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Kapitel 5
ОглавлениеMathis und Ethan hatten die Mädchen vom Internat am Lincoln abgeholt und waren auf dem Weg zu Linda. Chloé wollte etwas über die Gastgeberin des Abends wissen. Sie fragte ihn, wie gut er sie kennt.
»Äh, naja, eigentlich nicht. Ich meine ich kenne sie aus der Schule. Und ich habe sie vor Kurzen aus Versehen geküsst.«
Alle schauten sich an und lachten nach einer kleinen Pause laut los. Chloé lehnte sich zu Ethan.
»Komm her, mein Klavierjunge. Ich will dich auch aus Versehen küssen. Aber die ganze Nacht.«
Linda wohnte am Riverside Drive. Das Taxi hielt genau vor dem Haus. Die vier fuhren mit dem Lift in die siebente Etage und stiegen aus dem Fahrstuhl. Alle Wände in dem Haus waren aus weißem Marmor. Ein fremder Junge öffnete die Tür. Die Party war schon im Gange. Linda begrüßte die vier und machte das sehr professionell. Ethan fragte Chloé, ob sie etwas trinken wolle.
»Ja, gerne. Einen Cocktail.«
»Ich hole dir einen.« Ethan machte sich auf die Suche nach der Bar oder der Stelle, wo es etwas zu trinken gab. Als erste lief ihm Linda über den Weg.
»He, Sweety. Schön, dass du da bist. Wo ist deine Freundin?«
»Ja, also sie, sie ist in dem großen Raum.«
»Ist sie wirklich eine richtige Französin?«
»Ja, schon. Sie kommt aus Nizza und lebt in Paris.«
»Na dann Olala.«
Linda kniff ihn leicht in seine Wange, lächelte ihn an und verschwand in der Menge. Er suchte weiter die Bar.
»Ethan.«
Er drehte sich zur Seite und sah Emy.
»Ah, hallo, Emy.«
»Bist du alleine hier?«, fragte sie, um eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen.
»Ja, also, nein, hier jetzt aber schon.«
Er wirkte unsicher.
»Mit wem bist du hier?«
»Also, mit Mathis und Mathilda und Chloé.«
»Chloé? Heißt deine Freundin so«
»Ja.«
Emy lehnte sich an die Wand und fragte mit ruhiger Stimme und immer in Ethans Gesicht schauend.
»Wo habt ihr euch kennengelernt? Du gehst ja nicht so oft aus.«
Ethan hatte mit allem gerechnet, aber nicht, dass Emy seit einer Ewigkeit wieder mit ihm mehr als einen Satz reden würde. Er hatte Glück. Lucas kam dazu und sagte, dass er Emy schon eine ganze Weile sucht. Ethan besorgte einen Cocktail und kämpfte sich wieder zu Chloé zurück.
»Gut, dass du zurück bist. Ich stehe hier nur ‘rum und kenne keinen.«
»Ich hier auch keinen.« Flüsterte Ethan seiner Freundin ins Ohr.
Chloé lachte.
»Du bist süß.«
Mathis kam mit Mathilda zurück.
»Das ist ja wie Silvester bei meinen Eltern. Ich finde das ganz schön langweilig hier. Können wir nicht wo anders hingehen?«
Er überlegte kurz.
»Naja, eigentlich könnten wir ja zu mir, also bei mir ist niemand zu Hause. Die sind alle in Denver.«
»Alter. Das sagst du erst jetzt? Da hätten wir uns doch die Nummer hier sparen können«.
Mathis erklärte die neue Situation den beiden Mädchen und schon waren alle in Aufbruchsstimmung. Sie gingen, ohne sich bei irgendjemandem zu verabschieden.
Emy hatte den ganzen Abend immer wieder nach Ethan oder ihrem Bruder Ausschau gehalten, ohne sie entdecken zu können. Emy hatte keine Freude an der Party und wollte langsam nach Hause gehen. Sie fragte Linda, ob sie ihren Bruder gesehen hätte.
