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Kapitel 4

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Es ist Freitag. Zum Glück. Denn länger hätte ich es nicht ausgehalten, allen etwas vorzuspielen. Schön, dass ich jetzt zwei Tage für mich habe. Das heisst, ich kann mich ungestört in meinem Zimmer verkriechen und erst am Montagmorgen wieder raus kommen.

Luke hat mir zwar noch nicht geantwortet, aber ich habe dieses starke Bedürfnis, ihm eine weitere Email zu schreiben. Was spricht schon dagegen? Mittlerweile weiss ich, dass er es nicht lesen wird, aber immerhin fühle ich mich dadurch ein kleines bisschen besser, weil ich mir all meine Sorgen endlich von der Seele schreiben kann. Und da gibt es noch so viel, das mich schon seit sehr langer Zeit bedrückt und belastet.

Deshalb starte ich schnell meinen Laptop auf, mache es mir gemütlich in meinem Bett, öffne meinen Email-Account und beginne zu schreiben.

Hi Luke,

Ich weiss nicht, ob du meine Emails von letzter Woche gelesen hast. Also eigentlich bin ich mir sicher, dass du sie nicht gelesen hast, aber ein kleiner Teil in mir hat die Hoffnung wohl noch nicht aufgegeben, dass du mich eines Tages bemerken wirst.

Heute will ich dir zur Abwechslung nicht so viele Ereignisse schildern, sondern nur auf ein Spezielles eingehen. Die letzten paar Tage waren nämlich ziemlich akzeptabel. Nur heute ist wieder einmal etwas geschehen, das einfach nur schlimm war. Richtig schlimm. Und es fällt mir sehr schwer, darüber zu schreiben, weil ich mich einfach dafür schäme.

Heute Morgen habe ich leider wieder einmal verschlafen. Also nicht direkt, ich habe meinen Wecker gestern Abend auf die falsche Uhrzeit gestellt. Das heisst, dass ich heute Morgen eine Stunde zu spät aufgewacht bin. Ich war zwar endlich einmal ausgeschlafen, aber dann begann leider schon der Stress. Ich hatte wirklich nur ganz wenige Minuten, um mich bereit zu machen und aus dem Haus zu rennen. Das hatte leider zur Folge, dass meine Kleiderwahl ziemlich unglücklich ausgefallen ist. Ich habe einen Pulli und eine Hose aus meinem Kleiderschrank rausgerissen, die nicht auf die geringste Weise irgendwie zusammenpassen.

Als wäre es nicht einfach schon peinlich genug, in diesen Klamotten rumzulaufen, mussten mich meine Mitschüler natürlich noch dichter an den Rand der Verzweiflung bringen.

In dem Moment, als ich das Klassenzimmer betrat, begann das Tuscheln. Jeder mit jedem. Das Thema: Ich und meine Kleiderwahl.

Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich geschämt habe. Wie jedes Mal hätte ich am liebsten in Tränen ausbrechen wollen. Aber das geht ja nicht, denn ich will meinen Mitschülern nicht noch einen weiteren Grund geben, mich so schlecht zu behandeln und über mich zu lästern.

Ich dachte eigentlich immer, dass es schlimmer ist, wenn deine Mitschüler hinter deinem Rücken lästern und du es gar nicht vernimmst. Oder zumindest nicht mitkriegst, worüber sie getuschelt haben.

Das dachte ich bis heute. Es gibt definitiv nichts Schlimmeres, als wenn du ihre Worte hören kannst. Wenn du dastehst und sie über dich reden hörst und du dich einfach nicht wehren kannst. Und du am liebsten einfach verschwinden würdest.

Ich glaube, du kannst dir nicht im Geringsten vorstellen, wie sich das anfühlt. Deshalb solltest du dich glücklich schätzen. Sehr glücklich.

In der Pause war dieses Tuscheln noch unerträglicher, sodass ich fast die ganze Pause auf der Toilette verbracht habe. Ja, du hast richtig gelesen. Und das ist nicht das erste Mal. Es kommt nicht selten vor, dass ich am Anfang der Pause aufs Klo gehe und mich in einer Kabine einschliesse. Dann setze ich mich auf den Klodeckel und warte einfach, bis die Pause vorbei ist. Erst dann verlasse ich das Klo wieder. Und genau das habe ich heute Morgen gemacht, um meinen Mitschülern auszuweichen. Natürlich war es am Mittag nicht einfacher. Ich habe mich richtig unwohl gefühlt und das hat dazu geführt, dass ich keinen Hunger mehr hatte. Deshalb habe ich mich den ganzen Mittag in der Bibliothek verkrochen. Ich bin in einer Ecke auf einem Stuhl gesessen und habe ins Leere gestarrt. Ich konnte nicht essen, nicht lesen, nicht lernen, einfach nichts. Am liebsten hätte ich meinen Tränen freien Lauf gelassen, aber nicht mal das konnte ich mehr. Ich habe mich einfach unendlich leer gefühlt. Mittlerweile habe ich mich etwas beruhigt und vorher habe ich sogar etwas gegessen. Aber es ist definitiv neu, dass ich so eine Leere in mir verspüre! Das ist heute zum allerersten Mal passiert. Und ich hoffe, dass es nicht wieder vorkommt. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man nichts mehr fühlt. Wenn alle Emotionen und Gefühle wie weggeblasen sind. Wenn man nicht lachen oder weinen kann. Wenn einfach nichts mehr geht.

