Читать книгу München-Manhattan-Emy-was dann - Louis Franzky - Страница 5
Kapitel 4
ОглавлениеEmy stürmte in die Wohnung. Ihre Eltern saßen im Wohnzimmer und hörten, dass ihre Kinder zurück waren. Emy rief laut im Floor :
»Ich gehe ins Bett.« Mathis schaute kurz zu seinen Eltern, um ihnen mitzuteilen, dass er auch schlafen geht. Mrs. Laurent wollte fragen, wie der Abend war. Aber Mathis verschwand schnell in sein Zimmer . Plötzlich tauchte Emy auf. Sie setzte sich zwischen ihre Eltern auf die Couch.
»Na, Tochter, bist du die Ballkönigin?« Mrs. Laurent schaute Emy an.
»Ich mache mir Sorge wegen des Blödies, weil sie ihn alleine am Tisch sitzen lässt und er fällt in der Lobby über sie her.« Mrs. Laurent war hellwach und stupste ihren Mann an.
»So, Schatz, ich habe dir doch gleich gesagt, wir verkleiden uns und gehen heimlich auch zu diesem Ball. Aber nein, du wolltest ja nicht auf mich hören. Ich wusste es. Auf High-School-Bällen geht die Post ab.« Dr. Laurent stand auf und sagte zu seiner Frau:
»Schatz, das einzige, was heute abgeht, bin ich. Und zwar in mein Bett.« Er küsste seine Frau und seine Tochter auf den Kopf und verließ das Zimmer. Mrs. Laurent streckte beide Arme nach ihm aus.
»Schatz, warte, es gibt sicher noch eine Menge Eis heute Nacht.« Emy blickte zu ihre Mutter.
»Mum, manchmal glaube ich, du bist die Mutter von Mathis aber nicht meine.« Emy berichtete ausführlich von dem Abend. Als sie damit fertig war, sah sie zu ihrer Mutter . »Und?« Mrs. Laurent zuckte nur mit den Achseln. »Sag schon.«
»Emy, was soll ich sagen? Junge geht mit Mädchen zum Ball. Ex kommt. Ex ist weg. Junge und Mädchen küssen sich. Happy End. Abspann und der Film ist zu Ende.« Emy schaute ihre Mutter wie einen Zuckerwatteverkäufer an, der gerade der wartenden Kindermeute mitteilte, dass ihm der Zucker ausgegangen sei.
»Mum, sie wusste doch ganz genau, dass Ethan…«
»Dass Ethan was?« Mrs. Laurent unterbrach ihre Tochter.
»Du bist mit Lucas beim Ball gewesen. Linda war mit ihm dort. Da haben sich doch die Richtigen geküsst. Emy, ich fand Don Johnson auch großartig in den Achtzigern und war etwas verliebt in ihn. Und trotzdem hat er mit anderen Frauen rumgemacht. Warum? Weil er mich nicht kannte und ich ihm nicht gestanden hatte, dass ich mit ihm zusammen sein wollte. Das hätte deinem Dad, glaube ich, auch nicht gefallen.«
»Mum, was erzählst du da für einen Mist? Linda hat das doch nur gemacht, um mich zu ärgern.«
»Konnte dich Linda sehen, als sie sich mit ihm geküsst hat? Hat sie sich mit ihm so aufgebaut, dass du sie sehen konntest? Wenn nicht, hat sie das getan, weil es ihr Spaß gemacht hat und nicht, um dich zu ärgern. Emy, ich habe es dir schon einmal gesagt. Er ist ein hübscher Junge. Und wenn er nicht so einen schweren Schicksalsschlag erlitten hätte, wer weiß, was er für ein Casanova wäre.«
»Nein, wäre er nicht. Ich gehe schlafen.« Sie stand auf und lief zur Tür.
»Und was ist mit unserem Ethan-Traditions-Nacht-Eis-Essen?«
»Nein, danke, Mum, ich gehe schlafen.«
Ethan hasste die Montage in seinem Leben. Wenn es noch dunkel war und regnete, konnte man es aus seiner Sicht ertragen. Aber heute schien die Sonne und es war kalt. In der Schule nervte das durch alle Ritzen einfallende Sonnenlicht. Er stand an seinen Spind und versuchte das alte Schloss, das immer hakte, zu öffnen. Er hatte seine Tasche, die er sonst quer über die Schulter trug, schon abgenommen und sie sich zwischen die Beine geklemmt. So wie er dastand, sah er etwas kurios aus. Natürlich kam in diesem Moment Emy vorbei.
»Emy, kann ich kurz mit dir reden?« Sie schaute ihn von der Seite an.
»Was willst du, Sweety?« Er hatte das Schloss sein lassen und war zu ihr hingegangen. Als er gerade beginnen wollte, ihr etwas zu erzählen, lief sie los. Er ging neben ihr her und drehte sich seitlich zu ihr. Sie lief extra schnell, um ihn das Verfolgen in seiner Laufposition schwer zu machen.
»Emy, also, ich wollte, ich meine, wegen Samstag. Das war, also nicht so.« Sie kamen an einem Vorbereitungsraum vorbei. Sie riss die Tür auf, schnappte ihn an seiner Jacke und zog ihn mit einer schwungvollen Bewegung in den Raum. Er erschrak und schaute sie mit großen Augen an. »Willst du mich schlagen?« Emy dachte nach, ob er die Frage ernst meinte.
»Warum soll ich dich schlagen? Ich werde doch nicht den Lover meiner besten Freundin verprügeln. Oder hätte ich einen Grund dazu?«
»Nein, natürlich nicht. Ich kann dir auch…« Emy ließ ihn nicht aussprechen.
»Ethan, ich hatte dir gesagt, dass ich dich mag, sehr sogar, aber ich noch nicht genau weiß, wie ich mich wegen Lucas verhalten soll. Ich kann doch auch nichts dafür, dass du mitten in der Heiligen Nacht Schlittschuh laufen musstest. Lucas ist mein Freund und ich kann ihn doch nicht wie eine alte Fischdose wegwerfen. Ich habe geglaubt, dass du mich verstanden hast. Ich weiß, dass du mich auch magst und es nicht schön für dich ist, mich mit Lucas zu sehen. Aber das wusstest du.«
»Emy, ich wollte, ich meine, ich, das mit Linda ist so nicht.«
»Als du bei mir zu Hause warst, hätten wir uns doch auch beinahe geküsst. Eine Woche später leckst du Linda ab. Mich würde es nicht wundern, wenn nächste Woche Madison dran wäre.«
»Nein, nein, ich, also so bin ich nicht. Ich bin nicht jemand, der, ich meine, ich kann mich nicht jede Woche umfühlen.« Emy lächelte und dachte, er ist schon ein verdammtes, kleines, süßes Arschloch. Sie blieb aber hart.
