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Leidenschaft

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Sentlinger betrat das ›Thailandeiland‹ durch den Hintereingang, wo er diskret von Charlie empfangen wurde. Charlie hatte trotz des beträchtlichen Gewichts ein schön geschnittenes, sanftes Gesicht. Heute hatte er sich geschminkt, trug eine weite geblümte Bluse, eine fliederfarbene Hose und feine Wildlederschuhe. Er lächelte, als er Sentlinger sah. »Schön, dich wiederzusehen, mein Meister.« Er verneigte sich vor ihm. »Der Guru ist nur wegen dir heute wieder hergekommen«, sagte Charlie und strahlte ihn an.

Sentlinger durchfuhr ein Schauer. Ihm war die Begegnung mit Charlie unangenehm.

Charlie nutzte den Wirbel um den Guru, der sich gerade mal wieder feiern ließ, um Sentlinger unbemerkt in ein Etablissement im ersten Stock zu führen. Hier wurde er von Jeab und Muu empfangen. Als Sentlinger die beiden sah, verschlug es ihm den Atem. Sie lächelten ihn an und strahlten um die Wette. Wie schön sie waren, dachte er. Ihr Anblick traf ihn bis ins Mark. Beide trugen Frauenkleidung, wie man sie in einem Haus wie diesem erwarten würde. Sie waren dezent geschminkt und bewegten sich so, dass kein Mensch vermuten würde, dass es sich um zwei Männer handelte. Allein das Wissen darum aber machte Sentlinger schier verrückt. Perfekte Ladyboys, dachte er, wunderschön. Sein Gesicht verklärte sich, und in ihm begann die Leidenschaft zu rasen.

Charlie bemerkte seine Verzückung und fragte: »Können wir dir etwas Gutes tun?«

Sentlinger schreckte auf. Diese plötzliche Unterbrechung ließ ihn aus seinen Gedanken fallen. Er stammelte: »Ähh … nein … nichts.« Er schluckte trocken.

»Einen Drink?«, fragte Charlie.

»Ja, das wäre gut. Bring mir ein Bier.«

Schnell gab Charlie den beiden ein Zeichen. Sie lächelten höflich, drehten sich um und verschwanden.

Charlie ging einen Schritt auf ihn zu. »Es freut mich, dir wieder dienen zu können. Wie geht es dir, Meister?«, fragte er mit demütigem Blick.

Sentlinger war sichtlich nervös. »Gut, danke, Charlie. Schön auch, dich zu sehen.« Er drehte sich zum Fenster und fragte: »Seit wann bist du hier?«

Charlie ging einen Schritt zurück und sagte leise: »Seit der Guru angekommen ist. Ich wollte mich schon früher …«

Sentlinger schoss herum. »Wage es nicht, mich hier zu kontaktieren!«, herrschte er ihn an. »Wenn wir was miteinander zu schaffen haben, dann melde ich mich bei dir. Verstanden? Du hältst dich zurück.«

Charlie nickte und sah zu Boden.

»Und jetzt lass mich alleine!«

Charlie nickte erneut, verneigte sich und verließ den Raum. Unmittelbar danach klopfte es an der Tür. Jeab und Muu kamen mit einer Flasche Mineralwasser und einem Bier zurück. Sentlinger spürte, wie sein Kreislauf wieder angeworfen wurde. Er ließ sie die Getränke auf den kleinen Tisch stellen und nahm in einem der Plüschsessel Platz. Als Jeab sich zum Tisch hinabbeugte, streichelte Sentlinger ihm vorsichtig mit der linken Hand über den Oberschenkel. Jeab lächelte. Muu kam hinzu, stellte das Bier ab und streichelte Sentlingers Wange. Sentlinger fuhr auch ihm mit der anderen Hand unter den Rock und erfasste die Vorderseite von Muus Slip. Dort spürte er die Wölbung, die den Unterschied zwischen einer Frau und diesem für ihn wundervollen Geschöpf klarstellte. Sentlinger war derart verzückt von den beiden Katoeys, dass er nicht merkte, dass die Tür aufging und Nuh Poo Tubkim hereinkam.

