Читать книгу München-Manhattan-Emy-was dann - Louis Franzky - Страница 4

kapitel3 Kapitel 3

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»Hallo, jemand zu Hause!?« Dr. Bishop war da. Ethan ging auf den Flur.

»Marcia schläft schon. Und dein Abendbrot steht im Kühlschrank. Also, meins auch.«

»Na dann können wir ja zusammen essen.« Dr. Bishop wartete auf keine Antwort und holte das Abendbrot aus dem Kühlschrank um es auf den Küchentisch zu stellen. »Was gibt es Neues?« Er hatte sich seinem Vater gegenüber hingesetzt.

»Naja, Hot Dog sollte man ohne Ketchup essen, die besten Sandwiches gibt es in Midtown und Laura hat angerufen. Ich soll alle grüßen.« Dr. Bishop schaute ihn an.

»Laura? Wie geht es ihr denn?«

»Oh, ja gut. Sie schickt mir eine Einladung für die Hochschule, also die Musikhochschule.«

»Sie lädt dich in die Musikhochschule ein? Da hat sie aber in den letzten Wochen einen gehörigen Karrieresprung gemacht.«

»Nein, also, natürlich nicht sie.« Ethan erklärte seinem Vater die Umstände, die zu der Einladung geführt hatten. Dr. Bishop hörte ganz genau zu, was sein Sohn erzählte. Er machte einen bedeutenden Gesichtsausdruck und wollte sich auf keinen Fall anmerken lassen, dass ihn diese Nachricht überhaupt nicht begeisterte.

»Na, dann schauen wir uns die Einladung mal an, wenn sie hier ist.«

»Dad.«

»Ja, Ethan?« Dr. Bishop schaute von seinem Essen auf.

»Dad, warum sind wir nicht in München geblieben?« Dr. Bishop legte seine Gabel aus der Hand.

»Mum und ich, Marcia und du, hatten doch geplant wieder hier, also zu Hause, zu leben.«

»Ja, aber Mum ist nicht mehr da und das hier ist nicht unser Zuhause. In München sind unsere Freunde, unsere Schule, alles von uns. Hier sind wir doch bloß in den Ferien zu Besuch. Alles, was wir kennen, ist doch in München. Die Wohnung hier ist fremd, die Stadt ist fremd, einfach alles. Und jetzt, wo Mum nicht mehr da ist, ist es doch sinnlos, hier zu sein.« Dr. Bishop nickte leicht mit seinem Kopf.

»Mum wollte, dass ihr zumindest einen Teil eurer Jugend hier in Amerika verbringt. Sie wollte, dass du hier studierst. Wir wohnen nur einen Block vom besten Musikkonservatorium der Welt entfernt und da hätte sie dich gerne gesehen.« Er sprang ruckartig auf.

»Aber sie kann mich nicht mehr sehen. Ich werde zu diesem Vorspielen fahren.« Er stürmte aus der Küche und ließ seinen Vater etwas ratlos am Tisch sitzen.

Emy saß mit ihrer Clique beim Mittagessen so, dass sie Ethan sah, als er sich wieder einen Platz suchte, an dem er alleine sitzen konnte. Ethan setzte sich mit dem Rücken zu ihnen an den Tisch, stöpselte seine Ohrhörer ein und begann zu essen. Linda sah genau, wie Emy ihn anschaute.

»Na, Emy, alles gut bei dir?« Sie setzte sich aufrecht hin, machte mit ihrer Hand eine schnelle Bewegung und sagte übertrieben heiter:

»Ja, alles gut.« Linda grinste sie an.

»Na dann. Übrigens. Am Samstag ist der Winterball. Ich wollte doch mit Sweety dahingehen. Du könntest ihn doch für mich fragen, ob er schon etwas vorhat.« Emys Gesichtszüge formierten sich zu einer Kriegsmaske.

»Ja Emy, das könntest du doch für deine Freundin tun.« Lucas hatte sichtlich Spaß an dem Szenario.

»Linda, wenn du mit ihm zum Ball gehen willst, dann frag ihn doch einfach. Ich bin doch nicht sein Zuhälter.« Jetzt war Emys Stimme alles andere als heiter. Lucas legte seinen Arm um sie.

»Ohh, das regt dich wohl auf?« Sie schob den Arm von Lucas zur Seite. »Das wäre bestimmt lustig. Linda mit dem Klavierspieler, Madison mit wem auch immer und du und ich zusammen beim Ball. Mein Vater zahlt uns eine Limousine und wir feiern wie alte Freunde zusammen. Das würde dir doch auch gefallen Emy. Oder nicht?«

»Ja. Sicher. Aber trotzdem manage ich doch nicht die Dates für meine Freundinnen. Ich muss los, ich habe noch etwas vorzubereiten.« Sie stand auf, nahm ihr Tablett und ging etwas schneller als sonst und ohne sich von den anderen zu verabschieden zum Ausgang der Cafeteria.

»Na dann mal los.« Linda stand auf und ging zum Tisch von Ethan. »Hallo, Pianist. Darf ich mich kurz zu dir setzen?«

»Ja, warum? Ich meine, ja.« Er hatte nicht bemerkt, wie sich Linda seinem Tisch genähert hatte. Er zog nervös seine Kopfhörer aus seinen Ohren.

»Also, Sweety, am Samstag ist der Winterball. Ich wollte dich fragen, ob du mit mir dahingehen würdest.« Er schaute sich um und dann Linda fragend an.

»Ich, warum, wieso ich?«

»Sweety, du bist ein hübscher Junge, du sprichst nicht unnötig viel und du siehst im Anzug bestimmt hinreißend aus.«

»Aber ich, ich meine, ich hatte eigentlich nicht vor dahinzugehen.« Er versuchte, den Angriff abzuwehren.

»Sweety, schau mal. Du musst dich als Teil dieser Schule schon etwas mehr einbringen. Oder willst du die nächsten zwei Jahre alleine Mittagessen? Und außerdem, Emy wird auch da sein.«

»Ja, also ich weiß nicht, ich glaube, also versteh das bitte nicht falsch. Du bist eine sehr schöne Person.«

»Häää? Was bin ich?« Linda dachte einen Moment, Ethan mache sich über sie lustig. »Nein, ich meine, du bist hübsch und bestimmt auch nett.« Um aus der Situation ohne Schaden rauszukommen, sagte Ethan, dass er sie zum Ball begleiten würde. Sie sollte ihm die Einzelheiten bitte per Mail mitteilen. Linda schaute verwundert zu ihm, ging rückwärts vom Tisch, an dem Ethan saß und sagte zu ihm:

»Das wird sicher ein spannender Abend.«

Als sich Linda am Nachmittag mit Emy traf, erzählte sie Emy, dass sie ihn gefragt hatte, ob Ethan sie zum Ball begleiten würde.

»Und was hat er geantwortet?«, wollte Emy wissen.

»Ich bin eine sehr schöne Person.«

»Ach Gott.« Emy schmunzelte und konnte sich genau vorstellen, wie er von Linda überfallen wurde und er unsicher auf seinem Stuhl hin und her gerutscht war. »Tja, meine Liebe. Dann werde ich Sweety mal zeigen, was so alles auf einem Ball passieren kann. Und wer weiß, vielleicht zeige ich ihm ja auch den genialen Blick über Manhattan, den man aus meinem Zimmer hat.« Emy musste sich zusammenreißen. Sie kannte Linda genau. Sie wusste, dass Linda sie provozieren wollte. Sie drehte sich nah an Lindas Gesicht und sagte:

»Ich glaube nicht, dass Ethan so einer ist.« Linda grinste wieder.

