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EINFÜHRUNG DES HERAUSGEBERS DER SOHN DES TORFSTECHERS

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Ludwig Leichhardt entstammte dem ›Volk aus der Tiefe‹. Er konnte weder auf eine adelige noch auf eine bürgerliche oder nur eine bäuerliche Abkunft verweisen. Er wurde am 23. Oktober 1813 als das sechste Kind eines armen Torfstechers in der Nähe des Dorfes Trebatsch in der preußischen Mark Brandenburg geboren. Die mühevolle Lebensaufgabe seines Vaters und wohl auch schon der Vorfahren bestand darin, in den weiten brandenburgischen Moorheiden Heiztorf in Ziegelform auszustechen, diesen den Sommer über an mannshohen in den Moorboden getriebenen Stangen zu trocknen, der dann an der Stelle von Kohle oder Brennholz in die Haushalte der Umgebung bis nach Berlin geliefert wurde.

Dem kleinen Ludwig wäre vielleicht genauso wie einigen seiner Brüder dieses gleiche Lebensschicksal beschieden gewesen, wäre seine Intelligenz und die rasche Auffassungsgabe nicht seinem Taufpaten, dem Pastor Rödelius aus Zaue, schon in der Volksschule aufgefallen. Er sah in ihm einen jungen Seelenhirten heranwachsen und brachte den Jungen mit 13 Jahren auf eigene Kosten an das Gymnasium in Cottbus. Die Mutter ließ das ungern geschehen; sie fürchtete, dass sich ihr Jüngster – wie so viele Studenten damals – auch zu einem Freigeist entwickeln würde.

Der junge Ludwig aber entwickelte bald eine andere Leidenschaft: Als ihm das eben damals erscheinende mehrbändige Werk Alexander von Humboldts »Die Ansichten der Natur« in die Hand fiel, erweckte es in ihm eine unbändige Sehnsucht nach Reisen in ferne und unerforschte Länder. Aber wie hätte er jemals ohne Geld und gute Beziehungen auf die Erfüllung solcher Wünsche hoffen können?

Mit 18 Jahren bestand Ludwig Leichhardt 1831 sein Abitur in Cottbus mit ausgezeichnetem Erfolg. Er musste nun wieder nach Hause heimkehren und versuchen, die Laufbahn eines kleinen Beamten anzutreten. Doch noch während der Ferien entschloss er sich zum Studium der Philosophie. Im Herbst 1831 fand er von Neuem Gönner, damit der völlig mittellose Student an die Universität Berlin gehen konnte. Er blieb dort vier Semester, immer noch schwankend, zu welchem Lebensberuf er sich entscheiden sollte.

Im Jahre 1833 wechselte Ludwig Leichhardt an die Universität Göttingen. Und hier fiel mit einem Schlag durch eine zufällige Begegnung die Entscheidung über sein endgültiges Lebensziel!

Er lernte dort zwei Studenten aus England, die Brüder John und William Nicholson, kennen. Diese stammten aus dem Hause eines wohlhabenden Händlers in Clifton und waren eben auf einer Bildungsreise für ein paar Semester an eine deutsche Universität gekommen. Ludwig freundete sich mit den Brüdern Nicholson an, die von der gleichen Reiselust befallen waren. Sie überredeten Leichhardt, auf das Studium der Naturwissenschaften und der Medizin hinüberzuwechseln, weil sich nur mit diesen Wissenschaften für einen jungen Forscher der Weg in die weite Welt öffnete. Die drei Freunde wohnten bald auf einer gemeinsamen Studentenbude.

Ludwigs Eltern und Pastor Rödelius waren über diesen Studienwechsel aufs Tiefste enttäuscht. Aber nun übernahmen nach einem kurzen Briefwechsel mit den Eltern der Nicholsons diese auch die Kosten für das Studium Leichhardts. Nach einem Jahr Studium in Göttingen gingen alle drei Studenten wieder an die Universität Berlin, um dem damals berühmtesten Weltreisenden Alexander von Humboldt, der zeitweilig auch an der Universität Vorlesungen hielt, nahe zu sein.

