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9.

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Der Kaffee war bereits kalt geworden, als er sich endlich daran erinnerte, irgendwann eine volle Tasse vor sich stehen gehabt zu haben. Angewidert verzog er sein Gesicht. Hajo Steinert war zuvor viel zu sehr in den Unterlagen versunken, die vor ihm ausgebreitet auf dem Tisch lagen. Das mehrseitige Fax, das ihm die niedersächsischen Kollegen hatten zukommen lassen und die eigenen Ermittlungsakten, Vermerke, Spurenakten, die sich über die zusammengeschobenen Tische im Großraumbüro der Ermittlungsgruppe verteilten. Für ihn gab es keinen Zweifel, dass es sich um die Tätergruppe handelte, die bereits in Hamburg mehrfach zugeschlagen hatten. Das Vorgehen der Täter sprach eine deutliche Sprache. Der gestohlene und in Brand gesetzte Wagen als Straßensperre, die mit Lack übersprühten Überwachungskameras, die professionell gewählte Menge an Gas zum Sprengen der Automaten. Die Spurenlage selbst war äußerst dürftig, wie eigentlich an jedem Tatort dieser Gruppierung. Die Kameras registrierten, unmittelbar, bevor sie außer Gefecht gesetzt wurden, eine dunkel gekleidete Person, deren Gesicht von einer Kapuze verdeckt wurde. Zügig betrat der Mann, anhand der Körpersprache musste es ein Mann sein, den Selbstbedienungsbereich und bewegte sich zielstrebig auf die Überwachungsgeräte zu. Ohne in die Kamera zu schauen, hob der Mann den Arm und machte die Geräte mit dem Lack unbrauchbar. Die Videos endeten jeweils mit der Großansicht einer Spraydosendüse, dann wurde es dunkel. Die einzige und allererste auswertbare Spur aller bisherigen Fälle war die DNA-Anhaftung an der Lackspraydose, wobei offenblieb, ob sie überhaupt etwas wert war. Die daktyloskopische Spurensuche hatte die wenigen vorhandenen Bilder der Überwachung bestätigt, der Mann trug durchgehend Handschuhe. Es gab nicht die geringste Spur auf der Oberfläche. Setzte man voraus, dass die Dose aus einem Geschäft stammte, musste sie irgendwann einmal von einer Person angefasst worden sein. Selbst wenn die Herstellung vollkommen automatisiert vonstatten ging, hatte sie jemand aus dem großen Karton des Herstellers nehmen und ins Regal stellen müssen. Also war sie, bevor sie zum Einsatz gelangte, fein säuberlich gereinigt worden. Und das schloss wiederum aus, dass diese festgestellten Moleküle von dem Verkäufer eines Baumarktes stammten. Es bestand die vielleicht geringe, aber immerhin vorhandene Möglichkeit, dass der Täter die Dose in seiner Jackentasche verborgen und sich dort DNA auf der Oberfläche abgelagert hatte, weil er seine Hände zuvor auch ohne Handschuhe in der Tasche stecken gehabt hatte. Viele Wenn und Aber, wie in dem gesamten Fall. Und dass die DNA noch nicht in der Gen-Datei erfasst war, war von Steinert schon erwartet worden. Von den Kollegen aus Niedersachsen war ein junger Mann vernommen worden, der laut der technischen Aufzeichnungen unmittelbar vor der Explosion Geld an einem der beiden Automaten abgehoben hatte. Zu diesem Zeitpunkt mussten die Täter bereits vor Ort gewesen sein. Schrader nahm sogar an, dass er die Täter im zeitlichen Tatablauf gestört haben musste, Geldabhebung und Sprengung lagen extrem dicht beieinander und die Sprengung erfolgte spät, fast am äußersten Ende des von der Ermittlungsgruppe errechneten Zeitfensters. Der Mann, ein Schichtarbeiter, kam früher heim vom Nachtdienst, weil er Überstunden abbummeln sollte. Er habe Musik von seinem I-Phone gehört und Kopfhörer getragen. Vor der Bank habe ein dunkler Kombi gestanden, Personen waren ihm nicht aufgefallen, er habe aber auch nicht weiter darauf geachtet.

Steinert schüttelte den Kopf. Wie der Zufall über Leben und Tod eines Menschen entschied. Wäre er nur drei oder vier Minuten später vor der Bank aufgetaucht, hätten die Täter womöglich ihn erschossen.