»Ach nein? Emy, was denn für einer? Du weißt doch aber, was ich für eine bin. Du kannst mir natürlich sagen, ich soll die Finger von Sweety lassen. Dann werde ich brav mit ihm Walzer tanzen und darauf achten, dass keines der Mädchen, die gierig auf ihn sind, ihm zu nahe kommt. Ansonsten zeige ich dem Kleinen Lindas Welt.« Sie zwinkerte Emy zu, drehte sich um und ließ sie stehen. Emy war sauer. Über Linda, aber mehr über sich selber. Sie hatte in den letzten Tagen versucht ihm aus dem Weg zu gehen. Emy hatte keine Lust mit ihm über den Abend bei sich zu Hause zu reden. Eigentlich wusste sie auch nicht genau, was es da zu reden gab. Emy konnte das, was sie für ihn empfand nicht sagen, oder besser, sie wusste nicht wie sie es sagen sollte. ‚Lieber Ethan, ich fühle mich zu dir hingezogen, habe aber wie du weißt, einen festen Freund, den ich auch mag. Ich würde gerne mit Lucas den Tag verbringen und dich am Abend gerne bei mir haben. Verdammt, ich klinge schon wie meine Mutter.‘ Sie hatte beschlossen, keinem der beiden Jungs irgendetwas zu erklären. Zum einen, weil sie nicht wusste, was sie wem wie erklären sollte, und zum andern müsste sie sich ja dann entscheiden. Das wollte Emy nicht, weil sie sich nicht sicher war, wie sie sich entscheiden würde. Eigentlich war sie sich gewiss. Aber das hätte alles durcheinandergebracht. Und dazu hatte sie im Moment keine Lust. Aber jetzt drohte Gefahr von Linda. Linda sah nicht nur besonders gut aus, sie war außerdem ein kluges, witziges Mädchen, welches Stil hatte und genau wusste, was es will. Und Ethan? In Emy bauten sich alle Schutzmechanismen auf, die sich aufbauen konnten. In der Schule wusste keiner, was mit ihm geschehen war. Sie hatte mit niemanden darüber gesprochen. Gut, Linda würde so etwas auch nicht rumerzählen, wenn sie es wüsste. Aber Linda würde ganz sicher die Situation ausnutzen, um Ethan für Lindas Spiele, wie sie es selber gerne bezeichnete, zu verführen. Das Ethan bei den Mädchen an der BSGE begehrt war, hatte sie mitgekriegt. Einige ihrer Mitschülerinnen hatten Emy nach seiner Telefonnummer gefragt. Aber Linda, das gefiel Emy überhaupt nicht.

Ethan war auf dem Weg nach Hause, als sein Telefon vibrierte.

»Ja?«

»Hallo Ethan, ich wollte fragen, ob du vielleicht kurz Zeit für mich hast?«

»Ja, warum nicht, was willst du von mir? Also, ich meine warum?«

»Ethan, ich muss dich kurz sehen.« Sie fühlte sich gut an, seine Stimme zu hörte. Ethan hingegen wusste nicht so recht, wie er diese Situation einschätzen soll.

»Naja, wann, ich meine wo, sollen wir uns denn treffen?«

»Kennst du das ‚Nelly’s‘?« Er überlegte.

»Nein.«

»Ok, ich schicke dir die Adresse. Hast du in einer Stunde Zeit?«

»Ja, naja, schon, also ich meine ja.«

»Gut, dann sehen wir uns in einer Stunde.« Sie legte auf und er wunderte sich über den Anruf und die Einladung. Sein Telefon machte den Ton für eingehende SMS.

Das »Nelly’s« war eigentlich eine kleine Bäckerei. Kein Café. Es gab nur wenige Sitzgelegenheiten, aber die besten Pasticcini in der ganzen Stadt, wie Emy behauptete. Da es auf der 76. war, befand sich der Laden in der Nähe, wo beide wohnten. Sie war vor Ethan da und bestellte für beide Kuchen. Er sah sie und ging lächelnd auf sie zu.

»Hi, Emy.« Er überlegte, ob ein Wangenkuss zur Begrüßung angemessen wäre. Die Entscheidung nahm ihm Emy ab. Sie stieg von dem Hocker, der vor dem Wandbord stand, und küsste ihn.

»Schön, dass du Zeit hast.« Noch bevor er etwas sagen konnte, legte sie los. »Ich weiß, dass ich mich in den letzten Tagen etwas rargemacht habe, was dich angeht. Aber nach dem Abend bei mir wollte ich erst mal ein wenig Abstand gewinnen. Ich weiß, dass das unfair dir gegenüber ist.« Er wollte etwas sagen. Aber Emy legte behutsam ihren Zeigefinger auf seine Lippen. »Als Erstes musst du wissen, ich habe kein Mitleid mit dir. Quatsch.« Sie zog ihre Augenbrauen hoch. »Ich wollte sagen, was dir passiert ist, tut mir sehr leid und es beschäftigt mich immer noch. Aber ich bemitleide dich nicht. Verstehst du, was ich meine?« Er sah sie an, zögerte eine Weile, um abzuwarten, ob er jetzt sprechen soll.

»Ja, äh, Emy, eigentlich nein.«

»Du sollst nicht denken, dass ich aus Mitleid mit dir zusammen bin.« Er schaute sich um. Er war komplett durcheinander.

»Du bist mit mir zusammen?« Sie rieb sich nervös ihr Ohr.

»Nein, ich bin nicht mit dir zusammen. Aber wir beide sind doch Freunde. Aber eigentlich mehr als Freunde. Verstehst du das, Ethan?«

»Äh, nein.« Emy presste ihre Lippen zusammen und nickte »Also, Ethan, ich mag dich. Ich fühle mich sehr wohl, wenn ich mit dir zusammen bin. Aber wie du ja weißt, habe ich einen Freund. Ach, scheiße! Ich will nicht, dass du mit Linda zum Winterball gehst. Ich gehe mit Lucas hin und würde dich den ganzen Abend sehen. Und Linda will dich nur, naja du weißt schon.« Er schaute sie an, als hätte sie gerade das Riesenrad erfunden.

»Also, Emy, ich weiß nicht, was du genau meinst. Aber du kannst mir ja sagen, was ich machen soll? Und seit wann genau sind wir zusammen?«

»Nein Ethan, wir sind eben nicht zusammen. Da ich einen Freund habe, kann ich ja nicht mit dir gehen. Wir sind Freunde. Aber halt mehr als Freunde. Ich mag dich sehr. Aber ich habe ja noch Lucas und wir kennen uns ja noch nicht so lange. Also, Ethan, ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Verstehst du vielleicht, was ich meine?«

»Nein.« Er schaute noch verwirrter als vor einer Minute. »Emy, ich mag dich auch. Das mit deinem Freund tut mir für dich leid.« Tut mir für dich leid? Sie stutzte, ach so, Ethans Sprachakrobatik. Sie schaute Ethan, an als er sprach. »Wenn es besser für dich ist, wenn wir nicht miteinander reden oder uns sehen, können wir uns auch weiter aus dem Weg gehen. Und wenn es dich stört, gehe ich nicht zu dem Ball.«

»Nein Ethan, überhaupt nicht. Ich würde gerne viel mehr mit dir sprechen und dich gerne öfter sehen. Aber ich weiß noch nicht, wie ich mich verhalten soll, was Lucas angeht. Ich brauche etwas Zeit. Und du sollst natürlich zu dem Ball gehen. Pass bloß auf, dass du nicht unter Lindas Räder kommst. Sie wird sicher versuchen, mit dir etwas anzufangen.«

»Wow, sie will Sex mit mir?« Sie rollte mit den Augen.

»Ja, das wäre bei ihr durchaus möglich. Sie ist keine Schlampe oder so, aber wenn sie einen Jungen interessant findet, fackelt sie nicht lange.«

»Ich glaube nicht, dass ich mit ihr Sex haben werde. Aber sie hat mich nett gefragt.«

»Ja Ethan, nett ist ihre Stärke. Ich will bloß nicht, dass du… Na du weißt schon, was.« Er zuckte mit den Schultern.

»Nein, weiß ich eigentlich nicht, aber mach dir keine Sorgen. Vielleicht will sie ja mit mir nur zum Ball, weil sie keinen anderen gefunden hat.« Emy legte ihren Kopf ganz langsam in den Nacken und atmete lange aus.

»Es gibt sicher keinen Jungen an der Schule oder in der ganzen Stadt, der nicht mit ihr zum Ball gehen würde. Sie kann sich aussuchen, wer sie begleiten soll. Sie möchte aber mit dir dahin und das hat sie sich fest vorgenommen. Sie könnte mit jedem gehen, hat sich aber den Einzigen ausgesucht, der von sich aus kein Interesse gehabt hat. Ethan, sie hat sich in dich verguckt. Sie will dich erobern, sie will dich aber nicht heiraten.«

»Das ist gut so, heiraten will ich auch nicht.« Er bemerkte, dass Emy langsam unruhig wurde.

