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Samstag, 13. Juni

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Privathaus Adalbert Meurer

»Vandenberg«, sagte Meurer und nickte. »Alteingesessene Messingdynastie.« Er strich sich durch sein struppiges graues Haar. »Die Familie um Heinrich I. Vandenberg ist 1595 aus Aachen hierhergezogen. Und Heinrich I. Vandenberg war nicht der einzige Kupfermeister, der nach Stolberg kam! Die Stadt hatte einiges zu bieten«, erklärte Meurer voller Stolz.

»Messing, Kupfer? Messingdynastie, Kupfermeister, was denn jetzt?« Straubinger war verwirrt.

»Also Kupfermeister ist eigentlich nicht richtig. Stolberg hat ein besonderes Erzvorkommen, das sehr selten ist in dieser Ausprägung. Galmei heißt es.«

»Da bin ich ja beim Vorsitzenden des Geschichts- und Heimatvereins genau richtig«, stellte Straubinger fest. »Und ich bin dankbar, dass Sie mich an einem Samstag empfangen.«

Meurer nickte sichtlich geschmeichelt. »Ja, Galmei ist eines der bevorzugten Forschungsobjekte in unserem Verein. Und dann hatten wir natürlich noch die Bleierze, weshalb sich in Stolberg ein beachtlicher Bleiabbau entwickelt hat, aber das ist alles längst vorbei.«

»Galmei also. Was ist das genau?«, fragte Straubinger.

»Ein Zinkerz. Hier in Stolberg hauptsächlich Zinkcarbonat, im nahen Belgien kommt es überwiegend als Silikat vor. Dort nennen sie das Erz Calamine oder Kelmis, so heißt deshalb auch ein größerer Grenzort in der Nähe von Aachen. In Belgien, genauer in der Stadt Dinant, haben die Messingschläger, die sogenannten Batteurs, bis ins 15. Jahrhundert Messingfeingeschirr hergestellt und nach ganz Europa verkauft, Paris, London, Deutschland. Nach der Zerstörung Dinants durch die Burgunder und Niederländer sind die Batteurs nach Aachen geflohen und haben sich später in Stolberg niedergelassen. Den Galmei hat man gemahlen, mit Holzkohle und Kupfer vermischt, dann auf 1.000 Grad erhitzt, und raus kam Messing, eine Legierung aus Zink und Kupfer.«

»Und das wurde hier in Stolberg hergestellt?«

»Ja, in den Kupferhöfen. Bis vor ungefähr 200 Jahren wusste man allerdings noch nicht, dass im Galmei eigentlich Zink drinsteckt. Messing hielt man daher für eine andere Form von Kupfer und man hat es ›Gelbes Kupfer‹ genannt. Die Messingschmiede hießen folglich Kupfermeister und deren Wohnhäuser und Betriebsstätten nannte man Kupferhöfe. Und davon gibt es in Stolberg, und nur hier, noch ein gutes Dutzend.«

»Und warum sind so viele Kupfermeister nach Stolberg ausgewandert?«

»Drei Gründe. Erstens: Gefäße aus Messing kamen damals in ganz Europa mehr und mehr in Mode. Um Messing in Massenproduktion herzustellen, brauchte man Wasserkraft für die Hammerwerke, mit denen man aus den Messingplatten die Hohlformen herstellen konnte. In Aachen aber gehörte das Wasser den Tuchfabrikanten. Zweitens: Galmei ist sehr schwer. Die Aachener mussten das Erz erst einmal aus Belgien holen. Da bot es sich doch an, die Hammerwerke direkt dort zu errichten, wo das Erz unmittelbar neben fließendem Wasser abgebaut wurde, nämlich in Stolberg.«

»Und der dritte Grund?«, fragte Straubinger.

»Die Religion. Die Aachener Kupfermeisterfamilien waren überwiegend Protestanten. Das urkatholische Aachen hat ihnen im Zuge der Gegenreformation das Leben schwer gemacht. Ihnen wurden die Rohstoffe gesperrt, sie wurden geächtet. Die Stolberger aber haben sie dankbar aufgenommen. Stolberg wurde dadurch reich, Aachen verarmte. Wie dumm kann man sein?«, sagte Meurer kopfschüttelnd und lachte. »Tja, und so kam es, dass wir uns in Stolberg heute rühmen dürfen, das älteste industrielle Familienunternehmen Deutschlands zu beherbergen, die Prym Werke.«

»Spannende Geschichte. Aber was ist mit den Vandenbergs?«

Meurer dachte kurz nach. »Tja, die Vandenbergs. Verlierer zur Zeit des Umbruchs.«