»Meinst du deinen Bruder oder Ethan? Aber egal, die sind gleich, nachdem sie gekommen sind, wieder verschwunden. Das ist schon ein paar Stunden her.«
Emy wunderte sich etwas, suchte Lucas und bat ihn, sie nach Hause zu bringen. Sie ging in der Wohnung gleich in das Zimmer ihres Bruders, um ihn zu fragen, warum sie so schnell von der Party verschwunden waren. Als sie das dunkle Zimmer und das leere Bett sah, wunderte sie sich noch mehr und hatte eine böse Vorahnung.
Ethan hatte etwas zu trinken und zu essen kommen lassen und einen spaßigen Abend mit seinen Gästen gehabt. Mathis folgte ihm in die Küche, als Ethan Eis holte.
»Alter, ich muss heute Nacht hier schlafen. Mathilda hat mir gesagt, sie wäre soweit, wenn du weißt, was ich meine.«
»Ehrlich? Ich meine, warum nicht? Das Gästezimmer, wenn du willst.«
»Genau, so geht das. Das Gästezimmer.«
Mathis ging zu den Mädchen ins Wohnzimmer zurück. Als Ethan mit dem Eis kam, waren Mathis und Mathilda schon verschwunden. Chloé hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht. Sie klopfte mit einer Hand auf den Platz neben sich.
»Komm zu mir, Klavierjunge.«
Er gehorchte und setzte sich neben Chloé. Sie fing sofort an, ihn wild zu küssen und sein Hemd aufzuknöpfen. Sie setzte sich auf und schaute ihn an
»Ethan, ich möchte mit dir schlafen.«
»Ja, aber ich, also.«
Sie stand auf, nahm ihn an die Hand und zog ihn leicht zu sich. Auf dem Weg zu seinem Zimmer blieb sie immer wieder stehen und küsste ihn. Er überlegte, ob er ihr sagen sollte, dass er noch nie mit einem Mädchen Sex hatte. Aber wie sagt man so etwas in so einer Situation? Er entschied sich, nichts zu tun. Chloé hatte das Kommando eh übernommen. Sie fragte ihn, wo die Kondome sind. Ethan hatte welche im Schreibtisch. Die hatte er aus der Schule mitgebracht. Er lag im Bett und Chloé hatte sich über ihn gelegt. Sie stoppte nur noch einmal, um zu sagen.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Lass mich einfach machen und merke dir jede Sekunde, damit du dich immer daran erinnern kannst.«
Als Ethan wach wurde, standen Chloé und Mathilda bereits angezogen vor seinem Bett. Draußen war es noch dunkel. Chloé beugte sich zu ihm herunter und flüsterte in sein Ohr:
»Es war wunderschön mit dir. Wir müssen aber jetzt gehen. Wir dürfen nicht so lange wegbleiben. Schlaf weiter und träume von mir. Wir sehen uns am Dienstag.«
Sie gab ihm noch einen Kuss und ging leise aus der Wohnung. Er dachte über den Abend nach.
Emy saß in ihrem Zimmer. Der Montag war in der Schule immer ein langer Tag. Sie wollte noch etwas lesen und dann schlafen. Im Flur der Wohnung wurde es laut. Verschiedene Stimmen, die durcheinander sprachen. Manchmal brachten ihre Eltern noch Kollegen oder Klienten mit nach Hause. Aber so laut ging es dabei nie zu. Sie wollte wissen, was los war. Sie ging in den Fluor, sah aber nur, dass die Leute schon im Wohnzimmer waren. Ihre Mutter kam aus der Küche.
»Mum, was ist los?«
Mrs. Laurent sah angespannt aus.
»Die Franzosen werden uns den Krieg erklären und wieder in Amerika einfallen.«
»Häää?«
»Komm mit ins Wohnzimmer. Da kannst du heute etwas für dein Leben lernen.«
Emy verstand überhaupt nichts, folgte aber wortlos ihrer Mutter. Als sie das Wohnzimmer betrat, traute sie ihren Augen nicht. Ethan, Dr. Bishop, Mathis und ihr Vater waren da. Emy ging zu Dr. Bishop und begrüßte ihn.