»Pass einfach etwas auf und lass dich nicht von ihr manipulieren.« Ethan schaute Emy an, ohne etwas zu sagen. Nach einer ganzen Weile Stille stand Emy auf, küsste ihm wieder auf die Wange und sagte: »Also, ich muss los. Ich habe meiner Mum versprochen, ihr beim Klamottenaussortieren zu helfen. Wir sehen uns morgen in der Schule.« Ethan stand auch auf.

»Gut, also, dann sehen wir uns in der Schule. Ach, Emy, vielleicht kannst du für mich rausbekommen, welche Art Blumen für Lindas Ballstrauß brauchbar wären?« Jetzt lächelte sie, weil er schon wieder mit dem Englisch jonglierte. Sie ging noch einmal zurück zu ihm und küsste seine andere Wange.

»Mache ich, Ethan, mache ich.«

Mrs. Laurent hatte begonnen, die Kleiderstücke der Familie, die für die Sammlung bestimmt waren, in den Flur zu werfen. Emy sah das Chaos, als sie in die Wohnung kam.

»Mum«, rief sie, um ihr Erscheinen anzukündigen, aber auch, um ihr Entsetzen mitzuteilen, dass ihre Mutter wohl alle Kleiderschränke komplett ausgeräumt hatte.

»Ach Emy, schön, dass du da bist. Wir müssen uns mit dem Sortieren beeilen. Lucía kommt bald aus der Kirche zurück. Dann müssen wir mit dem Ausräumen fertig sein.« -

»Mum, hast du alle meine Sachen auf den Haufen geschmissen?« Emy fing sofort an, einzelne Stücke aus dem Kleidermeer wieder herauszufischen. Sie kannte diese Aktion ihrer Mutter zu gut, um das Ausrangieren nicht kontrollieren zu müssen. Mrs. Laurent gesellte sich zu ihrer Tochter.

»Na, mein schönes Kind. Wie war dein Tag?« Als sie sah, wie Emy reagierte, fragte sie noch einmal. »Deinem Gesichtsausdruck nach hattest du viel Spaß.« Emy kürzte das Verhör ab und erzählte ihr von dem Treffen mit Ethan.

»Ich habe mit Ethan gesprochen, ihn vor Linda gewarnt. Ich glaube allerdings, er hat nichts von dem verstanden, was ich ihm erklärt habe.« Mrs. Laurent war amüsiert, wollte es aber ihre Tochter nicht merken lassen.

»Ach, er hat es nicht verstanden? So ein Dummerchen.« Emy bereute sofort, ihre Mutter eingeweiht zu haben. »Ich fasse das Mal kurz für mich zusammen.« Mrs. Laurent setzte sich auf den Boden, so, dass sie Emy besser beobachten konnte, die planlos in den Sachen wühlte. »Du hast ihm gesagt, ich mag dich sehr, habe aber einen Freund. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich will, aber bis es so weit ist, halte ich mir alle Optionen offen. Linda möchte mit dir, lieber Ethan etwas anfangen. Und da jeder Teenagerjunge traurig ist, wenn er erfährt, dass eins der hübschesten, intelligentesten und witzigsten Mädchen der Stadt mit ihm etwas anfangen will, wird Ethan jetzt auf dem Weg zur Interstate sein, um sich vor lauter Verzweiflung von der Washington Bridge zu stürzen.«

»Mum, ich wollte ihn doch nur warnen.«

»Vor was warnen? Dass der Traum eines jeden pubertierenden Jungen in Erfüllung gehen könnte, von Miss Tausendschön zum Sex verführt zu werden? Nein, Emy, wolltest du nicht. Du bist eifersüchtig und meldest Besitzansprüche an. Und zu beidem hast du kein Recht. Wenn du ihm sagst, ich kann nicht mit dir zusammen sein, kannst du ihm nicht im selben Atemzug verbieten, mit der schönen und ach so geistreichen Linda auszugehen.«

»Mum, sie will mit ihm spielen, sie will mit ihm ins Bett.« Mrs. Laurent stieß einen triumphalen Pfiff aus.

»Dein Eisprinz macht eine Blitzkariere und wird gleich von der Ballkönigin erobert.«

»Mum, verstehst du das nicht? Linda hat sich auf Ethan eingeschossen. Sie wird ihn zu allem rumkriegen, was sie will.« Mrs. Laurent schaute ihre Tochter von der Seite an.

»Glaubst du, Ethan lässt sich einfach zu allem rumkriegen? Und wenn es so sein sollte, oder wenn beide nach dem Ball beschließen, nach Vegas durchzubrennen, um sich dort von Donald Duck trauen zu lassen, hat dir das egal zu sein. Es sei denn, Lucas macht Anstalten, mitfahren zu wollen.«

»Aber Mum, er ist doch mein Freund und da kann ich doch aufpassen, dass ihm nichts passiert.«

»Emy, er ist dein Freund. Aber mehr eben nicht. Und wenn er sich entscheidet, mit Linda Spaß zu haben und Linda, es auch möchte, dann darfst du dich über das Glück deiner Freunde freuen.«

»Ich muss noch für die Schule lernen.« Emy verschwand in ihrem Zimmer.

»Und wer hindert mich daran, die Sachen unserer ganzen Familie der Wohlfahrt zu spenden?« Mrs. Laurent erhielt auf ihre Frage keine Antwort.

Ethan kam zu Hause an, als Frau Korn die Wohnung verließ.

»Ah, Grüß Gott, Frau Korn.« Die freute sich und lachte laut:

»Ethan, du bist ja wirklich ein kleiner Bayer.« Ihm gefiel es jeden Tag mehr, mit ihr Deutsch und immer öfter Bayrisch zu reden.

»Frau Korn, ich gehe am Samstag auf den Winterball meiner Schule. Können Sie mir morgen helfen, meinen Anzug auf Vordermann zu bringen? Ich brauche ein kleines Blumengesteck und weiß nicht, wo ich das am besten kaufen soll.«

»Jawohl, Herr Bishop, das können wir gemeinsam erledigen. Weiß dein Herr Vater, dass du am Samstag zu einem Fest gehen willst?« Er machte mit seiner Hand eine kreisende Bewegung.

»Nein, aber ich werde es ihm gleich erzählen.«

»Gut, Ethan, dann sehen wir uns morgen. Dann können wir alles gemeinsam vorbereiten.« Er bedankte sich und wünschte Frau Korn einen schönen Abend. Ethan hörte seinen Vater und seine Schwester in der Küche werkeln. Sie saßen beide am Tisch und klebten verschiedene Pappen für ein Schulprojekt von Marcia zusammen.

»Ach, Ethan. Schön, dass du da bist. Da kannst du deiner Schwester gleich noch bei ihrer Arbeit für ihr Schulprojekt helfen. Sie soll aus Pappe eine Theaterbühne bauen.«

»Das würde ich gerne machen, aber du weißt doch ganz genau, dass ich so etwas nicht kann. In München sollte ich doch einmal ein Vogelhaus bauen. Und dann ist Mum bis Landsberg gefahren, um dort in einem Künstlerdorf eins zu kaufen. Das war irgendwie Kunst und sah so aus, als hätte das ein Amateur gebastelt. Ich habe dann eine Vier bekommen und Mum wollte sich bei der Schule oder bei dem Künstler beschweren. Also, sorry Dad, da kann ich nicht helfen.« Dr. Bishop fand die Erklärung seines Sohnes plausibel und arbeitete selber weiter an der Hausarbeit seiner Tochter. »Dad, ich wollte fragen, also, am Samstag ist der Winterball meiner Schule. Und da wollte ich hingehen. Ich wollte also fragen, ob das ok ist, und ob ich darf?« Dr. Bishop wischte sich seine Hände ab und rieb sich sein Kinn.

»Samstag? Wo findet der Ball statt? Und mit wem würdest du da hingehen wollen? Mit Emy?«

»Nein, ich meine, also Emy geht da auch hin, aber ich nicht. Ich meine, ich gehe nicht mit ihr.« Dr. Bishop beobachtete ihn, während er ihm zuhörte. Seine Tochter, die ihren Kopf zur Seite geneigt hatte und ihre Bauarbeiten an der Theaterbühne fortsetzte.

»Mit wem gehst du zu dem Ball? Und wo findet er statt?«

»Naja, also mit Linda. Sie hat mich gefragt, aber ich dachte, ich kann ja mit ihr dort hingehen. Ich kenne ja nicht so viele an meiner Schule. Die Feier ist im Bryant Park in der 40.« Dr. Bishop schien die Idee zu gefallen. Er sagte nach kurzem Überlegen.

