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Rede IV Verteidigungsrede wegen vorsätzlicher Körperverletzung –
Kläger und Beklagter unbekannt

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1 Es ist erstaunlich, hohes Gericht, dass es zu diesem Prozess kam, und wir uns nicht in einem Vergleich einigen konnten. Während mein Kontrahent nicht leugnen kann, dass er das Ochsengespann, die Sklaven und alles andere, was er von meinem Landgut beim Vermögenstausch1 erhielt, zurückerstattete, leugnet er, trotz der genau getroffenen Vereinbarung, dass wir ausgemacht hatten, die Frau, um die es geht, gemeinsam zu besitzen. 2 Es ist offensichtlich, dass er den Vermögenstausch ihretwegen gemacht hat. Der Grund dafür, dass er zurückgab, was er erhalten hatte, ist kein anderer (wenn man bei der Wahrheit bleiben will), als dass unsere Freunde uns in dieser ganzen Angelegenheit zu einer Versöhnung überredeten.

3 Es wäre mir lieber, wenn er beim Auslosen der Richter für das Dionysienfest2 nicht leer ausgegangen wäre, dann würdet ihr klar erkennen, dass wir ausgesöhnt waren und er für meinen Bezirk als Sieger gestimmt hatte. So hatte er es auf das Täfelchen geschrieben, im Losverfahren aber verlor er dann. 4 Dass ich dies der Wahrheit entsprechend berichte, wissen Philinos und Diokles; sie können hier aber nicht als Zeugen auftreten, weil sie in dieser Sache, deren ich angeklagt bin, nicht vereidigt wurden3. Von ihnen würdet ihr zweifelsfrei erfahren, dass ich ihn als Richter vorgeschlagen hatte, und dass er auf meine Veranlassung hin auf der Richterbank saß. 5 Aber gut, wenn er es so will, war er mein Feind; ich gestehe ihm das zu, es macht ja keinen Unterschied.

So drang ich also, wie er behauptet, gewaltsam in sein Haus ein, um ihn zu töten. Warum habe ich ihn dann nicht getötet, wo er doch in meiner Gewalt und ich so sehr im Vorteil war, dass ich auch die Sklavin hätte mitnehmen können? Das soll er euch erklären. Er kann es aber nicht. 6 Jeder von euch weiß, dass man schneller durch einen Dolchstoß stirbt als durch einen Faustschlag. Ihr seht aber, dass er mich nicht anklagt, mit einer Waffe in der Hand zu ihm gekommen zu sein, sondern er behauptet, ich habe ihm mit einem irdenen Topf einen Schlag versetzt. So ist also schon aus dem, was er selbst sagte, zu ersehen, dass von Vorsätzlichkeit keine Rede sein kann. 7 Ich wäre dann ja nicht einfach so zu ihm gekommen, unsicher, ob ich bei ihm überhaupt [einen Topf oder] irgend etwas anderes finde, ihn damit zu töten, sondern ich hätte von zuhause etwas mitgebracht, als ich wegging. Wir stimmen aber darin überein, dass wir der Knaben und Flötenspielerinnen wegen zusammenkamen, und dass wir betrunken waren. Wo ist da eine Vorsätzlichkeit? Ich sehe keine. 8 Aber dieser Mensch will in seiner unglücklichen Verliebtheit anderen schaden, und er will beides, das Geld nicht bezahlen4 und das Mädchen dennoch behalten. Nun war er, in heftige Leidenschaft versetzt von der Dirne und obendrein betrunken, schnell bei der Hand, und man musste sich wehren. Was das Frauenzimmer betrifft, so sagte sie einmal, ihre Zuneigung richte sich auf mich, dann wieder auf ihn; sie wollte wohl von uns beiden geliebt werden.

9 Ich war von Anfang an verträglich, so wie ich es auch heute noch bin. Er jedoch geriet in einen solchen Zustand, dass er sich nicht schämt, ein blaues Auge eine Verletzung zu nennen. Er ließ sich auf einer Sänfte herumtragen und machte einen großen Aufstand, wie schlecht es ihm gehe, und das alles wegen einer kleinen Hure, die er ohne Streit allein hätte haben können, wenn er mir das Geld bezahlt hätte. 10 Und er behauptet, ihm sei ganz schrecklich nachgestellt worden, und gibt mir die Schuld an allem. Obwohl es ihm aber möglich gewesen wäre, seine Aussage dadurch zu bekräftigen, dass er die Dirne zur Folter freigab5, lehnte er dies ab. Sie hätte euch als erstes informiert, ob sie uns gemeinsam oder nur ihm allein gehörte, ob ich die Hälfte ihres Kaufpreises aufgebracht hatte, oder er alles bezahlte, und ob wir wieder versöhnt oder noch Feinde waren. 11 Weiter hätte sie sagen können, ob ich gekommen war, weil man nach mir geschickt hatte, oder ganz ohne Einladung, und ob dieser Mensch mit den Handgreiflichkeiten anfing, oder ich ihn als erster geschlagen hatte. Jeden einzelnen dieser Punkte und auch der übrigen hätte man leicht für alle Welt und auch für euch, ihr Herren Richter, belegen können.