»Was ist passiert?«
»Warte, Emy, die Vorstellung beginnt gleich.«
Mrs. Laurent schob sich einen der schweren Stühle in die Mitte, so dass sie alle gut sehen konnte.
»Dr. Bishop, es tut mir leid, dass wir sie quasi vom Flughafen weg hier hergerufen haben. Und es tut mir leid, dass wir uns so kennenlernen.«
Emy hatte sich an den Türrahmen gelehnt und ihre Arme verschränkt. Mrs. Laurent eröffnete die Aufführung.
»Die halbe New Yorker Polizei hat Samstagnacht nach zwei minderjährigen Mädchen gesucht, die als Austauschstudenten in New York sind. Die beiden hatten sich im Internat des Juilliard nicht abgemeldet und waren um neun nicht da, wo sie sein sollten. Um eins hat der Internatsleiter, den man mittlerweile von zu Hause geholt hatte, die Polizei alarmiert. Die haben dann die anderen Mitbewohner gefragt, ob sie etwas wüssten. Gegen fünf hat man sich entschlossen, die französische Botschaft zu informieren, da die zwei Mademoisellen aus Frankreich sind.«
Emy kniff die Augen zusammen und beobachtete vor allem Ethan.
»Eine der Mitbewohnerinnen sagte dann doch irgendwann, vielleicht sind sie mit dem Pianisten vom Ballettunterricht weg, da eines der Mädchen mit ihm befreundet sei.«
Ethan schaute die ganze Zeit auf den Boden. Mathis hörte seiner Mutter zu, als erfuhr er das, um was es in der Geschichte ging, zum ersten Mal.
»Mittlerweile hatte man die Steuernummer aus dem Büro und konnte feststellen, dass der Pianist Maximilian Laurent sei.«
Emy machte einen Schritt nach vorne.
»Dad?«
Alle schauten Dr. Laurent an. Der blieb aber ganz ruhig, da er den Ausgang der Geschichte kannte.
»Das war gute Polizeiarbeit. Was nicht passte, war, dass in der Arbeitsanmeldung Ethan Bishop stand.«
Dr. Bishop blickte erschrocken zu seinem Sohn.
»Ethan hat über sechs Wochen im Juilliard Klavier für den Ballettunterricht gespielt. Und wie mir heute alle im Juilliard bestätigt haben, hat er das brillant gemacht. Vielleicht sollten wir an der Stelle alle einmal klatschen. Da man aber als Sechzehnjähriger in New York nicht arbeiten darf, können wir auf das Klatschen verzichten. Sonntagmorgen waren dann auch die zwei verschollenen Französinnen wieder da. Die beiden sitzen in einem Flugzeug und sind auf dem Weg nach Frankreich.«
Ethan schaute das erste Mal hoch und sah, dass ihn Emy mit zusammengekniffenen Mund und Augen fixierte.
»Und nun, die Frage aller Fragen, wo waren die Mädchen die ganze Nacht?«
Mathis räusperte sich und fing an zu erzählen.
»Bei Ethan zu Hause. Ich bin dann mit Mathilda in das Gästezimmer gegangen und naja.«
Dr. Bishop drehte sich zu seinem Sohn um.
»Hattest du Sex mit dem Mädchen?«
Ethan zuckte zusammen.
»Also, es ist so, also ja, aber.«
Emy drehte sich um und rannte aus dem Zimmer. Ethan erschrak und bekam Angst. Er fing an, schneller zu atmen und schaute immer wieder zur Tür, durch die Emy gerade verschwunden war. Mathis sah das.
»Ethan hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Das war alles meine Idee.«
Ethan atmete immer noch schwer und kaute auf seinen Lippen. Mrs. Laurent fiel die Unruhe des Jungen auf. Sie ging zu ihm und legte ihre Hand auf seine Schulter.
