Das aktuell grassierende Corona-Virus ist ein Vertreter von Viren einer Gruppe, die wir bereits kennen.
Zweitens verändern sich auch Influenza-Erreger jedes Jahr. Auch hier trat in der Vergangenheit von Zeit zu Zeit ein Subtyp auf, der sich in wesentlichen Eigenschaften von den bisher bekannten unterschieden hat. Geschieht dies, steht kurzfristig kein Impfstoff zur Verfügung, das Immunsystem weiß mit diesem neuen Erreger nicht umzugehen und es kommt zu einer Pandemie. Ein derart veränderter Influenza-Subtyp ist für den Körper genauso neu wie das aktuell grassierende Coronavirus.
Corona ist bedrohlicher, weil viele Infektionen ohne Symptome verlaufen und sich so die Krankheit viel schneller ausbreitet.
Angaben des RKI zufolge verläuft ein Drittel der Influenza- Infektionen schwer, ein Drittel leicht und das letzte Drittel asymptomatisch, also ohne erkennbare Symptome. In einer Studie (10) wurde gezeigt, dass sogar nur jeder vierte Infizierte Symptome aufweist. Wie bei Corona ist man jedoch auch bei Symptomfreiheit möglicher Überträger der Krankheit.
An der Grippe sterben doch nicht so viele Menschen.
2014/15 waren es in Deutschland über 21.000, in der Saison 2017/18 über 25.000 Menschen. Da sind wir bei Corona noch weit von entfernt.
Der Vergleich zwischen Grippe- und Coronatoten wird an manchen Stellen als falsch dargestellt, da die Anzahl der Grippetoten auf Schätzungen beruht, während es sich bei Corona um labordiagnostisch bestätigte Fälle handelt (3).
Diese Aussage lässt sich auf verschiedene Weise interpretieren. Wenn damit jedoch gemeint ist, dass es sich bei den Corona-Toten um bestätigte Fälle, also Tatsachen, handelt und bei den Grippetoten um eine reine Vermutung, dann wird aus meiner Sicht andersherum ein Schuh draus. Es sind nicht die Ergebnisse der AGI, die Anlass zum Zweifeln geben.
Die Schätzungen der AGI sind bereinigte Werte. Der Anteil der Todesfälle, die in diesem Zeitraum sowieso zu erwarten gewesen wäre, ist in den Zahlen nicht mehr enthalten!
Von bereinigten Werten kann in den Corona-Statistiken hingegen überhaupt nicht die Rede sein. Jeder Tote, der das Virus in sich trägt, gilt als daran verstorben. (siehe Kap. 6). Überspitzt formuliert hat man vielleicht selbst mit einem Kopfschuss noch gute Chancen, Teil dieser Statistik zu werden – wenn nachträglich das Virus nachgewiesen wird.
Die Zahl der an Corona Verstorbenen wird also aktuell völlig überschätzt. Sie beschreibt eigentlich nur, wie viele der Toten das Virus in sich tragen.
Tatsächlich fällt die Zahl der an Influenza Erkrankten und auch Verstorbenen verschwindend gering aus, wenn man nur die Zahl der labortechnisch bestätigten Fälle einer Infektion bzw. die auf dem Totenschein eingetragene Todesursache „Influenza“ betrachtet. Aber wie kommt es denn zu dieser niedrigen Anzahl an bestätigten Fällen?
Man ist schlicht und ergreifend sehr sparsam in der Testung. (30) Wenn man nicht testet, kann man aber auch nicht herausfinden, ob jemand Grippe hat. Zwar ist die Influenza eine meldepflichtige Krankheit. Wenn labordiagnostisch positiv auf Grippe getestet wird, muss der Arzt den Befund an das Gesundheitsamt weitergeben. Spricht ein Patient mit Grippesymptomen in der Praxis vor, führt dies jedoch nur selten zu einer labordiagnostischen Untersuchung. Kein Test, kein Nachweis, keine Meldung an das Gesundheitsamt. Dies führt dazu, dass die Zahl der gemeldeten Fälle die Realität völlig unterschätzt.
Sich bei den an Influenza Erkrankten an der Zahl der labortechnisch bestätigten Fälle zu orientieren, ist also kein sinnvoller Weg.
Bei den Verstorbenen ist das ähnlich. Auf dem Totenschein wird selten die Diagnose „Influenza“ vermerkt, selbst dann nicht, wenn ein positiver Test vorliegt. (30). Die Anzahl der an Grippe Verstorbenen auf die bestätigten Fälle zu reduzieren, würde in keinster Weise die Realität widerspiegeln.
Ich bin gespannt, zu welchem Ergebnis das RKI irgendwann kommen wird. Denn es wird darüber nachgedacht, das tatsächliche Ausmaß der Corona-Pandemie mit den gleichen Methoden zu bestimmen, wie sie die AGI für die Influenza schon lange anwendet (101). Dann hat man vergleichbare Zahlen, die auch noch realistisch sind.
Und jetzt? Macht die Tatsache, dass im Verlauf einer Grippewelle immer mal wieder eine sehr große Anzahl an Menschen stirbt, Corona harmlos? Nein.
Erstmal fühlt es sich andersherum an. Als hätte man der Influenza bisher nicht den Stellenwert gegeben, der ihr gebührt.