»Lass dich umarmen, mein lieber Freund«, sagte er überschwänglich und ging auf Sentlinger zu. »Wir haben uns lange nicht gesehen, und ich bin froh, dass wir uns hier treffen können. Wie schön es ist, dich zu sehen.«

Sentlinger fuhr hoch, drängte die beiden Katoeys zur Seite und sortierte sich schnell.

»Ich sehe, meine beiden schönsten Mädchen haben dich bereits herzlich empfangen, so wie es dir, mein alter Freund, gebührt. Und Charlie hast du sicher auch schon begrüßen können.«

Sentlinger stand wie angewurzelt da und stopfte sich das Hemd in die Hose. Nuh Poo kam auf ihn zu und umarmte ihn.

»Wie geht es dir, Erwin?«

»Gut, sehr gut, bei dem Empfang!«, sagte Sentlinger süffisant und betrachtete die beiden Katoeys, die ihn immer noch anlächelten.

»Ja, die beiden sind meine Schätze«, sagte Nuh Poo und verdrehte verzückt die Augen. »Sie sind mir die Liebsten. Magst du sie auch?«

Sentlinger überkam eine Wallung. Wie wunderbar sie waren. Er nickte und schluckte dabei.

Nuh Poo grinste ihm schelmisch zu und hob den Finger. »Du bist kein Kostverächter, oder wie sagt man? Du magst die beiden, oder?«

Sentlinger nickte verhalten. Er nahm sich wieder zusammen. Ein paar Sekunden sagten beide nichts. Nuh Poo spürte, dass eine eigenartige Spannung in der Luft lag. Dann platzte es aus Sentlinger heraus: »Poonish, wie kommst du dazu, einfach hier aufzutauchen? Bist du verrückt geworden? Was treibst du hier?«, fragte er zischend. »Und gerade hier in Tuntenhausen! Das ist der Sitz des katholischen Herrenordens! Und ich bin der Ehrenvorsitzende.«

»Was bedeutet das?«, fragte Nuh Poo lächelnd.

»Das ist ein heiliger Ort. Einer der heiligsten Orte Bayerns. Ihr müsst hier wieder weg.«

Nuh Poo gab den beiden Katoeys ein Zeichen, woraufhin sie sich lächelnd zurückzogen.

»Bitte setzt dich«, sagte der Guru und bot Sentlinger wieder einen Platz an, bevor er sich theatralisch in den anderen Sessel fallen ließ. Dann breitete er die Arme aus. »Ich bringe euch lieben Deutschen meine Mädchen hierher. Ihr braucht nicht mehr zu reisen. Verstehst du, Erwin? Ihr könnt jetzt alles hier bei euch haben.« Er glänzte über das ganze Gesicht und rollte enthusiastisch mit den Augen.

»Aber die Deutschen wollen nach Thailand reisen, wir wollen das hier nicht haben.«

Nuh Poo lächelte sanft. »Aber Erwin, sieh doch, wie sie alle kommen. Das Haus ist voll, meine Mädchen sind gefragt. Als Gesprächspartner und Gesellinnen. Sie sprechen ein bisschen Deutsch, sie sind ausgebildet. Ich habe ihnen alles beigebracht über das Land und seine Männer. Was die Deutschen so mögen.«

»Poonish, hör zu, das ist doch etwas ganz anderes, ob du das in Thailand machst oder hier bei uns! Bitte hör auf damit. Das gibt einen Skandal.«

»Wieso Skandal? Was heißt das? Ich habe Familie hier, und die möchte ich bald kennenlernen. Du wirst mich zu ihnen führen, so wie du es mir versprochen hast, als ich noch ein kleiner Junge war.«

Sentlinger räusperte sich. »Ja, das ist schon lange her. Damals habe ich mich um dich gekümmert, weil dein Vater ein guter Freund von mir war und ich das deiner Mutter versprochen hatte. Aber jetzt?«

Nuh Poo beugte sich vor. »Versprochen? Geschworen hast du es. Beim Tod meines Vaters. Ich will sie alle kennen lernen.«

Sentlinger baute sich vor Nuh Poo auf und musterte ihn von oben bis unten. »So kann ich dich doch nicht vorstellen. Das wollen deine Verwandten doch … gar nicht.«

»Warum weigerst du dich?«, fragte Nuh Poo verärgert.