»Ethan, geh zu Emy.«
Er stand auf und schaute zu seinem Vater. Als der ihm zunickte, verließ Ethan den Raum. Er klopfte an, ging aber, ohne zu warten, in Emys Zimmer. Sie lag mit dem Gesicht nach unten in ihrem Bett und weinte. Als sie ihn bemerkte, setzte sie sich in die Ecke des Bettes, zog ihre Beine an und umklammerte sie mit beiden Armen. Er ging langsam auf sie zu.
»Fass mich ja nicht an. Du bist doch wirklich ein Arschloch. Wenn mir jemand erzählt hätte, was du für einer bist, den hätte ich für verrückt erklärt. Warum hast du das gemacht, Ethan? War es die große Liebe zwischen Chloé und dir? Wie lange wart ihr zusammen? Drei Wochen oder vier?«
Er stand nur da und schaute sie an.
»Also, so war das gar nicht.«
»Ach, wie war es denn dann? Du hast mit ihr geschlafen? Du kanntest sie doch kaum. So etwas machst du nach drei Wochen mit einem Mädchen, welches du kaum kennst?«
»Also, ich, also. Ich war froh, jemanden zu haben. Ich war froh, nicht jeden Abend in der Wohnung zu sitzen und auf den nächsten Tag zu warten. Du hast nicht mehr mit mir gesprochen. Dann war das mit Linda. Ich habe gedacht, du glaubst, ich bin schuld und Linda wollte auch nichts mehr mit mir zu tun haben. Und dann war ich im Juilliard.«
Ihr war ihre Wut anzusehen.
»Im Juilliard? Glaubst du, die lassen dich noch einmal in deinem Leben da vorspielen? Weißt du, was du angerichtet hast? Ist dir das alles so egal?«
Ethan stand immer noch vor dem Bett. Er hob seine Hände wie ein Prediger und wurde laut.
»Ja, ist es mir. Mir ist das Juilliard egal. Mir ist die Schule egal. Mir ist die Stadt egal. Mir ist alles egal. Ich muss weg, bloß weg hier. Es gibt nichts, was mich in dieser verdammten Stadt hält. Ich gehöre hier nicht her. Ich will einfach nur nach Hause. Nach München.«
Sie schüttelte ihren Kopf.
»Ethan, du bist hier geboren. Du bist hier auch aufgewachsen. Deine Familie ist hier. Du hast doch schon Leute kennengelernt. Gib dir doch etwas Zeit.«
»Nein, ich, ich brauche keine Zeit. Ich will weg hier, verstehst du das? Einfach nur weg. Ich wache jeden Tag auf und hoffe, dass er schnell vorbeigeht. Ich halte das hier nicht aus. Und das mit dem Juilliard ist auch wieder vorbei und Chloé ist auch weg. Sie konnte mich verstehen. Jetzt bin ich wieder alleine. Verstehst du nicht, dass ich hier nicht sein kann? Mein Leben ist seit einem halben Jahr wie ein Horrorfilm. Mir ist das hier alles zu viel.«
Sie ließ langsam ihre Beine los. Emy setzte sich auf die Kante ihres Bettes. Sie sah ihn an, der immer unruhiger wurde.
»Ich werde verrückt. Ich will nur weg. Weg aus dieser fucking Stadt, aus dem Land. Ich hasse alles hier und ich bin gar kein richtiger Mensch mehr. Meine Mum fehlt mir. Ich habe keinen mehr, mit dem ich über alles reden kann. Ich bin alleine. In München hatte ich Freunde und ein schönes Leben. Hier ist die Hölle.«
Emy rückte langsam näher zu ihm.
»Ethan, bin ich dir egal?«
»Nein, also, nein, du bist, nein bist du nicht. Aber du bist ja nicht da. Also, ich meine, ich dachte, aber du hast ja deinen Freund und das verstehe ich.«
Emy sah, dass er immer nervöser wurde. Er schrie so laut, dass seine Halsschlagader anschwoll. Ihm liefen Tränen über sein Gesicht. Er beugte sich nach vorne.