»Egal, Ethan. Ich bin ganz froh, noch nicht die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Ich muss zum Unterricht. Wir sehen uns.«
»Emy, warte.« Aber sie war schon weg. Er stand noch eine Weile in dem Raum. »Scheiße.«
Ethan war komplett bedient. In den ersten drei Stunden des Unterrichtes starrte er nur Löcher in die Wand. In der Pause lief ihm wieder Emy über den Weg. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie an ihm vorbei. Linda war hinter ihm und hielt ihn fest.
»Ethan, das vom Samstag tut mir leid. Der Kuss war sehr romantisch. Ich weiß, dass zwischen dir und Emy etwas läuft. Was, weiß ich nicht, will es auch gar nicht wissen. Wenn das nicht so wäre, würde ich dich gerne besser kennenlernen. Du weißt schon, was ich meine. Ich werde mit ihr reden. Also mach dir keine Gedanken. Übrigens bist du ein netter Typ. Ich mag dich, Ethan.« Sie nickte ihm zustimmend zu und ging weiter.
Beim Essen, in der Pause, setzte sich Mathis wieder zu ihm.
»Alter, meine Schwester ist ja richtig auf Krawall. Die hat sich vorhin mit Linda angeblögt, da bin ich besser gleich in Deckung gegangen. Hast du über das Ballett nachgedacht?«
Er hatte nicht nachgedacht, sagte aber, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern:
»Ja, von mir aus können wir das machen.«
Mathis schaute ihn verwundert an.
»Jaa! Das ist perfekt. Ich überlege mir, wie wir dich da am coolsten einschmuggeln.« Er aß weiter.
»Dann sag mir Bescheid, wann und wie es abgeht.«
Nachdem Emy ihren Kalten Krieg mit Ethan weiter fortsetzte, hatte der seine letzten Skrupel abgelegt, an der Aktion ihres Bruders teilzunehmen. Mathis und Ethan trafen sich am Freitag vor dem Lincoln Center auf der Plaza. Mathis sagte ihm, der Freitagnachmittag wäre der beste Zeitpunkt für den Start ihres Unternehmens. Er erklärte Ethan seinen Plan, wie er ihn zum Pianisten der Ballettschule im Juilliard machen würde. Er selber glaubte, dass beide in spätestens einer halben Stunde von der Security aus dem Lincoln Center rausgeschmissen würden. Es ging los. Ethan klopfte bei der Schulverwaltung an die Tür und hoffte eigentlich, dass keiner »herein« rufen würde. Und schon rief jemand »herein«. Er drückte die Klinke nach unten und ging in den Raum.
»Hallo, ich, also ich habe gelesen, sie suchen Pianisten für den Ballettunterricht.«
Eine rundliche, mit Tendenz zur dicken Frau saß hinter einem Stapel Akten und schaute ihn teilnahmslos an. Sie stellte eine Flasche, aus der sie gerade getrunken hatte, ab und musterte Ethan.
»Wie alt bist du?«
»Ich, ja, also ich bin siebzehn.«
»Siebzehn? Du siehst aus wie vierzehn.«
Er war fest davon überzeugt, dass der Plan hier schon gescheitert war. Er wollte schon die Flucht ergreifen.
»Hier ist ein Formular. Das füllst du aus und lässt es von Professor Marx unterschreiben, wenn du bei ihr vorgespielt hast. Wenn du dich beeilst, triffst du sie noch im Ballettsaal an. Damit kommst du dann wieder hierher und gibst es bei mir ab. Ich erarbeite dann mit dir einen Einsatzplan. Das ist alles. Du kannst los.«
Ethan verließ verstört das Sekretariat. Er fragte sich zum Ballettsaal durch und ging hinein. Eine etwa vierzigjährige Frau stand in der Mitte einer Gruppe, die von jungen Mädchen und ein paar Jungs gebildet wurde. Er wurde noch nervöser als er schon war.
»Guten Tag. Ich suche, also ich soll, ich soll mich bei Frau Professor Marx melden.«
Alle im Raum drehten sich zu ihm um.
»Bist du ein Schüler?«
Die Professorin kam ihm mit einem musternden Blick entgegen.
»Nein, ich bin, ich wollte mich als Pianist für den Unterricht bewerben.«
»Als Pianist? Wie alt bist du?«
Sie schaute ihn argwöhnisch an.
»Ich, ich bin siebzehn.«
»Du siehst aber verdammt jung aus. Na gut, ist egal. Du hast eine abgeschlossene Ausbildung? Quatsch, das kann ja nicht sein. Referenzen hast du bestimmt? Obwohl, am besten du spielst einfach vor. Hast du Noten dabei?« Sie sah, dass er nur einen Zettel in der Hand hielt. »Wann könntest du den vorspielen?«
»Also ich könnte, wenn sie wollen, jetzt. Was soll ich spielen?«
Frau Professor schaute ihn verwundert an.
»Ohne Noten?«
»Naja, also Noten wären schon besser, aber vielleicht kann ich die Stücke auch so.«
Sie staunte.
»Na dann, geh an den Flügel und spiel ein, zwei Stücke. Tschaikowski wäre sehr hilfreich.«
»Tschaikowski, ja und was soll ich von ihm spielen?«
Frau Marx ging zu ihm an den Flügel.
»Was könntest du denn spielen?«
»Die bekannten Stücke fast alle.«
Sie lehnte sich auf den Flügel und wurde immer neugieriger.
»Ja, vielleicht etwas aus Dornröschen, Schwanensee oder Nussknacker.«
»Gut, in der Reihenfolge?«
Sie nickte ihm zu. Er begann zu spielen und die Schüler kamen auch zum Klavier. Mitten im dritten Stück hob die Professorin den Arm. Ethan hörte auf.