Sentlinger seufzte. »Sie leben ja alle nicht mehr. Bis auf die Schwester deines Vaters. Aber die will dich nicht sehen«, log er. Sein Gesicht wurde hart. »Sie weiß um deine Leidenschaften, und damit will sie nichts zu tun haben.«

Nuh Poos Ärger verwandelte sich in Traurigkeit.

Sentlinger hob die Schultern und schwieg.

Nuh Poo lehnte sich zurück und senkte den Blick. Er atmete tief durch. »Für die Rubine, die du regelmäßig bei mir abgeholt, dann in deinem Diplomatengepäck mitgenommen und ihnen übergeben hast, dafür war ich ihnen gut genug. Fast jedes zweite Jahr warst du bei mir, seit ich diese Steine habe. Reich müssen sie damit geworden sein. Und jetzt wollen sie mich nicht einmal sehen?« Er lauerte auf Sentlingers Reaktion.

Sentlinger breitete die Arme aus und lächelte gequält. »Sieh mal, Poonish, es ist so. Ich habe die Rubine jedes Mal in ihrem Auftrag verkauft, und das Geld ist mittlerweile ausgegeben. Einfach weg.«

»Soll ich dir das wirklich glauben, Erwin? Ich habe auch immer dafür gesorgt, dass es dir gut ging, wenn du in Bangkok warst, dir immer angenehme Liebschaften besorgt. Du hast auch ein paar Rubine bekommen. Und Charlie, dein Liebling, war er nicht immer gut zu dir?«

»Charlie«, zischelte er. »Lass mich in Ruhe mit Charlie. Er soll mich hier nicht ansprechen. Sorg dafür, dass er sich zurückhält. Wenn mich jemand mit ihm sehen würde …«

»Aha, ist er dir nicht mehr genehm?«, fragte Nuh Poo streng. »Du hast es immer gut gehabt durch ihn, durch mich und durch meine Mutter!«

Sentlinger antwortete jetzt sanfter. »Du darfst das nicht falsch verstehen, Poonish, in Deutschland ist das alles anders. In Thailand ist … das nicht so schlimm, was dich angeht.« Sentlingers Stimme wirkte gehetzt. »Deutschland ist da eher … nicht so tolerant. Eher verstockt, konservativ, sehr verschämt. So etwas hat bei uns keine Tradition! Darum reisen so viele deutsche Männer ja nach Thailand.«

»Und wieso hast du mir das früher nicht erzählt?«, fragte Nuh Poo vorwurfsvoll.

»Weil ich dich schonen wollte. Ich wollte dich nicht verletzten. Ich habe ja nicht ahnen können, dass du tatsächlich mal hierherkommst. Und jetzt auch noch mit einem ganzen Tross von Katoeys.« Er lachte kraftlos. »Ja geht’s denn noch?«

Nuh Poo machte ein beleidigtes, aber stolzes Gesicht. Er stand auf und sagte zu Sentlinger: »Du redest Unsinn. Die Deutschen lieben uns. Ich werde dir zeigen, dass du Unrecht hast. Melde dich, wenn du dich wieder gefangen hast. Du weißt, die Liebe ist das größte Geschenk, das uns mein Vater mitgegeben hat.«

»Hör zu, Poonish, ich bekomme Druck von allen Seiten. Deine Familie will dich nicht sehen. Auf der Insel mögen sie nicht, dass du dort Häuser gekauft hast. Sie wollen euch nicht haben.«

»Viele Menschen dort sind freundlich zu uns. Bis auf diese Nonnen.«

»Ja!«, zischte Sentlinger, »und ganz vornweg meine Schwester.« Das war ihm herausgerutscht. Er räusperte sich.