»Ja, warum nicht? Meinst du, ich lerne diese Linda irgendwann einmal kennen?« Ethan machte eine zurückweisende Geste.

»Warum, ich meine, das ist doch schon übermorgen. Ich kann sie doch nicht einfach hier herbestellen.«

»Nein, Ethan, so habe ich das auch nicht gemeint. Ich wollte eher wissen, ob du mit ihr befreundet bist?« Er sah, wie Marcia von ihrer Arbeit hochsah, um ihn anzuschauen.

»Nein, äh, ich weiß nicht. Also eher nein. Ich kenne sie doch erst seit ein paar Tagen.«

»Du kennst sie erst seit ein paar Tagen und da hat sie dich gefragt, ob du sie zum Ball begleitest?« Ethan hörte in der Stimme seines Vaters Zweifel.

»Naja, sie kennt mich wohl schon etwas länger. Ich meine, sie ist eine Freundin von Emy.«

»Schon gut. Ich denke, du solltest zum Ball gehen. Was müssen wir da noch tun bis übermorgen?« Ethan hob beide Hände, als wenn er einen Ball vor seiner Brust halten würde.

»Nein, nichts. Ich habe Frau Korn schon gefragt, ob sie mir bei den Sachen helfen kann. Sie hat ja gesagt, also brauchst du nichts zu tun. Ich gehe in mein Zimmer, ich muss noch etwas für die Schule lernen. Gute Nacht, Dad. Gute Nacht, Marcia.« Er nahm sich einen Apfel aus der Schale, die auf der Anrichte stand und verließ die Küche. Dr. Bishop und seine Tochter sahen sich an.

»Dad, ich glaube, Ethan ist in seiner Schule sehr beliebt bei den Mädchen. Das liegt bestimmt daran, dass er so gut Klavier spielt, Mädchen lieben so etwas. Oder vielleicht, weil er so gut Deutsch spricht und die Mädchen finden das cool.« Dr. Bishop nickte seiner Tochter zustimmend zu und streichelte ihr dabei über ihren Kopf. Dr. Bishop stand auf.

»Ach, das hätte ich ja beinahe vergessen. Ethan.« Er rief laut seinen Sohn. Der kam langsam zurück in die Küche.

»Ja, was ist noch?«

»Du hast Post aus Deutschland.« Er hielt seinem Sohn den Brief von Laura entgegen.

»Danke.« Ethan nahm den Brief, drehte ihn von einer Seite auf die andere und ging dabei in sein Zimmer zurück. Der Brief war von Laura. Ethan roch an ihm, was ihn selber verwunderte. Er machte ihn vorsichtig auf und nahm die zwei Seiten heraus.

Lieber Ethan.

Wie versprochen schicke ich dir die Einladung von der Musikhochschule. Ich hatte ganz vergessen, dir am Telefon zu dieser Einladung zu gratulieren. Die meisten, die auf diese Schule gehen, bewerben sich dafür. Dich hat die Schule von sich aus eingeladen. Spätestens seit du einmal für mich »Yellow” in unserer Aula gespielt hast, wusste ich ja, dass du ein Wunderkind sein musst. Jetzt hast du die Leute von der Musikhochschule mit Chopin überzeugt. Ich bin ganz schön stolz auf dich. Sicher wirst du nicht nach München kommen können, um dort vorzuspielen. Aber du kannst ja die Schulen in New York, bei denen du dich bewerben wirst, mit dieser Einladung erpressen. Wenn sie dich nicht wollen, dann freuen sich die Münchener. Ich warte auf deinen Anruf, ob alles gut angekommen ist.

Viele Grüße, Deine Laura. Deine Laura. Er strich behutsam mit seinem Zeigefinger über diese Worte. Dann las er die Einladung der Musikschule.

Sehr geehrter Herr Bishop.

Wir möchten Sie gerne zu einem Vorspielen an unserer Schule einladen. Wie in jedem Jahr findet im Rahmen unseres Sommerseminars ein Vorspielen für Talente statt. Wir sind auf Sie aufmerksam geworden und haben Sie bei ihrem Klavierspiel beobachtet. Es wäre für uns eine große Freude, Sie in unserer Schule zu dieser Veranstaltung zu begrüßen. Für sie wäre es eine Gelegenheit, unsere Schule kennenzulernen. Natürlich sind ihre Eltern herzlich zu diesem Treffen eingeladen. Wenn sie uns bis vier Wochen vor der Veranstaltung mitteilen könnten, ob wir mit Ihrer Teilnahme rechnen dürfen, würden wir alle noch nötigen Details mit Ihnen und ihren Eltern besprechen. Wir freuen uns auf ein Kennenlernen.

Schrater

Rektor der Musikhochschule München

Er schaute auf die Uhr. Es war kurz nach zehn. Also vier Uhr in München. Er holte das Telefon aus dem Flur und rief Laura an.

»Hallo?« Lauras Mutter war am anderen Ende der Leitung.

»Ja, hallo. Ich wollte fragen, also.«

»Ethan, das ist aber schön, dass du anrufst. Ich freue mich, deine Stimme zu hören. Habt ihr euch in eurem neuen Zuhause schon etwas eingelebt? Wie geht es den anderen?«

»Ja, es geht, ich meine gut. Ich wollte fragen, ob Laura schon da ist?«

»Ja, Ethan, sie steht neben mir und drängelt, damit ich ihr den Hörer gebe. Alles Gute und es war schön, deine Stimme zu hören.«

»Hallo Ethan, meine Mutter war schneller am Telefon.«

»Hallo, Laura.« Ethan hatte sich wieder auf sein Bett gelegt. Er hatte einen Arm unter seinen Kopf geschoben und schaute an die Decke seines Zimmers. »Also, ich wollte dir sagen, dass der Brief angekommen ist. Ich habe ihn schon gelesen. Ich überlege, ob ich nicht doch zu dem Vorspielen fahre.« Nach einer kurzen Pause kam die Antwort von Laura, die eher eine Frage war.

»Du kommst nach München?«

»Ja, also, ich meine, ich weiß noch nicht genau, ob ich kommen kann. Ich habe es meinem Dad erzählt, aber das war bei einem Streit. Und ich weiß nicht, ob er mich überhaupt lässt.« Er redete sich in Rage.

»Ethan, Ethan, ganz langsam. Du hast noch viel Zeit bis zu dem Vorspielen. Beruhige dich und denke über alles nach. Dann solltest du mit deinem Vater reden. Du musst ihn auch verstehen. Er hat sicher Angst, wenn du in München vorspielen willst, dass du dann auch in München studieren möchtest.« Ethan hörte ganz genau zu, was Laura sagte.

»Naja, ich werde auf jeden Fall kommen, wenn er mich lässt.«

»Ethan, das wäre so schön, wenn du nach München kommen würdest. Du könntest bei uns wohnen. Meine Eltern würden sich sicher freuen, wenn du bei uns schlafen würdest. Ich mich natürlich auch. Aber denke in aller Ruhe darüber nach. Und überfalle deinen Vater nicht mit deiner Entscheidung.«

»Weißt du was, Laura?« Er klang wieder ganz ruhig. »Am Tag, als meine Mum den Unfall hatte, war das Letzte, worüber wir gesprochen hatten, dass ich dich in den Sommerferien nach New York einladen sollte. Sie würde mich fahren lassen.« Laura unterdrückte ihr Seufzen. Ihre Tränen konnte er ja nicht sehen.

»Sprich mit deinem Vater. Und wenn er dich lässt, bist du bei uns herzlich willkommen.« Laura fragte ihn noch nach seiner Schwester und was er sonst in New York machte. Ethan berichtete über seinen Alltag. Von Emy und vom Winterball sagte er nichts. Er versprach, in der nächsten Woche wieder anzurufen. Laura blieb, nachdem Ethan aufgelegt hatte, noch eine Weile mit dem Hörer in der Hand stehen und dachte über das Gespräch nach.

Emy war früh in der Schule. Sie sortierte ihren Schrank, als Linda vor ihr aufbaute. Linda war für diese Zeit sehr gut, zu gut gelaunt.

»Na Emylein. Machst du klar Schiff in deinem Bunker?«

»Ach, ich räume nur etwas auf.« Linda grinste schon wieder.