Straubingers Neugier wuchs. »Welchen Umbruch meinen Sie?«

»Irgendwann hat man dann doch festgestellt, dass reines Zink viel leichter ist als Galmei. Also schaffte man reines Zink fortan dorthin, wo das Kupfer gefunden wurde, statt umgekehrt. Dadurch verlor die Messingindustrie in Stolberg an Bedeutung. Die Kupfermeister mussten sich auf andere Geschäftsfelder einstellen. Kurzwaren, Glas, Textilien. Während andere das wunderbar schafften, verloren die Vandenbergs den Anschluss.«

»Und ihr Kupferhof?«

»Ihr Anwesen, der Kupferhof Blumenthal, verfiel in der Folge zunehmend. Ein Teil der Familie lebte nur noch in einem Flügel des Hauses, im Südflügel.« Meurers Gesicht drückte Bedauern aus, hellte sich aber gleich wieder auf. »Aber dann, wie durch ein Wunder, in den 30er-Jahren, da kamen die Vandenbergs wieder zu Geld.«

»Wie das?«

Meurer hob die Schultern. »Die Vandenbergs hatten in Bier investiert. Nazis haben ja nicht nur gebrüllt, gesoffen haben sie auch wie die Löcher. Vandenberg Pils, ein schlimmes Gesöff.«

»Eine turbulente Zeit«, bemerkte Straubinger lakonisch. »Aber Gerhild Vandenberg lebt ja heute noch dort.«

»Ja. Die letzte Vandenberg ist Gerhild Vandenberg.«

»Und Heinrich Vandenberg, ihr Vater?«

Meurer stutzte. »Aha, Sie haben schon ein wenig vorgearbeitet. Da läuft also der Hase lang!« Meurer atmete durch. »Tja, Heinrich III. Vandenberg, er ist damals mit dem Brauen wieder zu großem Wohlstand gekommen. Später starb er bei Waldarbeiten. Im Gressenicher Wald. Tragische Sache, ist wohl auf eine Mine getreten.«

»Wissen Sie Näheres darüber?«

»Unterlagen gibt es angeblich nicht darüber. Wir vom Geschichtsverein haben da sehr gründlich recherchiert. Sogar in den Polizeiakten haben wir nichts gefunden.« Meurer schüttelte den Kopf. »Nein, da existiert nichts mehr.«

»Und Gerhild, was war mit ihr?«

»Gerhild ist in meinem Alter, sie war also damals 16, als das mit ihrem Vater passiert ist.«

»Welches Verhältnis hatte sie zu ihrem Vater? Was war er für ein Typ?«

»So gut kannte ich ihn nicht. Aber ich weiß noch, dass er politisch eher liberal gewesen ist. Belesen, geachtet, und er war kein Nazi, im Gegensatz zu seinem Bruder Olaf. Der hat ja nach Heinrichs Tod nicht nur das Familienerbe, sondern auch Gerhilds Vormundschaft übernommen, der alte Nazi-Kopp.«

»Und sie, war sie nicht aufmüpfig gegen ihn, einen Nazi?«

Er lachte. »Nein, Gerhild war zu schüchtern, ein bisschen ängstlich und sehr verletzlich. Hat sich immer nur für Kunst interessiert. Sie war leise, wurde in der Schule nicht gut behandelt von ihren Gleichaltrigen. Als ›Kopperdöppe‹ wurde sie verspottet, also Kupfertöpfchen. Nicht etwa, weil sie aus einer Kupfermeisterfamilie stammte, nein. Sie hatte kupferrote krause Haare.« Meurer verfiel in einen Flüsterton. Hinter vorgehaltener Hand ergänzte er: »Sie war unehelich.«

»Ihr alten Leut.« Straubinger grinste und schüttelte den Kopf. »Ihr kriegt die verschrobenen Moralvorstellungen irgendwie nicht aus dem Kopf, wie? Ist doch kein Verbrechen, unehelich zu sein.«

»Nein, im Gegenteil, also heut ist das doch alles egal. Aber damals war das ganz anders.« Meurer winkte verunsichert ab. »Ich mein ja nur!«

»Was meinen Sie ja nur?« Straubingers Stimme wurde ein wenig ärgerlich.

»Also in den 50ern«, Meurer hob den Zeigefinger und schwang ihn bedrohlich hin und her, »da war das … Es war eben so … eine Schande, unehelich zu sein, das kann ich Ihnen sagen.«

»Schon klar, das arme Mädchen wird es jeden Tag gespürt haben.«

»Ja, äh, und die roten Haare, das lag in der Familie mütterlicherseits. Rote Haare, das war damals kein Zuckerschlecken. Ihrer Cousine Gisela«, Meurer hielt kurz inne und sah nach oben, »Robrecht mit Familiennamen hieß sie, glaube ich, ihr ist es damals ähnlich ergangen. Die beiden waren die besten Freundinnen.«

»Lebt sie noch, ihre Cousine?«

»Ja, sie lebt heute, soweit ich weiß, in Gressenich.«

Die Akte Hürtgenwald

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