Warum aber, so fragte er sich, waren die Täter in dieser Nacht so weit nach Süden ausgewichen? Ausgerechnet in einer der Nächte, in der die kurz zuvor gegründete Ermittlungsgruppe 'Automat' einen Sondereinsatz plante und mit Unterstützung etlicher Kollegen die neuralgischen Punkte der Stadt besetzt hatte. Zuvor waren nur Banken innerhalb des Stadtgebietes betroffen gewesen. War doch irgendetwas bekannt geworden? Wobei er nicht unterstellte, der Einsatz wäre verkauft worden. Aber bei der großen Anzahl der involvierten Kollegen verschiedener Dienststellen konnte immer mal etwas durchsickern, bewusst oder unbewusst.

Glatze Brüning betrat das Büro. Glatze hieß der Kollege deshalb, weil er sich nach einer bierseligen Feier auf eine Wette einließ und sich eine Glatze scheren ließ. Das war lange her, mittlerweile war sein grauer Haarschopf tatsächlich ein wenig ausgedünnt. Brüning war in der Kriminaltechnik tätig, bei der EG 'Automat' kümmerte er sich um die Spurenakten. Er hielt einen dünnen Schnellhefter in der Hand, den er direkt vor Steinert auf den Schreibtisch knallte.

„Die DNA aus Niedersachsen ist aufgetaucht.“

Mit quietschendem Geräusch zog er sich einen der Stapelstühle dicht an den Tisch und setzte sich.

„Und?“, fragte Hajo Steinert gespannt. „Machs nicht so spannend, Glatze. Kennen wir den Träger?“

„Jein. Wir haben ihn sogar, aber es nutzt uns nichts, zunächst jedenfalls. Seine Komplizen haben ihn umgelegt, so wie es aussieht. Ihn und einen zweiten Mann. Sie sollten in einem geklauten BMW Kombi verbrannt werden. Das hat zum Glück ein Bauer verhindert, der auf Lauer gelegen hat, um jemanden beim illegalen Müll entsorgen zu erwischen.“

„Müll entsorgen“, sinnierte Hajo Steinert. „Wo?“

„Schleswig-Holstein, in der Nähe von Neumünster.“

Jetzt brummte er verärgert.

„Noch ein anderes Bundesland. Langsam glaube ich, das ist Absicht. Was wissen wir bis jetzt?“

„Zwei Tote ohne Papiere, männlich, Mitte zwanzig bis Anfang dreißig. Jeweils zwei Schüsse, in Brust und Kopf.“

„Lass mich raten, mit einer Ceska?“

„So schnell sind die Kollegen nicht, das Kaliber käme aber hin. Jemand hat sich viel Mühe gegeben, ihre Identifizierung zu verhindern. Es wurden einige Zähne herausgebrochen, vermutlich behandelte, und die Fingerkuppen abgetrennt, mit einem stumpfen Werkzeug. Eine Gartenschere verursacht solche Verletzungsbilder. Wenn dieser Bauer nicht gewesen wäre, der sich über illegal entsorgten Müll geärgert hat, hätten wir nicht einmal die Gesichter der beiden.“

Steinert zog den Schnellhefter zu sich heran, interessiert blätterte er durch die wenigen per Fax versandten Seiten. Endlich ein neuer Anhaltspunkt.

„Sie legen die eigenen Leute um. Warum bloß?“, fragte er mehr sich selbst.

„Vielleicht als Reaktion auf den Toten vor der Bank. Eine Strafaktion möglicherweise, weil sie wissen, dass bei Mord die Ermittlungen intensiviert werden.“

„Wer weiß. Aber vorstellen kann ich mir das, ehrlich gesagt, nicht. Steht hier etwas zum Auto drin?“

„Nein. Das kommt noch hinterher. Vom Kollegen, mit dem ich grad telefoniert habe, weiß ich nur, dass der Wagen vor knapp vier Wochen in Lübeck gestohlen wurde, die Kennzeichen vor zwei Wochen in Norderstedt. Bringt uns nicht weiter.“

„Vier Wochen“, sinnierte Hajo Steinert. „Die Karre muss doch irgendwo mal aufgefallen sein, vielleicht geblitzt worden.“

„Ich gebe entsprechende Anfragen an die Bußgeldstellen der Umgebung raus.“

„Ja, mach das bitte. Und ich trommele gleich alle zusammen. Wir müssen unbedingt absprechen, wie es weitergeht.“

Angst macht große Augen

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