»Was ist mit Sweety? Ich muss ihm langsam die Details für unser Date schreiben. Der arme Junge muss doch eine Chance haben, sich auf seinen großen Abend mit mir vorzubereiten. Ich bin jedenfalls schon aufgeregt, mit Sweety durch die Nacht zu feiern.« Linda stellte sich vor Emy wie eine Opernsängerin hin, breitete ihre Arme aus und machte eine tiefe Stimme. »Wenn zum Beginn der Nacht die Lichter gehen, wird Ethan wie Mephisto, sich mit Linda im Rausch der Liebe drehen.« Emy schaute ihre Freundin besorgt an.

»Mephisto? Damit kannst du ja wohl nicht Ethan meinen. Lass ihn doch einfach in Ruhe. Alle Jungs aus unserer Schule würden doch gerne dein Mephisto sein. Du kannst dir doch wirklich jeden aussuchen, warum gerade Ethan?«

»Weil ich mir es aussuchen kann. Und Ethan hat mich von allen, die für mich relevant waren, als Einziger nicht gefragt. Ich möchte an diesem Abend mit dem bestaussehenden Jungen zum Ball. Und, kleine Emy, wer ist das?« Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr Linda fort. »Stell dir doch Sweety nur mal im Anzug vor. Und wenn der Partygott gnädig mit mir ist, kann ich dir am Montag auch sagen, wie Sweety ohne Anzug, naja du weißt schon, was ich meine.« Emy musste sich zusammenreißen. Sie spürte, wie in ihr die Wut hochstieg. In dem Moment kam Lucas zu den Mädchen.

»Na, ihr beiden.« Linda setzte jetzt ihr breitestes Grinsen auf und fragte übertrieben freundlich:

»Hi, Lucas. Klappt das mit der Limousine deines Vaters?« Lucas erklärte den beiden Mädchen, dass alles wie besprochen stattfinden würde. »Sag mal, Lucas, wäre es ein Problem, wenn du, bevor du uns abholst, bei meinem Date vorbeifahren würdest und ihn mitnimmst? Ich glaube, er wohnt auch auf der Upper West. Oder?« Bei der Frage schaute Linda Emy mit großen Augen an.

»Das ist überhaupt kein Problem, das mache ich. Schreib mir bloß, wo wir deinen Ball-Boy abholen sollen.« Linda wog ihren Kopf hin und her. Sie überlegte, ob sie Emy einfach vor Lucas nach der Adresse fragen sollte, beschloss aber, keinen erneuten Versuch zu starten. Nachdem Lucas die erste Anspielung auf die Adresse von Ethan nicht verstanden hatte.

»Lucas, du bist ein richtiger Ritter. Nein, kein Ritter, eher ein Point Rider.« Linda drehte sich um und ließ die beiden stehen.

»Wollen wir heute Nachmittag etwas machen?« Lucas nahm sie in den Arm.

»Ja, warum nicht? Ich melde mich bei dir und sage dir Bescheid.« Nach einem oberflächlichen Wangenkuss drehte Emy ab und ging in ihre Klasse. Im Unterricht hörte sie nicht mit einem, nicht einmal mit einem halben Ohr zu. Sie konnte Linda von der Seite beobachten und das tat sie auch. Linda war eine wirklich gute Freundin. Und was kann sie ihr denn vorwerfen? Linda hatte gefragt, ob es ein Problem wegen Ethan gäbe. Sie wusste, dass Emy einen Freund hatt. Also, freie Fahrt für Lindas Partyexpress. Über jedes andere Date von Linda hätte sich Emy gefreut. Und wenn sich die Gelegenheit bietet und Ethan ein Date mit ihr haben möchte, welches Mädchen würde da nein sagen?


»Emy?« Sie schreckte hoch. Linda stand neben ihr und schaute sie fragend an. »Schläfst du wirklich mit offenen Augen? Oder hast du gerade von deinem Lucas geträumt?« Emy hatte das Ende der Stunde verpasst, weil sie das Klingeln überhört hatte. Sie stand zögerlich auf und folgte Linda zum nächsten Unterrichtsraum. Beide gingen am Musiksaal vorbei. Sie blieben zeitgleich stehen und schauten durch die einen Spalt weit offene Tür. Am Flügel saß Ethan. Er saß mit dem Rücken zur Tür in dem großen weißen Saal am Piano. Er hatte die Tür nicht richtig geschlossen. Er spielte ein klassisches Stück, ohne zu ahnen, dass er dabei beobachtet wurde. Da die beiden Mädchen den Gang etwas blockierten, dauerte es nicht lange und aus den beiden wurde eine kleine Gruppe Zuschauer. Linda kniff ihre Augen zusammen und flüsterte in Emys Richtung.

»Verdammtes Hackbrett. Ich gehe mit dem neuen Horowitz zum Winterball. Wusstest du, dass Sweety ein Wunderkind ist?« Emy versuchte, ihre Wut nicht zu zeigen.

»Naja, dass er Klavier spielt, wusste ich. Aber so?« Mittlerweile standen auch ein paar Lehrer in der kleinen Zuschauergruppe und lauschten dem nicht geplante Minikonzert von ihm an. Als er den letzten Takt gespielt hatte und er den Applaus der Zuhörerschaft mitbekam, erschrak er und ging zur Tür. Er entdeckte die Lehrer und fing nervös an, sich zu entschuldigen.

»Also, ich habe Zeit. Meine Stunde, ich meine, eine Stunde fällt aus. Also habe ich gedacht, ich könnte so lange etwas üben.« Die Lehrer waren sichtlich begeistert und hatten wahrscheinlich nicht geahnt, dass sie so einen guten Pianisten an der Schule hatten. Sie lobten sein Spiel und sagten ihm, er könne so lange üben, wie er möchte. Schön wäre es, wenn sie ihm einmal richtig zuhören könnten. »Ja, also, ja warum nicht. Ich kann, ich könnte ja für Sie etwas spielen. Oder so.« Die Zuschauergruppe löste sich auf. Linda war schon losgegangen, bemerkte aber, dass Emy stehenblieb. Sie ging die ein, zwei Meter zurück.

»Emy, was ist? Wartest du darauf, dass der Meister rauskommt um dir ein Autogramm zu geben? Oder kommst du mit zum Unterricht?«

»Ja, ja, ich komme.«

In der Pause saßen Linda, Emy, Lucas und Madison zusammen. Ethan hatte sich wieder einen Tisch gesucht, wo er alleine sitzen konnte. Mathis kam von der Essenausgabe und setzte sich nicht zu seiner Schwester. Er ging zu Ethan und fragte, ob er sich zu ihm setzen könne. Ethan zog seine Ohrhörer aus den Ohren, schaute Mathis an und nickte. Mathis beugte sich etwas zu ihm, damit er nicht so laut sprechen musste.

»Ethan, ich weiß von meiner Schwester, dass du Klavier spielst. Und ich brauche dringend jemanden, der genau das kann.« Ethan dachte im ersten Moment an einen Scherz der Emy-Clique und blickte zu dem Tisch hinüber, wo sie saß. Da aber keiner von denen zu ihm schaute, könnte es auch einen anderen Vorwand für Mathis geben.

»Für was brauchst du einen Klavierspieler?« Mathis legte einen Finger auf seinen Mund, um ihm zu zeigen, dass es sich um etwas Geheimnisvolles handelte.

»Gut, Alter. Du wirst vielleicht denken, dass ich nicht alle Leuchten in der Lampe habe. Es klingt etwas verrückt. Aber hör dir erst an, was ich dir erzähle.« Ethan legte seinen Löffel aus der Hand und nahm eine bequeme Sitzhaltung ein. Mit den Händen bedeutete er Mathis, dass er aufnahmebereit sei. »Pass auf. Wie du vielleicht weißt, mache ich Fotos. Ich habe vor Kurzem ein Mädchen kennengelernt.« Ethan beugte seinen ganzen Oberkörper nach vorne.

»Und ich soll Klavier spielen, während du sie fotografierst?«

»Nein.« Mathis flüsterte und schaute sich wie bei einem Geheimdiensttreffen immer wieder um. »Das Mädchen nimmt mich nicht so richtig für voll.« Ethan glaubte wieder an einen Scherz.

»Jetzt sag aber nicht, dass wir den Flügel aus dem Musiksaal nach Manhattan schieben, ihn dort vor ein Haus stellen und ich für deine, was auch immer, spielen soll. Oder willst du einen Lovesong aufnehmen?« Mathis wirkte leicht genervt.