»Gut, wenn du am Montag noch einmal spielen könntest, dann wären noch zwei Professoren da und die müssen ihr Ok geben. Was ich gehört habe, war aber sehr überzeugend. Normalerweise wird diese Stelle ausgeschrieben. Da wir aber für diese Stelle niemanden fest anstellen, finden wir so schnell keinen, der unseren Ansprüchen gerecht wird. Wann kannst du anfangen? Ach, und noch etwas. Du bist aber kein Student an dieser Schule? Die dürfen hier nämlich nicht spielen?«
»Nein, also, nein bin ich nicht. Ich könnte am Montag beginnen.«
»Wo ist der Zettel des Sekretariats? Du gehst gleich noch einmal dahin, gibst ihn ab, Damit du am Montag eventuell gleich anfangen kannst. Du würdest dann vier bis sechs Stunden in der Woche spielen. Wäre das Ok für dich? Wie heißt du?«
»Ich? Also, das wäre ok. Ich heiße Ethan Bishop.«
Sie unterschrieb den Antrag und schaute Ethan hinterher, als er aus dem Saal ging. Verdammt, Mist. Er ärgerte sich, weil er seinen richtigen Namen angegeben hatte. Im Sekretariat ging alles recht schnell. Wahrscheinlich wollte die Dicke Feierabend machen. Bei der Frage nach der Versicherungsnummer gab er die von Dr. Laurent an, die ihm Mathis aufgeschrieben hatte. Die Kontonummer hatten sie erfunden. Er wünschte der Dicken ein schönes Wochenende und verließ fluchtartig das Lincoln Center. Auf der Plaza wartete Mathis auf ihn.
»Alter, ich dachte schon, die hätten dich verhaftet. Und, was ist?«
»Ich bin der neue Nachmittags-Pianist des Juilliard Ballett-Konservatoriums.«
Mathis fiel ihm um den Hals und hob ihn hoch.
»Alter, ich könnte dich küssen.«
Ethan forderte Mathis auf, ihn wieder loszulassen und ihn auf gar keinem Fall zu küssen.
Dr. Laurent saß im Wohnzimmer. Ethan wollte gerade fernsehen, entdeckte seinen Vater als er das Wohnzimmer betrat und drehte wieder um.
»Ethan, was ist? Komm doch rein.«
Er kehrte wieder in das Zimmer zurück und setzte sich auf den großen, alten Sessel, der schon so lange er denken konnte in der Ecke stand.
»Was gibt es Neues bei dir?«
Dr. Bishop legte die Zeitschrift auf den Tisch und widmete sich ganz seinem Sohn.
»Naja, die Einladung aus München, du weißt, von der Musikschule. Ich werde dahin fahren.«
Dr. Bishop setzte sich aufrecht hin.
»Hoppla, mein Sohn. Du wirst dahin fahren? Da habe ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden. Wie stellst du dir das vor? Und vor allem, was soll das, warum willst du in Deutschland bei einer Schule vorspielen, wo du in New York wohnst?«
»Das ist doch egal. Wenn ich in Kalifornien studieren würde, wäre ich genausoweit von hier weg. Und ich würde gerne alle Optionen probieren, ehe ich mich festlege, wo ich studieren möchte.«
Dr. Bishop war anzusehen, dass er mit diesem Vorhaben seines Sohnes richtig Bauchschmerzen bekam.
»Ethan, erst mal bist du Amerikaner. Wenn du in Kalifornien studieren willst, ist das immer noch dein Heimatland. Und ich glaube, es geht dir doch gar nicht so sehr um die Schule. Dir geht es doch eher um München.«
»Naja, also, ich denke, selbst wenn es so wäre, ist das doch egal.«
»Egal? Du sagst mir, dass du lieber in München leben willst. Was soll da egal sein? Du stellst dir das alles ein bisschen zu einfach vor. Aber so einfach ist das nicht und ich werde dir das auch nicht so einfach machen. Deine Mum wollte, dass ihr...«
Ethan ließ seinen Vater nicht ausreden.
»Mum ist aber nicht mehr da. Und ohne sie weiß ich eh nicht, was ich hier soll. Mein Zuhause ist nicht hier.«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt«. Dr. Bishop wurde immer lauter. »Deine Schwester ist hier. Und sie braucht dich genauso wie ich. Nur weil es dir schwerfällt, dich hier einzuleben, willst du den für dich bequemeren Weg gehen und alles hinschmeißen. Deine Schwester kann aber nicht einfach nach München zurück. Und wenn du das tust, was meinst du, was in ihr dann vorgeht? Sie fühlt sich doch dann zurückgesetzt.«
»Na, dann packen wir unsere Sachen und gehen alle zurück.«
»Hast du mir nicht zugehört? Deine Mutter und ich hatten beschlossen, wegen euch nach New York zurückzugehen. Damit ihr einen Teil eurer Jugend in eurem Heimatland aufwachsen sollt. Und unsere Familie ist doch kein Wanderzirkus, der jeden Monat umziehen kann. Es ist doch auch für Marcia wichtig, dass sie zur Ruhe kommt.«
Ethan machte eine abwertende Handbewegung und wurde laut.
»Unserer Familie ist gar keine Familie. Dann bleibt ihr eben hier und ich gehe in München zur Schule. Das ist eine sehr gute Schule, um Klavier zu studieren.«
Dr. Bishop hatte sich vor seinem Sohn in Stellung gebracht.
»Dir geht es doch gar nicht um das Klavier. Wenn das so wäre, würdest du doch bestrebt sein, an das beste Konservatorium der Welt zu kommen. Und das ist einen Block von hier entfernt. Da kannst du zu Fuß hingehen.«
»Ja, aber die großen Klassiker der Musik kommen aus Deutschland oder Österreich. Beethoven, Brahms, Telemann, Bach, Schubert, Haydn, List.«
Ethan redete sich in Rage. Sein Vater bemerkte das und versuchte sofort, ihn zu beruhigen. Als er noch klein war, stellte seine Mutter fest, dass er sich anders verhielt als seine Altersgenossen. Sie sprach mit ihrem Mann darüber und beide waren der Meinung, dass sie das von Fachärzten begutachten lassen sollte. Eine Zeit lang kam der Verdacht auf, er könnte eine leichte Tendenz zum Autismus haben. Er zeigte Anzeichen von Asperger-Syndrom. Das bestätigte sich nicht. Er war ein sehr in sich gekehrtes und sehr sensibles Kind. Seine Eltern wussten das und achteten darauf, verschiedene Situationen zu vermeiden, die den Jungen aufregen könnten. Ethan hatte als Kind nie typische Dinge gemacht, die Jungs in seinem Alter taten. Er wollte nie auf Bäume klettern oder im Sandkasten mit anderen Kindern spielen. Er interessierte sich nie für Autos oder Baukästen oder das, was Jungs interessant fanden. Bei einem Besuch der Bishops bei seinem Onkel in Kalifornien saßen alle auf der Terrasse und genossen den warmen Tag am Pazifik. Die Türen der Villa standen offen und die langen, weißen Vorhänge aus Leinen, die bis zum Boden reichten, wedelten zwischen den Türen im Wind. Irgendwann fragte Ethans Mutter, wo der Junge sei. Alle schauten sich um und hörten erst in diesem Augenblick, dass jemand auf dem großen Flügel, der in der Mitte des Hauses stand, spielte. Die Villa war wie ein Atrium erbaut. Im ganzen Haus waren große Fenster und Türen, sodass es sehr hell im Inneren war. Alle gingen leise in das Haus. Ethan hatte sich an den Steinway gesetzt und spielte immer wieder die gleiche Tonfolge. Sein Onkel Joshua stand wie versteinert vor dem Anblick. Er war Musikproduzent und hatte mit Glück und dem richtigen Gefühl für Werbung Musik komponiert, die später zu Welterfolgen wurde. Er war in der Familie der Künstler. Mrs. Bishop ging zu Ethan an den Flügel.