»Ich will doch bloß wieder nach Hause. Ich will einfach nur wieder nach Hause. Ich will weg aus dieser Scheißstadt. Ich hasse alles hier. Ich...«
Emy griff nach seiner Hand.
»Ethan, beruhige dich bitte. Jetzt bin ich da.«
»Ja. Aber morgen bin ich wieder alleine. Ich will nicht mehr hier sein, ich will wieder nach München. Aber ich würde jetzt gerne in unsere Wohnung gehen.«
Ihr liefen Tränen über ihr Gesicht. Sie erschrak, wie sehr sie dieser Anblick bewegte.
»Ethan, es tut mir so weh, wenn ich dich so sehe. Ich will nicht, dass du so leiden musst. Ich hatte dir doch gesagt, gib mir Zeit. Du musst mir vertrauen. Ich werde für dich da sein. Ethan, ich werde nur für dich da sein. Das verspreche ich dir. Hab keine Angst, ich werde für dich da sein.«
»Ja Emy, ich, ich, also, ich weiß nicht, was ich, darf ich jetzt bitte gehen?«
»Natürlich kannst du gehen. Wer soll dich denn aufhalten? Setz dich hier hin und ich werde nachschauen, wie weit die anderen sind.«
Emy ging ins Wohnzimmer.
»Ist alles OK, Emy?«
Dr. Laurent war aufgestanden.
»Ja alles OK. Ich bringe Ethan nach Hause.«
»Aber Emy.«
Sie unterbrach ihren Vater, holte tief Luft und wiederholte ganz langsam.
»Ich bringe jetzt Ethan nach Hause.«
Sie drehte sich um und alle schauten sich im Wohnzimmer an.
»Komm, wir gehen.«
Sie zog ihn aus ihrem dem Zimmer. Mathis stand im Flur.
»Soll ich mitgehen?«
Sie legte ihren Kopf zur Seite.
»Geh du mir aus dem Weg. Wenn ich zurück bin, können wir uns gerne unterhalten.«
Zu Fuß war es eine Viertelstunde bis zu Ethan nach Hause, wenn man langsam ging. Der obere Broadway war um die Zeit schon leer. Sie hatte Ethans Hand nicht losgelassen.
»Weißt du, ich frage mich immer, warum ich so an dir kleben geblieben bin.«
Er verstand nicht, was Emy damit sagen wollte. Er wusste auch nicht, ob es eine Frage war und ob er sie beantworten muss.
»Ich sehe das so, Ethan: Ich werde mit Lucas Schluss machen. Bis gestern dachte ich, das muss ich machen, weil ich mit dir zusammen sein will. Heute weiß ich nicht, ob ich mit dir zusammen sein kann.«
Er schaute immer wieder zu ihr, während sie geradeaus blickte und weitersprach.
»Aber ich werde trotzdem mit Lucas Schluss machen, weil ich für ihn nichts mehr empfinde. Er ist eher ein Bruder oder Freund. Du hättest nie mein Freund im Sinne von Freund sein können. Von dir hätte ich dann immer mehr gewollt und wenn es mit dir nicht mehr als Freundschaft gewesen wäre, dann wäre ich unzufrieden. Ich habe das die ganze Zeit vermutet. Aber als ihr bei Lindas Party so schnell wieder weg wart, habe ich es gewusst. Ich habe die ganze Zeit nachgedacht, wo du mit ihr bist. Als ich dann das leere Zimmer meines Bruders sah, ging es mir schlecht. Und da war mir klar, was ich will. Wenn ich mit Lucas Schluss gemacht habe, würde ich gerne mit dir viel Zeit verbringen. Aber nachdem, was geschehen ist, müssen wir alles ganz langsam angehen. Ethan, du musst mir die Zeit geben. Ich muss in meinem Kopf Ordnung schaffen, damit ich dir mein Herz wieder öffnen kann.«
Sie blieb stehen und stellte sich vor Ethan.