»Ach, Quatsch. Sie ist Schülerin auf einer Ballettschule. Ich wollte von ihrer Klasse Fotos machen. Ich habe ganz offiziell an der Schule angefragt. Die haben gesagt, die Schüler dürfen nicht fotografiert werden. Die Schule möchte das nicht. Als ich dann wieder gegangen bin, habe ich eine Ausschreibung gesehen. Sie suchen für den Ballettunterricht einen Pianisten.« Er dachte, der Bruder von Emy muss eventuell andere Eltern haben. Der ist verrückt.

»Also, ich soll in der Schule Klavier spielen und dann für dich, während der Stunde, deine Angebetete heimlich fotografieren?«

»Nein. Du sollst Klavier spielen. Und dich dürfte ich fotografieren, da du ja kein Schüler bist. Verstehst du, was ich meine?«

»Natürlich nicht. Wenn du ein Foto von mir machen willst, kannst du das auch gerne hier tun. Ich würde mich vorher aber gerne kämmen.« Mathis atmete schwer aus.

»Alter, wenn du dort spielst, hätte ich einen Vorwand, nämlich dich, in den Balletträumen zu fotografieren.« Ethan grinste Mathis an.

»Gut, dann frage ich gleich im Sekretariat nach, ob ich eine Schulbefreiung bekomme, da ich als Pianist beim Ballettunterricht anfangen will. Wie lange soll ich spielen? Oder glaubst du, die stellen mich gleich fest ein?« Mathis wollte schon aufgeben.

»Ja, ist ja schon gut. Du denkst, ich habe eine Macke. Ich wollte eine Serie über den Ballettunterricht machen. Schwarz-Weiß. Die Fotos sollten der klassische Teil für meine Bewerbung sein. Die Ballettschule hätte es auch gerne zugelassen, aber prinzipiell geht das so nicht. Die eine Lehrerin hat mir grsgat, wenn sie einen Pianisten bei der Arbeit porträtieren würden, und bei dieser Arbeit Tänzerinnen abgebildet wären, sei das rechtlich OK.« Jetzt erst bemerkte Ethan, dass es Mathis wohl doch Ernst war bei dieser Geschichte.

»Ich weiß nicht. Ich meine, es gibt doch so viele gute Pianisten in dieser Stadt. Die warten doch da nicht auf mich. Und ich kann doch nicht die Schule schwänzen, um Klavier zu spielen.« In Mathis entfachte die Flamme der Begeisterung.

»Das brauchst du auch nicht. Es geht, dass du nur die Nachmittagsstunden in der Schule spielst. Und natürlich gibt es Geld dafür. Du spielst. Ich mache die Fotos für meine Bewerbung und komme an das Mädchen ran.« Ethan schüttelte die ganze Zeit den Kopf.

»Ich habe noch nie so eine absurde Geschichte gehört. Wenn nicht gleich die Auflösung kommt, glaube ich wirklich, dass du einen Schuss hast. Wie heißt die Schule eigentlich?« Mathis zögerte kurz.

»Das Juilliard.«

»Das Juilliard?«, wiederholte Ethan. »Das Juilliard im Lincoln Center?« Mathis nickte, ohne ein Wort zu sagen. Ethan grinste über sein ganzes Gesicht. »Auf dem Juilliard studieren die besten Pianisten der ganzen Welt. Aus sechstausend Bewerbern suchen die sich sechs raus und lassen die dort studieren. Und du erzählst mir, die haben keinen, der beim Ballettunterricht spielen kann?« Er schaute Emys Bruder an.

»Das war auch genau das, was ich die Lehrerin gefragt habe. Die Schüler dürfen dort nicht spielen. Die Professoren verbieten das. Der Übungsplan von den Studenten ist so voll, die hätten gar keine Zeit, dort zu spielen. Die sollen auch nur das üben, was gerade im Lehrplan dran ist. Und die Lehrer sind der Meinung, die würden sich bei dem unkontrollierten Spiel leicht den Stil verderben.« Ethan glaubte zum ersten Mal, was Mathis erzählte. Es war absolut logisch, was er sagte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sich Mathis das ausgedacht hatte.

»Also, ich weiß nicht. Ich glaube, ich kann dir da nicht helfen. Frag doch einfach, einen der Pianisten, die dort arbeiten, ob du sie fotografieren kannst.«

»Das geht nicht. Da müsste ich ja genau wissen, welcher Pianist wann in der Klasse spielt. Aber wenn du dort spielen würdest, könntest du mich ja anrufen, wenn du sie siehst.« Ethan schüttelte immer noch seinen Kopf.

»Hast du dir das alles alleine ausgedacht?«, wollte er von Emys Bruder wissen.

»Ich denke schon eine ganze Weile über das Projekt nach.«

»Das Projekt? Mathis, vielleicht solltest du dich bei der CIA bewerben. Die suchen Leute mit deinem Talent. Und dort kannst du sicher den ganzen Tag fotografieren.« Mathis machte eine beruhigende Handbewegung.

»Was ist denn schon dabei? Du spielst ein, zwei Stunden Klavier und das für ein paar Tage, bis ich der Kleinen nähergekommen bin. Dabei mache ich die Fotos für meine Bewerbung und dann rücken wir da wieder ab. Was soll passieren?«

»Was passieren soll? Wir werden beide wegen Hochstapelei verhaftet und fliegen vom Juilliard und von unserer Schule. Die ganze Welt wird sich über uns totlachen und ich brauche über ein Vorspielen am Juilliard nicht mehr nachdenken.« Er stockte. Ich brauche über ein Vorspielen am Juilliard nicht mehr nachdenken, wiederholte er seinen Satz im Kopf. Er wusste doch genau, dass sein Vater ihn unbedingt am Juilliard sehen möchte. Seine Mum hatte sich das auch immer für ihn vorgestellt. Er selber wollte das auch. Aber als seine Mutter starb, war alles anders. Er wollte und konnte es sich nicht mehr vorstellen, an dieser Schule zu studieren. Er hasste den Gedanken an den ersten Studientag am Juilliard, ohne dass es seine Mum erleben konnte. »Ich glaube nicht, dass ich dir helfen kann. Aber ich werde darüber nachdenken. Eine Bedingung habe ich von Anfang an. Deine Schwester darf niemals etwas davon erfahren.« Mathis lächelte.

»Keiner wird jemals davon etwas erfahren.« Beide Jungs zuckten zusammen, als sie Lindas Stimme hörten.

»Na, ihr zwei Schmuckberts. Plant ihr schon, wie ihr eure Ballbegleitungen am Samstag glücklich macht?«

»Äh, also, wir, ich meine wir haben uns nicht über den Ball unterhalten.« Ethan war unsicher. Mathis sah das und ging dazwischen.

»Linda, lass uns mal schön in Ruhe. Geh zu meiner Schwester und unterhaltet euch über Gesichter anmalen oder Hochsteckfrisuren. Geh uns aber nicht auf den Zünder. Wir haben keinen Nerv für euren blöden Balltratsch. Husch, husch.« Mathis machte mit seiner Hand eine Bewegung, als wolle er Fliegen von sich wegscheuchen. Linda machte eine schnippische Bemerkung und ließ die beiden alleine am Tisch zurück. »Linda ist schon ein scharfes Ding. Aber meine Schwester hat mir den Umgang mit ihr verboten. Sie ist ihre beste Freundin und gehört vor so etwas wie mir geschützt. Aber Alter, du gehst mit ihr auf den Ball. Du hast gute Chancen, bei ihr einen Nachtflug zu landen. Du weißt, was ich meine?« Ethan ging nicht auf das Thema ein.

»Ich denke über dein Problem nach, ob ich dir helfen kann.« Er stand auf. Mathis klatschte mit einem High Five ab, was Ethan überraschte, da diese Art der Verabschiedung überhaupt nicht seinen Vorstellungen entsprach, wie Menschen miteinander kommunizieren sollten. Genau in diesem Moment schaute Emy zu den beiden. Ethan ging aus der Cafeteria. Emy passte ihren Bruder ab, bevor er den Essensaal verlassen konnte.

»Kannst du mir mal verraten, was du mit Ethan so lange zu besprechen hattest?« Mathis schaute sie an.

