Читать книгу Als du das Pfauenauge gerettet hast - Luise Eggers - Страница 7
2. KAPITEL
ОглавлениеElina kratzte sich am Kopf. Warum war es auf einmal so hell? Sie blinzelte, bis die Augen sich an das Licht gewöhnten. Sie hatte vergessen, die Gardinen zuzuziehen, und die Sonne schien direkt in ihr Gesicht. Sie drehte sich zu ihrem Wecker. Noch zwanzig Minuten, bis er unangenehm klingeln würde.
Es piepte. Ohne aufzusehen, versuchte sie die Alarmtaste zu treffen. Noch fünf Minuten, dachte sie, aber das Rumpeln auf der Treppe war nicht zu überhören.
Mit Schwung schlug sie die Decke zurück, streckte sich, gähnte dabei und ging ins Badezimmer. Sie sah auf ihre Fingernägel. Obwohl sie kurz waren, war ein schwarzer Rand zu erkennen. Sofort dachte sie daran, wie ihr Vater sich aufregen würde, wenn er das sähe, aber sie war nach dem Schwimmen und der ganzen Sache mit Jannick einfach zu erschöpft gewesen. Sie suchte in der Schublade des Badschranks nach der Nagelbürste. Das Wasser lief über ihre eingeseiften Hände und sie schrubbte kräftig, bis die Finger rot, fast wund waren. Danach griff sie ihre Zahnbürste, deren Borsten sich bereits nach außen bogen, und putzte sich die Zähne.
Die Treppe knarzte unter ihren Füßen. Schnell kämmte sie ihre Haare mit den Händen und folgte dem Duft nach Kaffee und aufgebackenen Brötchen.
»Guten Morgen, Lini. Hast du gut geschlafen? Du warst so früh im Bett«, fragte ihre Mutter, holte die Brötchen aus dem Ofen und schnitt das Vollkornbrot in Scheiben.
»Ja, ganz gut. Haben wir noch Toast?«
»Da steht der ganze Tisch voll mit Mehrkornbrötchen, Vollkornbrot, Buttercroissants und sogar Franzbrötchen, und sie will Toast. Wozu hat man eigentlich zwei Bäckerei-Filialen, wenn das eigene Kind nur Toast isst?«, sagte Elinas Vater, als er die Küche betrat. Fröhlich küsste er seine Frau, nahm die Kaffeekanne, goss ihnen beiden ein und setzte sich. Die Zeitung in seiner Hand raschelte, als er sie aufschlug. Gleich nach ihm setzte sich Elinas große Schwester Anna an den Tisch. Elina ging zum Toaster und legte zwei Scheiben Weizentoast hinein, drückte den Schalter herunter und setzte sich im Schneidersitz wieder auf ihren Stuhl. Ihr Vater, Wolfgang Hagemann, sah kritisch von seiner Zeitung auf.
»Ein Kamm ist dir heute auch noch nicht über den Weg gelaufen, oder?«, fragte er.
»Lass sie, das trägt man heute so«, sagte ihre Mutter.
»Anna trägt es auch nicht so, das kann ja nicht der Grund sein.«
»Genau, weil Anna auch das Musterbild dafür ist, wie man seine Haare tragen muss!«
»Reg dich ab. Papa meinte doch nur, dass du mal deine Mähne kämmen solltest, sonst verfilzt sie. Willst du das?«, fragte Anna.
»Reg dich doch selber ab!«
»Fräulein, werde nicht pampig!«, sagte ihr Vater und hob den Zeigefinger.
»Aber …«
»Es reicht jetzt, alle drei!«, unterbrach Elinas Mutter sie und beendete die Diskussion.
Elina tobte innerlich. Die Haare! Nicht die Fingernägel. Nein, heute waren es die Haare, die ihn störten.
Das Toastbrot sprang hoch. Elina holte die zwei Scheiben, bestrich die erste mit Butter, die sofort schmolz, und belegte sie mit einer Scheibe Zervelatwurst. Von dem Obstteller, der auf dem Tisch stand, nahm sie sich Weintrauben und zwei Apfelstückchen. Sie schlang den Toast herunter, schüttete den Orangensaft hinterher und wollte in ihr Zimmer.
»Wieso hast du eigentlich noch dein Nachthemd an? Müsst ihr nicht gleich zum Bus?«, fragte ihr Vater und sah auf seine Digitalarmbanduhr.
»Wolfgang! Jetzt lass sie doch.«
»Was? Ich mein doch nur.«
Elina stand auf, ohne auf die Frage zu antworten. Er schnaufte, aber seine Frau legte ihre Hand auf seine.
Sie versuchte, jeden Tag zeitversetzt zu ihrer Schwester loszugehen. Entweder kam sie im Schlafanzug herunter oder frühstückte länger als Anna. Was sollte das auch bringen, zusammen zum Bus zu gehen? Streiten oder Anschweigen waren die Auswahlmöglichkeiten. Deswegen machte sie sich lieber alleine auf den Weg. Schließlich machte Anna auch nie Anstalten, auf sie zu warten. Anna, mit ihrem glänzenden Bob, der Elina immer an Natalie Portman in Léon, der Profi erinnerte. Natürlich sah sie viel erwachsener aus und hatte auch mehr Busen, in einem perfekten Verhältnis zu ihrem fraulichen Becken und der schmalen Taille. Die Frisur war selten und gepaart mit ihrer modernen Miss-Sixty-Jeans und den anständigen Blusen wirkte sie wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Blusen, die alles verhüllten und doch aus so dünnem Stoff waren, dass sich jede Linie von Annas Körper abzeichnete.
Elina zog sich an und packte ihre Schulbücher in ihren blauen Eastpak-Rucksack. Sie hörte die Haustür zuschlagen. Anna war weg. In der Küche legte sie sich Obst in ihre Frühstücksbox und ihre Mutter reichte ihr ein zusammengeklapptes Honigtoastbrot. Sie gab ihrer Mutter einen Kuss.
Auf dem Weg zum Bus dachte sie an Jannick. Ob sie ihn heute sehen würde? Und wie würde er reagieren?