»Versprich mir bitte, dass du nie wieder wichtige Entscheidungen triffst, weil du verzweifelt bist, oder Angst vor etwas hast, ohne mit jemandem darüber zu reden. Du bist nicht mehr allein in New York. Du hast mich. Ich bin für dich da und ich würde mir gerne alle deine Probleme anhören. Ich verspreche dir, dass ich für dich da sein werde. Hab keine Angst mehr.«
Sie streichelte seine Wange und schaute in seine Augen.
»Vertraue mir, Ethan. Ich bin für dich da. Wenn du Sorgen hast, hast du jemanden, der dir zuhört. Und ganz wichtig, es darf nicht mein Bruder sein.«
Jetzt lächelten beide das erste Mal an diesem Abend. Sie standen vor dem Haus der Bishops. Emy hielt ein Taxi an und öffnete die Tür. Er griff nach ihrer Hand und sie drehte sich zu ihm um.
»Also Emy, ich, also ich verspreche es dir.«
Emy lies die offene Taxitür los und drückte ihn. Sie schaute ihn an und gab ihm einen Kuss auf seinen Mund.
»Gute Nacht, Ethan.«
Er schaute sie an, kaute auf seiner Unterlippe und nickte kaum sichtbar. Sie stieg in das Taxi und winkte ihm beim Wegfahren.
Dr. Bishop hatte die Wohnung der Laurents schon verlassen, als Emy zurückkehrte. Sie ging genauso schwungvoll in das Wohnzimmer, wie sie es vor einer Stunde verlassen hatte. Dr. Laurent, Mathis und Mrs. Laurent waren noch am Diskutieren, als Emy wie ein Hurrikan in das Zimmer einfiel. Emy ging ohne Vorwarnung auf ihren Bruder los.
»Du dämlicher Gehirnloser. Nur weil du mit der Tanzpuppe Sex haben wolltest, hast du Ethan zu der ganzen Scheiße angestiftet. Ich hoffe, es hat sich gelohnt für dich, du mieser Scheißkerl.«
»Emy, bitte.«
Mrs. Laurent war aufgestanden und zu ihrer Tochter gegangen. Mathis schaute betroffen aus dem großen Fenster. Er drehte sich zu seiner Schwester.
»Emy, es war nicht so geplant. Dass die Mädchen in der Nacht, naja, das war nicht unser Plan. Sie wollten von der Party weg. Und das mit dem Juilliard hat ihm richtig Spaß gemacht. Er war auf einmal viel fröhlicher. Wir hätten damit auch schon aufhören können. Die Fotos hatte ich schon.«
Sie schaute ihren Bruder an, als wolle sie ihm die Haare anbrennen. Dr. Laurent stand auf.
»Es ist nicht schön, was die beiden angestellt haben. Aber es ist auch kein Kapitalverbrechen. Wir werden morgen weitersprechen. Für heute reicht es. Ich gehe ins Bett. »Für dich, Mathis, wird es auch besser sein, wenn du in dein Zimmer gehst. Kommst du, Mary?«
»Ja, gleich, Schatz.«
Mathis schlich sich aus dem Raum, ohne sich zu verabschieden. Dr. Laurent strich seiner Tochter beim Vorbeigehen über den Kopf. Mrs. Laurent schob ihre Tochter zur Couch.
»Na, Emy, soll ich Lucía wecken und sie eine große Eisbombe machen lassen?«
Emy lächelte.
»Emy, dein Bruder hat das sicher nicht gemacht, um Ethan zu schaden. Du hast doch in den letzten Wochen gesehen, wie die beiden miteinander umgegangen sind. Er mag ihn. Er ist sein Freund.«
»Sein Freund?«
Emy wollte wieder laut werden.
»Emy, von dem ganzen Theater mal abgesehen, hat es doch ein Gutes. Er hat einen Freund kennengelernt und zumindest für ein paar Wochen so etwas wie Ablenkung gehabt.«
Sie schaute ihre Mutter an, als ob sie an ihrem Verstand zweifelte.
