Читать книгу Die Akte Hürtgenwald - Lutz Kreutzer - Страница 6
Dienstag, 24. März –
53 Jahre später
ОглавлениеKöln
Es war zu heiß an diesem Tag, dabei war es erst März. Frau weg, zu viel Bier im »Colonia« und jetzt dieser Taxifahrer! Erst mokierte sich der Kerl über das »fremde Gesocks«, das die Stadt unsicher mache, und als Straubinger ihn bat, ihn nur nach Hause zu fahren und die Klappe zu halten, meckerte er, dass die Bayern ja genauso eine Pest wären. Die Bayern, eine Pest. Er, Straubinger, eine Pest! Das war zu viel.
Straubinger herrschte ihn an, er wolle sofort aussteigen. Doch der Taxifahrer gab Gas, raste um die Ecke und machte erst am Parkplatz vor dem Kölner Zoo eine Vollbremsung. Er beschimpfte Straubinger als Scheißbayer, bezeichnete, noch frecher, das Münchner Bier als Kotzbrühe und wollte zehn Euro zusätzlich. Schmerzensgeld, weil Straubinger im Gegenzug Kölsch als Rollmopspiesel bezeichnet hatte, wegen Beleidigung und so.
»Ja geht’s no?«, lallte Straubinger in breitem Oberbayerisch den Taxilümmel an. »Schmerzensgeld? Ja, da brauchst erst mal a richt’ge Watschn, damit’s überhaupt schmerzen tut!« Straubinger holte aus und verpasste dem Taxifahrer eine, dass es knallte.
Der Taxifahrer hielt sich die Nase. Straubinger griff nach seinen Sandalen, die er zuvor ausgezogen hatte, riss die Tür auf und stieg aus. Er warf fünf Euro auf den Beifahrersitz und schlug die Tür zu. In dem Moment gab der Flegel Gas.
Verflucht! Was war das? War der Scheißkerl ihm tatsächlich über den Fuß gefahren? Straubinger kippte wie in Zeitlupe nach hinten und sah, wie der Taxifahrer mit blutiger Nase, zitternden Lippen und gehässigem Blick zweimal zum Abschied mit der Faust auf die Hupe schlug und weiterfuhr. Straubinger fiel zur Seite, der Mistkerl überrollte mit dem Hinterrad ein zweites Mal seinen nackten Fuß. Es krachte.
Straubinger schrie auf. »Na wart, wenn ich dich erwisch, du Sau!« Mit schmerzverzerrtem Gesicht starrte er ihm nach. Er merkte sich das Kennzeichen, legte sich auf den Rücken und rief die 112.
Fast zwei Monate hatte Straubinger damit verbracht, seinen Fuß zu kurieren. Drei Platten aus chirurgischem Stahl hatten sie ihm eingebaut. »Da nutzt Titan dir auch nix mehr«, hatte der Chirurg gesagt. Komplizierter Mittelfußbruch. »Da brauchen wir was, was nicht reißt!« Mannomann, sein Fuß auf dem Röntgenbild glich eher einem Schraubenregal im Baumarkt als einem menschlichen Körperteil.
Heute war sein Entlassungstag. Er ließ sich direkt zum Dienstgebäude der Kölner Polizei fahren. Als er seine 105 Kilo an zwei Krücken hineinschleppte, trug er immer noch diesen Aircast-Schuh, der ihn ans Skifahren erinnerte.
Irgendwie hatte er sich auf die Kollegen gefreut.
»Zum Chef!«, schlug es ihm als Erstes entgegen. Kein »Wie geht es«, kein »Guten Morgen«, gar nichts.
Nanu, immerhin war er, Hauptkommissar Josef Straubinger, lange krank gewesen. Und er war im Gespräch als stellvertretender Leiter der Kölner Mordkommission. Kein freundliches Wort? »Auch einen schönen guten Morgen, Schmitz, heute eine Katze gefrühstückt?«
Kollege Schmitz reagierte nicht. Wie immer unfreundlich, übergriffig und dümmlich. Blöd wie ein Ochs am Spieß, dieser Kerl! Schmitz wartete nur darauf, Straubinger aus dem Weg zu räumen, denn er wollte seine Stelle haben.
Straubinger schnaubte. »Hey, Schmitz, ich rede mit dir!«
»Warst du Skifahren? Muss man auch können.« Schmitz hielt sich an seinem Kaffeebecher fest und sah auf Straubingers Fuß. »Aber schöner Schuh«, ließ er süffisant fallen.
Straubinger schüttelte den Kopf und humpelte den Flur entlang, klopfte an das Büro von Polizeirat Schmid. Er ging hinein, ohne abzuwarten. »Guten Morgen. Was gibt es denn so Dringendes?«
»Ah, Straubinger, wieder dienstfähig?«, fragte Schmid übertrieben höflich.
»Ich denk schon, wenn ich nicht grad einen Täter im Lauf überwältigen muss.« Er deutete mit dem Kopf auf sein Bein.
»Jaja, setzen Sie sich, Straubinger, setzen Sie sich!« Schmid nickte zu dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Da denkt man, im Krankenhaus nimmt man ab, und dann … na ja.« Schmid lachte kurz und gequält und zeigte auf Straubingers Bauch. »Also, setzen.«
Straubinger blieb stehen.
Schmid warf ihm einen Aktendeckel hin. »Suspendiert. Bis auf Weiteres.«
»Was?« Straubingers Gesicht entgleiste.
Schmid lächelte und Straubinger hatte keinen Zweifel, dass sein Chef sich heimlich freute. In Köln waren sie gern unter sich, dachte Straubinger grimmig. Vielleicht war das der Grund, warum sie alle ähnliche Namen hatten. Schmitz, Schmid, Schmitt, Schmidt. Er war hier seit seiner Einstellung vor vier Jahren stets wie ein Gastarbeiter behandelt worden.
»Und, die Frau wieder zu Hause? Oder immer noch weg?« Schmid sah ihn an, als ob ihn das etwas anginge.
»Warum bin ich suspendiert?«
»Das mit dem Taxifahrer, das war zu viel.«
»Schmid, hören Sie, der Kerl war eine Zecke!«
Bevor Straubinger weiterreden konnte, fuhr Schmid ihn an. »Ja, und der Neffe des Herrn Staatssekretärs Schmied. Da haben Sie den Falschen erwischt mit Ihrem unnachahmlichen bayerischen Charme. Also! Einstweilen weg vom Dienst. Ich nehme an, Sie werden versetzt. Fällt Ihnen ja jetzt leichter, wo Sie wieder frei sind, also ohne Frau.« Schmid grinste dämlich.
Straubinger ließ sich auf den Stuhl fallen. »Versetzt? Wegen so einer Lappalie?«
»Lappalie?« Schmid schnauzte ihn an. »Der Mann hat einen Zahn verloren, seine Nase gebrochen, Blutverlust, psychisches Trauma!«
»Klar.« Straubinger blieb ruhig. »Und mein Bein hat nix.«
»Notwehr! Reine Notwehr, sagt der Taxifahrer! Und jetzt gehen Sie, Straubinger, bevor ich mich vergesse.«
Straubinger drehte sich weg und humpelte den Flur entlang. Scheißladen, dachte er. Irgendwie gut, dass er hier endlich rauskam.