»Deine Schwester? Wer ist deine Schwester?«, fragte Nuh Poo drängend.

»Na ja, die stellvertretende Chefnonne, Schwester Irmentrud.«

»Dann kann ich doch sicher mit ihr reden«, sagte Nuh Poo.

»Ich denke, das ist keine gute Idee. Sie führt doch die Proteste gegen dich an«, erklärte Sentlinger mit bedauerndem Blick. »Poonish, sei vernünftig. Zieh dich zurück.«

Nuh Poo saß geknickt vor ihm. Und irgendwie tat er Sentlinger leid. Doch jetzt war der rechte Moment, dachte Sentlinger, um das Thema anzuschneiden, weswegen er eigentlich hergekommen war. »Und außerdem machst du Dinge, die du nicht tun solltest. Du verkaufst Mogok-Rubine. Illegal. Richtig?«

Nuh Poo sagte nichts. Dann beugte er sich leicht vor und fragte: »Wieso sagst du das?«

»Cerny hat mich um Hilfe gebeten. Er vermutet, dass du dahintersteckst.«

»Woher will er das wissen?«

»Poonish! Er kennt jeden, der sich mit Rubinen beschäftigt. Jeden Käufer, jeden Händler, jeden Hehler. Und wenn er ein paar Hehler befragt, dann wird aus seiner Vermutung bald Gewissheit.«

»Na und?« Nuh Poo lächelte.

»Dann bekommst du Schwierigkeiten.«

»Ich hab schon viele Geschäfte mit Cerny gemacht. Er hat immer zu wenig bezahlt. Ich habe auch ihm die Mogok-Steine angeboten. Er wollte mir nur geringfügig mehr dafür zahlen als für vietnamesische oder thailändische Rubine, obwohl sie das Vielfache wert sind. Cerny ist ein Halsabschneider. Und deshalb nehme ich es selbst in die Hand.«

»Cerny wird dich fertig machen.«

»Wird er nicht. Ich habe so viel Material gegen ihn gesammelt, das wird ihm nicht im Traum einfallen.«

»Du könntest ein Joint Venture mit ihm machen. Schließt euch zusammen.«

»Niemals!« Nuh Poo wurde wütend. »Er hat dich vorgeschickt, um mich weich zu klopfen. Willst du mich etwa verraten?«

»Sei nicht dumm, Poonish. Du könntest …«

»Nichts werde ich! Immer, wenn Cerny nach Bangkok kam, dann kam er regelmäßig zu mir. Er hat mir dann erst mal Grüße von dir bestellt und wollte die schönsten Mädchen und Katoeys haben. Für sich und seine Begleiter. Gratis. Als Rabatt, wie er sich ausdrückte. Cerny ist ein Schwein.«

»Was hat er dir getan?«

»Zuletzt, als er bei mir war, hat er meine Mädchen wie immer schlecht behandelt. Aber da hat er es zu weit getrieben. Cerny hat meine liebe Gwendola so lange geschlagen, bis sie fast tot war. Einfach so, weil es ihm Spaß gemacht hat. Und weißt du was? Er hat nur gelacht. Immer wieder. Er ist ein brutales Schwein. Ich habe ihn schließlich hinauswerfen lassen. Von Charlie und ein paar anderen. Seitdem hat Cerny Hausverbot.«

»Sowas passiert doch laufend, oder? Sie sind halt manchmal ein wenig zu leidenschaftlich, die Liebhaber«, sagte Sentlinger und grinste schmaläugig.

»Es gibt Grenzen, Erwin. Sowas dulde ich nicht. Charlie hat Cerny eine verpasst. Er wollte mir dann noch«, er hob die Hände und schrieb zwei Gänsefüßchen in die Luft, »›seinen Albaner‹ auf den Hals schicken, wie er sich ausdrückte.« Er zischte. »Lächerlich!«

»Er hat also mit dir noch eine Rechnung offen. Glaub mir, der Mann ist gefährlich.«

Nuh Poo Tubkim betrachtete Sentlinger, legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte leise: »Glaub mir, Erwin, ich auch.«

Taubenblut

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