»Kann ich, tue ich aber nicht.« Sie stand, von ihrem Bruder alleine gelassen, da und schaute ihm hinterher.

»Ethan!« Dr. Bishop rief laut nach seinem Sohn. Er stand mit Marcia und Frau Korn im Flur und hatte eine Videokamera in der Hand. Ethan kam aus seinem Zimmer. Er trug einen dunklen Anzug, den er auch mit seiner Mutter in München gekauft hatte. Er war froh, nicht nur den schwarzen Anzug zu besitzen, den er auf der Beerdigung getragen hatte. »Wow, schau dir deinen Bruder an.« Dr. Bishop hatte die Videokamera im Anschlag und die rote Lampe leuchtete. »Marcia, schau dir deinen Bruder an. Er sieht aus wie der Hauptdarsteller in einem James-Bond-Film.« Frau Korn hatte ihre Hände zusammengelegt.

»Du siehst aus wie ein Filmstar. Wie der junge Alain Delon, nur mit langen Haaren.«

»Dad, mach doch die Kamera aus.«

»Warum? Du gehst zu deinem ersten Ball in New York. Das kann ich später deinen Kindern zeigen. Und sie werden begeistert sein, was für einen hübschen Vater sie haben.« Marcia strahlte ihren Bruder an.

»Ethan, du siehst wie ein richtiger Mann aus. Als wenn du ein eigenes Büro hättest und zur Arbeit gehst.«

»Gut, also, also ich gehe dann mal los. Frau Korn, können Sie mir die Blumen geben?«

»Ja Ethan.« Sie holte den Strauß und gab ihn dem Jungen. Er drehte sich um und verließ die Wohnung, ohne noch etwas zu sagen. Dr. Bishop schaute Frau Korn an.

»Wenn das doch seine Mutter sehen könnte. Sie wäre vor Stolz aus allen Nähten geplatzt.« Frau Korn seufzte leise und ging in die Küche.

Vor dem Haus stand eine große schwarze Limousine. Sie erregte in der Gegend keine besondere Aufmerksamkeit. Der Fahrer hatte die hintere Tür geöffnet und verbeugte sich leicht, als Ethan in das Auto stieg.

»Na Meister.« Lucas empfing ihn mit einem Glas in der Hand. Der setzte sich gegenüber von Emys Freund und erwiderte dessen Begrüßung. »Als nächstes holen wir Emy und Mathis ab. Dann fahren wir zu Linda und zum Schluss holen wir noch Madison. Madison geht mit Mathis zum Ball. Da beide keinen Freund oder Freundin haben, wollen sie zusammen zum Ball. Die hatten beide keine Lust, sich extra für den Abend eine Begleitung zu suchen. Also wird das so eine Art Familienausflug. Der einzige, der neu in der Runde ist, bist du. Wie hast du eigentlich Emy kennengelernt?« Er hatte mit dieser Frage nicht gerechnet.

»Naja, also, irgendwann haben wir uns unterhalten. Wir haben so über verschiedene Dinge gesprochen.«

»Ist ja auch egal.« Lucas hatte kein Interesse an der Geschichte. »Aber was viel wichtiger ist, wie bist du denn an Linda geraten? Oder sie an dich?«

»Das weiß ich auch nicht so genau. Sie hat mich einfach gefragt, ob ich mit ihr zum Ball gehe.« Lucas fragte Ethan noch nach ein paar belanglosen Dingen und stieg dann aus, um Emy vor ihrem Haus zu begrüßen. Ethan konnte sehen, wie er sie küsste. Mathis stieg als Erster ein. Er zwinkerte Ethan zu. Ethan trug einen klassischen schwarzen Anzug und sah sehr elegant aus. Emy stieg leicht nach vorne gebeugt in das Auto. So wie sie das tat, sah es aus, als wenn sie ständig in Limousinen fahren würde. Aber wahrscheinlich lag es daran, dass sie einfach nur sehr sportlich war. Sie trug ein weißes Abendkleid mit einem passenden Mantel dazu. Ihre Haare waren etwas anders als sonst. Sie sah wie eine richtige Frau aus und Ethan dache, sie kommt nach ihrer Mutter.

»Hallo, Ethan.« Sie setzte sich neben Lucas und schaute zu ihm. Sie musste sich zusammenreißen, um den Jungen nicht schamlos anzustarren. Was für ein hübscher Junge, dachte sie. »Du siehst aber gut aus im Anzug.«

»Danke, du aber auch. Also, ich meine, also, du siehst auch sehr gut aus.« Sie lächelte ihn an. Lucas versuchte, eine Flasche zu öffnen. Sekt oder eher Champagner. Lucas bemerkte nicht, dass sich Emy und Ethan die ganze Zeit anschauten und keiner der beiden die Augen von dem anderen ließ. Ethan stieg aus, um Linda abzuholen. Sie kam ihm entgegen und sah überwältigend aus. Ethan überlegte kurz, ob er schon einmal so einem hübschen Mädchen begebet sei.

»Guten Abend, Linda, du bist sehr hübsch.« Ethan gab ihr seinen Blumenstrauß.

»Danke, Ethan, du siehst aber auch sehr gut aus. Beide küssten sich auf die Wange. Emy konnte genau sehen, wie Linda ihren Arm dabei um seine Schultern legte. Sie dachte, sie kann nicht wissen, dass ich das sehe. Also macht sie das nicht, um mich zu ärgern. Was, wenn sie mehr von ihm wollte, als nur mich mit ihm zu ärgern? Linda stieg ein. Er half ihr dabei. Beide setzen sich auf die hintere Bank und Linda setzte sich dicht neben Ethan. Sie fing sofort an, mit ihm zu reden. Mathis merkte, wie seine Schwester die beiden argwöhnisch beobachtete. Er stieß sie an und warf ihr einen fragenden Blick zu. Lucas beschäftigte sich derzeit mit dem Soundsystem des Autos. Als sie Madison eingeladen hatten, fuhren sie zum Bryant Park. Die sechs saßen an einem Tisch. Madison und Mathis gingen getrennte Wege, da sie ja eigentlich nicht zusammen hier waren. Emy tanzte mit Lucas. Ethan unterhielt sich mit Linda, die wirklich sehr nett und sehr witzig war.

»Ethan, es wird Zeit, dass wir tanzen.«

»Naja, eigentlich kann ich nicht so gut tanzen.« Linda stand auf, nahm seine Hand und zog ihn von seinem Stuhl hoch.

»Jetzt spielen sie langsame Musik. Da kann jeder tanzen.«

Er nahm sie in den Arm und Linda dachte, er bewegt sich gut. Sie zog ihn näher an sich heran und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Seine Haare berührten ihr Gesicht. Linda schmiegte sich noch enger an ihn und empfand das als schön. Emy, die mit Lucas zum Tisch zurückgekehrt war, beobachtete Linda und Ethan. Sie achtete darauf, dass Lucas nicht mitbekam, dass ihre gesamte Aufmerksamkeit dem schönsten Paar auf der Tanzfläche galt. Emy fühlte sich überhaupt nicht wohl dabei, als sie feststellte, wie sie die beiden förmlich observierte. Linda und Ethan kamen zum Tisch zurück. Linda musste ihm irgendetwas Lustiges gesagt haben. Sie schlug dezent mit ihrer Faust auf seine Brust und beide lachten. Es macht ihm Spaß und Linda ist charmant zu ihm. Emy gefiel immer weniger, was sie da sah.

»Na Emy, na Lucas, amüsiert ihr euch?« Lindas gute Laune war nicht gespielt.

»Ja, es ist ganz lustig hier.« Lucas rutschte zu Emy heran und legte seinen Arm um sie. »Linda, ich muss mit dir reden.« Alle vier drehten sich zur Seite um. Da stand ein großer Junge mit einem bedeutenden Gesichtsausdruck und schaute Linda an.

»Ach, Noah, was willst du denn hier?« Linda kannte ihn offensichtlich.

»Ich muss mit dir reden.« Linda stand auf und sagte zu Ethan:

»Bleib schön sitzen. Ich bin gleich wieder da.« Sie ging mit dem Jungen in Richtung Ausgang. Ethan schaute den beiden hinterher und drehte sich dann wieder zu Emy um.

»Das war ihr Ex.« Sie zog ihre Schultern hoch. »Die hatten immer nur Streit. Eigentlich ist schon seit Wochen Schluss.« Lucas stand auf.