12 Dass also, hohes Gericht, weder von vorsätzlicher Körperverletzung noch von einem Unrecht meinerseits gegen diesen Menschen die Rede sein kann, wurde euch aus all diesen Ausführungen und Beweisen dargelegt. Nach meiner Meinung konnte dieser Mann in der Tatsache, dass ich auf die Folter verzichtete, den Beweis sehen, dass man ihm glaubte, die Wahrheit zu sagen. In gleicher Weise muss jedoch auch für mich die Tatsache gelten, dass ich nicht lüge, nachdem er sich weigerte, das Mädchen befragen zu lassen. Dabei darf man seinen Worten, dass sie eine freie Frau sei, keine große Bedeutung beimessen. Wenn sie freigelassen würde, hätte ja auch ich etwas dabei mitzureden, denn ich habe schließlich die gleiche Summe für sie bezahlt wie er. 13 Aber er lügt, die Wahrheit spricht er nicht. Was für eine unmögliche Situation: Wenn es darum gehen würde, mich [mit dem Geld, das ich bezahlt hatte] im Krieg von den Feinden freizukaufen, könnte ich vom Besitz an dieser Sklavin auf beliebige Weise Gebrauch machen; wenn ich aber Gefahr laufe, meine Existenz in der Heimat zu verlieren, darf ich sie noch nicht einmal zu einer wahrheitsgemäßen Aussage heranziehen, und das in einer Sache, deretwegen ich vor Gericht stehe. Da wäre es doch viel eher angebracht, sie in dieser Angelegenheit der Folter zu unterziehen, als sie zu verkaufen, um mich im Krieg auszulösen, zumal es für mich als bemittelten Mann mancherlei andere Möglichkeiten einer Auslösung gibt. Bei seinen persönlichen Feinden aber hat man diese Möglichkeiten nicht. Diesen geht es nämlich nicht um Geld, ihnen liegt daran, jemanden aus seinem Vaterland zu vertreiben. 14 Deshalb solltet ihr die Forderung dieses Mannes, die Sklavin nicht der Folter zu übergeben, weil sie frei sei, zurückweisen. Ihr solltet ihn stattdessen wegen Verleumdung verurteilen, weil er ein so überzeugendes Beweismittel außer acht lässt in der Erwartung, euch mühelos täuschen zu können. 15 Ihr dürft doch nicht das Anerbieten dieses Mannes für überzeugender halten als das meinige, wonach man verlangen kann, dass er seine Diener zur Folter freigibt. Ich stimme ja der Aussage zu, dass ich in das Haus jenes Mannes ging. Ob ich aber eingeladen war oder nicht, ob ich den ersten Schlag erhielt oder den ersten austeilte, weiß die Frau am besten. 16 Wenn wir seine anderen Diener, die ihm allein gehören, zur Folter heranziehen, würden diese ja doch aus törichter Gefälligkeit für ihn wahrheitswidrig gegen mich aussagen. Diese Frau aber gehörte uns beiden gemeinsam, zu gleichen Teilen hatten wir ihren Kaufpreis aufgebracht und [das weiß sie ganz genau] ihretwegen geschah das alles. 17 Man darf ja nicht vergessen, dass ich bei ihrer peinlichen Befragung im Nachteil gewesen wäre, dennoch nahm ich dieses Risiko auf mich. Es scheint doch, dass sie diesem Mann mehr zugeneigt war als mir. Sie unterstützte ihn dabei, mir unrecht zu tun, aber sie hätte sich niemals mit mir zusammengetan, um gegen jenen vorzugehen. Dennoch nahm ich meine Zuflucht zu ihr als Zeugin, er dagegen vertraute ihr nicht.

18 Da der Gegenstand der Klage so schwerwiegend ist, dürft ihr also, hohes Gericht, den Worten dieses Mannes nicht leichthin glauben, sondern müsst bedenken, dass es in diesem Prozess für mich um meine Heimat und um mein Leben geht. Diese Dinge solltet ihr berücksichtigen. Sucht nicht nach weiteren Beweispunkten; ich kann euch nichts weiter sagen, als dass ich gegen diesen Mann nichts Übles im Sinn hatte. 19 Ich bin aber ungehalten, hohes Gericht, dass ich Gefahr laufe, wegen einer Dirne, wegen einer Sklavin das zu verlieren, was mir am wertvollsten ist. Welchen Schaden habe ich jemals unsrer Stadt oder diesem Mann selbst zugefügt? Gegen welchen unsrer Bürger habe ich mich vergangen? Nichts dieser Art habe ich getan. Dennoch gerate ich ohne den geringsten Grund durch diese Leute in sehr schwere Bedrängnis. 20 So flehe ich euch an, bei euren Kindern, euren Frauen und bei den Göttern dieses Ortes; ich bitte euch, habt Mitleid mit mir, duldet es nicht, dass ich diesem Mann ausgeliefert bin, und stürzt mich nicht in unheilbares Verderben. Es ist gleichermaßen unverdient, dass ich aus meinem Land verbannt werden soll, wie dass er durch mich Genugtuung erhält für etwas, was er – nach seiner Aussage – erlitten hat, in Wirklichkeit jedoch nicht erlitt.

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