Das ist auch schon das Ende des Emails. Ich will dich auf keinen Fall belästigen, Luke. Es tut nur so gut, sich alles von der Seele zu schreiben. Und auch wenn du das nicht lesen wirst und mir auch niemals antworten wirst, hast du mir schon mehr geholfen, als du dir vorstellen kannst. Danke, dass es dich gibt.

Kayla

Ich schicke die Email ab, ohne sie mir noch einmal durchzulesen. Dann schiebe ich meinen Laptop auf die Seite, lege meine Lieblings-CD in meine kleine, aber gute Musik-Anlage und drehe sie ziemlich laut auf. Anschliessend lege ich mich auf mein Bett und schliesse meine Augen. Ich will an nichts denken. Ich will einfach nur hier liegen und Musik hören. Nur das.

Plötzlich schrecke ich hoch. Jemand hat mir auf die Schulter getippt. Ich schlage meine Augen auf und erblicke meine Mutter, die sich über mich gebeugt hat. Anscheinend bin ich eingeschlafen, als ich Musik gehört habe.

Meine Mutter schüttelt nur den Kopf und teilt mir mit, dass sie jetzt ins Bett geht und sie froh wäre, wenn ich nicht mehr so laut Musik hören würde. Ich nicke nur und warte, bis sie mein Zimmer verlassen hat. Dann schnappe ich mir meinen Laptop, den ich noch ausgeschaltet habe, bevor ich eingeschlafen bin.

Na toll, weil ich jetzt fast zwei Stunden geschlafen habe, bin ich nicht mehr müde und werde wohl erst in den frühen Morgenstunden wieder schlafen können. Mein Schlafrhythmus ist die reinste Katastrophe!

Ich widme mich meinem Laptop und klicke sofort auf mein Email-Postfach um zu schauen, ob mir Luke vielleicht geantwortet hat. Ich mache mich wortwörtlich verrückt mit diesen Emails an Luke und der Hoffnung, dass er mir doch noch geantwortet haben könnte.

Leider ist keine Antwort von ihm dabei. Dafür springt mir eine andere Email sofort ins Auge. Anscheinend hat noch jemand auf meinen Kommentar auf Emilys Blog geantwortet. Neugierig wie ich bin, gehe ich sofort auf Emilys Blog, suche den entsprechenden Post und suche meinen Kommentar und die Antworten darunter. Die letzte Antwort kommt von Emily selbst.

Hi Kayla,

In den letzten Tagen habe ich deine Tipps einmal ausprobiert. Am Anfang fiel es mir noch ziemlich schwer, aber ich merke, wie ich meine Traurigkeit jeden Tag besser überspielen kann. Danke!

Ich würde dich gerne privat etwas fragen, deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn du mir eine Email schreiben würdest. Meine Email-Adresse findest du in der rechten Spalte.

xx Emily

Wow! Ich weiss nicht, worüber ich mehr erstaunt sein soll. Darüber, dass sie meine Tipps tatsächlich ausprobiert hat und sie ihr geholfen haben oder darüber, dass sie mich privat etwas fragen möchte. Wie immer gehe ich sofort vom Schlimmsten aus und frage mich, ob sie mich privat fertig machen will und vielleicht nur so getan hat, als ob ihr meine Tipps geholfen hätten. Vielleicht haben sie alles nur schlimmer gemacht, aber sie wollte es hier in der Öffentlichkeit nicht zugeben. Aber wenn sie mich fertig machen wollte, könnte sie das auch öffentlich tun. Oder sie hätte mir nicht antworten müssen, wenn die Tipps nutzlos gewesen wären.

Schliesslich überwiegt die Neugier. Ich gehe zurück auf meinen Email-Account und beginne zu schreiben.

Hi Emily,

Hier ist Kayla. Es freut mich, dass dir meine Tipps geholfen haben. Ich bin mir sicher, dass es mit jedem Tag einfacher wird.

Jetzt bin ich aber neugierig: Was wolltest du mich fragen?

Kayla

Ich bin nicht ganz zufrieden mit der Email, aber ich weiss schlicht und einfach nicht, was ich noch schreiben sollte. Ich kenne sie nicht, deshalb will ich nicht gleich alles von mir preisgeben. Trotzdem schicke ich es ab. Es hat ja keinen Sinn, noch lange zu warten.