»Komm, Emy, lass uns tanzen.« Sie stand auch auf und beide gingen zur Tanzfläche. Ethan blieb alleine am Tisch zurück. Ethan schaute sich um, ob er jemanden kannte, zu dem er gehen konnte. Aber er kannte ja kaum Mittschüler und so blieb er am Tisch sitzen. Mathis kam vorbei und nutzte die Gelegenheit, um ihn zu fragen.

»Na, Alter, hast du über die Aktion Ballettschule nachgedacht?«

»Äh, ja also, nein. Aber ich kann dir am Montag sagen, ob ich das mache.«

»Gut, dann Montag. Wo ist Linda? Hat sie dich verlassen? Wenn du willst, kannst du mit zu uns kommen. Einer meiner Freunde hat hier im Hotel ein Zimmer gemietet. Wir können da etwas trinken, ohne dass es jemand von den Lehrern mitkriegt.«

»Oh, besser nein. Ich bleibe hier.«

»Na gut, wenn es dir langweilig wird, kommst du rüber zu uns und dann feiern wir zusammen.« Mathis ging wieder zu seinen Freunden. Linda war immer noch nicht zurück. Schade, dachte Ethan. Der Abend war sehr unterhaltsam mit ihr. Emy war mit Lucas an den Tisch von Freunden gegangen. Sie schaute immer wieder zu ihm, der alleine am Tisch saß und die anderen beobachtete. Sie überlegte die ganze Zeit, unter welchem Vorwand sie Lucas unbemerkt wieder an den Tisch lotsen konnte, an dem Ethan saß. Lucas wollte aber wieder tanzen. Sie dachte, was wäre das für ein schöner Abend mit Lucas, wenn sie Ethan nicht kennengelernt hätte. Lucas wollte an den Tisch zu seinen Freunden. Emy sagte ihm, sie habe etwas an ihrem Tisch vergessen und wolle es holen. Sie würde gleich wieder zu ihm zurückkommen.

»Na, Ethan. Hat sie dich alleine hier sitzen gelassen?«

»Ja, ich glaube, sie, also, ja. Ich weiß nicht, wo sie ist. Aber das ist nicht schlimm. Ich schaue mir hier alles an. Und vielleicht fahre ich dann auch langsam nach Hause.« Emy atmete schwer aus.

»Ethan, du bist bestimmt einer der begehrtesten Jungs in diesem Saal. Also, wenn du möchtest, gehst du einfach zu einem Mädchen, welches gelangweilt alleine rumsteht, und fragst, ob sie mit dir tanzen möchte. Ich verspreche dir, die Erste, die du ansprichst, sagt ja.

»Naja, eher nicht. Ich meine, dazu habe ich eigentlich keine Lust. Aber Emy, du gehst besser wieder zu Lucas, der wartet schon auf dich.« Emy schaute ihn traurig an, ging dann aber wieder zu den anderen. Er wollte gerade gehen, als Linda neben ihm stand. Sie hatte geweint.

»Entschuldige bitte, Ethan. Mein blöder Ex musste mir noch einmal alles vorhalten, was er mir bei unserer Trennung schon gesagt hatte. Er ist einfach ein Idiot. Und du hast den halben Abend hier alleine rumgesessen.« Er sah, dass sie traurig war und fragte vorsichtig:

»Möchtest du nach Hause?« Sie schüttelte ihren Kopf.

»Nein, Ethan, nein. Aber vielleicht können wir ja in die Lobby gehen und dort ein bisschen reden?« Er wunderte sich über Linda. Sie war eine komplett andere Person, als die, die er bis dahin kannte.

»Ja, gerne, das sollten wir machen.« Er stand auf und ging mit ihr zur Lobby. Die beiden stellten sich in einer Ecke der gemütlich eingerichteten Empfangshalle an einen Stehtisch. Linda erzählte leise von der verkorksten Beziehung mit ihrem Ex. Sie wurde immer sentimentaler. Ethan erzählte ihr von seiner Zeit in Europa, ohne zu viel zu verraten. Sie hörte ihm zu und wunderte sich, wie amüsant es war, mit Ethan die Zeit zu verbringen. Linda lachte und rückte immer näher an ihn heran. Er bemerkte das, empfand das aber nicht als bedrohlich, sondern sehr angenehm.

Emy, Mathis und Lucas hatten beschlossen, nach Hause zu fahren. Madison hatte sich einer Gruppe von anderen Freunden angeschlossen und wollte mit denen noch woanders hingehen.

»Wo sind Linda und Ethan?«, wollte Emy wissen.

»Ach, die sind sicher schon los. Oder Linda ist wieder mit ihrem Ex zusammen und Ethan ist alleine gegangen.« Bei dem Gedanken drehte es Emy fast den Magen um. Die Vorstellung, dass er, ohne sich zu verabschieden, mit dem Taxi oder dem Train nach Hause gefahren war, machte sie traurig. Nachdem sie sich alle noch einmal in dem sich langsam leerenden Ballsaal umgeschaut hatten, beschlossen sie, zu gehen. Sie stoppte so abrupt, als sie in die Lobby kam, dass sie fast über ihre eigenen Füße fiel. Sie starrte in die Ecke des Foyers. Ethan und Linda standen im Halbdunkel und hielten sich fest umschlungen in den Armen. Sie küssten sich. Emy schnappte nach Luft. Von wegen alleine mit dem Taxi. Mathis kam dazu.

»Yeeha, mach sie fertig. Alter! Der hat in Europa gelernt, wie man eine Schnecke umrührt.« Sie schaute ihren Bruder an, wusste aber ganz genau, dass sie nichts sagen durfte, was sie verraten würde. Lucas hatte sich auch zu den Geschwistern gestellt.

»He, der Deutsche und die Ballkönigin. Die treiben es gleich am ersten Abend.« Emy versuchte, so normal wie möglich zu klingen. Sie fragte die Jungs, ob vielleicht jemand das Liebespaar informieren könnte, dass es nach Hause geht. Mathis lief sofort los.

»He, ihr zwei Besessenen, wir rücken ab.« Linda und Ethan erschraken und gingen einen Schritt rückwärts.

»Ja, na ja, also wir kommen.« Die beiden gingen, ohne die anderen anzuschauen, auf die Straße. Als sie an Emy vorbeikamen, senkten sie ihre Köpfe und konnten nicht den Blick sehen, den Emy für sie aufgesetzt hatte. Sie fragte Lucas, ob sie als erstes zu Hause abgeliefert werden könnte.

»Mir ist etwas schlecht.« Als sie das sagte, schaute sie provozierend zu Ethan und Laura. Die beiden saßen weit auseinander auf dem breiten Sitz der Limousine und schauten aus dem Fenster. Nach einer flüchtigen Verabschiedung stieg Emy schnell aus dem Auto. Mathis grinste Ethan und Linda an.

»Knick Knack.« Dabei blinzelte er beiden zu und stieg auch aus. Lucas fragte, ob es ein Problem sei, wenn er als nächster aussteigen würde. Und beide murmelten, dass es ok sei. Jetzt waren sie alleine in dem großen Fond des Wagens.

»Ethan, es tut mir leid.« Linda hatte sich sofort zu ihm gedreht, als Lucas die Limousine verlassen hatte war. »Ich habe das so nicht geplant. Aber der Ärger mit meinem Ex und so. Und dann mit dir alleine in der Lobby. Es ist aber auf keinen Fall so, dass ich dich zu irgendetwas benutzen wollte. Du bist ein smarter Typ, du bist unterhaltsam und klug. Ich hatte das ja auch alles ein bischen gemacht, um Emy zu ärgern. Aber dass ich dich geküsst habe, so weit sollte das nicht gehen. Das ist passiert, weil es eben passiert ist. Ich finde dich ausgesprochen süß und nett. Wenn Emy nicht wäre, naja, du weißt schon. Danke, dass du mir den Abend gerettet hast.« Der Fahrer hatte die Tür geöffnet und Linda stieg aus. Als sie schon draußen war, drehte sie sich um und ging wieder in das Auto zurück. Sie beugte sich zu ihm, nahm seinen Kopf in ihre Hände und gab ihm einen sehr langen, intensiven Kuss. Danach stieg sie, ohne noch ein Wort zu sagen, aus. Ethan beschloss, bis morgen nicht über den Abend nachzudenken.

München-Manhattan-Emy-was dann

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