»Was spielst du da Schönes, Ethan?«
Er schaute sie an, ohne die Melodiefolge zu unterbrechen.
»Mum, ein Lied für Mathilde.«
Mathilde war die Haushälterin und hatte Ethan, wie sich später herausstellte, dabei geholfen, auf den Klavierhocker zu steigen. Von dem Tag an hatte Ethan seine Bestimmung gefunden.
»Ethan.« Dr. Bishop sprach sehr ruhig auf seinen Sohn ein. »Du sollst doch studieren, wo es für dich am besten ist. Aber die Entscheidung, wo das sein wird, solltest du nach der Qualität der Schule fällen und nicht danach, wo du gerne wohnen möchtest. Ich werde darüber nachdenken. Ich möchte aber, dass du dir alle anderen Optionen offenhältst und auch an allen anderen Möglichkeiten weiter arbeitest.«
Ethan machte keinen überzeugten Eindruck.
»Ok, ich gehe in mein Zimmer. Gute Nacht.«
»Ethan.« Er blieb stehen und drehte sich zu seinem Vater um. »Mach dir nicht so viele Gedanken. Du hast noch fast zwei Jahre Zeit. Warte ab, was bis dahin geschieht. Vielleicht willst du ja dann gar nicht mehr weg von hier.«
Er nickte und ging dabei aus dem Zimmer.
In der Schule war es wie an jedem Montag. Ethan war frustriert und Emy ignorierte ihn immer noch. Es war aber angenehm mild in der Stadt. Er war früher aus dem Haus gegangen und hatte beschlossen, ein Stück zu Fuß zu gehen. Er war die Columbus Ave bis zur 87. gelaufen und dann wieder zum Broadway zurück, wo er in die Line 1 einstieg, bis zur 50. fuhr und dann wieder bis zur 40. lief, um mit der M bis zur Schule zu fahren. Er hatte vergessen, dass heute seine Kariere als Klavierspieler für den Ballettunterricht begann. Nach der Schule traf er sich mit Mathis und beide fuhren zum Lincoln Center. Er ging zu seinem Arbeitsplatz, als wenn er noch nie etwas anderes getan hätte. Er war nur so lange aufgeregt, bis der Unterricht begann. Als er spielte, war alles so, als wenn er das schon jahrelang getan hätte. Die Professoren beobachteten den Neuen nur kurz, da sie sehr schnell mitbekamen, wie gut er war. Einige der Lehrer lobten sein Spiel, andere bekamen gar nicht mit, dass da ein Neuer am Piano saß. Am Ende des Unterrichtes, musste sich Ethan in den Wochenplan eintragen, oder besser, die für ihn vorgegebenen Termine bestätigen. Mathis wartete vor dem Juilliard auf ihn.
»Alter, wie war es?«
»Naja, also, ich habe gespielt, die Mädchen haben getanzt und jetzt bin ich fertig. Übermorgen habe ich wieder die letzten zwei Stunden.«
Mathis war mit der schmucklosen Beschreibung der Geschichte überhaupt nicht zufrieden.
»Erzähle alle Einzelheiten. War sie da?«
»War wer da?«
»Na das Mädchen, wegen dem wir das ganze Zinnober veranstalten.«
»Ich dachte, wir machen das, weil du Fotos für deine Bewerbungsmappe machen willst? Und außerdem kenne ich das Mädchen doch gar nicht.«
»Alter, sie ist sechzehn, hat dunkle Haare, die sie wie einen Knoten zusammenbindet und ist etwa so groß wie du.«
Ethan schaute Emys Bruder an.
»So sehen alle Mädchen in der Klasse aus.«
Mathis dachte nach.
»Ok, wir fahren zu mir. Ich habe ein Foto von ihr auf dem Rechner. Da kannst du sie dir anschauen.«
»Du hast ein Foto von ihr? Du bist nicht zufällig ein Stalker?«
»Schwachsinn, ich habe das Foto gemacht, als ich auf sie gewartet habe und sie mir dann aber einen Korb gegeben hat. Los, wir fahren zu mir.«
Die beiden betraten die Wohnung, als Emy sich gerade von Lucas verabschiedete. Ein Anblick, auf den Ethan gerne verzichtet hätte. Ihr war das auch unangenehm. Sie wunderte sich, warum ihr Bruder mit ihm bei ihr zu Hause auftauchte. Mathis winkte Ethan in sein Zimmer durch, ohne seiner Schwester und deren Freund mehr Beachtung zu schenken als nötig war. Die beiden verschwanden in Mathis Zimmer. Emy stand noch auf dem Flur, als ihre Mutter kam.
»Hallo, mein Kind.«
Sie legte den Zeigefinger auf ihren Mund, um ihrer Mutter zu signalisieren, dass sie ruhig sein sollte.
»Ethan ist hier. Er ist bei Mathis.«
Mrs. Laurent verzog ihre Mine.
»Ich bin doch gerade Lucas begegnet. Hat er bei einem Spiel verloren und musste als erster gehen?«
»Mum, Ethan ist mit Mathis gekommen. Ich weiß nicht was die treiben.«
»Na, vielleicht geht ja jetzt dein Bruder mit deinem Eiskunstläufer, weil du ihn verschmäht hast.«
Noch bevor Emy Antworten konnte, ging die Tür auf und die zwei Jungs kamen aus dem Zimmer. Emy und ihre Mutter standen da und schauten die beiden an.