Nach dem Abschluss des Studiums kam auch für die drei Freunde die Stunde der Trennung. Doch die Brüder John und William luden den Freund nun zu einem mehrmonatigen Aufenthalt im Hause Nicholson nach Clifton ein. Ludwig Leichhardt kehrte noch einmal zu seinen Torfstecher-Eltern nach Trebatsch zurück, bevor er sich auf die Reise nach England begab.

Er fuhr in der Reisekutsche nach Hamburg und kam auf einem Segler, der auch sechzig deutsche Auswanderer nach Amerika an Bord hatte, nach England. Nach einem kurzen ersten Aufenthalt in London, wobei er die Weltoffenheit dieser großen Stadt staunend erlebte, reiste er mit der Postkutsche eine Woche später nach Clifton in der Nähe von Bristol.

Ludwig wurde wie ein Kind des Hauses aufgenommen. Der Besuch war nur auf ein paar Monate gedacht gewesen. In dieser Zeit aber starb eine kinderlose Erbtante der Nicholsons, die den beiden Neffen ihr ganzes großes Vermögen testamentarisch vermacht hatte.

William Nicholson ließ nun seinen Freund nicht mehr aus England fort. »Wir werden jetzt mitsammen reisen und die Welt studieren!«, lud er Ludwig ein. Wie hätte dieser ein solches Himmelsgeschenk ablehnen können? Er schlug sogleich überglücklich ein.

Ludwig Leichhardt lebte nun ein halbes Jahr lang in England. Auf die immer dringenderen Bitten der Eltern, wieder nach Deutschland heimzukehren, schrieb er Ende 1837 einen Brief an sie, der zusammen mit anderen Briefen Leichhardts erhalten blieb: »William und ich wollen noch bis zum Mai des nächsten Jahres in London studieren. Später wollen wir zusammen nach Paris gehen. Und wenn uns die Umstände günstig gestimmt sind, wollen wir hernach an den Küsten des Mittelländischen Meeres naturwissenschaftliche Studien anstellen. Diese sollen uns für größere Reisen in tropische Erdteile vorbereiten. Soviel ist schon jetzt gewiss, dass uns Europa allein nicht genügen wird und dass wir drei oder vier Jahre lang auf Reisen bleiben wollen. Wir planen, später nach Ostindien oder nach Australien zu gehen …«

In diesem Brief kündigte sich zum ersten Mal der ferne Erdteil Australien in Leichhardts Leben an, der später auch sein ausschließlicher Lebensinhalt und sein Schicksal wurde. In den wohlhabenden Kreisen Londons ging damals ein geflügeltes Wort um: »Ein Mann, der nicht beide Indien gesehen hat, ist noch kein richtiger Reisender und hat von der Welt noch nichts gesehen!«

Im Mai 1838 beantragte Leichhardt vor seiner Ausreise nach Paris einen Reisepass bei dem deutschen Konsul in London. Dieser aber wurde ihm nach einer Rückfrage in Berlin überraschend verweigert. Leichhardt war in der Zwischenzeit in Preußen zur Ableistung des Militärdienstes einberufen worden. Seine sofortige Heimkehr aus England wurde ihm nun befohlen.

Der Einberufene fiel aus allen Himmeln. Jetzt – vor dem Beginn der größten Reise seines Lebens sollte er zu jahrelangem Kasernendienst verurteilt sein? Auch William redete ihm dringend zu, jetzt nicht heimzukehren. Leichhardt ersuchte um die Aufschiebung seines Militärdienstes bis zur Rückkehr von der großen Weltreise. William Nicholson erreichte es mit den guten Verbindungen seines reichen Vaters ohne Weiteres, dass Ludwig einen englischen Pass erhielt. Mit diesem setzten die zwei Freunde ohne Behinderung über den Kanal nach Frankreich über. In Paris erfuhr Leichhardt von dem Aufschub der Einberufung bis zum 1. Oktober 1840. Kehrte er jedoch auch bis dahin nicht zurück, war ihm als Fahnenflüchtigem Preußen für immer verschlossen, oder er lief Gefahr, bei seiner Heimkunft vielleicht für Jahre in den Kerker zu wandern.