»Mum, Lucas hat doch gewusst, dass Ethan zurückhaltend und introvertiert ist. Der wäre doch nie auf die Idee gekommen, so einen Scheiß durchzuführen.«
»Ja, aber scheinbar hat es ihm Spaß gemacht. Mathis hat doch nicht jeden Tag mit einer Kanone auf ihn gewartet und ihn gezwungen, zum Juilliard zu gehen.«
»Aber das mit den Mädchen wäre...«
Mrs. Laurent schüttelte heftig mit dem Kopf.
»Nein, Emy, nein. Das hat mit der Geschichte eigentlich gar nichts zu tun. Das Mädchen hat ihn angesprochen. Das was dann passiert ist, hat mit der Episode Juilliard nichts zu tun.«
Emy sah auf dem Tisch einen Zettel liegen. Les petits rats de l'Opéra de Paris.
»Was ist das ?«
Sie nahm ihn in die Hand.
»Das hat die Bekannte von Mathis geschrieben. Das Französisch deines französischen Vaters ist zu schlecht, um uns zu erklären, was das bedeutet.«
Emy stand auf und lief in den Flur. Als sie zurückkam, sprach sie schon mit der Mutter ihres Vaters.
»Nein, Grandma, alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen. Ich muss für die Schule einen wichtigen Aufsatz schreiben. Was bedeutet les Petits Rats de l’Opéra?«
Emy hörte ihrer Großmutter zu, entschuldigte sich für die späte Störung und legte auf.
»Es sind die kleinen Ratten der Pariser Oper. Der Nachwuchs der Französischen Oper. So werden die seit Jahrhunderten genannt. Sie sind die Elite des französischen Balletts, vielleicht sogar der ganzen Welt. Sie leben in Paris in einem Internat und das von frühester Kindheit an. Sie ließ den Hörer in den Sessel fallen.
»Und dann kommen sie nach New York und treiben es mit unseren Jungs.«
Emys Mutter erschrak über ihre Tochter, war aber gleichzeitig amüsiert.
»Emy, dass er mit ihr geschlafen hat, bedeutet noch lange nicht, dass er sie liebt.«
In dem Augenblick trafen Mrs. Laurent die Blicke ihrer Tochter, die mehr Energie hatten, als man zum Backen eines Kuchens benötigt.
»Was? Du bist getroffen. Der Junge, den du magst, hatte Sex mit einer anderen. Das ist eine Katastrophe für dich. Zu Recht. Aber als du ihn vorhin beschützen wolltest, hätte ich keinem geraten, sich dir in den Weg zu stellen. Jedes andere Mädchen hätte ihn den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Du wolltest nur auf ihn aufpassen. Aber einen Vorwurf kannst du ihm nicht machen. Er wusste doch nicht, wie du für ihn empfindest. Er hat gesehen, dass du mit Lucas weitergemacht hast, als wäre nichts geschehen. Und sie war da, sie hatte wahrscheinlich auch Heimweh, sie war auch fremd in der Stadt und sie sprach auch komisches Englisch.«
»Mum, das ist nicht lustig.«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Sorry. Aber er hat dich ja nicht betrogen. Du warst nicht mit ihm zusammen.«
Emy schaute an die Decke und versuchte, nicht zu weinen.
»Mum, ich werde mit Lucas Schluss machen und ich werde mit Ethan zusammen sein.«
Mrs. Laurent blickte ihre Tochter an.
»Na los, sag was, Mum.«
»Ich verbiete dir, zu ihm nach Hause zu gehen, wenn er alleine ist.«
Emy zeigte ihr Missfallen mit einer dafür typischen Mine.