»Oh, Ethan, was für eine Überraschung. Schön, dich zu sehen. Und heute mal nicht im Zimmer von Emy?«
»Mum, hör auf.«
Emy war es peinlich und er wurde nervös.
»Ja, guten Tag, Mrs. Laurent. Nein, also nein, ich meine, ich bin bei, also, mit Mathis hier. Aber ich muss gehen.«
Ethan drehte sich zu Mathis um, hob seine Hand, was so etwas wie eine Verabschiedung sein sollte. Er ging zur Tür.
»Also dann, auf Wiedersehen.«
Er schaute dabei zu Emy und zu Mrs. Laurent. Als Ethan die Wohnung verlassen hatte, drehte sich Mrs. Laurent zu ihrer Tochter.
»Keine Küsserei heute zum Abschied? Das ist ja langweilig.«
Sie ging nicht auf die Anspielung ihrer Mutter ein. Sie lief, ohne sich weiter um ihre Mutter zu kümmern, in das Zimmer ihres Bruders.
»Kannst du mir mal verraten, was das soll? Was treibst du mit Ethan?«
Mathis saß an seinem Schreibtisch und versuchte, so schnell es ging, das Bild von seinem Desktop verschwinden zu lassen.
»Als erstes klopfst du an, Fräulein, wenn du in mein Zimmer kommst. Und als zweites geht dich das überhaupt nichts an. Oder bist du seine Nanny? Warum spionierst du dem überhaupt hinterher? Du solltest dich lieber um deinen Lucas kümmern. Oder ist da etwas, das du dich so aufregst?«
Emy ging wieder aus dem Zimmer, ohne ein weiteres Wort mit Ihrem Bruder zu wechseln.
Langsam wurde es Frühling. Ethan konnte sich nicht mehr erinnern, zu dieser Jahreszeit in New York gewesen zu sein. Er dachte darüber nach, einen erneuten Versuch zu starten, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. New Yorker können eigentlich nicht so gut Fahrrad fahren. Es sei denn sie arbeiten als Kamikaze-Fahrradkurier. Aber er war Münchener und die können das. In der Schule war alles wie immer. Im Juilliard hatte er sich eingelebt, wohlwissend, dass das Ganze irgendwann auffliegen würde. Einmal kam ein Professor nach seiner Schicht zu ihm und fragte, ob er Musikstudent im Juilliard sei. Als er das verneint hatte, wollte der Lehrer wissen, wo er studiere. Er sagte ihm, dass er noch nicht richtig weiß, wo er einmal studieren wollte. Der Professor stellte eine Reihe fragen und Ethan dachte, das war es.
»Du musst bei deiner Anschlagtechnik aufpassen, sonst gewöhnst du dir das schlampige Spiel an. Und dann brauchst du zwei Semester, um das wieder zu korrigieren.«
Der Lehrer bestellte ihn zu einem späteren Termin in sein Büro. Ethan berichtete Mathis von diesem Vorfall.
»Bis zu dem Zeitpunkt müssen wir mit dem Spektakel fertig sein«, erklärte er seinem Verbündeten.
Heute wollten sie in die Endphase ihres Unternehmens eintauchen. Die erste Stunde des Ballettunterrichts war vorbei. Professor Marx hatte heute ein paar Figuren vorgetanzt. Für ihr Alter machte sie das sicher gut. Ethan bewunderte die Mädchen und Jungen. Er staunte immer, was die für eine Kondition hatten. Ihn machte es Spaß, hier Klavier zu spielen. Und dass ein Professor aus der Musikabteilung auf ihn aufmerksam wurde, schmeichelte ihm.
»Na, Ethan, nervt es, immer wieder dieselbe Passage aus Les Biches zu spielen?«
Sie stand neben dem Klavier und trocknete sich mit einem blauen Tuch die Arme ab.
»Nein, äh, nein, tut es nicht.«
Er hatte sich zu ihr gedreht, seine Hände gefaltet und sah aus wie ein Schüler, der sich die Kritik seiner Lehrerin anhörte.
»Also, ich hätte eine Frage. Ich habe, also ich kenne einen Studenten, der für seine Bewerbung für das College Fotos machen muss. Und er würde gerne einen Teil der Fotos von mir, also von hier machen. Ich mein, vom Klavier.«
»Warum nicht. Wenn er möchte und er den Unterricht nicht stört, kann er eine Stunde fotografieren.«
Sie ging wieder in die Mitte des Saals und rief die Studenten zu sich.
»Wir beginnen genau an der Stelle im zweiten Teil, wo wir vor der Pause aufgehört haben.«
Er war so perplex, dass er fast seinen Einsatz verpasst hätte. Ein Mädchen knickte bei der Übung um. Frau Professor schaute sich das Fußgelenk an. Also wieder Pause. Ethan war gerne in diesem Raum. Eigentlich bestand er nur aus Glas und Spiegel. Die drei übereinander angebrachten Handläufe reichten einmal um den ganzen Saal und teilten die Fenster, die vom Boden bis zur Decke gingen in zwei Hälften. Er konnte von dem Flügel, an dem er saß, die ganze Zeit auf den Broadway schauen. Die Tänzer taten das nie. Selbst wenn sie an den Handläufen am Fenster übten, schauten sie nie nach draußen, wenn es die Position nicht verlangte. Ethan sortierte seine Noten, als neben ihm eine Schülerin stand.
»Hallo, Pianospielerjunge.«
»Ich?«
»Ja du. Was machst du, wenn du nicht Klavier spielst?«
»Äh, naja, eigentlich nichts.«
Sie stand neben ihm und hatte eine Hand auf den Flügel gelegt. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und machte mit ihrem rechten Bein Dehnungen.
»Ich habe dich schon eine ganze Weile beobachtet. Ich finde dich nett und würde mich freuen, wenn du mich einmal einladen würdest.«
Er hatte wieder den Verdacht, dass sich die Mädchen einen Spaß machten und er das Opfer sei.
»Naja, warum nicht. Wozu soll ich einladen?«
Sie machte einen spitzen Mund, bewegte ihren Kopf weit zu beiden Seiten, dachte nach und sagte dann.
»Wozu hättest du denn Lust, mich einzuladen?«
Ethan merkte, dass ihm nichts Originelles einfallen würde.