Paris, das Ludwig Leichhardt gerade zu dieser Zeit mit einem Rausch an Reiselust erfüllte, ließ ihn diese Drohung nicht schwernehmen. Er träumte schon von den blauen Küsten des Mittelmeers, von Italien und Griechenland – wie sollte er da einen Befehl, der ihm zur Befolgung noch zwei Jahre Zeit schenkte, ernst nehmen? Bis dahin konnte er sich immer noch entscheiden – zurück nach Preußen in eine graue Kaserne oder hinaus in eine unbegrenzte weite Welt! Die Entscheidung fiel für die unbegrenzte Weite.

Aber dennoch spürte er eine ständige Drohung über seinem Leben, die ihm manche unerhörte Erlebnisse verdarb. Das unerträgliche Gefühl, später einmal nicht mehr in sein Vaterland zurückkehren zu dürfen, ohne Strafe und Kerkerhaft erwarten zu müssen, brachte ihn noch in Italien fast dazu, alles hinzuwerfen und wieder heim zu seinen alten Eltern zu gehen.

Aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass er schon als Zwölfjähriger davon geträumt hatte, einst ein Handwerksgeselle zu werden, damit er in die Welt hinauswandern konnte. Jetzt aber konnte er frei wie ein Vogel von Land zu Land, von Erdteil zu Erdteil fliegen! Das verdrängte die nagende Unruhe.

Nach einer achtzehn Monate dauernden Reise durch die Länder des Mittelmeers kehrte er 1840 noch einmal mit William nach London zurück. Seiner Heimkehr nach Deutschland hatte er endgültig abgesagt.

Vor seiner neuen Reise schrieb Ludwig an seine Mutter – der Vater war indessen gestorben: »… und unser gemeinsamer Plan ist, für zwei Jahre nach Neuholland (so hieß damals Australien noch in Europa) zu segeln und uns in der Sydney-Kolonie anzusiedeln. William will unsere Kapitalien in der Schafzucht anlegen, die das angelegte Geld derzeit mit 80% verzinsen soll. Von diesem Ertrag können wir zwei dann gemeinsam, ohne das eigentliche Kapital zu vermindern, unsere Reisen und Forschungen kreuz und quer durch Australien finanzieren …«

Doch im letzten Augenblick kam alles völlig anders. William Nicholson scheute sich auf einmal vor dem harten und ungeregelten Leben als »australischer Buschläufer«. Er eröffnete in Edinburgh in Schottland eine Praxis als Arzt.

Sein Freund Leichhardt aber sollte nicht auf seine Pläne verzichten müssen, obwohl er auch jetzt völlig bar eigener Geldmittel dastand. Nicholson bezahlte die Überfahrt nach Australien auf dem Auswandererschiff »Sir Edward Paget« und stattete ihn darüber hinaus noch mit 1400 Talern aus, damit sich Leichhardt im fernen Kontinent eine erste Lebensgrundlage schaffen konnte.

Die »Sir Edward Paget« stach am 1. Oktober 1841 von Cardiff aus in See. Mit der englischen Küste entschwand Europa endgültig aus dem Leben Leichhardts. Er hatte über seine Zukunft entschieden – für viele Jahre – vielleicht für sein ganzes Leben!

Die monatelange Segelreise auf dem Schiff verlief mit den üblichen Aufregungen – Stürmen und Krankheiten, Sehnsucht, Heimweh und Langeweile. Mit Leichhardt reisten 250 englische Auswanderer, die so bettelarm waren, dass ihnen die Regierung die Überfahrt hatte bezahlen müssen, um die Besiedlung der neuen Kolonie rascher voranzutreiben. Das englische Mutterland litt dauernd an Überbevölkerung, dennoch entschlossen sich viel zu wenig verarmte Manufakturarbeiter und Bauern zur Auswanderung in die verrufene Strafkolonie, auf der über hundert Jahre lang fast ausschließlich Verbrecher ausgesetzt worden waren. Nur die etwa zwanzig zahlenden Passagiere, Kaufleute und angehende Farmer, hofften, im neuen Erdteil viel rascher als zuhause zu Reichtum zu gelangen. Bereits auf dem Schiff blühte hektisch die Spekulation mit Grundstücken und Anteilen an riesigen Schaffarmen.

Die erste Durchquerung Australiens

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