»Mum, ich werde das mit ihm ganz langsam angehen. Ich werde mich mit ihm treffen, Dinge unternehmen und sehen, wie sich das entwickelt. Aber mit Lucas wird das nichts mehr. Ich empfinde nichts für ihn. Und mit Ethan ist das völlig anders. Wenn ich ihn sehe oder höre, dann bin ich… dann ist es…«
»Langsam, Emy, langsam. Er will nicht hier in New York sein. Sein Vater hat uns erzählt, dass er nicht glücklich ist. Er möchte gerne wieder nach Deutschland.«
»Ja, ich weiß. Aber er ist unglücklich, weil er sich nicht wohlfühlt. Er kennt kaum jemanden, will auch keinen kennenlernen. Aber er mag mich. Das hat er mir gesagt und ich spüre das.«
»Über eins musst du dir aber im Klaren sein. Er ist mit Sicherheit ein ganz besonderer Mensch. Er hat eine Begabung, die nicht viele Menschen so ausgeprägt haben. Aber er ist auch sehr speziell. Und durch alles, was ihm in letzter Zeit geschehen ist, ist seine Situation schwer und er ist sehr sensibel. Sein Dad hat uns von der Bindung zu seiner Mutter erzählt. Sie hat Ethan vom ersten Tag seines Lebens verstanden. Sie hat immer gespürt, was in dem Jungen vorging. Sein Vater sagt, Ethan ist der liebenswerteste Mensch, wenn man zu ihm durchdringen kann. Seine Mutter war sein Bindeglied zur Außenwelt.«
Emy zog eine verächtliche Grimasse.
»Willst du mir sagen, dass etwas mit ihm nicht stimmt?«
»Nein, nein, Emy. Überhaupt nicht«, unterbrach Mrs. Laurent ihre Tochter.
»Bei extrem intelligenten Menschen oder Menschen mit einer besonderen Begabung sind die Verhaltensweisen oft anders als bei durchschnittlichen Menschen. Du musst dir das bei ihm so vorstellen: Wenn ein begabtes Kind Klavierspielen lernt und jeden Tag drei Stunden oder mehr übt, dann kann es, wenn alles gut läuft, eines Tages einen Level erreichen der sehr hoch ist und an dem aber auch das Ende des Möglichen erreicht ist. Ethan braucht, um diesen Moment zu erreichen, keine besonderen Anstrengungen zu unternehmen. Ab dem Punkt muss er beginnen zu lernen. Er kann es einfach. Klar, sein Talent musste entdeckt und gefördert werden. Aber an dem Punkt, wo für normal begabte Menschen der Zenit erreicht ist, beginnt für ihn erst die Herausforderung.«
Emy schaute ihre Mutter fragend an.
»Also ist mein Ethan ein Wunderkind?«
»Zum einen ist er nicht dein Ethan und zum anderen hat er eine große Begabung. Solche Menschen sind aber etwas anders als andere. Man hat das auch bei den Schachweltmeistern immer wieder gesehen. Die konnten gegen zwanzig Leute gleichzeitig spielen und gewinnen, aber kein Glas Erdnussbutter alleine aufschrauben. Bei Eiskunstläufern soll das, glaube ich, auch so sein.«
»Mum!«
Emy atmete fast schon stöhnend aus. »Was genau wolltest du mir sagen?«
»Du sollst, was Ethan angeht, Geduld haben. Und du wirst viel Einfühlungsvermögen aufbringen müssen. Aber ich habe, was den Jungen angeht, ein gutes Gefühl. Er ist ein lieber Mensch, so etwas spüre ich. Ob er für dich gut sein wird, könnt nur er und du rausfinden. Ich werde jetzt deinen Vater wieder aufwecken und ihm von den Ratten der Oper berichten, dass es die wichtigsten Ratten aller Opern auf der ganzen Welt sind. Dann ist er stolz, weil er auch ein Franzose ist. Wann willst du mit Lucas reden?«
Emy schaute auf die Uhr.
»Heute.«
»Sei behutsam mit ihm. Er ist auch ein lieber Junge. Und dass er aus Texas ist, dafür kann er ja nichts.«
Emy deutete einen Schlag in Richtung ihrer Mutter an und lachte dabei.