»Kaffee?«
Frau Professor rief die Schüler wieder zu sich. Die Verletzung des Mädchens war doch nicht so dramatisch.
»Bon, warte nach dem Unterricht draußen auf mich.«
Sie machte eine schnelle Drehung und tanzte zu den anderen. Er verpasste beinahe erneut seinen Einsatz.
Nach der letzten Stunde beeilte sich Ethan, aus dem Juilliard zu kommen. Er sah Mathis, der schon auf ihn wartete.
»Du musst verschwinden. Du kannst die Fotos machen, aber du musst gehen.«
Ethan erklärte im Schnelldurchlauf, was sich ereignet hatte und dass er verabredet war.
»Respekt, Alter.« Mathis war begeistert und klopfte Ethan mit viel Anerkennung auf die Schulter. »Respekt.«
Ethan schaute sich um. Er sah das Mädchen aus dem Ballettunterricht aus dem Juilliard kommen und ging ihr entgegen.
»Schön, dass du gewartet hast.« Sie küsste ihn zur Begrüßung auf seine Wange. Ethan merkte jetzt erst, dass sie einen Akzent hatte. »Wo gehen wir hin?« Sie lächelte und wartete auf eine Antwort.
»Ja, also wir könnten gleich hier, hinter dem Lincoln ist ein Bistro. Wenn du möchtest?«
Sie hatte einen Rucksack dabei den sie sich über die Schulter legte, ohne ihn richtig aufzusetzen. Sie suchten sich einen Platz im hinteren Teil des Ladens, bestellten beide Kaffee und schauten sich an.
»Wie heißt du?«
Ethan begann vorsichtig mit einem Gespräch.
»Chloé, Chloé Dubois.«
«Bist du Kanadierin«
»Nein, ich komme aus Frankreich. Aus Nizza, genau. Aber ich lebe schon seit sechs Jahren im Internat École de danse de l'Opéra de Paris. Sorry, ich meine im Internat der Pariser Oper. Und du bist ein echter New Yorker?«
»Mhh, naja, also eigentlich ja.«
Chloé lächelte.
»Und uneigentlich?«
Beide lachten.
»Ich bin hier geboren, aufgewachsen bin ich zum größten Teil in Deutschland, in München. Meine Eltern haben dort gearbeitet. Aber jetzt sind wir wieder hier. Aber warum bist du denn in New York, wenn du in Paris zur Schule gehst?«
»Ach, es gibt ein Austauschprogramm zwischen den Schulen. Wir sind ja les Petits Rats à l’Opéra, also die kleinen Ratten der Pariser Oper. So nennt man den Nachwuchs der Oper bei uns in Frankreich. Die Ausbildung dauert bei uns auch länger als am Juilliard.«
Er war begeistert von dem Mädchen. Er hatte sein Kinn in beide Hände gelegt und hörte ihr gespannt zu.
»Wir bleiben für ein Semester hier und dann gehen wir wieder nach Paris zurück.«
»Wo gefällt dir die Ausbildung besser?« Er schaute Chloé die ganze Zeit in ihr Gesicht, während er mit ihr sprach.
»Naja, in Paris ist es schon ein wenig härter. Aber dafür ist hier der Unterricht etwas vielfältiger. Was machst du? Wo studierst du?«
Ethan hatte zwei Möglichkeiten: Lügen und damit eine eventuelle Freundschaft mit Chloé von vornherein zu ruinieren, oder die Wahrheit sagen und vielleicht morgen im Juilliard rauszufliegen. Er entschied sich für Variante zwei.
»Eigentlich gehe ich noch auf die High School. Ich dürfte noch gar nicht im Ballettunterricht spielen.«
Chloé grinste und hatte viel Spaß an der Geschichte von Ethan und Mathis.
»Und wenn du mich morgen verrätst, fliege ich raus.«
Chloé lachte wieder.
»Dann gib dir viel Mühe bei unserem Rendezvous. Und wenn du so nett bleibst, wie du es bist, werde ich dich nicht verraten. Das ist doch verrückt. Ich habe jetzt einen illegalen Pianisten, der immer nett zu mir sein muss. Bon. Welches Mädchen ist denn der Grund für euren verrückten Plan?«
»Es ist Mathilda, also das Mädchen.«
»Mathilda? Die kommt auch aus Paris. Und warum spricht er sie nicht einfach so an?«
»Das weiß ich, also ich weiß das auch nicht so genau. Aber er will die Fotos auch für seine Bewerbung machen.«
Chloé lachte wieder.
»Das ist wirklich verrückt. Das kann ich in Paris erzählen. Dann wollen alle jungen Mädchen in das Austauschprogramm. Ich muss los. Wir sind die Jüngsten am Juilliard, stehen unter Bewachung. Die anderen Studenten haben alle Ausgang wie sie wollen. Wir müssen aber spätestens um neun in der Residenz sein. Und wir dürfen keinen Besuch empfangen. Wir sind Gefangene. Wann spielst du wieder in unserer Klasse?«
Er zog einen Zettel aus der Tasche.
»Ja, also eigentlich morgen.«
»Das ist schön. Wollen wir danach spazieren gehen? Ich war noch nie an dem großen See im Park.«
Ethan nickte zustimmend mit dem Kopf.
»Ja, ja gerne. Ich würde da gerne mit dir hingehen.«
Sie stand auf und lief mit ihm zusammen auf die Straße. Er holte tief Luft. Der Frühling würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Er brachte sie zurück zum Juilliard, wo das hauseigene Internat untergebracht war. Ethan schaute zu dem Hochhaus hinauf und fragte Chloé, wo sie wohnte. Chloé zeigte ihm das Fenster ihres Zimmers.
»Da hast du einen schönen Ausblick auf Manhattan.«
»Das stimmt. Leider kann ich dir den nicht zeigen. Du weißt, Gefangene.«
Sie küsste Ethan, ging in Richtung Lincoln Center und drehte sich kurz vor dem Eingang um, und winkte Ethan, lachend.
Er hatte Mathis versprochen, noch bei ihm vorbei zu kommen um ihm zu Berichten, was der Stand der Dinge sei. Ethan klingelte an der Wohnung und hoffte, dass Emy nicht an der Tür erschien. Mrs. Laurent machte die Tür auf.
»Ethan, seitdem du mit Mathis zusammen bist, sehe ich dich öfters. Komm rein. Wie geht es dir, was machst du, und wie war dein Tag? Nein Ethan, es war ein Scherz. Komm einfach rein. Linke Seite geht es zu Mathis und rechts zu Emy. Du hast freie Auswahl.«
Ihm wäre es doch lieber gewesen, wenn Emy die Tür geöffnet hätte.
