Читать книгу Angst macht große Augen - L.U. Ulder - Страница 7
4.
ОглавлениеLutz Papenkamp kam mit Fahrrad und einem kleinen Anhänger aus einer der Seitenstraße angefahren. Im Anhänger und in den prall gefüllten Satteltaschen befanden sich Tageszeitungen. Es war kurz vor 03.00 Uhr morgens, seine Runde hatte gerade erst begonnen. Er konnte hören, wie in einiger Entfernung ein Motor aufheulte und Reifen quietschten. Achselzuckend schüttelte er den Kopf. Wohin der unbekannte Wagen fuhr, konnte er nicht sehen, das Geräusch entfernte sich und wurde rasch leiser. Gleich darauf war es nicht mehr zu hören. Als er vom wieder einsetzenden Regen die ersten Tropfen ins Gesicht bekam, ließ er mit der rechten Hand den Lenker los und zog sich die Kapuze seiner Regenjacke über den Kopf. Mit stoischem Tempo radelte er weiter. Erst im letzten Moment fiel ihm der alte Audi A6 auf, der quer auf der Durchfahrtsstraße des Ortes stand. Obwohl er mit seinem Fahrrad bequem daran vorbei gekommen wäre, ließ er das Rad ausrollen und fuhr neugierig dichter an das Fahrzeug heran. Vorn saß niemand, Fenster und Türen waren geschlossen. Er blickte sich um, konnte aber weit und breit niemanden sehen, der zu dem Auto gehörte, das die Hauptstraße blockierte.
Er schimpfte etwas, das sich anhörte wie „diese verdammten Besoffenen“ und wollte schon weiterfahren, als er im Inneren des Pkw etwas Merkwürdiges wahrnahm. Es kam ihm vor wie ein schwacher Lichtschein. Die hinteren Scheiben waren mit Folie abgedunkelt, also musste er von schräg vorn in den Innenraum hineinsehen. Sein Anhänger verhinderte, dass er dicht genug herankam. Er beugte sich weit vorn und kam aus dem Gleichgewicht. Zusammen mit dem Rad kippte er seitlich gegen den Wagen. Jetzt sah er ein schwaches Glimmen auf der Rücksitzbank, das an seinem eigenen Rauch zu ersticken drohte.
Nochmals schaute er sich hilfesuchend um, fasste an die verriegelte Tür, dann trat er in die Pedale, weil er kein Handy besaß. Er musste zur Bankfiliale an der nächsten Straßenecke fahren, dort war das einzige noch verbliebene öffentliche Telefon im Ort, ein Wandapparat mit einer Plastikhaube.
„Hallo. Mein Name ist Papenkamp. Ich bin der Zeitungsausträger hier im Ort. Ich trage die Zeitungen immer mit meinem Fahrrad und dem Anhänger aus. Was? Ja, ja, ich komme ja zur Sache. Hier steht mitten auf der Straße ein brennendes Auto. Welche Straße? Na, die Hauptstraße eben, die Ortsdurchfahrt. Warten Sie, ich schaue nach.“
Vor Aufregung fiel ihm nicht der Straßenname ein, obwohl er in ihr mehrere Abnehmer seiner Zeitungen hatte. Durch die Regentropfen auf den Scheiben der Überdachung konnte er nichts erkennen. Er legte den Hörer zur Seite und trat einen Schritt heraus. Seine Augen suchten nach den Straßenschildern, dabei sah er im Augenwinkel auf dem Parkplatz vor dem Bankeingang einen Körper liegen.
„Hier liegt auch einer, sehe ich gerade. Direkt vor der Bank. Der gehört bestimmt zu dem Auto.“
Papenkamp hängte den Hörer ein. Dass er den Straßennamen nicht weitergemeldet hatte, war ihm völlig entgangen. Vorsichtig ging er die letzten Schritte auf die Person zu. Er erkannte, dass es ein Mann war, der zu einer Straßenjacke Pantoffeln und eine Schlafanzughose trug. Weil der Mann mit unnatürlich verdrehten Beinen auf der Seite lag und ihm den Rücken zeigte, konnte er die Verletzungen nicht sehen. Widerstrebend, beinahe ängstlich ging er in die Hocke.
„He, Sie. Sie können hier nicht liegen. Sind Sie betrunken?“
Keine Antwort, unbeholfen tastete er mit den Fingern an der Halsschlagader.
Zur Sicherheit fasste er noch an das Handgelenk am ausgestreckten Arm, aber auch da war kein Puls mehr zu fühlen.
„Tot“, sagte er zu sich. „Mausetot.“
Damit stand er auf und brachte sich vor dem immer heftiger werdenden Regen im Vorraum der Bank in Sicherheit. Mit zittrigen Fingern steckte er sich eine Zigarette an. Dass die Schiebetür außer Betrieb und beschädigt war, fiel ihm ebenso wenig auf wie das von der Explosion angerichtete Chaos.