Danach gehe ich ins Badezimmer, wo ich mich zuerst abschminke und mich bettfertig mache. Ich bin zwar noch nicht müde, aber ich weiss nicht, was ich sonst noch tun sollte. Zurück in meinem Zimmer schlüpfe ich schnell in meinen Pyjama, der eigentlich nur aus einem viel zu grossen Shirt besteht. Ich lösche das Licht und setze mich ins Bett, natürlich mit dem Laptop auf meinem Schoss. Ich öffne Youtube und schaue mir noch ein paar Videos an, bis es mir langweilig wird.

Das liegt nur daran, dass ich keine Hobbies und Freunde habe. Ich sitze tagtäglich in meinem Bett, mit dem Laptop auf dem Schoss und surfe im Internet. Und schaue Videos. Ab und zu auch ein paar Serien. Aber mehr mache ich nicht. Hätte ich Freunde, wäre das bestimmt anders. Aber irgendwie kann ich mich im Moment einfach für nichts begeistern. Ich sehe überall nur das Negative. Ausserdem frage ich mich ziemlich oft, warum ich überhaupt irgendwas machen sollte. Am Schluss sterbe ich sowieso und dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob ich in meiner Jugendzeit Spass hatte oder nicht. Wenn man wie ich, nicht an ein Leben nach dem Tod glaubt, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens wohl um einiges schwerer zu beantworten.

Ich will den Laptop gerade ausschalten und endlich versuchen, einzuschlafen, als ein Ton erklingt, der signalisiert, dass ich eine neue Email erhalten habe. Natürlich hoffe ich, dass die Email von Luke ist. Aber wie schon erwartet, werde ich enttäuscht, denn die Email ist nur von Emily. Trotzdem bin ich neugierig, was sie geschrieben hat.

Hi Kayla,

Danke, dass du mir geschrieben hast. Weil deine Tipps bei mir so wunderbar funktioniert haben, dachte ich, dass sie vielleicht auch anderen Menschen helfen könnten. Deshalb bin ich auf die Idee gekommen, dass ich deine Ratschläge in einen Blogpost einbauen könnte. Natürlich nur, wenn du einverstanden bist! Aber ich bin mir sicher, dass sie einigen Leuten helfen könnten. Was hältst du davon?

Du scheinst ja wirklich ein Profi zu sein in diesem Gebiet. Aber das hat bestimmt einen Grund. Ich weiss, wir kennen uns nicht und ich würde es total verstehen, wenn du mir nicht davon erzählen möchtest. Trotzdem tut es manchmal gut, wenn man sich einer fremden Person anvertrauen kann. Möchtest du mir vielleicht verraten, wie es dazu kam, dass du so ein Profi auf diesem Gebiet bist?

Gute Nacht,

xx Emily

Was? Emily will meine Tipps veröffentlichen? Und sie haben ihr tatsächlich geholfen? Ich kann es kaum fassen! Seit langer Zeit verspüre ich das leichte Gefühl von Stolz. Ich habe tatsächlich einem Menschen geholfen und kann vielleicht noch anderen Menschen helfen! Es fühlt sich so gut an! Schon lange habe ich mich nicht mehr so lebendig gefühlt.

Trotzdem beschleichen mich wieder negative Gedanken. Was ist, wenn die anderen Menschen meine Tipps nicht hilfreich finden? Wenn sie sich über meine Ratschläge lustig machen würden? Das könnte ich nicht verkraften. Das wäre schrecklich. Dann hätte ich mir meinen heiligen Ort verdorben.

Plötzlich kommt mir eine Idee. Ich könnte Emily ja fragen, ob sie die Tipps anonym veröffentlichen würde. Ich will auf keinen Fall, dass sie meinen Namen erwähnt. Falls das jemand von meiner Klasse lesen würde, wäre ich geliefert! Aber anonym geht es.

Hallo Emily,

Du kannst die Tipps veröffentlichen. Ich bin froh, wenn ich Leuten helfen kann. Aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du sie anonym veröffentlichen würdest und meinen Namen für dich behalten würdest.

Ich spreche wirklich nicht gerne darüber. Nur so viel: Seit zwei Jahren geht es mir nicht besonders gut. Und davon sollen meine Familie und meine Mitschüler so wenig wie möglich mitkriegen.

Gute Nacht.

Kayla

Die Verlockung ist gross, Emily mein Herz auszuschütten, weil ich weiss, dass sie meine Emails lesen würde. Trotzdem, ich kenne sie nicht. Ich weiss nicht, was für ein Mensch sie ist. Selbst wenn ich sie kennen würde, könnte ich ihr nicht vertrauen. Ich habe gelernt, niemandem mehr zu vertrauen. Früher oder später wird jeder Mensch dein Vertrauen schamlos ausnutzen.

Angel

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