»Ich, äh, eigentlich wollte ich zu Mathis.«
»Na du weißt ja, wo es langgeht.«
Noch bevor er im Zimmer von Mathis ankam, begegnete er noch Lucía, die sich sehr freute, ihn zu sehen und ihn sofort fragte, ob er etwas essen wolle. Er bedankte sich, lehnte aber ab. Mathis sprang von seiner Couch hoch, als er Ethan sah.
»Alter, ich dachte, du kommst nie mehr. Willst du was trinken oder so?«
Wieder bedankte er sich und lehnte das Angebot ab. Er berichtete, was sich in der Schule und danach bei Ethans Date abgespielt hatte. Mathis verfolgte die Erzählungen seines Verbündeten wie eine Liveübertragung des wichtigsten Spieles der Saison im Radio. Es klopfte. Mrs. Laurent steckte ihren Kopf durch die einen Spalt weit geöffnete Tür.
»Jungs, wir essen gleich. Ethan, wenn du möchtest, kannst du gerne mitessen. Und du darfst sogar neben mir sitzen.«
»Oh nein, ich meine, danke, aber ich, also, ich muss jetzt nach Hause. Aber danke für die Einladung.«
»Ok.«
Mrs. Laurent zog ihren Kopf aus der Tür und verschwand.
»Ich werde besser gehen. Wir sehen uns morgen in der Schule.«
Mathis brachte ihn zur Tür. Ethan war froh, Emy nicht begegnet zu sein. Mathis ging in die Küche, wo der Rest der Familie, bis auf den Vater, am Tisch saßen und mit dem Essen auf ihn gewartet hatte. Mrs. Laurent fragte, ob Ethan gegangen sei. Emy schaute vom Teller auf.
»Ethan war hier? Warum hast du mir das nicht erzählt, Mum?«
»Warum hätte ich es dir denn sagen sollen? Du siehst ihn doch jeden Tag in der Schule. Ich wusste nicht, dass es dich interessiert.«
Mrs. Laurent schaute ihre Tochter mit einem verschmitzten Lächeln an. Emy setzte einen beleidigten Gesichtsausdruck auf. Lucía lief gerade mit einer Salatschüssel hinter dem Stuhl entlang, auf dem Emy saß.
»Der Junge hätte ruhig mitessen können. Er sieht sehr dünn aus.«
Emy fuhr herum.
»Ach, Lucía, du wusstest es also auch, dass er da war?«
»Ja, Emy, war er denn nicht bei dir?«
Mrs. Laurent grinste wieder. Mathis beugte sich leicht nach vorne.
»Egal, was da zwischen dir und ihm war, der Zug ist abgefahren. Ethan ist jetzt fest in französischen Händen. Und mehr sage ich dazu nicht.«
Sie schaute ihren Bruder an.
»Du Doof. Was soll da gewesen sein? Ich bin immer noch mit Lucas zusammen. Und du hast doch selber gesehen, wie er mit Laura beim Ball rumgemacht hat. Also erzähl nicht so einen Mist, du Scheißer, und kümmere dich um deinen Kram.«
»Das mache ich, liebe Emy, das mache ich.«
Mathis war als erster fertig mit dem Essen und entschuldigte sich bei den anderen, dass er den Tisch verlassen muss, da er noch wichtige Dinge zu erledigen hat. Emy blieb sitzen und stocherte weiter auf ihrem Teller herum. Mrs. Laurent schaute immer wieder zu ihr und sah, dass sie nachdachte.
»Na Kind, beschäftigt dich Ethan immer noch?«
»Mum, ich weiß es nicht. Ich hatte mir fest vorgenommen, das Thema abzuschließen. Aber irgendwie kriege ich das nicht so ganz geregelt. Wenn ich ihn in der Schule sehe, ist das anders. Wenn er aber hier in der Wohnung ist, naja, das ist schon komisch.«
Mrs. Laurent stocherte auch auf ihrem Teller rum. Ohne hoch zu sehen, begann Mrs. Laurent zu reden.
»Irgendwann musst du dich entscheiden. Es kann auch nicht mit Lucas gutgehen, wenn du im Kopf mehr bei Ethan bist als bei ihm. Er wird irgendwann merken, dass etwas nicht stimmt. Gut, es wird vielleicht etwas länger bei ihm dauern. Er ist ja Texaner.«
Emy empörte sich nicht wie sonst, wenn ihre Mutter Späße über Lucas machte.
»Ja, Mum, ich weiß. Aber du siehst ja selber, Ethan hat sich wahrscheinlich damit abgefunden, dass ich einen Freund habe und wir nicht zusammen sein können. Was hat mein Bruder mit ‚in französischen Händen gemeint?«
Mrs. Laurent schob ihren Teller in die Mitte des Tischs.
»Das weiß ich nicht. Er wird es uns auch nicht sagen. Und weißt du was? Es geht uns auch nichts an. Ich muss noch etwas arbeiten. Ich habe morgen eine schräge Verhandlung. Da muss ich gut vorbereitet sein.«
Mrs. Laurent stand auf, ging um den Tisch und streichelte beim Vorbeigehen Emys Schulter.
Ethan hatte tatsächlich ein Doppeldate mit Chloé und Mathilda arrangiert. Mathis und Mathilda verstanden sich gut. Er fragte sich, warum das ganze Theater mit dem Klavierspiel im Ballettunterricht nötig war. Er und Chloé trafen sich fast jeden Tag. Sie fand ihn bezaubernd und lachte viel mit ihm. Er hatte sie mit zu sich nach Hause genommen. Ethan wollte seinen Ausflug in die Welt des Balletts schon beenden. Mathis hatte aber ernsthaft vor, die Fotos zu machen. Chloé hatte ihn gefragt, warum er eigentlich keine Freundin hatte. Er erzählte ihr von Laura in Deutschland und dass es für ihn nicht einfach sei, eine Freundin in New York zu haben.
»Na gut, dann hast du ja jetzt mich. Und wenn ich wieder in Paris bin, hast du auch eine an der Seine.«
An einem Mittwoch, als sie wieder in dem Bistro hinter dem Lincoln Center waren, fing es so stark zu regnen an, dass sie nicht loskonnten. Die Zeit wurde immer knapper und so entschloss er sich, seine Jacke als Regenschutz für Chloé zu opfern. Danach war er eine Woche krank. Chloé besuchte ihn zu Hause. Marcia wollte von ihm wissen, wer das Mädchen sei. Er erklärte ihr, sie ist eine Mittschülerin aus seiner Klasse und bringt ihm die Schularbeiten. Zwei Stunden hingen die beiden jeden Tag bei Ethan im Zimmer rum. Als sie sich dann das erste Mal küssten, wäre Ethan beinahe erstickt, weil er nicht durch die Nase atmen konnte, aber auch das Küssen nicht verpassen wollte. Mathis und Mathilda waren nach eigenen Angaben schwer verliebt, was immer das bei Mathis zu bedeuten hatte. Nachdem er wieder fit war, planten die vier, etwas zusammen zu unternehmen. Mathis hatte an dem Tag seine Fotos im Juilliard gemacht und wollte seine Ausrüstung noch nach Hause bringen. Also gingen alle vier zu ihm. Im Zimmer von Mathis drängelten die Mädchen, dass er ihnen die Fotos zeigen sollte. So dauerte der Aufenthalt länger als geplant. Als sie endlich loswollten, standen sie Mrs. Laurent und Emy im Flur gegenüber, die gerade nach Hause kamen.
»Hallo, Mum. Wir sind auch schon weg. Darf ich vorstellen? Das ist meine Freundin Mathilda und das ist die Freundin von Ethan, Chloé.«
Die Mädchen gaben Mrs. Laurent und Emy die Hand. Ethan hob nur seinen Arm.
»Also, wir sind dann weg.«
Emy stand nur da und schaute ihre Mutter an.
»Na, wenigstens deine Großeltern werden sich freuen, dass er französisches Blut in die Familie bringt. Jetzt weißt du auch, was dein Bruder gemeint hatte, mit den festen Händen und so.« Emy stand immer noch an der gleichen Stelle wie vor fünf Minuten. »Was ist, Emy? Soll ich Lucía losschicken, um Kummereis zu holen? Wusstest du nicht, dass er eine Freundin hat?«
»Nein, wusste ich nicht. Aber da muss er sie doch schon gekannt haben, als...«
Sie ging in ihr Zimmer, ohne den Satz zu beenden. Emy war schckiert. Sie hatte Angst. Das Bild, welches sie gerade gesehen hatte, nie mehr aus ihrem Kopf zu bekommen. Sie setzte sich auf ihr Bett und starrte an die Decke. Emy hatte einen Kloß im Hals, der ihr die Luft nahm. Er hat eine andere. Ob es ihm genauso wehgetan hat, wenn er mich mit Lucas gesehen hat?
Die Tage wurden immer wärmer und Ethan hatte sein Vorhaben in die Tat umgesetzt. Er war mit dem Rad in die Schule gefahren. Die Jungs, die ihn mit dem Fahrrad sahen, schauten ihm verächtlich nach. Die Mädchen fanden das eher cool. In der Pause saßen Emy, Linda und Madison zusammen und planten die kleine Party, die Linda nachträglich zu ihrem Geburtstag geben wollte. Beim Thema Gäste wurde es brisant. Madison hatte Mathis gefragt, ob er kommen würde. Der wollte nur kommen, wenn Mathilda und Ethan mit Chloé eingeladen würden. Als Madison versuchen wollte, ihre Gästeliste zu stutzen, sagte er sofort:
»Ne, ne. So wie ich es dir gesagt habe oder gar nicht. Und gar nicht wäre auch nicht so schlimm, weil wir eigentlich schon etwas vorhhaben.«
Mathis war ein wichtiger Partygast. Zum einen für die alleinstehenden Mädchen und zum anderen, weil er immer für den besonderen Moment bei Partys gut war. Alle Mädchen sagten immer, mit dem möchte ich nicht zusammen sein, der betrügt doch alle. Aber heimlich träumten die Mädchen davon, mit ihm eine andere zu betrügen. Mathis war ein sehr gut aussehender sportlicher Typ, der durch seine äußere Erscheinung bei den Mädchen Aufsehen erregte. Emys Freundinnen hielten weitgehend Abstand von ihm, da Emy sie vor ihm warnte.
»Also, was machen wir mit dem, also, na ihr wisst schon wem?«, wollte Madison wissen.
Emy druckste rum. Linda getraute sich nicht zu sagen, wegen mir können die kommen. Linda musste immer noch etwas Zurückhaltung üben, wenn es um Ethan ging.
»Ach, lass sie doch einfach kommen.«
Madison machte dem Rätselraten ein Ende.
»Ich werde es nachher Mathis sagen.«
Und damit war die Wochenendplanung von Ethan und Chloé auch geregelt. Der war weniger begeistert und hätte lieber etwas anderes mit Chloé unternommen.
Er war zeitig zu Hause. Dr. Bishop war auch schon da.
»Ach gut, dass du da bist. Wir fliegen am Freitag nach Denver und sind Montag zurück. Ich werde morgen in der Schule Bescheid sagen. Grandpas Verletzung ist wieder aufgebrochen und ich will mir das selber ansehen.«
»Wow, das tut mir leid. Aber ich kann nicht mitkommen. Ich habe am Freitag und auch am Montag zwei wichtige Prüfungen für die Halbjahresbewertung. Also Dad, das geht nicht.«
Dr. Bishop dachte nach.
»Frau Korn kommt aber auch mit, damit Marcia nicht alleine im Haus sitzen muss, wenn ich zu Grandpa in die Klinik fahre. Da wäre keiner hier und du wärst alleine.«
»Das ist kein Problem, ich kann mir ja etwas zu essen kommen lassen.«
»Ich weiß nicht so recht. Ich überlege mir bis morgen, was wir machen«, rätselte Dr. Bishop.
Beim Frühstück teilte er Ethan seinen Entschluss mit.
»Ich habe mir für Folgendes gedacht. Da du ja kein Kind mehr bist, kannst du drei Tage alleine sein. Ich will dir damit auch zeigen, dass ich Vertrauen in dich habe. Ich will dich auch nicht immer kontrollieren. Und du sollst nicht immer das machen müssen, was ich vorgebe. Wenn du mir versprichst, dass hier keine außergewöhnlichen Dinge passieren, bleibst du alleine in der Stadt.«
Ethan unterbrach seine Rosinensuche im Müsli, schaute hoch und sagte nur:
»Ok.«
»Gut, dann haben wir das geklärt, ich muss in die Klinik.«